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Ausgewählte Texte von Martin Buber
 

WEISST DU ES NOCH . . ?

1949
Mit einem Exemplar der "Erzählungen der Chassidim"

Weißt du es noch, wie wir in jungen Jahren
Mitsammen sind auf diesem Meer gefahren?
Gesichte kamen, groß und wunderlich,
Wir schauten miteinander, du und ich.
Wie fügte sich im Herzen Bild zu Bildern!
Wie stieg ein gegenseitig reges Schildern
Draus auf und lebte zwischen dir und mir!
Wir waren dort und waren doch ganz hier
Und ganz beisammen, streifend und gegründet.
So ward die Stimme wach, die seither kündet
Und alte Herrlichkeit bezeugt als neu,
Sich selbst und dir und dem Mitsammen treu.
Nimm denn auch dieses Zeugnis in die Hände,
Es ist ein Ende und hat doch kein Ende,
Denn Ewiges hört ihm und hört uns zu,
Wie wir aus ihm ertönen, ich und du.
 
 
 
HALTET EIN!

1957

Es ist höchste Zeit, daß wir Menschen den Politikern unseren Standpunkt klarmachen. Wir wollen nicht, daß die Menschheit sich selbst zu vernichten beginnt. Hört auf mit diesem Spiel, bei dem unser aller Leben zum Einsatz kommt und bei dem beide Partner verlieren müssen!

Wir gaben euch die Macht, über die ihr heute verfügt, weil wir dachten, ihr seiet Persönlichkeiten, die immer und unter allen Umständen wissen, was sie tun. Wir sehen nun ein, daß wir uns getäuscht haben. Die Spielleidenschaft hat euch der Fähigkeit beraubt, die wahre Natur des Spieles, das ihr treibt, zu erkennen und zu sehen, wohin es führen kann. Ihr kennt euch aus in allen Tricks des Spieles und wandelt sie methodisch ab, aber ihr seid nicht gewahr, daß das Spiel selbst in euren Händen zu etwas anderem geworden ist.

Nun wird das Spiel mit euch gespielt. Ihr seht nicht ein, daß, wenn ihr jetzt nicht haltmacht, der Moment kommen muß, und dies vielleicht schon sehr bald, wo der weitere Ablauf der Ereignisse nicht mehr von euch abhängen wird und wo es auch nicht mehr möglich sein wird, innezuhalten. Wir kennen diesen Ablauf aus früheren Erfahrungen - aber selbst die schlimmste jener Erfahrungen wird ein Kinderspiel sein gegenüber dem, was diesmal kommen wird - wenn es kommt. Diesmal bedeutet das Kriegsspiel Zerstörung aller Länder und Völker - bis es nichts mehr zu zerstören gibt und niemanden, der zerstören kann.

Das Grundgesetz alles Spieles heißt: die Erfolgschance darf nicht kleiner sein als das Risiko. Diesmal wird das Risiko unendlich groß, die Chance eines Erfolges gleich Null sein. Haltet ein, solange ihr noch könnt!

Und wenn man uns fragt, was dieses "Einhalten" im vorliegenden Fall bedeuten soll, so muß dieAntwort lauten: Es hat zu allen Zeiten und überall Interessenkonflikte gegeben, es gibt sie jetzt, und sie werden ausgefochten. Doch ist solchen Streitigkeiten eine Grenze gesetzt - es kommt der Moment, wo ein Kompromiß der einzig vernünftige Ausweg ist. Darunter verstehen wir keine sogenannte Versöhnung oder Befriedung, sondern ein wohlabgewogenes Abkommen, das vor kommenden Generationen vertreten werden kann, einen Ausgleich der Interessen, der den lebenswichtigen Bedürfnissen der Völker beider Seiten - nachdem die nichtlebenswichtigen zuvor ausgeschieden worden sind - gerecht wird. Der kritische Moment ist gekommen. Was zieht ihr Wissenschaftler selbst vor: Gegenseitige Zugeständnisse auf Grund sorgfältiger und fairer Überlegung - oder den ungewollten Selbstmord der Menschheit?
 
 
NACH DEM TOD

 1927
Antwort auf eine Rundfrage

Wir wissen nichts vom Tod, nichts als die eine Tatsache, daß wir "sterben" werden - aber was ist das, sterben? Wir wissen es nicht. So geziemt uns anzunehmen, daß es das Ende alles uns Vorstellbaren ist. Unsere Vorstellung ins Jenseits des Sterbens verlängern wollen, in der Seele vorwegnehmen wollen, was der Tod allein uns in der Existenz zu offenbaren vermag, scheint mir eine als Glaube verkleidete Ungläubigkeit zu sein. Der echte Glaube spricht: Ich weiß nichts vom Tod, aber ich weiß, daß Gott die Ewigkeit ist, und ich weiß dies noch, daß er mein Gott ist. Ob das, was wir Zeit nennen, uns jenseits unseres Todes verbleibt, wird uns recht unwichtig neben diesem Wissen, daß wir Gottes sind - der nicht "unsterbliche", sondern ewig ist. Statt unser Selbst uns lebend wiewohl tot vorzustellen, wollen wir uns auf einen wirklichen Tod bereiten, der vielleicht die Endschranke der Zeit, der aber, wenn es sich so verhält, gewiß die Schwelle der Ewigkeit ist.

 Aus: Buber, Martin Nachlese, Heidelberg 1965