3.
Theoretische und praktische Begründung
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3.1. theoretische Begründung
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3.1. Theoretische Begründung
Der
Gedanke, dass die Praxis eine ideale Grundlage für intensive
und nachhaltige Lernerfahrungen bildet, ist in der Pädagogik
schon alt. Schon früher wurde auf das Missverhältnis
zwischen künstlicher Lernwelt und alltäglicher Lebenswelt
hingewiesen. So heißt es etwa bei Seneca (4 v.- 65 n.Chr.):
„Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen
wir“ (non vitae, sed scholae discimus). Jung [Jung, E.:
Projektunterricht – Projektstudium – Projektmanagement.
Bielefeld 2002, siehe http://www.sowi-online.de/methoden/lexikon]
verweist darauf, dass dieser Vorwurf bis heute nicht verstummt
ist. Im Zusammenhang mit dieser Kritik gibt es immer wieder pädagogische
Ansätze, um das Lernen auf das Leben zurückzubeziehen.
Ob Rousseau in seinem fiktiven Erziehungsroman „Emile“
(„Die Dinge aber erziehen uns durch die Erfahrung, die wir
mit ihnen machen...“, Pestalozzi („Lernen mit Kopf,
Herz und Hand“), Fröbel („So soll Arbeit, Unterricht
und Spiel ein ungestücktes Lebensganzes und ... Grund eines
künftig ungeteilten, tatkräftigen, einsichtigen und
freudigen Lebens werden.“ oder Reformpädagogen des
20. Jahrhunderts herangezogen werden, sie alle versuchen, Lernen
und Handeln miteinander in einen produktiven Bezug zu setzen.
Aber keiner dieser Versuche war so konsequent wie der Ansatz John
Deweys. Der von ihm und anderen (vor allem W. James, C.S. Peirce,
G.H. Mead) schon Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
entwickelte Pragmatismus stellte das Handeln, die Erfahrung, die
experimentell ausgerichtet ist (experience), in eine grundsätzlich
vermittelnde Position zur Erkenntnis. Dabei wurde auch die konstruktive
Seite der menschlichen Wirklichkeitsauffassung betont, weshalb
Pragmatismus und Konstruktivismus viele Überschneidungen
aufweisen. [Vgl. einführend z.B. Hickman, L./Neubert, S./Reich,
K.: John Dewey – zwischen Pragmatismus und Konstruktivismus.
Münster (Waxmann) 2003] Weil Handeln im Pragmatismus als
Voraussetzung oder Ziel des Erkennens betrachtet wird, ist es
auch Grundlage für alle Formen des Lernens, insbesondere
auch für schulisches Lernen. Dewey weist für die Pädagogik
darauf hin, dass das Lernen an realen Handlungsabläufen und
tatsächlichen Problemsituationen, die lösungsorientiert
bearbeitet werden, für die Entwicklung der Persönlichkeit
der Lernenden am wichtigsten ist. In seinen umfassenden Arbeiten
zum Wissenserwerb, zum Verhältnis von Natur und Entwicklung,
zu Impulsen und „Habits“, zu Demokratie und Erziehung,
zu Kunst und Kultur, legte Dewey den Grundstein für eine
veränderte Pädagogik, die eine partizipative und emanzipatorische
Gestaltung des Lernens begründet. Dies ist im deutschen Sprachraum,
in dem zunächst weniger radikal-demokratisch orientierte
Ansätze vorherrschten, wenig rezipiert worden. Die sehr schlechten
Dewey-Übersetzungen taten ein Übriges dazu, dass sein
Ansatz nur verstümmelt und inkohärent aufgefasst wurde,
was sich bis heute als ein Dilemma erweist. So unterliegen bis
in gegenwärtige deutsche Diskussion die theoretischen Grundlagen
für die politische und wissenschaftliche Konzeption der Projektmethode
vielen Unklarheiten und Vorurteilen.
Dewey und sein pädagogischer Kollege Kilpatrick verstehen
Projektarbeit in einem umfassenden Sinn als eine Philosophie der
Erziehung, wobei Dewey stärker als Kilpatrick auch den demokratischen
Charakter der Methode auf dem Hintergrund seiner Kulturtheorie
betont. Für ihn ist es selbstverständlich, dass ein
Lerner nur Demokratie erlernen kann, wenn er selbst sein Handeln
in demokratischen Prozessen erleben kann. Insoweit ist es entscheidend,
dass dem Lerner nie ein Projekt von außen aufgedrückt
wird, sondern er selbst muss Stellung und ein eigenes Engagement
beziehen können. Dewey liegt es grundsätzlich fern,
Projektarbeit als bloße Technik zu instrumentalisieren.
In Dewey/Kilpatrick definiert Kilpatrick ein Projekt als „aus
ganzem Herzen gewolltes, von einer Absicht erfülltes Handeln
(wholehearted purposeful activity), das sich in einer sozialen
Umgebung vollzieht, oder kürzer, im Hinblick auf das einheitliche
Element solcher Tätigkeit, als ernsthaftes, absichtsvolles
Tun (hearty purposeful act). Gerade auf dieses absichtsvolle Handeln,
mit der Betonung auf dem Wort Absicht, wende ich den Ausdruck
»Projekt« an“ (Dewey/Kilpatrick 1935, 162).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Projekt im
Sinne von Dewey und Kilpatrick immer als planvolles Handeln stattfindet,
getragen von persönlichem Antrieb und eingebunden in ein
soziales Milieu (auch außerschulisch). Wobei der Sinn des
Augenblicks aus der Lösung eigener oder mit gewählter
Aufgabenstellung selbst geschaffen wird. Das beabsichtigte Erziehungsziel
ist dabei die Mündigkeit des Lernenden in demokratischen
Strukturen und die Entwicklung der Persönlichkeit.
Der
Projektgedanke taucht in verschiedenen reformpädagogischen
Ansätzen auf. Er erscheint z.B. bei den von dem russischen
Pädagogen Anton Makarenko (1888-1939) eingerichteten Arbeitsschulen
in der Sowjetunion, wenn auch der Aspekt der Demokratie anders
als bei Dewey, der einen dritten Weg (weder Kapitalismus noch
Stalinismus) propagierte, hier keine entscheidende Rolle spielen
konnte. Durch die klare handlungstheoretische Perspektive des
Projektgedankens gab es jedoch eine Nähe zur Arbeitsschulbewegung.
Die Reformpädagogik in Deutschland hat Elemente des Projektgedankens
von Dewey/Kilpatrick in unterschiedliche Reformansätze aufgenommen.
So war es Peter Petersen, der 17 Jahre nach Erscheinen in den
USA das Buch „The Project Method“ zur Übersetzung
ins Deutsche in Auftrag gab, wo es erstmals 1935 veröffentlicht
wurde. Die deutsche Reformpädagogik, die in ihren Ideen,
Theorien und Motiven bekanntlich sehr heterogen war, hat allerdings
durchgängig das demokratische Grundmotiv des Projektgedankens
vernachlässigt. So ist der Projektgedanke in Deutschland
eigentlich erst in den 1960er und 70er Jahren – teilweise
auch im Kontext mit der Studentenbewegung – genauer rezipiert
worden. In den Reformvorschlägen zur Neugestaltung der Hauptschule
und der gymnasialen Oberstufe, beim Aufbau der Gesamt(hoch)schulen
und bei Universitätsgründungen spielt seitdem der Projektgedanke
eine gewisse Rolle. Dennoch hat sich die Projektmethode weder
in der Schule noch der Hochschule bis heute als Standard durchsetzen
können, die Idee blieb bisher auf wenige Einzelprojekte beschränkt.
Die
Rezeption der Projektarbeit wird in Deutschland durch etliche
Missverständnisse und merkwürdige Deutungen erschwert.
So legt z.B. insbesondere Michael Knoll großen Wert darauf,
dass die Projektarbeit in der Bildungspraxis schon sehr viel älter
als der Entwurf von Dewey und Kilpatrick sei. Er verweist dabei
z.B. auf die römische Academia di San Luca, die bereits seit
1596 Wettbewerbe für Studenten veranstaltete, in denen es
um die Bearbeitung einer Aufgabe unter möglichst realistischen
Bedingungen ging (z.B. Entwurf einer Kirche). 1702 hatten sich
diese Wettbewerbe soweit etabliert, dass sie regelmäßig
durchgeführt wurden – und: sie wurden „Projects“
genannt. In Frankreich gab es solche regelmäßigen Wettbewerbe
an der Pariser Académie Royale d´Architecture seit
1763, ebenfalls verpflichtend für alle Studenten. [Vgl. Knoll,
M.: 300 Jahre lernen am Projekt. In: Pädagogik, 8/1993, 53
ff.] Nach und nach wurde das Lernen am Projekt von anderen Hochschulen
und Berufsgruppen übernommen und breitete sich über
Europa und später nach Amerika aus, wo es, durch die Entwicklung
des Pragmatismus, auf fruchtbaren Boden fiel und von Dewey und
Kilpatrick in einen pragmatischen Bildungsbegriff eingearbeitet
wurde. Deshalb bezeichnet Michael Knoll den Titel „Vater
der Projektmethode“ für Dewey als Missverständnis
und verweist darauf, dass das Lernen durch die Arbeit an einem
Projekt sich zuerst im 18. Jahrhundert in Europa etabliert hat
und das Dewey nie eine differenzierte Theorie und Begründung
der Projektmethode entwickelt hätte. Wenn man den Artikel
von Knoll über „Grundmodelle des Projektunterrichts“
[Knoll, M.: „Grundmodelle des Projektunterrichts. Versuch
zur Klärung eines unübersichtlichen Konzepts. In: http://www.paedagogischeshandeln.de/ForPrax1_2000htm#P1]
liest, wird deutlich, dass seine Kritik ein Problem deutlich macht,
welches die Diskussion um die Projektmethode und ihren praktischen
Einsatz immer wieder behindert: Die Definition des Begriffs „Projektarbeit“.
Knoll bezeichnet nämlich Deweys Ansatz nicht als Projektmethode,
sondern als Problemmethode. Die Konzepte, die Knoll als Projektmethode
darstellt, sind allerdings im Sinne der von Dewey gemeinten und
der hier dargestellten konstruktivistischen Didaktik keine Projektmethode.
Dieses Dilemma findet sich in vielen Diskussionen und Bereichen
wieder. Oftmals findet sich die Ansicht, dass alles, was handlungsorientierte
Arbeit an einem Thema ist, auch gleichzeitig Projektmethode ist.
Ebenso wird der situationsbezogene Ansatz in der thematischen
Arbeit z.B. in Kindergärten gerne als Projektarbeit bezeichnet.
Die Projektmethode ist jedoch bei Dewey und auch in der konstruktivistischen
Arbeit mehr: Sieht man sich die Elemente und den Ablauf an, die
Projektarbeit ausmachen, und vergleicht diese mit den Ansätzen,
die sich auch als Projektmethode bezeichnen, so wird in den meisten
Fällen sofort deutlich, dass der demokratische Gedanke ganz
oder teilweise vernachlässigt wird. Die Lerner sollen zwar
selbst tätig sein, die Tätigkeit bzw. das Thema/Ziel
jedoch wird vorgegeben. Aber auch andere Elemente werden verkürzt
oder vergessen. So gibt es durchaus auch „Projekte“,
die nicht einmal die Komplexität der Arbeit zulassen, sondern
von den Lehrern bloß aufgeteilt und zugeteilt werden. Dies
deckt sich mit der Verkürzung des Projektgedankens, dem schon
viele Reformpädagogen erlagen.
Gegen Knoll muss man sagen, dass Dewey gar kein Interesse daran
hat, ein „Vater der Projektidee“ zu sein. Sein Beitrag
ist ohnehin umfassender und grundsätzlicher, und es ist bedauernswert,
dass der grundsätzlich neue Ansatz bei Dewey bisher in der
deutschen Diskussion so wenig gesehen werden kann.
Die theoretische Begründung der Projektarbeit ist bis heute
wichtig. Allerdings ist erkennbar, dass Pädagogen immer wieder
zu neuen Terminologien greifen, um das bereits von Dewey umfassend
artikulierte Verständnis auszudrücken. Ein Beispiel
von vielen soll hier genannt werden: So bezeichnete Heinrich Biermann,
Leiter des Gymnasiums Pulheim, 1999 bei einem Vortrag auf der
„didacta“ in Köln das projektbezogene Lehr- bzw.
Lernverständnis als „Emanzipation von ADAM zu EVA“:
Wenn Lehrende den Lernenden vorgefertigtes Wissen eintrichtern,
steht das für ADAM (= Alles Durch Anweisung Machen). Demgegenüber
steht EVA für EigenVerantwortliches Arbeiten. Der Projektgedanke
basiert auf der Vorstellung, dass Lernen ein aktiver Prozess seitens
des Lernenden ist, der dann besonders wirksam ist, wenn das Lernen
an realen Handlungsabläufen in einer selbständigen Themenbearbeitung
erfolgt. Lernen als intelligente Selbstführung mit dem ausgesprochenen
Erziehungsziel des mündigen Bürgers, Demokratie nicht
bloß als Regierungs-, sondern als Lebensform. Demokratie
beim Lernen bedeutet, dass der Lernende ein Maximum an Bewusstheit,
an intellektueller Verantwortung für den eigenen Lernprozess,
die Auswahl von Zielen, Unterrichtsmaterialien und Lernwegen entwickelt.
In eine ähnliche Richtung weisen schon länger auch die
Arbeiten von Hartmut von Hentig und der Laborschule Bielefeld.
Wer den Ursprung dieser Ideen nachvollziehen will, der sei auf
Dewey verwiesen: insbesondere „The School and Society“
und „Democracy and Education“ (bitte auf englisch
lesen, da es keine geeigneten Übersetzungen gibt!).
3.2. Praktische Begründung
Das
selbständige zielorientierte Arbeiten einer Gruppe an einem
Projekt ist in außerschulischen Bereichen ein schon lange
Zeit anerkanntes und oft selbstverständlich praktiziertes
Verfahren: ob in der Jugendsozialarbeit, bei Bürgerinitiativen
oder in den Chefetagen großer Unternehmen, hier und in vielen
anderen Bereichen wird Projektarbeit praktiziert. Sozialforscher
gehen davon aus, dass sich dieser Trend sowohl im beruflichen
Bereich als auch im Bereich der informellen Arbeit (ehrenamtliches,
bürgerschaftliches Engagement) noch verstärken wird,
da die zeitliche und personale Begrenzung dem Tätigkeitsverständnis
(Individualität, Mobilität) in der globalisierten, postmodernen
Gesellschaft ebenso entgegenkommt wie die Bearbeitung eines Projektes
in allen seinen Schritten durch ein Team (Ganzheitlichkeit).
Die Entwicklung der Projektmethode als Unterrichtsmethode ist
der Versuch, diese ganzheitliche Form des Arbeitens und Lernens
auch im Bereich von Schule und Studium zu etablieren. Das Arbeiten
in einer Lerngruppe in Form eines Projektes bietet eine gute Möglichkeit
für das Erlernen und Einüben kooperativer, selbstorganisierter
Arbeits- und Lernformen. Während sich bei herkömmlichen
Methoden der Wissensvermittlung fast immer die Frage stellt, wie
möglichst viele der Lernenden „unter einen Hut“
zu bekommen sind, ist bei der Projektmethode eine heterogene Lerngruppe
der beste Garant für eine interessante und konstruktive Arbeit
und intensive Lernerfahrungen: Jeder einzelne Lernende kann durch
seine individuellen Stärken, sein Wissen und seine Lerntechniken
die Arbeit der Gruppe bereichern. Die Verbindung von Theorie und
Praxis ermöglicht der Lerngruppe durch ihr aktives, gemeinsames
Tun Lernerfahrungen, die weit über bloßes Anhäufen
von Fachwissen hinaus gehen.
Der Einzelne kann in der (selbstgewählten) Projektgruppe
seine individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten einbringen
und erweitern. Gleichzeitig gestaltet er den Entwicklungsprozess
von der Problem- und Zielformulierung bis zur Präsentation
eines Ergebnisses aktiv mit, was im Gegensatz zu herkömmlichen
Arbeitsweisen (bloßes Anhäufen von theoretischem Wissen,
Abkoppeln einzelner Arbeitsschritte vom Ganzen) meist zu einer
stärkeren Identifikation führt, die sich in hohem Engagement
und Verantwortungsgefühl äußert. Die zeitliche
Begrenzung ermöglicht es dem Einzelnen – insbesondere
im Bereich des freiwilligen Engagements – aktuelle Interessen
und biografische Bezüge in die Wahl des Projektes bzw. der
Projektgruppe einzubeziehen. Das gemeinsame Arbeiten der Gruppe
schult die Fähigkeiten in Kommunikation, Kooperation, sowie
im Umgang mit Konflikten und Kritik (Umgang mit Kritik, wertschätzende
Kritik) und fördert somit die Teamfähigkeit. Durch die
gemeinsame, problemorientierte Auseinandersetzung mit einer komplexen
Aufgabe in allen Arbeitsphasen werden Fähigkeiten in Planung,
Analyse, Problemlösung, sowie übergreifendes Denken
und die Dokumentationsfähigkeit vermittelt und erweitert.
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