Er kommt immer früher: der Tag, an dem die Ressourcen, die die Erde natürlich zur Verfügung stellt, von der Menschheit aufgebraucht sind. Lag er in den 1970er Jahren noch im Dezember oder November, wird der sogenannte »Erdüberlastungstag « in diesem Jahr schon Ende Juli, Anfang August erreicht sein.
Die Energiewende soll diesen Trend umkehren, auch in Deutschland. Doch mit der Weltbevölkerung und zunehmendem Wohlstand steigt der weltweite Konsum von Gütern, was den Energiebedarf stetig in die Höhe treibt. Damit ist fraglich, wie schnell die Welt von klimaschädlichen fossilen Treibstoffen loskommen wird.
Professor Dr. Sanjay Mathur sieht die Energiefrage als einen entscheidenden Eckpfeiler auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Daher erforscht er mit seinem Team unter anderem effiziente Elektrolysemethoden und neuartige Katalysatoren zur Gewinnung von grünem Wasserstoff. Aber da die Produktion immer neuer Güter zunehmend mehr Materialeinsatz erfordert, müssen sich auch die von der Industrie verwendeten Materialien wandeln: Sie müssen langlebiger werden und der benötigte Materialeinsatz muss sinken. Er ist überzeugt: »Die Nachhaltigkeitswende ist eine Materialwende.«
Mathur leitet den Lehrstuhl für Anorganische und Materialchemie am Department für Chemie und Biochemie der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. In seiner Forschung auf dem Gebiet der chemischen Nanotechnologien beschäftigt er sich schon seit Jahren mit der Frage, wie die Funktionalität von Materialien verbessert, ihre Langlebigkeit erhöht und gleichzeitig der Ressourceneinsatz reduziert werden kann.
Dabei sieht er auch in Technologien, die für die Energiewende besonders wichtig sind, Verbesserungsbedarf: »Nehmen wir das Beispiel Windkraft. Die Anlagen sind heute nur für eine Funktionszeit von etwa zwanzig Jahren gebaut. Das Gleiche gilt für Materialien für Batterie- und Photovoltaiksysteme. Sie erfordern ein ganzheitliches Konzept – von der Integration der Materialien in die Bauteile bis hin zu ihrer optimalen Nutzung und Wiederverwendung. « Mathurs Team forscht daher an Batterien für Elektroautos, die mit integrierten Solarpaneelen wieder aufgeladen werden können, oder an Materialien für Brennstoffzellen, die Wasserstoff als Energieträger nutzen. Diese Aspekte der Materialentwicklung interessieren nicht nur ihn, sondern sein gesamtes Team von 45 Personen aus 17 Ländern.
Langlebigkeit ohne »Ewigkeitschemikalien«
Die Substitution etablierter Materialtechnologien ist für Mathur keine triviale Angelegenheit: »Das bedeutet eine disruptive Veränderung für die Industrie«, so der Chemiker. Ein Beispiel sind die Einschränkungen, die mit der zukünftigen Verwendung von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), den sogenannten ›Ewigkeitschemikalien‹, verbunden sind. Die meisten PFAS dürfen in der Europäischen Union zukünftig nicht mehr verwendet werden, da ihre starken chemischen Verbindungen nicht natürlich abbaubar sind und die Umwelt belasten. Mathur sieht den Einsatz der vielseitigen Materialien mit einzigartigen Eigenschaften jedoch als dringend geboten. Zu ihren Anwendungsbereichen gehören neben Anti-Haft-Pfannen und Funktionsbekleidung die Halbleiter- und Automobilindustrie sowie andere High-Tech-Sektoren.