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Von Tradwives und Alphabros

Jugendliche lernen den Umgang mit politischer Meinungsmache auf TikTok

Rechtspopulistische und antifeministische Bewegungen sind auf dem Vormarsch. Soziale Medien wie TikTok bieten ihnen ein Sprachrohr, mit dem sie erfolgreich junge Menschen erreichen – oft getarnt als harmlose Lifestyle-Formate. Ein Kölner Forschungsteam entwickelt empirisch fundierte Bildungsmaterialien, um junge Menschen gegen diese Trends zu wappnen.  

Von Eva Schissler

 

Eine junge Frau – blonde Locken, ganz in rosa – sitzt an ihrem Küchentisch und erklärt ihrem Publikum einige Grundsätze ihres Lebens: abends nie allein aus dem Haus gehen und überhaupt ihrem Mann immer Bescheid sagen, wo sie sich gerade aufhält. Das habe nichts mit Kontrolle, sondern mit Sicherheit zu tun. Generell solle sich die Frau dem Mann unterordnen und ihm dienen, das stehe ja schon in der Bibel. Die Helferin ihres Mannes zu sein, sei für sie ein Segen.

Kochen, backen, die Kinder versorgen, für den Mann da sein – sogenannte Tradwives leben auf Sozialen Medien wie TikTok und Instagram einen ›traditionellen Lebensstil‹ als Hausfrauen und Mütter vor. Die Amerikanerin Estee Williams mit der perfekten Frisur und dem puppenhaften Erscheinen ist eine der bekanntesten von ihnen. Viele dieser Influencerinnen sind bemüht zu betonen, dass dieser Lebensstil, der an das zweifelhafte Idealbild privilegierter weißer Frauen in den 1950er Jahren erinnert, frei gewählt ist.

Die Tradwives fügen sich in ein breites antifeministisches und antiprogressives Genre von Social Media- Kommunikation ein. Dazu gehören auch sogenannte ›Manfluencer‹, die parallel dazu erklären, wie sich ein ›echter Mann‹ zu verhalten habe – besonders gegenüber Frauen. Bei TikTok-Videos der sogenannten Alpha Brotherhood erklärt einer dieser selbsternannten Alphamänner etwa, die Frau müsse den Mann immer mehr lieben als umgekehrt. Sonst verliere die Frau den Respekt vor ihm. Die Führungsrolle zu übernehmen signalisiere der Frau, dass er das Beste ist, was sie ›kriegen kann‹. Dass Männer sich aufgrund der Biologie nur zu jungen, fruchtbaren Frauen hingezogen fühlen, ist dabei selbstverständlich.

»Videos, in denen Schmink-, Outfit- oder Backtipps gegeben werden, erscheinen zunächst unpolitisch«, sagt Dr. Franziska Bellinger, Juniorprofessorin für Mediendidaktik und Medienpädagogik an der Humanwissenschaftlichen Fakultät. »Zum Teil finden sich in solchen Videos aber Botschaften wie: ›Warum soll ich als Frau denn immer auf meine Rechte pochen, uns geht es doch gut.‹ Die Grenzen zu politischen Inhalten sind fließend.« Die Videos, die junge Männer ansprechen sollen, werben dagegen mit zweifelhaften Tipps, wie man für Frauen attraktiver wird und sich in einer ›verweichlicht-woken‹ Welt erfolgreich behauptet.

Auch in ihrer Nähe zu rechtspopulistischen Bewegungen zeigt sich der politische Charakter der Tradwives- und Alphabros-Szenen. In den USA stehen etwa die Tradwives eng mit dem streng-konservativen und christlich-fundamentalistischen politischen Lager in Verbindung. In Deutschland fallen AfD-Politiker mit Videos auf, in denen sie verbreiten, ›echte deutsche Männer‹ hätten rechts zu sein. Bellinger sieht in dem Antifeminismus auf Social Media eine Art Brückenideologe, einen möglichen Einstiegspunkt für extremere Ideologien.

Rechtspopulismus salonfähig machen

Das Interesse an politischen Themen steigt unter Jugendlichen, und die Sozialen Medien spielen in der politischen Meinungsbildung eine immer wichtigere Rolle, fand die Shell-Jugendstudie 2024 heraus. Wahlergebnisse weltweit zeigen, dass rechte und rechtspopulistische Inhalte auf diesen Plattformen besonders ankommen: In Deutschland ist die AfD auf TikTok erfolgreicher als alle anderen Parteien, im Vereinigten Königreich ist die Reform UK-Partei des Rechtspopulisten Nigel Farage am stärksten. Im Vorfeld der Parlamentswahlen sprachen beide Parteien dort gezielt junge Wähler*innen an.

Dabei fällt es Jugendlichen und jungen Menschen zum Teil schwer, antifeministische Inhalte als politisch zu erkennen und kritisch zu reflektieren, sagt Bellinger. Außerdem: »Sich über Feministinnen lustig zu machen, erscheint unter manchen Jugendlichen als normal. Vieles aus dem rechtspopulistischen Lager wird dadurch salonfähig gemacht.« Franziska Bellinger und ihre Kollegin Dr. Michaela Kramer, Juniorprofessorin der Erziehungswissenschaften mit einem Schwerpunkt auf digitalen Medien in der Bildung, erforschen in dem einjährigen Projekt ›Unlearning Anti-Feminism on TikTok‹ verschiedene Spielarten des Antifeminismus auf dem Social Media- Kanal. Die VolkswagenStiftung fördert das Projekt im Rahmen des Programms ›Transformationswissen über Demokratien im Wandel‹. Mit dabei ist auch ein Praxispartner: mediale pfade – Verein für Medienbildung e.V.. Dieser Verein hat weitreichende Erfahrungen in der Entwicklung von Bildungsmaterialien.

Das Projektteam erforscht Antifeminismus auf Tik- Tok nicht nur, es entwickelt auch offene Bildungsressourcen zum Einsatz in Schulen und Bildungseinrichtungen, um Jugendliche für die politische Dimension vieler der Inhalte zu sensibilisieren. Sie sind sich sicher: Soziale Medien werden auch in Zukunft ein fester Bestandteil der Demokratiebildung und der Sozialisation sein.

Die Wissenschaftlerinnen und der Praxispartner wollen möglichst schnell Ergebnisse für die Praxis entwickeln. »Die politische Landschaft und die Sozialen Medien sind sehr dynamisch. Daher brauchen wir so bald wie möglich medienpädagogische Konzepte und Handlungsempfehlungen«, sagt Michaela Kramer. Schon im Sommer werden die Bildungsmaterialien für die Altersgruppe zwischen 15 und 25 Jahre zur Verfügung stehen.

Entschleunigen und kritisch reflektieren

Das Projekt wählte die Plattform TikTok für die Untersuchung aus, weil sie einerseits momentan unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders beliebt ist. TikTok zeichne sich aber darüber hinaus durch eine antifeministische Grundhaltung aus. Zum Beispiel werden viele queere Themen dort zensiert. So ergab eine Recherche der ›tagesschau‹ bereits 2022, dass in Kommentaren Wörter wie ›LGTBQ‹ und ›schwul‹ herausgefiltert werden. Neben rückwärtsgewandten Frauenbildern gehört Queerfeindlichkeit für beide Wissenschaftlerinnen zum erweiterten Diskursraum antifeministischer Ideologien, denen die Plattform eine große Bühne bietet.

Andererseits verfüge TikTok über einige Mechanismen, die es besonders geeignet dazu machen, politische Inhalte geschickt zu transportieren. Die Algorithmen und die zugrundeliegenden Mechanismen seien intransparent – das unterscheide TikTok noch nicht von vielen anderen Sozialen Medien und digitalen Diensten. Doch bei TikTok seien die Videos noch schneller und folgten noch rasanter aufeinander. Hinzu kämen vielfältigere Darstellungsmöglichkeiten mit Musikhinterlegung, Emojis und Textelementen. »TikTok ist auch besonders, weil Viralität dort viel niedrigschwelliger funktioniert als auf anderen Plattformen. Es muss nur einen bestimmten Song geben, der gerade trendet«, sagt Kramer.

Ein weiterer Unterschied sei die ›For You‹ Page, die Startseite von TikTok: Dort werden auch Inhalte von Accounts gezeigt, denen Nutzer*innen nicht aktiv folgen. So könne man völlig ungewollt mit eindeutigen oder versteckten politischen Inhalten in Kontakt kommen. »Diese Faktoren erschweren es innezuhalten, genau wahrzunehmen und einzelne Aussagen kritisch zu reflektieren«, sagt Franziska Bellinger. In Workshops, die die Projektpartner*innen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt haben, ging es deshalb zunächst um Entschleunigung – sich lange und ausführlich damit auseinanderzusetzen, was sonst innerhalb von Sekunden wieder weggewischt oder abgelöst wird.

Wie sieht deine perfekte Welt aus?

Kramer und Bellinger begleiteten die Workshops wissenschaftlich mit einem sogenannten Design- Based-Research Ansatz. Er erlaubt es, Forschung und didaktisch-methodische Gestaltung miteinander zu verbinden, um ein praxisrelevantes Problem zu lösen. »Das bedeutet, dass wir während der Workshops teilnehmende Beobachtungen anstellen und viele zusätzliche Reflexionsschleifen einbauen. Damit konkretisieren und verbessern wir unsere Ergebnisse«, erklärt Franziska Bellinger die Methode.

Das komplexe Design lohne sich, denn dadurch beruhten die entwickelten Lehrmaterialien auf solider Forschung. Aus den begleitenden Beobachtungen leitet das Team außerdem Methoden ab, die sich auf weitere antidemokratische politische Strömungen übertragen lassen können. Am Ende steht ein digitaler Materialien- und Methodenkoffer, aus dem die Module für verschiedene Gruppen und Ziele angepasst werden können. Denn es gelte, auch jüngere Jugendliche zu erreichen oder diejenigen, die sich nicht für das Thema interessieren oder sich bestimmte antifeministische Ideologien schon zu eigen gemacht haben.

Bei Abwehrreaktionen sei es wichtig, nicht moralisch zu reagieren, sondern offen für die Perspektiven zu sein, die die Jugendlichen mitbringen. Um einen Eindruck von ihren Einstellungen zu bekommen, hat der Verein mediale pfade eine besondere Aufgabe für die Workshops entwickelt: Die Teilnehmenden sollen sich eine ideale Welt vorstellen und diese beschreiben. »Durch die Aussagen bekommen wir ein Gespür dafür, was die Jugendlichen denken – unabhängig davon, was sie von irgendwelchen Influencer*innen auf Social Media gesagt bekommen«, sagt Franziska Bellinger. Bei jungen Männern liege hinter einer feminismuskritischen Einstellung oft die Sorge um die eigene Zukunft: Werden mir persönlich irgendwelche Rechte aberkannt und erleide ich Nachteile? Um diese diffusen Ängste zu entkräften, klären die Workshops und Bildungsmaterialien auch darüber auf, was Feminismus überhaupt ist und dass er nicht nur Frauenrechte betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt freier und gerechter gemacht hat.

Obwohl der Strom rechtspopulistischer und antifeministischer Inhalte in den Sozialen Medien stetig zunimmt, empfinden Michaela Kramer und Franziska Bellinger ihre Arbeit nicht als einen Kampf gegen Windmühlen. »Als Wissenschaftlerinnen bewahren wir einen distanzierten Blick auf unseren Gegenstand. Aber wir sind auch Menschen, die einen konkreten Beitrag zur demokratischen Bildungspraxis leisten wollen«, sagt Kramer.

Um die Ergebnisse des Projekts im Sommer bekannt zu machen, setzt das Projektteam auf breite Wissenschaftskommunikation. Eine Anschlussförderung der VolkswagenStiftung für dessen Ausbau wurde den beiden Forscherinnen bereits bewilligt: Im April startete das Projekt ›Wissenstransfer für die politische Medienbildung‹ unter erneuter Beteiligung des Vereins mediale pfade. Natürlich haben sie auch das Potential der Sozialen Medien im Blick. Bellinger hat einen Plan: »Statt der Tradwives und Alphabros wollen wir selbst mit unseren Inhalten in den ›For You‹ Pages der Nutzer*innen landen.«

UNLEARNING ANTIFEMINISM ON TIKTOK Im Sinne der Förderung von Demokratiebildung zielt das Projekt darauf ab, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 25 Jahren im Rahmen von präventiven Angeboten in ihrer digitalen Souveränität und Handlungsfähigkeit zu stärken. Das Projekt entwickelt offene Bildungsmaterialen sowie Handlungsempfehlungen für die Bildungsarbeit im Bereich der politischen Medienbildung. Diese Materialien können sowohl in formalen als auch non-formalen Kontexten zur Sensibilisierung für antifeministische und (rechts) ideologische Inhalte auf Social Media genutzt werden. 

Das Projekt der Universität zu Köln und des freien Trägers ›mediale pfade – Verein für Medienbildung e.V.‹ wird von der Volkswagenstiftung von Juni 2024 bis Mai 2025 gefördert.