Veranstaltungen 2016
Handbuchwissen. Die Fotografie als angewandte Wissenschaft
Workshop, 7. / 8. April 2016
Universität zu Köln, Gremienraum Klosterstraße 79b, 1. OG, 50931 Köln
Während das Aufkommen des neuen Mediums Fotografie um 1839 in der Fotogeschichtsschreibung
meist in den Registern älterer Darstellungsmedien - wie der Malerei - verortet wurde, begreift
das von der DFG geförderte Forschungsprojekt* dessen Entwicklung, Diskursivierung und Propagierung
auf der Folie des bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts prävalenten, auf die industrielle Entwicklung
abzielenden polytechnischen Wissens.
Kein Medium eignet sich so sehr dazu, etwas über die Rolle der angewandten Wissenschaften als Modell
des neuen Aufzeichnungsverfahrens zu erfahren als die fotografische Handbuchliteratur. Wurde in Handbüchern,
Traktaten, Anleitungstexten doch nicht nur mittels der Einführung in die Verfahrenstechnik die Einübung
in die Handhabung der Fotografie vermittelt; in der Anleitungsliteratur sedimentierten sich gleichermaßen
die epistemischen Grundlagen des anwendungsbezogenen Wissens. Zu diesen zählen die Modalitäten der
Wissensvermittlung und der inhaltliche Aufbau der Publikationen ebenso wie die als Grundlage der
Fotohistoriografie zu bezeichnenden einleitenden historischen Abrisse und die wissensvermittelnden
Informations- und Anleitungszeichnungen.
Das Studium von fotografischen Handbüchern erlaubt darüber hinaus die Veränderungen der Wissensproduktion
im Laufe des 19. Jahrhunderts sowie die Ausdifferenzierung des Mediums Fotografie in vielfältige
Anwendungsbereiche und damit Wissensfelder nachzuvollziehen. Zu diesen Transformationsprozessen gehört
nicht zuletzt, dass sich aus chemotechnischen, ästhetische Diskurse herauszuschälen beginnen. Ziel der
Veranstaltung ist es, die aus unterschiedlichen Untersuchungszusammenhängen gewonnenen Aspekte von
Handbuchwissen aufeinander zu beziehen und zu diskutieren.
Vortragende:
Mag.a Manuela Fellner-Feldhaus, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Historisches Archiv Krupp, Essen
Die Metaphorik des Lichts. Joseph Petzvals Beitrag zur Fotografie als angewandte Wissenschaft
Der Mathematiker, Physiker und Fotograf Joseph Petzval (1807-1891) zählt zu den zentralen Protagonisten der frühen Fotografie in Österreich. Bereits im Herbst 1839 begann er sich mit den Fragen der fotografischen Optik zu beschäftigen. Im Mai 1840 hatte er seine theoretischen Berechnungen für ein Porträt und ein Landschaftsobjektiv abgeschlossen und liefert damit einen bahnbrechenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Fotografie.
PD Dr. Dr. Erna Fiorentini, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, HU Berlin
Zwischen Skepsis und Praxis - Optische Zeichenhilfen in Lehrbüchern 1800-1850
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet eine wesentliche Diskussion der Aufzeichensysteme statt, die wie die optischen Zeichenhilfen die Wiedergabe des Naturbildes unterstützen sollen. Lehrbücher, gedacht für verschiedene Bereiche des Zeichnens, differenzieren kritisch zwischen der Präzision dieser optischen Hilfsmittel und der visuellen Urteilsschulung, die sie für den Zeichenprozess erfordern. Die dabei deutlich geäußerte Skepsis bleibt jedoch der Praxis des Zeichnens weitgehend fremd.
Michael Kempf, M.A., Deutsches Museum München und Kunsthistorisches Institut der
Universität zu Köln, Geschichte und Theorie der Fotografie
Fotografie als Kriegswissenschaft. Handbücher zur Luftaufklärung im Ersten Weltkrieg
Das Luftbild wurde im Ersten Weltkrieg zum wichtigsten Instrument der Aufklärung, da die Kamera Details aufzeichnete, die dem bloßen Auge entgingen. Die indifferente Wiedergabe des Terrains auf den Aufnahmen machte jedoch umfangreiche Bearbeitungen erforderlich, damit der Gegner sichtbar wurde. In der "Bildmeldung" sollten sich verschiedenartige Repräsentationen der Kriegslandschaft - Karte, Fotografie und Beschreibung - zu einer multiperspektivischen Ansicht ergänzen. Die dafür notwendigen Verfahren und Bildstrategien werden anhand der Lehrbücher für die Auswerter und Beobachter vorgestellt.
Dagmar Keultjes, M.A., Kunsthistorisches Institut in Florenz und Kunsthistorisches
Institut der Universität zu Köln, Geschichte und Theorie der Fotografie
Freiraum Dunkelkammer? Regeln der Retusche in Handbüchern des 19. Jahrhunderts
Verpönt aber dennoch unabdingbar, gehörte die Retusche in vielen Ateliers des 19. Jahrhunderts zum täglichen Arbeitsprozess. Zahlreich erschienen die Porträtierten glatt wie "Billiardbälle" auf dem fertigen Abzug. Der Vortrag untersucht, inwiefern das Auftauchen der Retuschehandbücher als eigenes Genre mit der Notwendigkeit verknüpft war, die Anwendung der Retusche nicht allein zu legitimieren, sondern vielmehr ihre Qualität durch die Lehre von Regeln zu erhöhen. Als Fallbeispiele werden Handbücher von Johannes Grasshoff (1868) und Dankmar Schultz-Hencke (1890) vorgestellt. Die darin formulierten theoretischen Anweisungen werden anhand von Negativen, datiert um 1870-1900, überprüft.
Anna Lohs, B.A., Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln, Geschichte und Theorie der Fotografie
Anweisungszeichnungen. Illustrationen in fotografischen Handbüchern
Die Visualisierung von Wissen spielt im wissenschaftlichen Kontext eine zentrale Rolle: Als Bedeutungsträger können Illustrationen dem Rezipienten wesentliche Inhalte unmittelbar vor Augen führen. Vor diesem Hintergrund will der Vortrag die Rolle von Illustrationen hinsichtlich ihrer Funktion innerhalb fotografisch-chemischer Handbücher des 19. Jahrhunderts herausarbeiten. Dies erfolgt durch einen systematischen Vergleich und eine Kategorisierung der verschiedenen Darstellungsmodalitäten.
Mag.a Ulrike Matzer, Akademie der bildenden Künste, Wien
Institutionalisierter Wissenstransfer. Josef Maria Eders "Ausführliches Handbuch der Photographie" (1884-1932) und das Versuchswesen in Wien
Bereits für Eders Zeitgenossen war die komplexe Edition des vielbändigen, vielfach neu aufgelegten und neu bearbeiteten Handbuchs kaum zu überblicken. Dennoch war es von nachhaltiger Wirkung. Vor allem die "Geschichte der Photographie" als einer der ältesten Teile ist als Quellensammlung noch heute gültig. Eders ausuferndes Unterfangen war freilich abhängig von Informationen aus erster Hand. Der Vortrag wird den institutionalisierten Wissenstransfer als Voraussetzung der Handbuch-Edition beleuchten.
Paul-Louis Roubert, Maître de conférence, Universität Paris VIII und Präsident der Société française de photographie, Paris
" Ceci tuera cela… ": le déclin de la pratique du daguerréotype en France à travers les publications des amateurs
Plus que par l'analyse des corpus d'images, l'observation du déclin de la pratique du daguerréotype en France entre 1847 et 1855 peut se fait à travers les publications des photographes amateurs qui dès le milieu des années 1840 commencent à faire circuler, grâce aux fabricants de matériels, des informations sur les alternatives techniques venues d'Angleterre. Avant que des revues ne prennent le relais, ces Mélanges, Mémoires ou autres Manuels sont une source précieuse afin de mesurer l'agitation technique qui atteint alors le milieu photographique français. "Dies wird jenes töten...": Der Niedergang der Daguerreotypie in Frankreich durch die Publikationen von Amateuren Mehr noch als durch die Analyse von Bildersammlungen lässt sich der Niedergang der Praxis der Daguerreotypie in Frankreich zwischen 1847 und 1855 anhand der Publikationen von Amateurfotografen verfolgen, die seit der Mitte der 1840er Jahren begannen, dank der Fabrikanten von fotografischen Materialien, Informationen über die aus England kommenden technischen Alternativen in Umlauf zu bringen. Bevor Zeitschriften diese Aufgabe übernahmen, sind diese Mélanges, Mémoires oder andere Manuels (Handbücher) eine wertvolle Quelle, um die technischen Neuerungen zu ermessen, die damals den Bereich der Fotografie erschütterten.
Carina Sperber, B.A., Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln, Geschichte und Theorie der Fotografie
Modalitäten des Selbst. Parameter der frühen Porträtfotografie in der Handbuchliteratur der 1840er und 1850er Jahre
Bereits kurz nach Veröffentlichung des fotografischen Verfahrens zeichnen sich die Parameter der frühen Porträtfotografie in der Handbuchliteratur ab. Man beginnt sich dieser in einer selbstständigen Problematisierung anzunähern, die zwischen Vera ikon und Unschärfe changiert und sich zwischen Setting, Raum, Zeit, Licht, Technik, Körperlichkeit und Blick aufspannt. Anhand der Handbuchliteratur der 1840er und 1850er Jahre soll der Versuch unternommen werden, einen Shift in der Porträtattitude nachzuvollziehen.
Prof. Dr. Herta Wolf, Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln, Geschichte und Theorie der Fotografie
Übersetzungen - Wissenstranspositionen in frühen fotografischen Handbüchern
In der Frühzeit der Fotografie erschienen die Ergebnisse von verfahrenstechnischen fotografischen Operationen eines Autors häufig in mehreren, unterschiedliche Leserkreise adressierenden Printmedien. Als selbständige Traktate oder von ihren Autoren oder Kompilatoren zu Handbüchern erweitert, wurden sie in dieser Printvielfalt wiederum in andere Sprachen übertragen. Damit wurde zum einen dem Verbreitungspostulat der angewandten bzw. polytechnischen Wissenschaften des frühen 19. Jahrhunderts Genüge getan. Zum anderen lässt sich diese Wissensdissemination als Blaupause der Migration und Rekombination von chemo-technischem, optischem und zeichnerischem Wissen lesen, die nicht nur ein auf heterokliten Kenntnissen beruhendes Aufzeichnungsverfahren wie die Fotografie erst hat entdecken, sondern auch weiterentwickeln und schließlich ausdifferenzieren lassen.
Unter dem Titel "Polytechnisches Wissen: Fotografische Handbücher 1839 bis 1918" erscheinen die Vorträge von Herta Wolf, Paul-Louis Roubert, Carina Sperber, Dagmar Keultjes und Michael Kempf 2018 als Themenheft der Zeitschrift Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie.