zum Inhalt springen

"Artbildung passiert vielleicht einfach zufällig"

Der Ohrid See im Grenzgebiet Mazedonien / Albanien besteht ohne Unterbrechung seit über 1,2 Millionen Jahren

Dieses Ergebnis liefert die erste Analyse der Bohrkerne, die das internationale SCOPSCOTeam aus den Sedimenten des ältesten Sees Europas gewinnen konnte. Für diesen Zeitraum bieten die Sedimente ein einzigartiges, lückenloses Archiv für Klima- und Evolutionsdaten.

Seit November 2013 öffnet das Wissenschaftlerteam um den Geologen Dr. Bernd Wagner in den Laboren der Universität zu Köln die gewonnenen Kerne. Aktuell sind die Wissenschaftler bei zirka 60 Metern Sedimenttiefe der ersten Bohrstelle DEEP angekommen. Bis in die Rekordtiefe von 568 Metern konnte dort 2013 gebohrt werden. Die bisher geöffneten Kerne erlauben Einblicke in die Geschichte des Ohrid Sees über die letzten ca. 150.000 Jahre und damit den letzten Eiszeit-Warmzeit-Zyklus. „Der See ist jünger als die 2 bis 10 Millionen Jahre, die vor der Tiefbohrung vermutet wurden.

Für über 1,2 Millionen Jahre haben wir nun jedoch sehr hoch aufgelöste und vor allem lückenlose Sedimente hervorragender Qualität vorliegen“, erklärt Wagner. „Wir können schon jetzt sagen, dass der See kontinuierlich bestand und damit zu den ganz wenigen Seen weltweit zählt, aus denen Klimakurven von über 1 Million Jahren abgleitet werden können.“ Markant grünlich gefärbte Sedimente aus Warmzeiten, eiszeitliche Ablagerungen, Schneckenschalen, einen Fischwirbel und Vulkanaschen haben die Geologen bereits beim „Schlachten“ der Bohrkerne entdeckt. Pro Tag werden vier bis fünf der drei Meter langen Einzelkerne geöffnet, fotografiert, dokumentiert und beschrieben. Zu den ersten Analysen gehört etwa die genaue chemische Zusammensetzung der Sedimente.

Ausgewählte Proben werden an die internationalen Projektpartner verschickt. So ist jede Ascheschicht in den Sedimenten ein wichtiges Puzzleteil für die Arbeit italienischer Vulkanologen. Die Evolutionsbiologen der Universität Gießen interessieren sich besonders für markante Umweltereignisse in der Vergangenheit. In Relation zu seiner Größe ist der Ohrid See der artenreichste See der Welt. Über 200 Tierarten gibt es nur hier, überwiegend handelt es sich dabei um Schnecken und Krebstiere. Die Gründe für diese große Artenzahl sind jedoch weitgehend unbekannt. Eine Theorie besagt, dass die hohe Biodiversität in Seen wie dem Ohrid See auf stabile Bedingungen über einen langen Zeitraum zurückzuführen ist. Eine andere nimmt dagegen an, dass ständige Umweltveränderungen Nischen für neue Arten schaffen.

Das Biologenteam der Justus-Liebig-Universität in Gießen unter Leitung von Prof. Dr. Thomas Wilke kann nun überprüfen, wie geologische oder Umweltveränderungen der Vergangenheit Evolutionsmuster und Artenvielfalt bis heute beeinflusst haben. Dazu werden die Verwandtschaftsverhältnisse der Arten im See anhand ihrer DNA bestimmt. So kann festgestellt werden, wann sich neue Arten entwickelt haben. Die Bohrkerne verraten, ob zu diesen Zeitpunkten auffällige geologische Ereignisse oder Umwelteinflüsse stattfanden. Diese enge Zusammenarbeit von Biologen und Geologen ist weltweit ziemlich einzigartig.


„Das Spannende, was wir dabei herausgefunden haben, ist, dass es nicht immer größere äußere Anlässe gab, wenn neue Arten entstanden. Artbildung passiert vielleicht einfach auch zufällig. Ganz kleine Anlässe können scheinbar ausreichen, damit neue Arten entstehen“, sagt Wilke. Spielen möglicherweise diese zufälligen Elemente bei der Artbildung eine unerwartet große Rolle? Sind geringe, kleinräumige Veränderungen vielleicht ausschlaggebender als großräumige wie massive Klimaveränderungen oder große Vulkanausbrüche? Fragen, die vielleicht im Laufe der Analyse beantwortet werden können. Etwa zwei Jahre wird es noch dauern, bis die über 2000 fortlaufenden Meter Proben aus dem Ohrid See untersucht sind.

Die ersten Ergebnisse der Bohrkernanalyse wurden bereits in wissenschaftlichen Publikationen wie „EOS“ (Vol. 95, No. 3, 21 January 2014) der American Geophysical Union, veröffentlicht. „Erste umfangreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen zu den obersten 200 bis 250 Metern der Sedimente wollen wir bis Ende des Jahres fertig haben“, sagt Dr. Bernd Wagner. Dieses würden dann Aussagen zu den letzten 600.000 Jahren beinhalten.

 


Bei Rückfragen:

Fachfragen Geologie:
PD Dr.  Bernd Wagner
Universität zu Köln, Institut für Geologie und Mineralogie, Tel. +49 (0) 221 470 1605
E-Mail: wagnerbSpamProtectionuni-koeln.de

Fachfragen Biologie:
Prof. Dr. Thomas Wilke
Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Tierökologie und Spezielle Zoologie
Tel. +49 (0) 641 99 35720
E-Mail: tom.wilkeSpamProtectionallzool.bio.unigiessen.de

Presseanfragen:
Stefan Schorr
E-Mail:presseSpamProtectionohrid-drilling.org