Brustkrebs ist die mit Abstand häufigste Krebsart bei Frauen. Nicht immer sind die Risikofaktoren erblich, doch Trägerinnen von Mutationen in bestimmten Genen wie BRCA1 und BRCA2 haben ein erheblich erhöhtes Risiko zu erkranken. Präventionsund Screening-Programme, an deren Entwicklung Schmutzler maßgeblich beteiligt war, testen also besonders auf diese Genvarianten. Den großen Erfolg dieser Programme schreibt Schmutzler aber nicht nur den Fortschritten in der Forschung zu: »Prävention hängt auch von der Initiative der Betroffenen ab, und bei Brustkrebs sind die Selbsthilfe- und Interessengruppen sehr engagiert und haben sich früh für eine Enttabuisierung der Krankheit eingesetzt.« Das Beispiel zeige, dass frauenspezifische Erkrankungen in der Erforschung, Versorgung und Prävention sogar eine Vorreiterrolle einnehmen können. Denn was für Frauen der Brustkrebs ist, ist für Männer der Prostatakrebs. Er ist ähnlich weit verbreitet und in ähnlich vielen Fällen durch eine genetische Vorbelastung bedingt. Doch bei der Prävention und Versorgung sei diese Krebsart nicht annähernd auf dem Stand des Brustkrebses. »Wir Gynäkologinnen beraten mittlerweile die Urologen, und die Brustkrebs-Hilfegruppen unterstützen Prostatakrebs-Betroffene. Sie leisten gemeinsam Lobbyarbeit, damit ähnliche Präventions- und Versorgungskonzepte auch für die Männer etabliert werden.«
Neue Ausbildungsstandards
Im kommenden Jahr soll eine neue Approbationsordnung für Mediziner*innen in Kraft treten, die erstmalig den Bereich geschlechtersensible Medizin berücksichtigt. Das Interesse für das Thema unter angehenden Ärzt*innen ist Elke Kalbe zufolge bereits heute hoch: »Studierende und Promovierende fordern ein, dass Geschlechterfragen stärker berücksichtigt werden.« Dabei gehe es zudem nicht nur um Unterschiede zwischen Männern und Frauen, sondern um das gesamte Geschlechterspektrum und Fragen von Diversität. Die Datenlage zu geschlechtlich diversen Menschen sei besonders dünn – auch, weil verbindliche Erhebungsstandards in klinischen Studien fehlen. Eine Gruppe innerhalb der AG »Sex, Gender and Diversity in Medical Research« befasst sich mit dieser Frage und sichtet, welche Standards und Methoden es schon gibt. »Um geschlechtliche Minderheiten müssen wir uns besonders kümmern«, ist auch Rita Schmutzler überzeugt, »denn oft sind wegen der dürftigen Datenlage Einzelfallentscheidungen nötig, die einer besonders eingehenden Beratung bedürfen.«
Fragen rund um Geschlecht, Gender und Diversität drängen in viele Bereiche der medizinischen Versorgung und Forschung in Deutschland vor. Immer mehr Lehrstühle und Institute werden eingerichtet, Förderinstitutionen fordern eine stärkere Berücksichtigung dieser Fragen in medizinischen Studien ein. Doch so richtig angekommen sehen Quaas und Kalbe das Thema noch nicht. Es seien immer noch eher die jüngeren Mediziner*innen und eher Frauen, die sich dafür interessieren. »Die neue Approbationsordnung wird vieles ändern, denn es ist entscheidend, ob Gendermedizin strukturell ins Studium integriert ist«, sagt Kalbe. Schon jetzt sei die Ringvorlesung »Gendermedizin « an der Fakultät jedes Semester überlaufen – beste Voraussetzungen, auch in der medizinischen Versorgung der Zukunft Gleichstand zu schaffen.
AG Sex, Gender and Diversity in Medical Research
Die Arbeitsgruppe an der Medizinischen Fakultät befasst sich mit Geschlechtsunterschieden im Gesundheits- und Krankheitsgeschehen sowie mit der Versorgungssituation von Minderheiten, die aufgrund von Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion, körperlicher Beeinträchtigung oder sexueller Orientierung diskriminiert werden. Durch Forschung auf diesem Gebiet will die AG einen Beitrag zur Präzisionsmedizin der Zukunft leisten. Außerdem fördert sie die Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen auf dem Campus, entwickelt gemeinsame Drittmittelprojekte und bietet Studierenden einen Überblick über mögliche Ansprechpersonen für Promotionen und andere wissenschaftliche Arbeiten.
GENDERMEDIZIN.NRW
Der Leuchtturm bringt Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen und Organisationen (Forschungsinstitute, Universitätskliniken, Hochschulen, Netzwerke) in NRW zusammen, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Weitere Leuchttürme befassen sich mit klinischer Forschung und klinischen Studien, digitaler Medizin und künstlicher Intelligenz, Alternsmedizin, biohybrider Medizin sowie Klima und Gesundheit.