Am 2. Juni 2021 ist eine zweiwöchige Schiffsexpedition unter Leitung des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) zu Meeresschutzgebieten im Fehmarnbelt und der Oderbank gestartet. Mit beteiligt ist auch ein Forschungsteam von Kölner Ökologen in der Arbeitsgruppe von Hartmut Arndt (Institut für Zoologie, Bereich Allgemeine Ökologie). Sie übernehmen in diesem Projekt und bei den geplanten Ausfahrten den Bereich der Nano- und Mikrofauna. Ziel der Forschungsfahrt ist eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Beschaffenheit des Meeresgrundes, die neben geophysikalischen und geochemischen Eigenschaften erstmals auch das gesamte bodennahe Nahrungsnetz umfasst – angefangen von Bakterien bis hin zu den dort lebenden Fischen. Die Fahrt ist Teil der Pilotmissionen der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) zur Erforschung des Einflusses von Grundschleppnetz-Fischerei auf Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee.
Meeresschutzgebiete in den deutschen Gewässern von Nord- und Ostsee sollen gemäß europäischem Naturschutzrecht besondere Lebensräume und deren vielfältige Lebensgemeinschaften schützen. Dennoch findet hier zurzeit noch Fischerei statt, auch mit Grundschleppnetzen zum Fang von bodennah lebenden Fischen wie Schollen, Seezungen und Dorschen. Je nach Intensität und Fanggerät führt dies zu physischen Schäden am Meeresboden. Welchen Einfluss das auf Lebensräume wie Sandbänke, Riffe und Muschelbänke hat, ist in der Ostsee bislang kaum untersucht.
„Diese Habitate am Meeresgrund samt ihren Bewohnern übernehmen viele Ökosystem-funktionen, die sowohl für die Ostsee an sich als auch für ihre Nutzung durch den Menschen äußerst wertvoll sind. Sie liefern beispielsweise Nahrung für wichtige Fischbestände oder arbeiten als ‚Kläranlage‘, die dem Wasser überschüssige Nährstoffe, organische Substanzen und Schadstoffe entziehen“, sagt Klaus Jürgens, Meeresbiologe am IOW und Koordinator der Ostsee-DAM-Pilotmission.
Die Ostsee-Expedition mit dem IOW-Forschungsschiff ELISABETH MANN BORGESE, die von Rostock aus gestartet ist, dient der Dokumentation des aktuellen Zustandes von ausgewählten Flächen in den Schutzgebieten von Fehmarnbelt und Oderbank, sowie jeweils benachbarten Referenzflächen außerhalb. „Mit unseren Forschungsfahrten wird das erste Mal eine derart umfangreiche Meeresboden-Bestandsaufnahme in der deutschen Ostsee im Zusammenhang mit Meeresschutzgebieten durchgeführt, die das gesamte benthische Nahrungsnetzt berücksichtigt – ja selbst die Funktion kleinster Organismen wie Bakterien und Mikroalgen“, so der IOW-Forscher.
Die vom Kölner Team untersuchte Nano- und Mikrofauna wird vor allem von farblosen Einzellern (Geißeltierchen, kleine Amöben und Wimpertierchen) im Größenbereich von 1-200 Mikrometern bestimmt – eine bisher wenig berücksichtigte aber hoch diverse Organismengruppe. „Wir gehen davon aus, dass sie das wesentliche Bindeglied zwischen der bakteriellen Produktion im Sediment und den höheren Ebenen des Nahrungsgewebes wie den Fischnährtieren (Kleinkrebse, Würmer, Weichtiere) bilden“, sagt Hartmut Arndt. Die Kölner Doktorandin Maria Sachs untersucht in ihrer Doktorarbeitet, ob eine Störung der Sedimentstruktur durch Sedimentumlagerungen infolge der Grundschleppnetzfischerei das mikrobielle Wirkungsgefüge und damit auch der Kohlenstoffzyklus und die durch Mikroorganismen gesteuerten geochemischen Prozesse beeinflusst werden. Anja Scherwaß, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, ergänzt: „Spannend sind vor allem auch die durch Schleppnetze wahrscheinlich verursachten Veränderungen in der Eindringtiefe des Sauerstoffs in das Sediment, was einen Wechsel des Einflusspotentials von Wimpertieren als wichtige Fressfeinde der Mikroorganismen bedeuten könnte.“ Bachelor- und Masterstudenten aus Köln sind an den experimentellen Untersuchungen ebenfalls beteiligt.
Klaus Jürgens kommentiert abschließend: „Um Meeresschutzgebiete zukünftig effektiv schützen zu können, muss man den Eingriff durch Grundschleppnetz-Fischerei besser verstehen. Unsere Ergebnisse können eine wichtige Grundlage sein, um wirksame Maßnahmen hierfür sowie Perspektiven für eine naturverträgliche Fischerei zu entwickeln.“
Die DAM-Pilotmissionen zum Einfluss von Grundschleppnetz-Fischerei auf Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee haben eine Laufzeit von drei Jahren (1.3.2020 bis 28.2.2023). Die Projektleitung für die Pilotmission „MGF Nordsee“ hat das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), die Projektleitung für die Pilotmission „MGF Ostsee“ liegt beim IOW. Beide Missionen, die auf Initiative des und in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz durchgeführt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden, sind Teil der DAM-Forschungsmission „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“. Die DAM erarbeitet hier gemeinsam mit ihren Mitgliedseinrichtungen und unter Einbindung von Akteuren in Behörden, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wissenschaftsbasierte Handlungsoptionen für Entscheidungsträger.
Inhaltlicher Kontakt:
Professor Dr. Hartmut Arndt
Institut für Zoologie der Universität zu Köln
+49 221 470 3100
Hartmut.Arndtuni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
Eva Schissler
+49 221 470 4030
e.schisslerverw.uni-koeln.de