Das Bild des antiken Marcomagus wird deutlicher: Die antike Kleinstadt beim heutigen Nettersheim in der Eifel war ein regional wichtiges Zentrum der Eisenverhüttung. Zu diesem Ergebnis kommen Archäologen nun im Tagungsband „Antike Landnutzung in der Eifel. Neue Ausgrabungen und Forschungen“. Die Wissenschaftler vom Institut für Archäologie der Universität zu Köln konnten bei ihren Grabungen in den letzten drei Jahren eine römische Kleinstadt (vicus) teilweise freilegen. Es handelt sich bei ihm sehr wahrscheinlich um das verschollenen Marcomagus. Die Archäologen fanden Rennöfen, dicke Schichten von Eisenschlacke, große öffentliche Gebäude und die Reste eines Kleinkastells. Unter den gefundenen Artefakten befand sich neben einer großen Zahl von Werkzeugen auch eine Goldmünze vom Typ des Solidus. Die Münze wurde im Jahr 367/368 in Rom geprägt und fand ihren Weg in die germanische Provinz, wahrscheinlich über die römische Fernstraße Trier – Köln, die durch Nettersheim verlief. Die Untersuchungen werden von Dr. Salvatore Ortisi vom Institut für Archäologie, Abteilung für Provinzialrömische Archäologie, durchgeführt, deren Leiter Professor Dr. Thomas Fischer ist. Die Grabungen wurden finanziell von der Gemeinde Nettersheim und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) unterstützt.
Seit Sommer 2009 untersuchen die Kölner Archäologen den Ort. Der „vicus“ war vermutlich 3-4 ha groß und dürfte bis zu 300 Einwohner gehabt haben. Eine 8 Meter breite Straße durchzog die Siedlung. Bereits in der ersten, vom Dekanat der Philosophischen Fakultät unterstützten, Probegrabung 2009 zeigte sich, dass es sich um die wichtige römische Fernstraße von Köln nach Trier handelt, die bei Nettersheim die Urft überquerte. „Auch wenn die entscheidende Inschrift noch nicht gefunden wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass der vicus von Nettersheim mit der auf zwei antiken Straßenkarten verzeichneten Station Marcomagus identisch ist“, so Salvatore Ortisi, der Leiter der Grabung.
Auch die Polizeistation konnten die Kölner Archäologen mit einiger Sicherheit lokalisieren. In ihr waren römische Legionäre als Straßenpolizisten (Benefiziarier) untergebracht. „Im Jahr 2011 konnten wir eine erste kleine Fläche in diesem Gebäude untersuchen. Es ist bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. als Holz- oder Fachwerkbau errichtet worden“, berichtet Salvatore Ortisi. „Nach einem Brand wurde es vermutlich im 2. Jahrhundert in Stein neu aufgebaut.“ Einige der hier stationierten Soldaten sind durch mehrere Weihealtäre, die sie im Heiligtum auf der Görresburg aufgestellt haben, auch namentlich bekannt.
Bereits 2009 wurde die Umwehrung eines spätantiken Kleinkastells entdeckt, das im 4. und frühen 5. Jahrhundert die strategisch und wirtschaftlich wichtige Straßenverbindung zwischen dem römischen Statthaltersitz in Köln und der Kaiserresidenz Trier gesichert hat. Das 40x40 Meter große Kastell liegt genau am Urftübergang. Die Fernstraße führt mitten durch das Kastell. „Jeder, der die Urft auf der römischen Brücke überqueren wollte, musste das Kastell passieren und wurde kontrolliert“, erklärt Ortisi. „In den Grabungen 2010 und 2011 haben wir die beiden Tore und die noch bis zu einem Meter hoch erhaltenen Mauern des Kastells freigelegt und dokumentiert.“
Ein wichtiges neues Ergebnis sind zahlreiche römische Rennöfen zum Schmelzen eisenerzhaltigen Gesteins, die 2010 und 2011 freigelegt wurden. „Das beweißt, dass der vicus von Nettersheim spätestens im 4. Jahrhundert ein für das Rheinland wichtiges Zentrum der Eisenproduktion geworden war“, erklärt der Leiter der Abteilung für Provinzialrömische Archäologie, Professor Dr. Thomas Fischer. „Bis zu einen Meter hohe Schichten aus Asche, Sand und Schlacke ziehen sich bis weit in das angrenzende Wellerbachtal hinein.“ Das hier produzierte Metall wurde auf der gut ausgebauten und immer wieder erneuerten Fernstraße in die großen römischen Städte und Lager am Rhein, nach Köln und Bonn, transportiert.
Unter den gefundenen Artefakten befand sich eine überproportional große Anzahl von Werkzeugen, so Ortisi. Es ist allerdings noch nicht klar, ob die Geräte vor Ort direkt aus dem verhütteten Eisen geschmiedet wurden oder im Umfeld der Produktion benutzt wurden. Verschiedene Münzfunde wurden ebenso gemacht, herausragend unter ihnen ein solidus aus den Jahren 367/368 aus Rom. Die Goldmünze wurde abseits der Siedlung an der Römerstraße gefunden. Wie diese Münze, die in etwa den Monatslohn eines Legionärs darstellte, in den Waldboden kam, lässt sich nicht mehr herausfinden.
Das Ende der kleinen römischen Eifelstadt kam im Rahmen größerer politischer Ereignisse, so Professor Fischer: „Mit dem Zusammenbruch der römischen Grenzverteidigung und der Eroberung der Provinzhauptstadt Köln durch die Franken endete auch die Geschichte des römischen vicus Marcomagus.“ Die Fernstraße verlor an Bedeutung, und auch die Eisenproduktion kam zum Erliegen. Um 420/430 n. Chr. verließen die letzten Bewohner das Städtchen und suchten sich neue Siedlungsplätze im nahe gelegenen Marmagen und in Nettersheim.
Bei Rückfragen:
Dr. Salvatore Ortisi
Tel.: 0221/470-2986
salvatore.ortisiuni-koeln.de