3.
Theoretische und praktische Begründung
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3.1. theoretische Begründung
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3.1. Theoretische Begründung
Entstehung der Methode
Das Storyline – Modell wurde 1965 in Schottland als Antwort auf ein, vom Scottish Office Education Department (SOED) [heute Scottish Executive Education Department (SEED) ], neu entworfenes Curriculum für die Primarschule [sie umfasst in Schottland die Klassen 1-7] entwickelt. Der neue Lehrplan sah vor, dass die bis dahin stark fragmentarisierten Unterrichtseinheiten in ein ganzheitliches Gefüge integriert werden sollten. Dabei sollte den Schülern ein fächerüberreifendes und kontextualisiertes Lernen, insbesondere in den natur- und geisteswissenschaftlichen, sowie in den darstellenden Fächern ermöglicht werden. Im Originaltext des Primary Memorandums heißt es:
The curriculum is not to be thought of as a number of discrete subjects, each requiring a specific allocation of time each week or each month. Indeed, it is quite impossible to treat the subjects of the curriculum in isolation from one another if education is to be meaningful to the child. […] Thus linguistic and mathematical skills find application in environmental studies; art and craft activities, drama and music play a part in history and geography; projects and centres of interest embrace many different branches of the curriculum. “Integration” of this kind should be a feature of primary education at all stages. (SOED zit. nach Cresswell 1997, xiv, Hervorhebung im Originaltext)
Da es vom Ministerium keine Vorschläge zur praktischen Umsetzung gab, konzipierte ein Team von Erziehungswissenschaftlern (Steve Bell, Sallie Harkness, Fred Rendell) am Jordanhill College of Education in Glasgow [das Jordanhill College of Education ist seit 1993 in die University of Strathclyde integriert], in Zusammenarbeit mit Lehrkräften, das Konzept der ganzheitlichen Themenarbeit (Topic Work). Daraus entwickelte sich die Storyline-Methode. Der Ansatz etablierte sich in Schottland in den 1970er Jahren und wurde zu Beginn der 1980er Jahre auch in Deutschland unter dem Namen Methode Glasgow bekannt. 1986 formierte sich The European Association for Educational Design, eine internationale Vereinigung, die diesen methodischen Ansatz vertritt. In Schottland ist man mittlerweile dazu übergegangen, die Autonomie der lokalen Schulbehörden zu stärken. Dies hat unter anderem zur Folge, dass vereinzelt wieder mehr auf traditionelle Lernergebnisse abgezielt wird und Lernprozesse aus dem Blickfeld geraten. Für die Storyline-Methode bedeutet das, dass sie, zumindest für die administrative Seite, wieder an Bedeutung verliert. Dennoch wird das Modell weltweit in über 20 Ländern, wenn auch nie flächendeckend sondern oft nur punktuell, angewendet. Führend sind nach Schottland die skandinavischen Länder, die Niederlande und der Westen der USA. In Deutschland spielt Storyline eine eher untergeordnete Rolle, es existieren aber lokale Zentren in Hamburg, Schleswig Holstein und in Freiburg.
Verwandte Ansätze
Die Storyline-Methode wurde vor beinahe 40 Jahren entwickelt. Sie basiert, wie in der Entstehungsgeschichte erwähnt, auf dem Modell der ganzheitlichen Themenarbeit und findet Entsprechungen in neueren Ansätzen der Situated-Cognition-Bewegung. Um die Methode Glasgow besser einordnen zu können, sollen die ihr verwandten Ansätze kurz erläutert werden.
Topic Work
Topic Work (auch thematic webbing genannt) bezeichnet eine Art des fächerübergreifenden Unterrichts. Ausgehend von einem zentralen Thema werden Unterthemen für die verschiedenen Unterrichtsfächer abgeleitet. Die Subthemen werden mit Hilfe unterschiedlicher Aktivitäten erkundet. Es entsteht ein Netz von Themen und Aktivitäten, die in sich, inhaltlich und zeitlich unabhängig voneinander bearbeitet werden können. Die vielfältigen Verknüpfungen ermöglichen es, in anderen Zusammenhängen erworbenes Wissen wieder aufzugreifen und im Sinne eines Spiralcurriculums zu erweitern. Beispiel für ein Topic Web: Neuere Ansätze aus der kognitiven Lerntheorie, wie die Cognitive Flexibility Theory (Spiro at al.1988), greifen das Modell vom Lernen in thematischen Netzwerken auf. Der Ansatz besagt u.a., dass Übervereinfachungen durch das Einnehmen multipler Perspektiven vermieden werden können, insbesondere um das Entstehen von Fehlkonzepten und eindimensionalem Denken zu vermeiden. (Vgl. z.B. URL: http://ed-web3.educ.msu.edu/newed/spring02/faculty1.htm) Die Cognitive Flexibility Theory ist ein Ansatz innerhalb des situierten Lernens.
Neben der Cognitive Flexibility Theory gehören auch der Cognitive Apprentice-ship Ansatz und der Anchored Instruction Ansatz zum situierten Lernen. Situiertes Lernen geht davon aus, dass menschliches Handeln kontextabhängig ist. Es findet statt, wenn authentische Probleme in einer wirklichkeitsgetreuen Umgebung bearbeiten werden. Für den schulischen Kontext bedeutet das: Bei der Vielzahl der denkbaren Situationen, die den Lernenden begegnen können, ist es unmöglich, Unterricht so zu planen, dass die Schüler auf jede Eventualität angemessen vorbereitet sind. Die Forderung muss deshalb lauten, dass einerseits Unterricht Techniken und Fähigkeiten in exemplarischen Situationen vermitteln muss, die von den Lernenden auf andere Kontexte übertragen werden können (Paradigma). Andererseits sollen Fähigkeiten dort gelehrt werden, wo sie zur Anwendung kommen. (Vgl. z.B. Winn 1993, 16 f)
Letztere Forderung wird repräsentiert vom Cognitive Apprenticeship Ansatz. Dieser beruht auf einer Art Expertenkultur, wie sie bei berufspraktischen Ausbildungen zum Tragen kommt. Der Anchored Instruction Ansatz hingegen beschreibt die Problemlösung mittels eines Ankers und steht somit für den ersten Appell. Das Problem ist dabei in eine Geschichte eingebettet, die die soziale Konstruktion von Wissen unterstützt.
Geschichten spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation neuen Wissens und beim Wissenstransfer (vgl. z.B. McLellan 1993, 5). Die narrative Darbietung eines Problems findet sich auch bei der Storyline-Methode.
Grundsätze der Storyline-Methode
Das narrative Prinzip ist eines der sechs Grundprinzipien, denen Storyline unterliegt. Sie wurden von der European Association for Educational Design (EED) aufgestellt und von Jeff Cresswell wie folgt zusammengefasst:
- Narratives Prinzip (The Principle of Story) Geschichte, Kultur und Religion werden seit jeher in Form von Geschichten von Generation zu Generation übermittelt. Sie helfen dabei, die Welt um einen herum zu verstehen. Geschichten spielen im Leben aller Menschen eine wichtige Rolle. Man berichtet, was man gehört, erlebt oder auch geträumt hat. Dies tut man nicht in unzusammenhängenden Bruchstücken, sondern in sinnstiftenden Zusammenhängen, als Geschichte. Werden Geschichten als didaktisches Mittel eingesetzt (story-approach), so bergen sie grundlegende Vorteile: Kinder mögen Geschichten. Geschichten bieten eine, Kindern bekannte, lineare Struktur für die Gestaltung von Lerninhalten. Der Kanadier Kieran Egan plädiert in seinem Buch Teaching as story telling für den story-approach wioe folgt. Für ihn ist Story „das Paradigma für ein Mo dell bedeutungsvollen Unterrichts “ (vgl. Egan 1989, 86). Er führt dies weiter aus, indem er sagt: „I have argued that in our elementary school we must make matters of human importance central, that children can have access to these, […] and that the story form is a dominant sense-making tool.” (Ebd. 109) Die Erfahrungen, die die handelnden Personen in einer Geschichte machen, bieten durch Identifikation (oder auch Abgrenzung) eine Hilfestellung bei der Erschließung der eigenen Lebenswelt (vgl. Schmidt-Schönbein 2001, 106).
- Grundsatz der Antizipation (The Principle of Anticipation) Kinder lassen sich in das Geschehen einer Erzählung hineinziehen. Sie versuchen vorauszusehen, wie die Geschichte sich weiterentwickelt. Vorahnung trägt dazu bei, dass die Spannung erhalten bleibt.
- Grundsatz der Gleichberechtigung (The Principle of the Teacher’s Rope) Das Storyline-Modell wird auch als collaborative story making bezeichnet, da der Lehrer und die Schüler gleichermaßen Kontrolle über den Verlauf der Geschichte haben. Der Lehrer ist für den 'roten Faden', die Umsetzung des Curriculums, mit Hilfe der Story verantwortlich, die Kinder gestalten innerhalb der Storyline. Cresswell vergleicht die Storyline mit einem Seil, dessen eines Ende der Lehrer hält, während die Schüler sich an dem Seil entlang bewegen, Umleitungen eingeschlossen.
- Grundsatz der Teilhaberschaft (The Principle of Ownership) Mitverantwortung stellt einen der wichtigsten Gründe für Motivation dar. Wenn Kinder eine bedeutsame Rolle bei der Projektgestaltung spielen, fühlen sie sich auch für das Projekt verantwortlich. Die Offenheit von key-questions ermöglicht es den Kindern, sich und ihre Vorerfahrungen einzubringen. Durch diese Offenheit sind die Fragen auch authentisch. Es geht nicht darum, eine bestimmte Antwort auf eine Frage zu geben, sondern darum, Denkprozesse in Gang zu setzen. Die Schüler fühlen sich, als Teil des Ganzen, ernst genommen.
- Grundsatz des Zusammenhangs (The Principle of Context) Dieser Grundsatz ist eng an den des narrativen Prinzips gebunden. Er besagt, dass strukturierte Informationen (in Form der story) besser behalten werden als singuläre Items. Der Psychologe Jerome Bruner formuliert: „That what does not get structured narratively suffers loss in memory“ (Jerome Bruner, zit. nach: Kocher 1999, 279). Darüber hinaus ist anerkannt, dass neue Lerninhalte an vorhandene angeknüpft werden müssen, damit sie behalten werden. Kinder bauen ihr Verstehen auf, indem sie vom Bekannten zum Unbekannten gehen.
- Grundsatz der Strukturierung vor der Handlung (The Structure Before Activity Principle) Storyline ermöglicht es den Lernenden, zuerst konzeptionell tätig zu werden, bevor sie ihr Modell an der Wirklichkeit überprüfen. Herauszufinden was man schon weiß und was man noch nicht weiß, zeigt die Lücken auf. Der Lehrer stellt mit der angebotenen Struktur (key-questions) einen Handlungsrahmen zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Lücken gefüllt werden können. (Vgl. Cresswell 1997, 10ff)
3.2. Praktische Begründung
Durch das narrative setting ist Storyline ein besonders geeigneter Ansatz für den fächerübergreifenden Unterricht. Anders als bei der Topic Work schaffen sich die Schüler zunächst ihr eigenes Bild von Welt, bevor sie es an Ereignissen ihrer Lebenswelt überprüfen. Solche Überprüfungen können aus der Sicht der konstruktivistischen Didaktik, wie Reich (2004) ausführt, auf unterschiedlichen didaktischen Handlungsebenen im Bereich sinnlicher Erfahrungen, konventioneller Erklärungen oder diskursiver Erörterungen liegen. Dabei stellen sich ihnen konkrete Fragen, deren Antworten sie beim Abgleich mit der Realität (Expertenbefragung, Besuche außerschulischer Lernorte etc.) finden können. Somit betont die Methode nicht nur kreatives Handeln, sondern ebenfalls problemlösendes Verhalten, logisches Denken und den Wert eigener Wissenskonstruktion. Darüber hinaus vermag die Darbietungsform mit ihren multiperspektivischen und abwechslungsreichen Zusammenhängen, das Behalten von Lerninhalten zu unterstützen. Die inhaltliche und methodische Abwechslung erhält die Motivation der Lerner und bewirkt eine positive Grundeinstellung zum Lernen. Hierzu trägt auch das von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägte Lehrer-Lerner Verhältnis, das grundsätzlich intendiert werden soll, bei. Für das erfolgreiche Arbeiten in einer Storyline, sind beide Seiten gleichermaßen verantwortlich: “The pupils depend on the teacher for leadership and the teacher depends on the pupil’s work and participation to carry the story forward.“ (Bell, Steve, zit. nach: Kocher 1999, 283) Dies macht sich auch in der Beurteilung der Lernleistungen bemerkbar. Statt wie im herkömmlichen Unterricht üblich, wird bei der Leistungserfassung auf das Abprüfen einzelner Items zugunsten einer reflektierten Selbst- und Fremdeinschätzung der gesamten Arbeit verzichtet. Die Leistungserfassung schließt die entstandenen Produkte, aber auch Arbeitsweisen und soziales Verhalten mit ein. Grundlegende Fertigkeiten und Fähigkeiten werden kontinuierlich geschult und legen damit den Grundstein für eine positive Einstellung und Fertigkeiten bezogen auf das lebenslange Lernen. Zu diesen zählen sowohl kooperatives und problemlösendes Verhalten, Präsentationstechniken, Umgang mit unterschiedlichen Medien, aber auch andere Fertigkeiten wie z.B. eine Förderung der grob- und feinmotorischen Entwicklung (durch Basteln, darstellende Techniken wie Rollenspiel und Tanz). Die Kulturtechniken Lesen und Schreiben werden in jeder Storyline in einem sinnstiftenden Kontext eingeübt. Storyline erscheint nicht nur für das Lernen insgesamt eine sehr effektive Methode in der Praxis zu sein, sondern kann durch die Mischung von Motivation und erworbenen Techniken auch besonders gut dazu beitragen, Lerner zu erreichen, die zuvor keine oder nur sehr geringe Kenntnisse beim Lesen- und Schreibenlernen erworben haben (insbesondere bei funktionalen Analphabeten). |