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Spannendes in kleiner Runde – Judaica auf Akademikertagenvon Marcus Pyka
Ob sich allerdings eine solche Mode auch qualitativ niederschlägt, ist eine andere Frage. Doch liegt es oft am Fach selbst, wie es die ihm zuteil gewordene Aufmerksamkeit nutzt. Eine Möglichkeit zu solch wissenschaftlicher Nabelschau boten im September die Tagungen der Historiker in Frankfurt am Main und der Orientalisten in Bonn. Der erste Eindruck von den einschlägigen Sektionen mußte jedoch beide Male überraschen – es war kaum jemand da! Auf dem 42. Deutschen Historikertag stand die Sektion zur "Jüdischen Identitätsfindung im 18. und 19. Jahrhundert" allerdings im Schatten bedeutender Konkurrenz. Das Ereignis der Woche war ohnehin die Auseinandersetzung mit den "Historikern im Nationalsozialismus", die die Emotionen hochkochen ließ; und auch am Veranstaltungstage selbst bot die parallele Sektion zur 1848er Revolution wohl die attraktivere Besetzung; doch unter diesen Voraussetzungen erwies sich das Publikum immer noch als recht prominent – und es sollte sich lohnen. Die Vortragenden, überwiegend Mitarbeiter von F. Battenbergs DFG-Projekten, setzten sich mit bislang kaum behandelten Fragen von jüdischer Akkulturierung und Identität auseinander, etwa den noch individuellen Entwicklungen in Hofjudenfamilien (R. Ries) oder der Bedeutung deutscher Immigranten beim Entstehen jüdischen Lebens in Belgien (C. Kasper-Holtkotte). G. von Glasenapp zeigte einige Versuche auf, mittels des historischen Romans Geschichte als Identitätsstifterin für nicht-gläubige Juden zu etablieren, wobei der umdeutende Einsatz von Juden-Stereotypen (etwa als blondierte Version der "schönen Jüdin") besonders bemerkenswert erschien. Einen ähnlichen Wandel machte A. Gotzmann auch im Selbstbild und hier besonders in der Geschichtsschreibung fest. Gerade für Graetz gelte es, daß er Geschichte geschrieben habe, "um ihr Ende zu konstruieren". Mit ihr wollte er eine neue Identität begründen – zu seiner Zeit ein verbreitetes Unterfangen, das jedoch mit den 1890ern an sein Ende kommen sollte. Mit einer angrenzenden Problematik, nämlich dem "Kampf der Wissenschaft des Judentums" um Anerkennung als Universitätsdisziplin", beschäftigte sich C. Wiese auf dem 27. Deutschen Orientalistentag in Bonn. Doch gelang es ihm dabei nicht, mit neuen Erkenntnissen aufzuwarten, was allerdings kaum etwas verändert hätte, da das Interesse an der Sektion im allgemeinen und an seinem Vortrag im besonderen als gering bezeichnet werden muß. Seit Jahrzehnten war es erstmals gelungen, die Judaistik auf dem DOT zu vertreten, wie die Sektionsvorsitzende M. Schlüter zu Recht mit einigem Stolz bemerkte; was sie jedoch nicht ansprach, waren die Querelen, die das Projekt beinahe noch zum Scheitern gebracht hätten, da sich die Vertreter der Judaistik und der Jüdischen Studien nicht über die Tagesordnung einig wurden. Letztlich sah die Lösung so aus, daß die Jüdischen Studien nicht und die Judaistik kaum vertreten war, lediglich eine Handvoll Interessierter verlor sich in dem Hörsaal. Bedauernswerte Folge war die geringe Diskussionsbereitschaft selbst nach sehr interessanten Vorträgen wie etwa über "Yohanan Alemanno und die ,Wiedergeburt‘ des Hebräischen" in der Renaissance (K. Herrmann), über die Behandlung von außerkanonischem Talmud-Schrifttum in der innerrabbinischen Überlieferung (A. Lehnahrdt) oder den Wissens-Transfer von Ost nach West im XII. Jahrhundert (A. Schippers). So mußte insbesondere eine Einordnung der Themen in den größeren Kontext Fragment bleiben, wie auch bei einem Vortrag einer anderen Sektion, der Japanologie nämlich, wo H.E. Maul, der ehemalige deutsche Militärattaché in Tokyo, über Antisemitismus in Japan referierte. Fazit: Beide Veranstaltungen waren gewinnreich und sehr spannend, aber das Interesse an ihnen ist unbedingt noch ausbaufähig. |