Wie nehmen sich deutsche Spitzenführungskräfte wahr und wie sehen sie ihre Rolle und Verantwortung in der Gesellschaft? Die Kölner Soziologin Dr. Annette von Alemann untersuchte in einer qualitativ ausgerichteten Studie das Selbstbild deutscher Führungskräfte und ihre Einstellung zu wesentlichen gesellschaftlichen Themen. Die Studie greift auf 54 Interviews mit Führungskräften aus Großunternehmen, mittelständischen Unternehmen und bundesweiten Wirtschaftsverbänden zurück, die die Wissenschaftlerin im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Bielefeld gewann.
Die Untersuchung zeigt, dass sich Führungskräfte an einem stark ausgeprägten Leistungsprinzip orientieren, aus dem sie Forderungen an Staat und Gesellschaft ableiten. Sich selbst verstehen die Führungskräfte dabei als Leistungselite – das heißt, als eine Gruppe, die gemessen an Arbeitszeit und Verantwortung besondere Leistungen erbringt und mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und Innovationen einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leistet. Ihre privilegierte Position und ihr Einkommen sehen die Führungskräfte den Ergebnissen der Untersuchung zufolge als gerechtfertigt an. Sie sind jedoch davon überzeugt, dass diese Leistungen in der Gesellschaft nicht genügend anerkannt würden; in Deutschland herrsche eine Neidgesellschaft.
Das Leistungsprinzip machen die Spitzenführungskräfte auch in ihrer Einschätzung zentraler gesellschaftlicher Probleme geltend: Sie beurteilen soziale Ungleichheit als Folge unterschiedlicher Begabungen und Leistungen. Die Unterrepräsentanz von Frauen im Management wird auf ein anderes, weniger erfolgreiches Führungs- und Karriereverhalten der Frauen zurückgeführt. Weibliche Führungskräfte sehen ihren eigenen Erfolg als Beleg dafür, dass Frauen mit dem nötigen Leistungswillen es trotz Benachteiligungen nach oben schaffen können.
Von Staat und Gesellschaft erwarten die Spitzenführungskräfte, dass sie Chancengleichheit in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und im Bildungswesen gewährleisten, zum Beispiel durch Verbesserungen in der Infrastruktur. Konkrete staatliche Maßnahmen wie Gesetze und Quotenregelungen lehnen die Führungskräfte jedoch als unzulässigen Eingriff in ihr unternehmerisches Handeln ab, da staatliche Eingriffe aus ihrer Sicht die Eigentumsfreiheit verletzten und leistungsfeindlich seien.
Die Untersuchung zeigt jedoch auch, dass Führungskräfte von ihrem leistungsgeprägten Denken abweichen, wenn ihr unternehmerisches Selbstverständnis im Widerspruch zu eigenen Erfahrungen steht. Dies wird besonders sichtbar in ihrer Einstellung zu sozialen Benachteiligungen oder Geschlechterunterschieden, die als grundsätzlich unabänderlich erlebt werden. Zudem sehen sich die meisten Führungskräfte durch ökonomische Sachzwänge in ihrem eigenverantwortlichen unternehmerischen Handeln beeinträchtigt.
Aus Sicht der Führungskräfte haben Unternehmen wenig Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse, eine Forderung nach mehr Unternehmensverantwortung in diesen Bereichen erscheint den Führungskräften deshalb gegenstandslos.
Kontakt:
Dr. Annette von Alemann
Fakultätsübergreifendes Projekt
"Heterogenität und Inklusion gestalten – Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung (ZuS)“, Teilprojekt „Nachwuchsförderung“
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