MESH will verstehen, wie diese Annahmen unseren Umgang mit den Krisen des Klimawandels und des Artensterbens prägen – und wie sie effektives Handeln, um die Folgen dieser Krisen zumindest abzumildern, beeinflussen können. Unter dem Dach von MESH versammeln sich verschiedene Projekte, die die Fragestellungen und Methoden von Einzeldisziplinen in einen größeren Kontext führen: geographisch, historisch, archäologisch oder ethnologisch. Kate Rigby gehört zu den Pionier*innen des noch relativ jungen Gebietes der Environmental Humanities – der umweltbezogenen Geisteswissenschaften. »Die Geisteswissenschaften sind die ideale Disziplin, um einige der Probleme anzugehen, die die Naturwissenschaften bisher nicht angegangen sind.« Zusammen mit dem Anglisten Professor Dr. Roman Bartosch und dem Ethnologen Professor Dr. Franz Krause leitet sie das Forschungszentrum.
Kulturelle und ökologische Evolution zusammendenken
Die Environmental Humanities gehen davon aus, dass das Verhalten menschlicher Gesellschaften nicht immer einem logisch-rationalen Kalkül folgt. Vielmehr ist kollektives Denken und Handeln in Strukturen eingebettet: historische Bedingungen, Traditionen und singuläre Verhaltensweisen. Diese Aspekte sind aber kein Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften. Für sie ist der Mensch eine »Black Box«; sein Verhalten ist nicht voraussagbar. Doch Menschen sind Rigby zufolge der entscheidende Faktor, warum die modernen, hoch-technisierten kapitalistischen Gesellschaften nicht von ihrem umweltgefährdenden Handeln ablassen können.
Die Forschenden von MESH sehen sich jedoch nicht in Konkurrenz oder gar Opposition zu den Naturwissenschaften. Vielmehr kooperieren sie in Köln, zum Beispiel im Projekt HESCOR (Human and Earth System Coupled Research) bei der Erforschung des komplexen Zusammenspiels zwischen der kulturellen Evolution des Menschen und den vielfältigen Ökosystemen der Erde. Das interdisziplinäre Team aus Expert*innen der Archäologie, Geophysik, Mathematik, Geographie, Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft untersucht die Wechselwirkung zwischen klimatischen und menschlichen Systemen und geht der Frage nach, wie das Klima die menschliche Evolution beeinflusst hat. Die Klimaereignisse während der »Out of Africa«-Migration des Homo sapiens vor ungefähr 300.000 Jahren werden dabei in Interaktion mit der Evolution menschlicher Kulturen betrachtet. Daran schließt sich zum Beispiel die Frage an, welche Klimabedingungen heute Migration antreiben.
Weitere Fragen sind, wie die Zukunft und das menschliche Überleben in Literatur und Kunst beschrieben werden – an unterschiedlichen Orten auf der Welt. Wie reagieren heutige lokale Gesellschaften auf Krisen? Und wie definieren unterschiedliche Gesellschaften »Umwelt« überhaupt? Die Vielfalt methodischer Ansätze der Geistes- und Kulturwissenschaften fördert dabei die Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften, ist sich Rigby sicher.
Ethischer Umgang nicht nur mit Menschen
»Wir kommen nicht umhin, uns auch mit historischen Machtfragen zu befassen, die in Umweltdiskussionen eine Rolle spielen«, sagt Roman Bartosch. Heutige Krisen seien das Erbe einer Reihe von Entwicklungen, die in Europa mit der Ausbreitung des europäischen Imperialismus und des Handelskapitalismus im 16. Jahrhundert, und anschließend mit der Entwicklung der durch fossile Brennstoffe angetriebenen Industrialisierung im späten 18. Jahrhundert begannen. »Gerade diese Zeitspanne hat zur Entstehung einer Gesellschaft geführt, die die Systeme der Erde so tiefgreifend verändert hat, dass dies in den geologischen Aufzeichnungen noch Jahrtausende in der Zukunft sichtbar sein wird«, sagt Rigby.