TRAINING Lehrertraining RÜPPELL: Selbstkonzeptstärkung

H. RÜPPELL und D. STABENOW:
Erfahrungen mit einem Lehrertraining zur Förderung des Selbstkonzepts von Schülern
(Berichte aus dem psychologischen Institut, Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Heft 5, 1984)
 

 

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1. Einleitung

Der bedeutsame Einfluß des Selbstkonzepts eines Menschen auf sein aktuelles Verhalten und seine längerfristigen Entwicklungsmöglichkeiten wurde theoretisch überzeugend begründet und empirisch vielfach nachgewiesen (z.B. ROGERS 1951; Schneewind 1977; FILIPP 1979; 1980).

Der Einfluß des Selbstkonzepts erstreckt sich auf die unterschiedlichsten Verhaltensbereiche, insbesondere auch auf das Lern- und Sozialverhalten von Schülern im Klassenraum (Ewert 1984; TAUSCH & TAUSCH 1979; Tiedemann 1980).

In Bezug auf das Lernverhalten können die Einflüsse des Selbstkonzepts massive Auswirkungen haben, die bis zu Lern- und Verhaltensschwierigkeiten führen können. MEICHENBAUM (1980) beschreibt dies folgendermaßen:

"If you encounter inadequate performance at a task, especially if such inadequate performance is evident across tasks and settings, look for negative self-referent ideation" (MEICHENBAUM 1980, S. 278).

Die große Bedeutung negativer Selbstzuschreibungen mit ihren zum Teil katastrophalen Auswirkungen liegt darin, daß sie in kritischen Phasen des Lernens auftreten und den Schüler zu einem unangemessenen Verhalten verleiten, was häufig eine problematische Unterrichtssituation mit sich bringt. Das wiederholte Auftreten derartiger Situationen führt beim Lehrer nicht selten zu Streß, den er häufig durch Verhaltensweisen wie Dirigismus, Kritik oder Dominanz zu bewältigen sucht, d.h. mit Verhaltensweisen, die das Selbstkonzept des Schülers weiter schwächen. Damit beginnt eine Art "Teufelskreis", der nach BANDURA (1977) u.a. schwer zu durchbrechen ist, weil er durch das stabile Muster einer triadisch reziproken Interaktion gekennzeichnet ist: Das Verhalten einer Person, die Reaktion der Umwelt auf dieses Verhalten und die Art und Weise, wie die Person diese Reaktion erlebt und in neues Verhalten umsetzt, bedingen sich wechselseitig, ohne daß klare Ursachen und Konsequenzen auszumachen sind.

Eine direkte Beeinflussung des Schülerverhaltens erscheint aus dieser interaktiven Perspektive langfristig weniger erfolgversprechend als eine vorsichtige Veränderung des Selbstkonzepts des Schülers. Aus dieser Überzeugung resultierten die Lehrertrainings zum selbstkonzeptstärkenden Schülerverhalten, u.a. das Programm von Borg (1979), dessen Effektivität im Rahmen dieser Arbeit erprobt wurde.

Der Erfolg der verschiedenen Lehrertrainings wurde meistens nur mit Hilfe von Fragebögen, kurzfristigen Verhaltensbeobachtungen oder Selbsteinschätzungen beurteilt. Selten wurde das Verhalten eines Lehrers langfristig im Klassenraum systematisch beobachtet. Eine solche langfristige Beobachtung wurde im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt. 32 Unterrichtsstunden eines Lehrers wurden videographiert, um beantworten zu können:

Zusätzlich wurde untersucht, wie die Lehrer die Durchführung eines solchen Programms erleben und wie sie dessen Effektivität einschätzen.

 

 

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2. Das Selbstkonzept

Die Theorie des Selbstkonzepts kann hier nur skizziert werden (s. im einzelnen FILIPP 1979; Schwarzer 1983).

Die wesentliche Prämisse von Selbsttheorien ist,

"(...) daß der Mensch seine Erfahrungen in konzeptuellen Systemen organisiert (...), bis ein organisiertes, differenziertes und integriertes Konstruktsystem aufgebaut ist" (EPSTEIN 1979, S. 15).

Die Theorie der Wirklichkeit erfaßt dabei sowohl die Umwelt als auch die eigene Person (Selbstkonzept). Nach EPSTEIN (1979) dient das Selbstkonzept drei grundlegenden Funktionen: (1) der Assimilation von Erfahrungsdaten, (2) der Erlangung einer günstigen Lust-Unlust-Balance und (3) der Aufrechterhaltung der Selbstwertschätzung. Die Hypothesen und Postulate über sich und die Umwelt sind das Ergebnis bedeutsamer emotionaler Erfahrungen. Das Selbstkonzept entwickelt sich also aus der wertbestimmten Interaktion mit der Umwelt, insbesondere aus der Interaktion mit bedeutsamen anderen. Die selbstbezogenen Kognitionen sind die Quelle von Emotionen und damit die Determinanten von affektiven Reaktionen (FILIPP 1979).

TAUSCH & TAUSCH (1979) machen in diesem Zusammenhang deutlich, welche Bedeutung dem Verhalten der Bezugspersonen von Kindern bei der Ausbildung des Selbstkonzepts zukommt. Direkt wertende Äußerungen und Urteile dieser Personen beeinflussen direkt das Selbstbild. Wesentlich ist dabei, daß die Einstellungen anderer im Individuum repräsentiert werden und in verzerrter Form als anscheinend auf eigenen Sinneswahrnehmungen beruhend beschrieben werden (ROGERS 1951). Über diesen Weg beeinflußt die Umwelt die grundlegende Funktion des Selbstkonzepts, die Aufrechterhaltung des Selbstwertgefühls. Eine zumindest global positive Tönung dieses Gefühls ist einer der wichtigsten Aspekte der Selbsttheorie eines Individuums. Über dieses Gefühl vermittelt wirkt sich das Selbstkonzept auch auf das tatsächliche Verhalten, insbesondere auf das Lernverhalten aus. Es findet sich in der Regel ein positiver Zusammenhang zwischen Selbstkonzept und Schulleistungen, aber auch Beziehungen zwischen dem Ausmaß der Ängstlichkeit und Unsicherheit einerseits und geringer Selbstakzeptierung andererseits (TAUSCH & TAUSCH 1979).

 

 

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3. Die Trainingsinhalte

Das Trainingsprogramm ist eine modifizierte und den deutschen Schulverhältnissen angepaßte Version des Self-Concept-Programms von Borg (1979). Es beruht auf der Annahme, daß das Verhalten des Lehrers, insbesondere seine verbalen Äußerungen, das Selbstkonzept eines Schülers entscheidend stärken oder schwächen können. Es konzentriert sich auf die in Tabelle I zusammengefaßten Lehreräußerungen.

Die Ausrichtung des Programms auf solche eng umschriebenen Verhaltensweisen läßt es als ein relativ technisches Fertigkeitsprogramm erscheinen. Es hat aber eine humanistische Grundlage, denn es macht den Lehrer mit den Ideen von ROGERS, GORDON u.a. vertraut und zielt allgemein darauf ab, befriedigende interpersonale Beziehungen im Klassenraum zu bewirken.

Bei der inhaltlichen Bestimmung des Programms ging Borg davon aus, daß die bedeutsamsten und die meisten selbstkonzeptrelevanten Lehreräußerungen in drei emotionshaltigen Situationen auftreten:


Für jede dieser Situationen sieht das Self-Concept-Programm eine Trainingseinheit vor.

 

 

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3.1 Trainingseinheit "Lehrerärger"

Die Trainingseinheit "Lehrerärger" bezieht sich auf Serien von negativen Ereignissen im Klassenraum, die beim Lehrer häufig Gefühle wie Enttäuschung, Ungeduld, Betroffensein, Unsicherheit u.a. hervorrufen und deren kumulativer Effekt den Zustand des "Sich-Ärgerns" hervorbringen. Die Versuche, diesen Ärger abzubauen, provozieren das häufig selbstkonzeptschädigende Äußerungen.

Die Trainingseinheit "Lehrerärger" soll es dem Lehrer ermöglichen, den Gefühlen, die dem Ärger vorangehen, mehr Raum zu geben, um sie dadurch differenzierter ausdrücken zu können und um auf diese Weise der Entstehung des Ärgers vorzubeugen.

Die undifferenzierten und selbstkonzeptschädigenden Ausdrucksweisen des Ärgers sieht Borg mit GORDON (1972) vor allem in drei Ausdrucksformen:

Es handelt sich in allen drei Fällen um einseitige Konfliktlösungen von seiten des Lehrers, die er mit Hilfe seines Machtvorteils durchsetzen kann. Den drei Äußerungsformen ist gemeinsam, daß sie sich auf die Persönlichkeit des Schülers beziehen, sei es über Kritik, Ermahnungen oder Geringschätzung.

Nach Tornow (1978) und BROPHY & Rohrkemper (1981) haben Lehrer die Tendenz, die selbstkonzeptschädigenden Äußerungen in zweierlei Hinsicht zu legitimieren:

(1) Die störenden Verhaltensweisen werden auf Vorsätzlichkeit zurückgeführt, (2) die Möglichkeit eines eigenen Anteils am Schülerverhalten i.S. der o.g. triadisch reziproken Interaktion wird weitgehend ausgeschlossen.

Eine differenzierte Ausdrucksform für die Gefühle, die dem Ärger im allgemeinen vorangehen, sieht Borg mit GORDON (1972) in den sogenannten "Ich-Botschaften".

"Ich-Botschaften" sind Aussagen, in denen der Lehrer seine Gefühle über für ihn unakzeptables Schülerverhalten dadurch ausdrückt, daß er dem Schüler mitteilt, wie ihn ein solches Verhalten berührt. Die Aussage beginnt gewöhnlich mit "Ich" und bezieht sich immer auf das konkrete Problem.

Die "Ich-Botschaft" setzt im situativen Kontext zeitlich früher ein als die "Du-Botschaft". Der Lehrer bezieht sich dabei auf Gefühle wie Unsicherheit, Gereiztheit, Kränkung, Entmutigung, Enttäuschung oder sogar Hilflosigkeit, Erschrockensein und Bedrängung. Borg (1979) hat in seinem Trainingskonzept eine umfangreiche Zusammenstellung von solchen "primären Gefühlen" herausgearbeitet.

Die Kodierung von Gefühlen in Form von "Ich-Aussagen" auf seiten des Lehrers ermöglicht dem Schüler eine Dekodierung im Hinblick auf die Wirkungen seines Verhaltens. Er selbst erkennt z.B., daß er sich unangemessen verhalten hat, weil der Lehrer enttäuscht ist. Damit wird der eigentliche Sachverhalt weder verwischt noch verharmlost, sondern im Gegenteil offen dargelegt. Vermieden werden das Einbeziehen der gesamten Persönlichkeit des Schülers durch situationsübergreifende Thematisierungen und die Unterstellung negativer Absichten beim Schüler. Er erfährt ausschließlich die Auswirkungen seines Verhaltens und kann daraus seine eigenen Schlüsse ziehen.

Damit soll nicht suggeriert werden, daß aus Schülern und Lehrern plötzlich gleichrangige Partner werden. Ermöglicht werden soll aber, daß eine echte Kommunikation über Konflikte und Störungen beginnen kann, um wenigstens die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß positive interpersonale Beziehungen entstehen können.

 

 

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3.2 Trainingseinheit "Schülerprobleme"

Die Trainingseinheit "Schülerprobleme" bezieht sich auf die Situationen, in denen einer oder mehrere Schüler sich aus der Sicht des Lehrers unangemessen verhalten, körperlich oder seelisch verletzt sind oder irgend ein anderes Problem haben. In der Trainingseinheit geht es um die konkrete Frage, wie der Lehrer den Schüler in dieser Situation ansprechen soll, ohne ihn dabei zu bewerten. Die Antwort sieht Borg mit GORDON (1972) im "aktiven Zuhören":

(1) Ansprechen der Situation, d.h. Äußerungen, in denen der Lehrer die aktuelle Situation beschreibt, ohne daß der Schüler vorher gesagt hat, wie er sich fühlt;

(2) Neuformulieren der Situation, d.h. Äußerungen, in denen der Lehrer das Gefühl oder Problem eines Schülers beschreibt, nachdem sich der Schüler bereits geäußert hat.

Mit dem "Ansprechen der Situation" zeigt der Lehrer seine Anteilnahme, sein Interesse am Schüler. Er signalisiert, daß er bereit ist, ihm zuzuhören und auf ihn einzugehen. Mit dem "Neuformulieren der Situation" verzichtet der Lehrer auf vorschnelle Urteile und konzentriert sich statt dessen darauf, in den Mitteilungen der Schüler auch die verschlüsselten emotionalen Botschaften zu erkennen. Als wesentliche Gesichtspunkte für die Aufnahme der Verhaltensweisen "Ansprechen" und "Neuformulieren" in das Self-Concept-Training sind festzuhalten:

Neben dem Aufbau dieser positiver Verhaltensweisen will die Trainingseinheit "Schülerprobleme" zwei verbreitete selbstkonzeptschädigende Äußerungen abbauen:

(1) Verbale Beurteilung und Etikettierung, d.h. Äußerungen, durch die der Lehrer das angesprochene oder unausgesprochene Problem des Schülers diagnostiziert, sein Verhalten etikettiert oder sogar Charaktereigenschaften beurteilt;

(2) Sollte- und Hätte-Äußerungen, d.h. Äußerungen, durch die der Lehrer dem Schüler sagt, was er unter gewissen Umständen tun sollte oder was er hätte tun können.

Diese beiden Punkte beziehen sich auf die Tendenz des Lehrer, in Streßsituationen auf Schülerprobleme vorschnell mit Anordnungen, Patentlösungen und Diagnosen zu reagieren. Dadurch wird die aktuelle Situation des Schülers ausgeklammert und statt dessen ein indirektes Urteil über ihn gefällt. Der Lehrer bringt ausschließlich seine Einschätzung in die Situation ein und macht sich damit zum vermeintlichen "Fachmann", der über seine Schüler genau Bescheid weiß. Tatsächlich teilt er dadurch nur seine eigene implizite Persönlichkeitstheorie über den Schüler mit (Hofer 1970), in die nicht nur die Leistungsbeurteilung mit einfließt, sondern die gesamte unterrichtliche Situation.

 

 

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3.3 Trainingseinheit "Lob"

Lob und Tadel wurden in der Pädagogischen Psychologie lange Zeit nur verhaltenspsychologisch unter dem Konzept der Verstärkung betrachtet. Erst seit Mitte der siebziger Jahre werden diese Verstärkungen weitgehend kognitiv interpretiert (z.B. BANDURA 1977).

In Bezug auf Lob und Tadel bedeutet dies, daß der Schüler aus dem Lob bzw. Tadel erschließt, wie der Lehrer sein Verhalten oder auch seine Person einschätzt. Lob und Tadel enthalten damit verdeckte selbstkonzeptrelevante Äußerungen. Diese Annahme liegt auch der Trainingseinheit "Lob" zugrunde. In ihr werden eine

  • negative (beurteilendes Lob) und eine
  • positive (wertschätzendes Lob)
    Art des Lobens unterschieden.

    Das beurteilende Lob besteht aus Aussagen, in denen der Lehrer die Person des Schülers lobt und nicht die Handlung. Dieses hat negative Auswirkungen, wenn der Lehrer damit einen Standard setzt, z.B. wenn er nach einer richtig gelösten Rechenaufgabe sagt, "du bist ein intelligenter Schüler, du rechnest gut für dein Alter", wenn aber der angesprochene Schüler selber gar nicht so allgemein von sich überzeugt ist. Die Konsequenz kann die Befürchtung sein, den Lehrer wahrscheinlich enttäuschen zu müssen, weil man den Standard wahrscheinlich nicht immer einhalten kann. Die negativen Auswirkungen des beurteilenden Lobs liegen also in einer zu starken Verallgemeinerung einer speziellen Handlung, wobei dieser Handlung, insbesondere bei schwächeren Schülern, kein entsprechendes stabiles Personenmerkmal zugrunde liegt. Aus dem gutgemeinten Lob kann damit schnell eine Verunsicherung oder gar Bedrohung für den Schüler werden.

    Darüber hinaus ist mit dem beurteilenden Loben meistens auch der Wunsch verbunden, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Wenn der Schüler diesen Wunsch erkennt, kann es zu Widerstand kommen und der Schüler wird sich eher so verhalten, wie es seinem eigentlichen Selbstkonzept entspricht.

    Die negativen Auswirkungen des beurteilenden Lobs sollen in dem Training durch das "wertschätzende Lob" in positive Auswirkungen umgewandelt werden.

    Das wertschätzende Lob besteht darin, das Tun und nicht den Charakter des Schülers zu loben. Der Lehrer beschreibt die Situation im Klassenraum und das Handeln der Kinder lebendig und exakt und äußert seine positiven Empfindungen darüber. Die Beurteilung und Bewertung werden wieder dem Schüler selbst überlassen.

     

     

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    3.4 Problematische Aspekte des Trainings

    Die problematischen Aspekte des Trainings ergeben sich aus der Tatsache, daß das selbstkonzeptschädigende Verhalten von Lehrern nicht ausgeführt wird, um das Selbstkonzept der Schüler zu schwächen, sondern um mit den zahlreichen Streßsituationen im Unterricht fertigzuwerden.

    Für den "Lehrerärger" sind das Fernhalten eigener negativ bewerteter Gefühle, der Schutz vor eigener Veränderung oder die Zurückweisung von zuviel Verantwortung verständliche Gründe für die Verwendung von "Du-Botschaften". Das gleiche gilt für die negativen Verhaltensweisen in der Situation "Schülerprobleme", denn sie können als Beeinflussungsmaßnahmen verstanden und als Gerechtigkeitsempfinden des Lehrers interpretiert werden (Lernen 1977). Als ein Motiv für die Verwendung von "beurteilendem Lob" ist z.B. der oft damit ausgedrückte indirekte Wunsch nach Verhaltensänderung der Schüler anzuführen. Es ist von daher nicht erstaunlich, daß die Forderungen nach Veränderung für den Lehrer erst einmal den Verlust eines sicheren und sichernden Verhaltens bedeutet. Je mehr er den Schülern - wie mit dem Training intendiert - Verantwortung für ihre Handlungen überläßt, desto stärker kann die Angst werden, die "letztendliche" Kontrolle über die Situation zu verlieren. Das Training kann sich daher nicht auf ein mechanisches Einüben der aufzubauenden bzw. Löschen der ungünstigen Verhaltensweisen beschränken.

    In der Trainingsarbeit mit dem Lehrer ist es daher notwendig, daß seine Schutzmaßnahmen respektiert, d.h. verstanden werden, die Bedeutung seines Verhaltens mit ihm reflektiert und auf seine Befürchtungen eingegangen wird und die positiven Chancen, der Gewinn für ihn, die Schüler und die Unterrichtssituation erlebbar werden.

    Wird dies nicht geleistet, wird das Training zu einer oberflächlichen Verhaltensmodifikation und im extremen Fall im Resultat zu einer Sprachverdrehung, in der der Lehrer z.B. lernt, seine "Du-Botschaften" hinter "Ich-Aussagen" zu verstecken. Typische Beispiele hierfür sind: "Ich finde dich unerträglich"; "ich meine, du könntest mal wieder dem Unterricht folgen, oder"; "ich fühle mich von dir gereizt" oder, noch besser getarnt: "Ich bin enttäuscht" (Anfang einer korrekten "Ich-Botschaft"), "daß du die Aufgabe nicht gemacht hast" (dann aber die "Du-Botschaft" mit der Dekodierung beim Schüler: Er findet mich enttäuschend, ich bin nachlässig).

    Auch das "Ansprechen der Situation" kann - wie letztlich alle positiven Verbalisationen - entgegen der eigentlichen Intention z.B. als Manipulationstechnik eingesetzt werden, um den Schüler besser gefügig zu machen. Ein Lehrer, der einem unruhig auf seinem Stuhl herumrutschenden Schüler sagt: "Du magst nicht mehr stillsitzen" und damit aber meint: "Setz dich sofort anständig hin und laß das Zappeln!", wird wahrscheinlich von der Wirkung seiner Worte enttäuscht sein. Ohne die grundsätzliche Einstellung des Respekts vor der Person des Schülers wird aktives Zuhören unaufrichtig, mechanistisch und manipulativ wirken.

    Mit dem Training der Verbalisation ist also zusätzlich die Überzeugung zu vermitteln, daß Empathie, Echtheit und Akzeptanz unverzichtbare Grundvariablen des Lehrerverhaltens sind.

     

     

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    4. Aufbau des Trainings

    Die Durchführung des Trainings gliedert sich in vier Schritte:

     

     

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    4.1 Die Feststellung von Ist-Sollwert-Diskrepanzen

    Dem Lehrer werden acht Situationen aus dem Bereichen "Ärger", "Probleme" und "Lob" geschildert. Er soll aufschreiben, was er in diesen Situationen zum Schüler sagen würde:

    (a) seine spontane Äußerung,

    (b) die seiner Meinung nach ideale Äußerung.

    Die Diskrepanzen zwischen diesen beiden Äußerungen werden später in der Gruppenarbeit diskutiert.

     

     

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    4.2 Kognitive Erarbeitung der Trainingsinhalte

    Die Erarbeitung geschieht mit Hilfe von Arbeitsheften, wobei drei Phasen unterschieden werden:

    1. Lernen und Verstehen

      Hier werden die verschiedenen Verhaltensweisen vorgestellt und die möglichen Auswirkungen auf den Schüler diskutiert. Anhand von Beispielen werden verschiedene verbale Reaktionen dargestellt. Den Abschluß bilden Situationsbeschreibungen, zu denen der Lehrer eine angemessene Antwort formulieren soll. Zum Vergleich wird eine "ideale Antwort" angeboten.

    2. Erkennen und Bestätigung

      Es werden Interaktionssequenzen zwischen Lehrern und Schülern vorgestellt. Die Lehreräußerungen sollen dabei den verschiedenen selbstkonzeptschwächenden und selbstkonzeptstärkenden Verhaltenskategorien zugeordnet werden.

    3. Anwenden und Reflektieren

      Vorgegebene negative Äußerungen sollen in positive umgewandelt werden. Dazu werden längere Schüler-Lehrer-Interaktionen mit vielen negativen Äußerungen vorgegeben.

     

     

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    4.3 Gruppenarbeit

    Anhand der Inhalte aus den Arbeitsheften wird diskutiert, welche Äußerungen selbstkonzeptstärkend bzw. -schwächend sind. Indem nicht sofort persönliche Betroffenheit zum Thema gemacht wird, soll sowohl dem Umstand Rechnung getragen werden, daß sich die Gruppe der zu trainierenden Lehrer noch in der Phase des Kennenlernens befindet, als auch dem Bedürfnis der Lehrer nach einem Handeln unter Berücksichtigung von (fach-)wissenschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. Brandtstaedter & Krampen 1979).

    Im nächsten Schritt soll es zu einer Annäherung an die persönliche Bedeutung und Relevanz der verwendeten Situationen kommen. Dazu haben die Teilnehmer die Möglichkeit, ihre vor Trainingsbeginn gegebenen Antworten jetzt nochmals zu reflektieren. Die wichtigste Funktion dieses Schrittes ist das Herausarbeiten der Effekte einzelner Aussagen und ihrer motivationalen Hintergründe.

    Zur unmittelbaren Erfahrung auf der Handlungsebene werden danach ähnliche Verhaltensbeispiele im Rollenspiel erprobt, z.B. einmal mit "Du-Botschaften" und einmal mit "Ich-Botschaften". Die Übernahme von Schülerrollen soll zu einer Sensibilisierung für positive und negative Auswirkungen von Verhaltensweisen führen.

    Abschließend werden die Lehrer aufgefordert, erste Versuche mit den neuen Verhaltensweisen im Unterricht zu machen. Wie die Anwendung der Verhaltensweisen erlebt wird, welche Probleme dabei auftauchen, in welchen Situationen die Anwendung besonders leicht ist usw. sind Diskussionspunkte.

     

     

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    4.4 Supervision

    Die Supervision begleitet ebenso wie die Gruppenarbeit das gesamte Training. Sie erfolgt anhand von Videoaufzeichnungen des eigenen Unterrichts. Diskutiert wird, aufgrund welcher Einflüsse der Lehrer einzelne Äußerungen macht, in welchem Zusammenhang sich bevorzugt selbstkonzeptrelevante Äußerungen zeigen und in welchen Situationen die neuen Verhaltensweisen spontan auftreten.

    Durch diese Diskussionen soll die Selbstreflexion des Lehrers intensiviert werden.

    Weicht das Videobild vom Selbstbild ab, so entsteht zunächst eine Wahrnehmungsdissonanz. Der damit auftretende Konflikt kann zu Abwehrmaßnahmen führen, kann aber auch durch Veränderungen im Verhalten gelöst werden. Durch das Verständnis, wie es zu der Abweichung im Videoverhalten und dem erwünschten Verhalten kommt, d.h. aus welchen biographischen, institutionellen und berufsbezogenen Notwendigkeiten sie entsteht, kann sie begriffen und der Bearbeitung zugänglich gemacht werden. Dabei kommen auch die Beziehungen zu den einzelnen Schülern zur Sprache.

    Mit der klaren Vorstellung darüber, wie das erwünschte Zielverhalten auszusehen hat, wird die kritische Betrachtung des eigenen Verhaltens mit Überlegungen darüber verbunden, welche alternativen Handlungsmöglichkeiten existieren.

    In der Supervision werden darüber hinaus auch Verunsicherungen oder Befürchtungen von Lehrern aufgegriffen, die häufig dann auftreten, wenn bewährte Verhaltensmuster aufgegeben und "neue" schrittweise erprobt werden.

     

     

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    5. Durchführung des Trainings

    Das Training wurde mit einem kompetenten und erfahrenen Lehrer in einer "problematischen" 5. Hauptschulklasse durchgeführt. Die Schüler dieser Klasse machten im Unterricht oft, was sie wollten, und gaben dem Lehrer ausgiebig Anlaß, sich zu ärgern und auf Schülerprobleme einzugehen. Der Lehrer hatte sich in dieser Situation an uns gewandt mit der Frage, ob die Pädagogische Psychologie hier weiterhelfen könne. Das Training erstreckte sich über 13 Wochen. Es war eingebettet in einen größeren Schulversuch zur Erprobung des Adaptiven Lehr-Lern-Systems (vgl. RÜPPELL & Klieme 1981).

    In diesem Schulversuch war die Klasse aufgeteilt in eine Hälfte, die autonom in Kleingruppen arbeitete, und eine andere Hälfte, die mit dem Lehrer arbeitete. Der Lehrer arbeitete also zeitweise nur mit der halben Klasse.

    Das gesamte Training erstreckte sich über 13 Wochen; 32 Unterrichtsstunden wurden videographiert. Siebzehnmal erhielt der Lehrer anhand dieser Aufnahmen eine ein- bis eineinhalbstündige Supervision; siebenmal fand eine dreieinhalb- bis vierstündige Gruppenarbeit statt, an der drei weitere Lehrer, die sich für das Training interessierten, regelmäßig teilnahmen.

     

     

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    6. Ergebnisse

    Die Ergebnisse gliedern sich in:

  • die Erfassung der kognitiven Repräsentation der Trainingsinhalte;
  • die Veränderung der Häufigkeiten der selbstkonzeptrelevanten Verhaltensweisen im Laufe des Trainings;
  • die Einschätzung der Trainingseffektivität aus der Sicht des Lehrers.

     

     

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    6.1 Die kognitive Repräsentation der Trainingsinhalte

    Zum Trainingsabschluß wurden nochmals die Situationsschilderungen vorgegeben, die im Training verwendet wurden. Diese Antworten wurden mit den zuerst gegebenen verglichen. Die Unterschiede in der Angemessenheit der Lehreräußerungen vor und nach dem Training zeigt Tabelle II.

    Die Werte in dieser Tabelle zeigen eindeutig, daß das erwünschte Verhalten zu Beginn des Trainings kognitiv kaum repräsentiert war, denn auch bei den Idealantworten überwiegen ungünstige Äußerungen. Interessant ist, daß sich in den Bereichen, in denen der Schüler agiert ("Lehrerärger", "Neuformulierung der Situation"), fast keine günstigen Antworten zeigen. Dagegen reagiert der Lehrer in Situationen, in denen der Schüler ein Problem hat, sich aber nicht dazu äußert, schon eher mit selbstkonzeptstärkendem Verhalten. Am relativ günstigsten sich noch die Lob-Aussagen i.S. des Trainings repräsentiert.

    Dieses Bild ändert sich deutlich zum Abschluß des Trainings. Es finden sich nun vermehrt günstige Verhaltensweisen, wenn auch bei den "Ich-Botschaften" nicht immer die theoretisch optimalen Äußerungen formuliert wurden. Insgesamt aber kann festgestellt werden, daß die Inhalte des Trainings kognitiv zufriedenstellend repräsentiert wurden.

     

     

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    6.2 Die Häufigkeiten der selbstkonzeptrelevanten Verhaltensweisen

    Die selbstkonzeptrelevanten Verhaltensweisen wurden mit einem Kategoriensystem von drei Psychologiestudenten höheren Semesters, die sich zusätzlich in einem Seminar zur Pädagogischen Psychologie eingearbeitet hatten, ermittelt. Den Trainingsinhalten entsprechend enthält dieses Kategoriensystem sechs selbstkonzeptstärkende und sieben selbstkonzeptschwächende Verhaltensweisen. Diese sind in Tabelle III aufgeführt.

    Das Beobachtertraining wurde beendet, nachdem die drei Beobachter in einem fünfzehnminütigen Videoausschnitt eine hohe Übereinstimmung untereinander und mit einem der Autoren dieser Arbeit erzielten. Jeder von ihnen wertete dann getrennt 32 Stunden des Lehrerverhaltens sorgfältig aus. Die Beobachterübereinstimmung, geschätzt durch die Korrelation zwischen den drei Ratern (r1, r2, r3), beträgt:

    r(R1/R2)=.93(s)2       r(R1/R3)=.92(s)       r(R2/R3)=.92(s)

    Diese Produktmomentkorrelationen beruhen jeweils auf 416 Wertepaaren (32 Stunden x 13 Kategorien).

    Der Verlauf der Häufigkeiten der einzelnen selbstkonzeptrelevanten Verhaltensweisen in den 32 Unterrichtsstunden ist aus den folgenden Abbildungen ersichtlich. Hierbei sind zunächst die Kategorien mit gemeinsamer inhaltlicher Orientierung und gleicher angestrebter Veränderungsrichtung zusammengelegt:

    Die Ergebnisse sind für jeden Beobachter einzeln dargestellt. Anhand der ausgedruckten Beobachtungswerte werden die Auftretenshäufigkeiten ersichtlich. Die Veränderungen der Häufigkeiten im Verlaufe des Trainings werden durch die Geraden wiedergegeben. Diese Geraden schätzen den Trend der Veränderung durch ihre Steigung bzw. durch ihren Abfall. Sie wurden mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate ermittelt, d.h. die Summe der quadrierten Abweichungen der einzelnen Werte von dieser Geraden bilden ein Minimum (Hofstaetter & Wendt 1974).

    Abb. 1 Ich-Botschaft

    Abb.2 Du-Aussage

    Abb. 3 Beschreibende Aussage

    Abb. 4 Beurteilende Aussage

    Abb. 5 Wertschätzendes Lob

    Abb. 6 Beurteilendes Lob

    (Abbildungen 1-6 siehe Originaltext S.20-22 !)

    Für alle verbalen Verhaltensweisen, die aufgebaut werden sollen, ergibt sich - wenn auch in unterschiedlichem Maße - ein Anstieg über die Zeit. Er liegt bei der Kategorie "Beschreibende Aussage" deutlich am höchsten. Die Zunahme von Verbalisierungen, erfaßt in den Kategorien "Wertschätzendes Lob" und "Ich-Botschaft", ist geringer und auf vergleichbarem Niveau. Ihnen ist auch gemeinsam, daß die Auftretenshäufigkeit des Verhaltens zu Beginn des Trainings sehr niedrig liegt.

    Für die verbalen Verhaltensweisen, die abgebaut werden sollen, ergibt sich keine gemeinsame Tendenz. Die eindeutigste Abnahme unerwünschter Verhaltensweisen zeigt sich bei der Kategorie "Du-Aussage". Sie treten gegen Ende des Trainings kaum mehr auf. Innerhalb der Kategorie "Beurteilende Aussage" deutet die Gerade auf eine nur geringe Veränderung hin. Auffällig ist bei Betrachtung der Häufigkeitsverteilung der Wiederanstieg der abzubauenden Aussagen gegen Ende des Trainings. Für die Kategorie "Beurteilendes Lob" läßt sich nur feststellen, daß solche Aussagen über die ganze Zeit des Trainings nahezu gar nicht zu finden sind.

    Als erstes Ergebnis läßt sich also festhalten, daß mit der Durchführung des Trainings die angestrebten Trainingsziele teilweise erreicht werden konnten. Zur differenzierten Darstellung wird nun auf die vorher zusammengefaßten Kategorien im einzelnen eingegangen. Dabei wird neben der Trendermittlung auf die Deskription der Besonderheiten der Lernprozesse anhand der Häufigkeiten Wert gelegt. Es sind die einzelnen Kategorien:

    1. Ich-Botschaft

    2. Du-Botschaft

    3. Warum-Frage

    4. Ironie

    5. Ansprechen der Situation

    6. Neuformulieren der Situation

    7. Allgemeine Beschreibung der Situation

    8. Verbale Beurteilung und Etikettierung

    9. Sollte- und Hätte-Äußerungen

    10. Allgemeine Beurteilung der Situation

    11. Wertschätzendes Lob (situativ) verbunden mit Ich-Botschaft

    12. Wertschätzendes Lob (situativ)

    13. Beurteilendes Lob

    Ich-Botschaft (Schaubild siehe Originaltext S.20 !)

    Die Zunahme dieser Verbalisierungen im Laufe des Trainings wurde bereits konstatiert. Betrachtet man die Auftretenshäufigkeiten, kann man sehen, daß der Verhaltensaufbau über die Stunden hinweg einigen Schwankungen unterworfen ist. Auffällig ist nach einem recht kontinuierlichen Anstieg der Gipfel der 21. Stunde, in der das zu lernende Verhalten über alle Stunden hinweg am häufigsten gezeigt wurde, dem ein deutlicher Einbruch folgt. Ab der 24. Stunde bewegen sich die Werte dann bis zum Ende des Trainings deutlich und konstant über dem Ausgangsniveau. Interessant ist auch noch, daß das zu lernende Verhalten zu Beginn des Trainings so gut wie gar nicht im Repertoire des Lehrers repräsentiert ist.

    Abb. 7 Du-Botschaft

    Abb. 8 Warum-Frage

    Abb. 9 Ironie

    (Abbildungen 7-9 siehe Originaltext S.24-25 !)

    Die Ergebnisse für die einzelnen Kategorien "Du-Botschaft", "Warum-Frage" und "Ironie" zeigen, daß der für die Kategorie "Du-Aussage" ermittelte indirekte Anstieg nahezu ausschließlich auf einen Abbau der "Du-Botschaften" zurückzuführen ist. Nur sie zeigen eine ausgeprägte Anfangshäufigkeit, die über die Zeit hinweg deutlich abnimmt, während die "Warum-Frage" und die "ironische Aussage" insgesamt nur sporadisch auftreten.

    Die Häufigkeitsverteilung der "Du-Botschaft" bietet noch weitere Hinweise. Einmal, daß die Verwendung dieser Verbalisierungen sehr rasch vom Lehrer reduziert werden konnte, es fällt eine deutliche Abnahme dieser Aussagen über die ersten 7 Stunden auf; im weiteren pendelt sich die Auftretenshäufigkeit - abgesehen von einigen Schwankungen, die nicht so einschneidend sind wie der beobachtete Einbruch bei der "Ich-Botschaft" - auf einem recht niedrigen Niveau ein.

    Abb. 10 Ansprechen der Situation

    Abb. 11 Neuformulieren der Situation

    Abb. 12 Allgemeine Beschreibung der Situation

    (Abbildungen 10-12 siehe Originaltext S.26-27 !)

    Der für die zusammengefaßte Kategorie "Beschreibende Aussage" festgestellte Anstieg läßt sich auch für alle drei Einzelkategorien aufzeigen. Bei den Kategorien "Ansprechen" und "Neuformulieren der Situation" fällt das niedrige Anfangsniveau auf, wobei die entsprechenden Verbalisierungen nach einigen Stunden jedoch rasch zunehmen. Anfangs häufiger vertreten sind Aussagen, die der Kategorie "Allgemeine Beschreibung der Situation" zuzuordnen sind.

    Weiter bieten die Auftretenshäufigkeiten einen wichtigen Hinweis. Sieht man sich ihre ausgeprägten Schwankungen an, so läßt sich letztlich festhalten, daß es dem Lehrer vor allem möglich war, diese Verbalisierung zeitweise verstärkt anzuwenden.

    Abb. 13 Verbale Beurteilung und Etikettierung

    Abb. 14 "Sollte"- und "Hätte"-Äußerungen

    Abb. 15 Allgemeine Beurteilung der Situation

    (Abbildungen 13-15 siehe Originaltext S.28-29 !)

    Von einer eindeutigen Abnahme dieses Verhaltens kann bei diesen Verbalisierungen nicht gesprochen werden.

    Insgesamt gesehen lassen sich für alle drei Einzelkategorien auch nur geringe Häufigkeiten und Schwankungen erkennen. Zeigt sich bei der Kategorie "Verbale Beurteilung und Etikettierung" im ersten Drittel der Trainingsphase relativ noch eine Abnahme, sind bei den Kategorien "Sollte- und Hätte-Äußerungen" und "Allgemeine Beurteilung der Situation" die Auftretenshäufigkeiten bereits zu Beginn der Videoaufnahmen sehr gering. Unter Berücksichtigung der geringen Auftretenshäufigkeit in diesen Kategorien läßt sich aber doch festhalten, daß Verbalisierungen der Kategorie "Sollte- und Hätte-Äußerungen" im zweiten Drittel des Trainings nicht mehr zu beobachten sind, während Äußerungen, die mit der Kategorie "Allgemeine Beurteilung der Situation" erfaßt werden, über die gesamte Trainingszeit (fast) immer zu beobachten sind.

    Abb. 16 Wertschätzendes Lob (situativ) verbunden mit Ich-Botschaft

    Abb. 17 Wertschätzendes Lob im situativen Kontext

    (Abbildungen 16-17 siehe Originaltext S.30-31 !)

    Der "Aufbau" von Verbalisierungen zum "Wertschätzenden Lob" gelingt dem Lehrer am besten nur in der Verbindung mit einer genauen Situationsschilderung. Etwa über die ersten 10 Stunden hinweg zeigt sich dieses Verhalten, auf niedrigem Niveau. Danach kommt es zu einem Einbruch, dem eine Zunahme folgt, die in Relation zu den auftretenden Häufigkeiten in den anderen Stunden beachtlich ist. Bis zum Ende des Trainings bleibt das Verhalten dann solchen Schwankungen unterworfen.

    Beim "Wertschätzenden Lob (situativ)" verbunden mit einer "Ich-Botschaft" zeigt sich zwar auch ein Anstieg, der jedoch - wie auf die Auftretenshäufigkeit überhaupt - niedriger liegt als bei obiger Kategorie. Dabei treten diese Verbalisierungen zu Beginn des Trainings sehr wenig auf. Zum "Beurteilenden Lob" (Schaubilder s.S.) läßt sich nur festhalten, daß das Verhalten nicht abgebaut werden konnte, da es bei diesem Lehrer nahezu gar nicht auftrat.

     

     

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    6.3 Die Effektivität des Trainings aus der Sicht des Lehrers

    Die Effektivität des Trainings aus der Sicht des trainierten Lehrers und der drei Lehrerinnen, die am Training (ohne Supervision) teilgenommen hatten, wurde mit einem Fragebogen ermittelt. Die Antworten auf die Fragen spiegeln die Überzeugungen der Lehrer wider, wie stark das Training ihr Handeln im Klassenraum beeinflußt hat.

    Die nachfolgende Tabelle enthält die Ergebnisse. In ihr fällt die recht große Kontinuität in den Antworten auf, in der Regel werden die Antworten über die Dauer des Trainingsprogramms hinweg auf dem einmal gewählten Level gege-ben. Eine gewisse Ausnahme machen hier nur die Statements 1, 2, 5 und 8. In den Antworten auf Statement 1 spiegelt sich eine zunächst recht euphorische Einschätzung der Auswirkungen der Gruppensitzung auf die eigene Berufspraxis wider, die im weiteren Verlauf des Trainings relativiert, dann aber - nun vermutlich auf der Basis einer realistischen Einschätzung - wiederholt wird. Die Antworten zu Statement 3 zeigen, daß die Zustimmung zu diesem Negativstatement immer geringer, d.h. die Inhalte des Trainings als immer praxisrelevanter eingeschätzt werden. Die Kurven zu den Statement 5 und 8 schließlich unterscheiden sich von den anderen durch die nicht eindeutige Tendenz in den Antworten. Möglicherweise drückt sich darin ein Rekurs auf momentane, singuläre Erlebnisse und Erfahrungen aus, die außerhalb und u.U. ganz unabhängig von den Trainings gemacht wurden, für die unterschiedliche Zustimmung zu diesen Statement aber entscheidungsleitend sind.

    Im Statement 8 ist die Ebene der Reflexion über die eigene Berufspraxis angezielt, ebenso in Statement 9. Die Antworten zeigen eine durchschnittlich sehr hohe Zustimmung, bezüglich Statement 9 sogar die höchste im gesamten Fragebogen. Eine durchschnittlich ähnlich hohe Zustimmung findet noch das Statement 11, das eine Gesamteinschätzung des Trainings abfragt. Das deutet darauf hin, daß bei einer grundsätzlich positiven Bewertung des Trainings Veränderungen auf der Reflexionsebene bewirkt werden.

    [Tabelle IV: Anwendung des Gelernten in der Berufspraxis]

    Die Ergebnisse der Nachbefragung zur Gruppenarbeit bestätigen diesen Trend (s. Tabelle auf der nächsten Seite). Die höchste Zustimmung wird hier bei den Aussagen, die sich auf die Reflexionsebene beziehen, erzielt. Bei diesen ergibt sich zusammengezogen ein xges.=5,1; auf der Ebene der Einschätzung des Trainings wir mit xges.=4,8 der zweithöchste Gesamtwert erzielt, gefolgt von dem Erkennen neuer Möglichkeiten mit einem xges.=4,6. Die Zustimmung zu den Statements, mit denen Verhalten (xges.=4,4) und Verständnis für Schüler (xges.=4,35) abgefragt werden, ist schon geringer. Auch die Zustimmung zu den Items zur Kollegialität liegt in diesem Bereich (xges.=4,5). Es kann also festgehalten werden, daß die kognitive Repräsentation der Trainingsinhalte, wie sie sich in der Nachbefragung manifestiert, vor allem Auswirkungen besitzt hinsichtlich der Reflexion des eigenen Verhaltens, daß Auswirkungen hinsichtlich des tatsächlichen Verhaltens dagegen sekundäre bleiben, ohne daß die real abgelaufenen Veränderungen auf dieser Ebene allerdings gering geschätzt werden sollten. Praktische Relevanz haben die Gruppensitzungen also vor allem dadurch, daß sie Verhalten bewußt machen, so daß eingeübte Verhaltensmuster nicht mehr gleichsam automatisch ausgeführt, sondern in ihren Konsequenzen auch reflektiert werden.

    Insgesamt gesehen kann der Lehrer nach der Gruppenarbeit vor allem sein Verhalten besser reflektieren (5,2), seine Fehler besser erkennen (5,2) und die Wirkung seiner Aussagen besser einschätzen. Deutlich wird aber auch, daß er in manchen Situationen anders als früher reagieren kann (5,0) und dieses neue Verhalten positiv beurteilt wird (4,5), auch in dem Sinne, daß er ruhiger, ausgeglichener, entspannter und sicherer agieren kann. Der Lehrer sieht mehr Möglichkeiten, Schülerverhalten zu beeinflussen (4,7) und die Beziehung zu verbessern (4,7), indem er auf die Schüler einzugehen vermag (4,7). Sicher liegt das auch am besseren Verständnis für die Schüler (4,5), für deren seelische Befindlichkeit er sich mehr interessiert (4,7).

    [Tabelle V: Ergebnisse der Nachbefragung der Gruppenarbeit]

     

     

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    7. Diskussion zur ersten Erprobung des Trainings

    Mit dieser Arbeit ist ein Training für Lehrer vorgestellt, das ihre Verhaltenskompetenz im Bereich des sozial-emotionalen Handelns, i.e. bezogen auf das Selbstkonzept des Schülers, erweitern will.

    In Verbindung mit der hier beschriebenen ersten Erprobung des Trainings wurde ermittelt, inwieweit bei den Teilnehmern die Trainingsinhalte kognitiv repräsentiert sind, wie sie die Auswirkungen auf die Schulpraxis über den Verlauf und nach Abschluß des Trainings einschätzten. Weiter wurde der Frage nachgegangen, ob die als selbstkonzeptschädigend ausgewiesenen Verbalisationen - soweit vom Lehrer im Unterricht praktiziert - im Rahmen des Trainings reduziert werden und ob das in der Gruppe und über Supervision trainierte selbstkonzeptfördernde Verhalten über die Zeit zunehmend in der Unterrichtspraxis eingesetzt wird.

    Wenngleich die Ergebnisse aufgrund der schmalen empirischen Basis (siehe Anmerkung) mehr hinweisenden Charakter haben, scheinen sie doch geeignet, die Erfolgschancen dieses Trainingsprogramms zu illustrieren.

    Zu den Erhebungen der Gruppenarbeit ist vor allen Dingen herauszustellen, daß die kognitive Vermittlung der Lerninhalte des Trainings geleistet wurde. Die Ergebnisse zu den projektiven Situationsschilderungen sind insofern nicht erstaunlich, als das Begreifen der Trainingsprinzipien noch nicht die Bereitschaft erfordert, diesen zuzustimmen. Die rein kognitive Repräsentation wird durch emotionale und sachlich begründete Widerstände weit weniger tangiert als die Umsetzung dieser Inhalte in Handlung. Daß die Kategorie "Ansprechen der Situation" insgesamt am meisten Schwierigkeiten bereitet, macht deutlich, wie schwer es für die Lehrer selbst bei projektiven Situationsschilderungen ist, den eigenen Bezugsrahmen zu verlassen und nur das zu beschreiben, was unmittelbar wahrnehmbar ist. Auch in der Gruppenarbeit zeigte es sich immer wieder, daß statt dessen die persönliche Einschätzung der Situation des Kindes verbalisiert wurde.

    Für folgende Trainingsarbeiten heißt dies u.E., daß ein Schwerpunkt auf die Sensibilisierung der Wahrnehmung des nonverbalen Ausdrucks der Schüler und der anschließenden nicht interpretierenden Beschreibung zu legen ist.

    Einen weiteren interessanten Gesichtspunkt zu den projektiven Situationsschilderungen bieten die "Idealantworten" auf bestimmtes Schülerverhalten der ersten Befragung. Konnte zunächst festgestellt werden, daß Lehrer oft andere Verhaltensweisen für angemessener halten als die, die sie selber praktisch anwenden, so überrascht, daß die Teilnehmer dieses Trainings mehrheitlich ihre spontanen Antworten kaum verändert auch als Idealantworten angeben. Ein Ziel, die kognitive Vermittlung der Inhalte, wurde also erreicht.

    Weitere Erhebungen zur Gruppenarbeit befassen sich mit den subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen des Trainings aus der Sicht der Teilnehmer.

    Die ermittelte generell positive Resonanz entspricht der immer wieder in Trainings festgestellten Tendenz, daß die Teilnehmer solche Veranstaltungen überwiegend günstig bewerten (siehe Anmerkung). Daß aber auch die spezifische Konzeption dieses Trainings zu der Bewertung seinen Beitrag leistet, zeigt sich u.E. an der kontinuierlichen Zustimmung über die gesamte Trainingszeit. Ein Grund liegt sicherlich darin, daß sie dem häufig geäußerten Wunsch von Lehrern nach Praxisnähe und dem Thematisieren der eigenen Probleme in der Schule ausreichend Raum gibt.

    Auch die Auswirkungen des Trainings werden generell recht positiv eingeschätzt. Vor allem betont wird seitens der Lehrer die verstärkte Reflexion des eigenen Handelns gegenüber Schülern. Bei vorsichtiger Interpretation der dazu vorliegenden Ergebnisse läßt sich demnach zusammenfassend feststellen, daß verstärkt die Sensibilisierung für die eigene Kommunikationsstruktur und deren mögliche Auswirkungen auf den/die Schüler erreicht wurde. Weiter ist interessant, daß das Training weniger zu einer Steigerung des Verständnisses für die Schüler beiträgt. Hier drückt sich die Eigenart des Trainings aus. Es wird in diesem Training nicht über den Schüler gesprochen, bzw. darüber, wie der Lehrer diesem "helfen" kann, sondern es wird an der Kommunikation mit dem Schüler - dem Miteinander-Reden - gearbeitet.

    Wie die Umsetzung des Trainings im Klassenzimmer verläuft, zeigen die Verhaltensbeobachtungen im Unterricht (Video). Der Auf- und Abbau vollzieht sich für die einzelnen Verhaltensweisen durchaus unterschiedlich.

    Die aufzubauenden Verhaltensweisen differieren in ihrem Zuwachs, in ihren Auftretenshäufigkeiten in den einzelnen Stunden und bezüglich ihrer Ausprägung zu Beginn des Trainings. Anzumerken ist hier eine längere "Anlaufzeit" des Einsatzes von "Ich-Botschaften" und "Wertschätzendes Lob verbunden mit Ich-Botschaft".

    Der schnelle Abbau von "Du-Botschaften" und Beurteilung und Etikettierungen" kontrastiert dazu. Bei den "Sollte- und Hätte-Äußerungen" ist demgegenüber ein längerer Zeitraum notwendig. Fast keine Veränderung zeigt sich bei der "Allgemeinen Beurteilung". Die sonstigen eigentlich abzubauenden Verhaltensweisen ließen sich zu Beginn des Trainings ohnehin nur wenig finden. Insgesamt vermitteln die Ergebnisse zum Abbau, daß es schwerfällt, von beurteilenden Verhaltensweisen langfristig abzusehen.

    Sowohl zum Verständnis des positiv zu bewertenden Aufbaus als auch für das weniger günstig zu bewertende letztendliche Beibehalten einzelner abzubauender Verbalisationen sind motivationale und situationale Einflußgrößen heranzuziehen. Als solche Einflußgrößen müssen wahrscheinlich seelische Befindlichkeit, Einstellung zu den einzelnen Verhaltensweisen, Angst vor Macht- und Kontrollverlust etc. (motivationale Faktoren) sowie Unterrichtsstoff, Schülerverhalten etc. (situationale Faktoren) betrachtet werden.

    Aufgrund der Schwierigkeiten, die tatsächliche Varianz von Situation und Person abzuklären - wie sie schon in der bekannten Person-Situation-Debatte deutlich wurde - gilt für die zukünftige Forschung in diesem Bereich, entsprechend interaktionistische Modelle empirisch faßbar zu machen.

    Dennoch läßt sich sagen, daß es über dieses Training gelungen zu sein scheint, aufzubauende Verhaltensweisen relativ situationsabhängig einzusetzen - was sich durch die starken Schwankungen ausdrücken könnte -, während die abzubauenden Verhaltensweisen eher als "persönlichkeitsspezifisch" zu betrachten sind - sie werden teilweise schwer abgebaut und/oder treten nach fast völligem Verschwinden wieder auf.

    Hier wird deutlich, daß kurzzeitige Trainings wohl generell verhaltens- und einstellungsändernd wirken können, eine Stabilisierung und Habitualisierung der geänderten persönlich bedeutsamen Verbalisationen dadurch aber kaum zu erreichen ist. Als selbstverständliche Konsequenz ergibt sich daraus, daß Trainings über einen längeren Zeitraum wesentlich an Effizienz gewinnen. Durch die Arbeit an persönlich bedeutsamen Einstellungen und Verhaltensweisen, wie sie in der Supervision geschieht, ist aufgrund anderer Erfahrungsberichte zur Wirkung von Supervision anzunehmen, daß eine tatsächliche Verhaltensänderung auf längere Sicht eintrifft.

    Zur Erweiterung von Verhaltensspielräumen und aus Gründen der Ökonomie ist es notwendig, Gruppenarbeit und Supervision zu integrieren. Dies hat den Vorteil, daß die Schwierigkeiten der Erprobung neuer Verhaltensweisen gemeinsam behandelt und aufgearbeitet werden können, unter Umständen sogar im Rahmen kollegialer Supervision.

    Als abschließende Forderungen aus der ersten Erprobung dieses Trainings ergeben sich:

    1. Ein solches Lehrertraining ist längerfristig in einer Kombination von Gruppenarbeit und Supervision einzusetzen;

    2. die Begleitforschung sollte sich nicht nur über den gesamten Zeitraum des Trainings erstrecken, sondern auch überprüfen, inwieweit das neue Verhalten auch ohne eine solche Unterstützung beibehalten werden kann und wie es bewertet wird;

    3. die Evaluation soll sich nicht nur auf den Lehrer erstrecken; ob sich tatsächlich eine Selbstwertsteigerung bzw. Förderung des Selbstkonzepts bei den Schülern ergibt, ist zu überprüfen.

     

     

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    8. Literatur

     

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