2.3.1 Prosa und ErzähltheorieDie Entwicklung ist verwickelt: Strukturalisten und Semiologen, Narratologen und Formalisten oder einfach nur Erzählforscher haben mit der Zeit ein Instrumentarium nebst zugehöriger Terminologie produziert, welches gelegentlich sehr ähnlich klingt und doch mitunter (fast) das Gegenteil meint (Beispiel: die unterschiedliche Verwendung der Begriffe Sujet/Fabel im russischen Formalismus und in der deutschen Erzähltheorie bzw. entsprechend plot/story im englischen Sprachraum). Einen wirklichen Einblick verschafft allein die Lektüre verschiedener Modelle; für den groben Durchblick genügen aber beispielsweise die folgenden beiden Titel: |
Fludernik, Monika: Erzähltheorie. Eine Einführung 4., durchges. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchges., 2013. Flüssiger zu lesen als Vogt. Fludernik hat selbst den Anspruch, [Vorwort:] »komplexe Sachverhalte so zu durchdenken, dass sie realtiv simpel dargelegt werden konnten.« Dies ist ihr in diesem empfehlenswerten Einführungswerk gelungen. Das Buch enthält zudem eine deutschsprachige Zusammenfassung ihres eigenen Erzähltheoretischen Modells Towards a ›Natural‹ Narratology. Im letzten Teil des Buches gibt Fludernik drei Interpretationsbeispiele und ein hilfreiches Kapitel »Dos und Don'ts«. [ChB] |
Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens 9., unveränd. Aufl. Stuttgart: Metzler, 2004 [1. Aufl. 1955]. Zentral für Lämmerts Ansatz ist die Zeitlichkeit des Erzählens und deren Besonderheit(en). Ausgehend von der im Grunde dichotomischen Unterscheidung zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit untersucht Lämmert gewissermaßen ›morphologisch‹ einzelne Phänomene wie Raffung und Aussparung, Auswahl und Andeutung, Rückgriff und Vorausschau, in einem weiteren Sinne das Gefüge der Handlungsstränge, den Ablauf der Handlungsphasen sowie die Mehrschichtigkeit und das Ineinandergreifen von Aktion und Rede. Anders als so vieles aus den fünfziger Jahren hat sich diese typisierende Darstellung von Erzählformen bis heute gehalten und wird auch von gegenwärtigen Forschern (z.B. Genette) gelten gelassen. [TFS] |
Booth, Wayne C[layson]: Die Rhetorik der Erzählkunst [The Rhetoric of Fiction; 1961.]. Übers. v. Alexander Polzin. 2 Bde. Heidelberg: Quelle & Meyer, 1974 (= utb; 384/85). »The Rhetoric of Fiction« ist nach wie vor ein Klassiker der Erzähltheorie, vor allem wegen seiner grundsätzlichen Feststellung, dass alle Literatur rhetorisch sei, also Überredungscharakter besitze (und damit ein moralisches Ziel verfolge), aber auch, weil Booth auf der Anwesenheit des Autors im Werk insistiert, die sich in Normen und Werturteilen äußere. Auf den von Booth entwickelten und nach wie vor gebräuchlichen Termini des ›implizierten Autors‹, des ›unzuverlässigen Erzählers‹ oder des ›postulierten Lesers‹ fußen wiederum andere Modelle, z.B. dasjenige von Kahrmann, Reiß und Schluchter. Während Booth vor allem für seine Ansicht eines ›moralischen Zwecks‹ von Literatur viel Kritik einstecken musste, ist seine Annahme des Rhetorischen äußerst virulent (vgl. ›Dekonstruktion‹ in Abschnitt 2.3.4 (vor allem de Man und Derrida) sowie Abschnitt 2.4). [TFS] |