Pavel Pavlovitsch Pirkovskij-ter-Prytynkovich, 2.2.1913, to Clara Wieth

(English translation at the bottom of the page)


[Letter postmarked on 2.2.1913]

Gnädige Herrin

Clara Wieth,

für Sie ist es natürlich nichts Neues, Briefe zu bekommen, also erhalten Sie bitte auch den meinen… aus dem fernen Russland. Ich schreibe ein wenig zu Ihrem Spiel, das ich mir im cinema [orig. lat.] anschaue. Von Ihrem Spiel verzaubert, voller Ehrfurcht vor Ihrem Talent im Spiel und sonstigem im Leben, habe ich aus Ihnen, Liebes – wenn Sie mir erlauben, Sie so zu nennen, mein Idol, einen Gott, mein Ideal erschaffen, nach dem ich so lange vergeblich gesucht hatte. Was für ein bewundernswertes, wunderschönes und verführerisches Spiel, welch ein Zusammenspiel der Farben, Rhythmus der Bewegungen, Harmonie der Linien, – das alles ist es wert, vom Pinsel des Malers (oder Künstlers) verewigt zu werden. Was mir sonst bleibt, Liebes, ist nach Ihrer Fotokarte zu fragen, um zu ehren…

Meinen Gott, um vor meinem Idol und meinem Ideal niederzuknien und in meinen Träumereien bis zu den zauberhaften Schlössern zu gelangen… Lassen Sie die Prosa – und werden Sie zum Maler des Lebens, denn das Leben des Malers ist die Schönheit, die junge, die ewige. Versuchen Sie nicht, ein Genie im Spiel zu sein, denn so werden Sie, Meisterwerke schaffend, sich zugrunde richten, werden Sie nur mittelmäßig im Leben sein, so ist der Tod besser als Mittelmaß. Tun Sie das nicht, zerstören Sie nicht das Zusammenspiel der Farben, die Harmonie der Bewegungen. Beim Anblick Ihres Spiels ist es mir wohl, als ob ich ein altes, weit entferntes Märchen erlebe. Und hierin liegt der ganze Zauber! Von irgendwoher kommen entfernte liebe Erinnerungen, es strömt die Frische des Morgens, des Morgens des Lebens! Und das alles, weil Sie nah an diesen Träumen sind. Ihre Augen – sie ziehen in ihren Sog, in ihnen liegt ein heller Abgrund.

Es ist schön, Liebes, zu träumen! In den Träumen liegt das Leben. Ich erinnere mich, irgendwo an das Gedicht:

»Im Märchen blüht der Stein
Im Märchen singt die Rose
Und das Schicksal – ein Recke, der viel Glück bringt

So sind auch die Träume, wie ein Märchen. In ihnen ist das Leben, das Glück!

Sie und ich, wir lieben zu träumen, so scheint es mir, lieben und leben durch Träume. Wie verführerisch scheint mir der weit entfernte Leuchtturm, wenn ich durch das stürmische Meer des Lebens treibe, müde und gebrochen. Und wie selten schafft man es, ihn zu erreichen. Wie selten sind im Leben diese Tage, wann könnte ich Sie sehen… wer ist daran schuld? Vielleicht ist es besser so, schauen Sie, wie entfernt meine Freude ist von jeglicher Abgedroschenheit, jedweder Spießigkeit. Wie schön ist das Bewusstsein eines freien Gefühls, eines vollen und makellosen…

Und nichts steht im Wege! Nimm das Leben an, so wie es ist und denk nicht darüber nach, was sein könnte!...

Ihr Spiel genießend, es im cinema sehend, oh, diese Tage… Wie viel Anmut und Zauber lagen in diesen sorglosen und bebenden Tagen, so mitreißend, dass es weder Vergangenheit noch Zukunft gab. Die Geister der Vergangenheit sind irgendwohin abgerückt und über der Zukunft hing kein schwerer Vor­hang der Ungewissheit. Alles war klar, alles war einfach. Seien Sie fröhlich, Traurigkeit und Sorge sind nicht nötig. Für Sie nur Freude, eine lärmende, fröhliche, helle Freude! Denken Sie daran und seien Sie dessen bewusst: Denn unser Schicksal ist gleich, so scheint es mir. Wir haben bloß Minuten, Augen­blicke, kurze Aufenthalte und wir sollten kennen nur diese …

… Minuten und Augenblicke. Unser Leben wird nicht von vorne anfangen. Mit Ihnen sollen nur Freude und Fröhlichkeit weilen!

Ich warte auf eine Antwort, Liebes; und könnten ich und noch ein Kamerad als Schauspieler bei »Nordisk« anfangen? Antworten Sie, zerstören Sie keine Träume, denn nur durch diese lebe ich… Ich kann Deutsch, Französisch und etwas Englisch lesen, beurteilen Sie bitte selbst, ich habe eine Bildungseinrichtung mittlerer Stufe besucht.

Ich drücke Ihre Hände, Liebes.

Auf Wiedersehen, wahrscheinlich bald!

Russland, Skopin, Rjasan.
Drovjanaja, Straße I.W. Borisova
An Pavel Pavlovitsch Pirkovskij-ter-Prytynkovich.

[Übersetzt aus dem Russischen von Elena Brandenburg]



[Letter postmarked on 2.2.1913]

Gracious mistress

Clara Wieth,

for you, of course, it's nothing new to receive letters, so please receive mine... from far away Russia. I write a little about your game, which I watch in the cinema. Enchanted by your play, in awe of your talent in play and otherwise in life, I have created from you, dear – if you will allow me to call you so, my idol, a god, my ideal, for which I had searched in vain for so long. What an admirable, beautiful and seductive play, what an interplay of colors, rhythm of movements, harmony of lines, – all this is worthy of being immortalized by the painter's (or artist's) brush. What else remains for me, dear, is to ask for your photo card to honor....

My God, to kneel before my idol and my ideal, and in my reveries to reach the enchanting castles... Leave the prose – and become the painter of life, because the life of the painter is the beauty, the young, the eternal. Do not try to be a genius in the game, because in this way, creating masterpieces, you will ruin yourself, you will be only mediocre in life, so death is better than mediocrity. Do not do that, do not destroy the interplay of colors, the harmony of movements. Watching your play, I feel as if I am experiencing an old, distant fairy tale. And therein lies all the magic! From somewhere distant dear memories come, the freshness of the morning, the morning of life flows! And all this because you are close to these dreams. Your eyes – they pull in their maelstrom, in them lies a bright abyss.

It is beautiful, dear, to dream! In dreams lies life. I remember, somewhere, the poem:

In fairy tale the stone blooms
In the fairy tale the rose sings
And fate - a knight who brings good luck

Dreams are like that, like a fairy tale. In them is life, happiness!

You and I, we love to dream, it seems to me, love and live through dreams. How seductive the distant lighthouse seems to me when I drift through the stormy sea of life, tired and broken. And how rarely one manages to reach it. How rare in life are these days, when could I see you... who is to blame? Perhaps it is better this way, look how distant my joy is from any hackneyedness, any stuffiness. How beautiful is the consciousness of a free feeling, of a full and immaculate...

And nothing stands in the way! Accept life as it is and don't think about what could be!...

Enjoying their game, seeing it in the cinema, oh, those days... How much grace and magic lay in those carefree and quivering days, so stirring that there was neither past nor future. The ghosts of the past moved away somewhere and no heavy curtain of uncertainty hung over the future. Everything was clear, everything was simple. Be joyful, sadness and worry are not necessary. For you only joy, a noisy, joyful, bright joy! Remember this and be aware of it: for our destiny is the same, it seems to me. We have mere minutes, moments, short stays and we should know only these ...

... minutes and moments. Our life will not start from scratch. With you shall dwell only joy and happiness!

I am waiting for an answer, dear; and could I and another comrade start as actors in »Nordisk«? Answer, do not destroy dreams, because only through them I live... I can read German, French and some English, please judge for yourself, I attended an educational institution of intermediate level.

I squeeze your hands, dear.

See you again, probably soon!

Russia, Skopin, Rjasan.
Drovjanaja, Road I.W. Borisova
To Pavel Pavlovitsch Pirkovskij-ter-Prytynkovich.

letter from Pavel Pavlovitsch

(DFI, Clara Pontoppidan collection, no. 114)