3.
Theoretische und praktische Begründung
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3.1. theoretische Begründung
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3.1. Theoretische Begründung
„Eine
sehr alte chinesische Taogeschichte erzählt von einem Bauern
in einer armen Dorfgemeinschaft. Man hielt ihn für gut gestellt,
denn er besaß ein Pferd, mit dem er pflügte und Lasten
beförderte. Eines Tages lief sein Pferd davon. Alle seine
Nachbarn riefen, wie schrecklich das sei, aber der Bauer meinte
nur, »vielleicht«. Ein paar Tage später kehrte
das Pferd zurück und brachte zwei Wildpferde mit. Die Nachbarn
freuten sich alle über sein günstiges Geschick, aber
der Bauer sagte nur, »vielleicht«. Am nächsten
Tag versuchte der Sohn des Bauern, eines der Wildpferde zu reiten;
das Pferd warf ihn ab und er brach sich ein Bein. Die Nachbarn
übermittelten ihm alle ihr Mitgefühl für dieses
Missgeschick, aber der Bauer sagte wieder »vielleicht«.
Am nächsten Tag kamen die Rekrutierungsoffiziere ins Dorf,
um alle jungen Männer zur Armee zu holen. Den Sohn des Bauern
wollten sie nicht mehr, weil sein Bein gebrochen war. Als die
Nachbarn ihm sagten, was für ein Glück er hat, antwortete
der Bauer, »vielleicht«...“ (Bandler/Grinder
2000, 13)
Die Bedeutung, die ein Ereignis für uns hat, steht immer
in einem bestimmten Kontext, in einem Rahmen (frame), durch den
unsere Wahrnehmung eine Richtung erhält bzw. ihr Bedeutungsinhalt
bestimmt wird. Etwas kann für uns zunächst eine positive
Bedeutung haben und durch die Veränderung des frames eine
negative Bedeutung erlangen und umgekehrt. Eine solche Rahmenverschiebung
kann durch ein „externes“ Ereignis begründet
sein: So erweist sich das Davonlaufen des Pferdes, das in der
einleitenden Geschichte von den Dorfbewohnern als schreckliches
Unheil beurteilt wird, für diese im Nachhinein durch das
Begebnis seiner Wiederkehr in Begleitung zweier weiterer Artgenossen
als günstiges Geschick. Die Erwartung der Dorfbewohner ist
durch den weiteren Verlauf der Geschehnisse durchbrochen und ein
„neuer Rahmen aufgezogen“ worden. Das Prinzip ist
nicht neu. Jeder kennt es – sei es aus eigenen Erfahrungen
oder auch aus anderen Märchen und Geschichten, in denen eine
Eigenschaft oder ein Merkmal, welches eigentlich als Makel gesehen
wurde, sich auf einmal als eine besondere Fähigkeit und ein
großes Glück für evtl. zu rettende Prinzessinnen
herausstellt.
Sogar nahezu jeder Witz funktioniert nach unserem Reframing-Prinzip:
Ein kontextbezogenes Ereignis wird in einen unerwarteten Kontext
verrückt. Im Grunde ist Reframing also eine Alltagskompetenz,
die uns allen geläufig ist.
Doch eine Umdeutung muss nicht zwangsläufig durch ein in
der Zukunft liegendes, unerwartetes Ereignis oder eine Pointe
motiviert sein: Situationen, Problemlagen, Geschehnisse usw. können
ebenso eine Bedeutungsänderung erfahren, wenn sie ohne die
Veranlassung durch unerwartete Geschehnisse aus einer anderen
Perspektive betrachtet werden. Indem selbst ein neuer Rahmen gesetzt
wird, der eine verändernde Wirkung auf ihren Sinn und ihre
Bedeutung für das eigene Erleben hat.
Die Bedeutung von Ereignissen verändert sich also mit dem
Blickwinkel, aus dem wir sie betrachten. Ein Ereignis kann umgedeutet
(reframed), d.h. aktiv in einen neuen Rahmen gesetzt werden, durch
den es gleichsam eine andere Bedeutung bekommt. Aufgrund dieser
Veränderung der Bedeutung können sich auch die Reaktionen
auf das Ereignis, die Verhaltensweisen in der Situation, der Beziehungskonstellation
usw. modifizieren und wandeln.
So wird im therapeutischen Kontext z.B. der Klient gezielt dazu
veranlasst, „die Dinge einmal anders zu sehen“ und
auch andere Sichtweisen in Betracht zu ziehen. Eine Erweiterung
seiner Perspektive kann nicht nur zu unerwarteten Wendungen in
seiner eigenen Betrachtungsweise führen, sondern vermag vor
allem neue Umgangsweisen mit einer Situation, einem Problem usw.
zu eröffnen. Der bisherige Problemlöserahmen soll gesprengt
werden und neuen Lösungsalternativen Platz bieten.
Es werden vier grundsätzliche Formen des Reframings unterschieden:
das inhaltliche Reframing (Kontext- und Bedeutungsreframing),
das Six-Step-Reframing, Verhandlungs-Reframing und Aufbau eines
neuen Teils. Diese Reframing Formen können je nach Situation,
z.B. bei Behandlungen von Paaren, Familien, Organisationen oder
auch dissoziierter Zustände modifiziert werden (vgl. Bandler,
Grinder, 2000, S.171 ff).
In der angegebenen Literatur unter Quellen lassen sich immer wieder
vier Grundannahmen finden, auf denen das Reframing basiert:
1)
Eine wichtige Grundannahme des Reframings ist, dass alle Erfahrungen
im menschlichen Leben nur einen Sinn ergeben, wenn man den Rahmen,
also den Kontext, kennt. Watzlawick u.a. setzen in ihren Ausführungen
die Annahme voraus, dass eine isolierte Betrachtung des menschlichen
Verhaltens nicht sinnvoll oder gar unmöglich ist. Es bleibt
unerklärlich, wenn es nicht innerhalb einer bestimmten Umwelt,
eines Kontextes betrachtet und analysiert wird. Darauf aufbauend
kann konstatiert werden, dass grundsätzlich jedes Verhalten
einen sozialen Sinn macht, wenn es bei den Wahrnehmenden nur im
„richtigen“ Kontext auftaucht.
Wörter, Situationen, Ereignisse oder Verhalten bekommen eine
Bedeutung durch den Kontext, in dem sie gesehen werden, daraus
folgt beispielsweise, dass Worte und Handlungen ohne Kontext keine
für die Beteiligten sichtbare Bedeutung haben. In der konstruktivistischen
Didaktik wird darauf aufmerksam gemacht, dass hier Selbst- und
Fremdbeobachtung zu unterscheiden sind: Der Selbstbeobachter bemerkt
nicht immer die Kontexte, die ein Fremdbeobachter sieht. Hier
kann über die Erörterung unterschiedlicher Beobachtungen
ein reframing stattfinden, indem festgefahrene Beobachtungen erweitert
bzw. verändert werden.
2)
In den hier besprochenen Ansätzen wird der Mensch in seiner
Ganzheit betrachtet. Es wird auch angenommen, dass der Mensch
eine bewusste und unbewusste Ebene besitzt, die jeweils aus vielen
unterschiedlichen Teilen bestehen. Jedem Teil wird in dem Gesamtsystem
„Mensch“ eine bestimmte Funktion zugeschrieben. Der
Konstruktivismus weist allerdings darauf hin, dass auch eine ganzheitliche
Sicht eine Beobachtersicht ist, die in dem, was sie behauptet,
sich ein Weltbild konstruiert. Es ist wesentlich, dass die Beteiligten
solche Konstruktionen nicht von außen aufgedrückt bekommen,
sondern sich in ihnen viabel wiederfinden können.
3)
Das Reframing soll ökologisch gesehen werden, d.h. bei Veränderungsprozessen
sollen alle Anteile des Menschen in ihrem Zusammenwirken –
gleichsam als Umweltsysteme –mit berücksichtigt werden.
Die systemische Sicht bedeutet, dass es keine nur einfachen Erklärungen
für Verhalten gibt und dass Wechselwirkungen stets zu beachten
sind.
4)
Grundlegend für das Reframing ist zudem eine Trennung von
Funktion und Verhalten. Wie sich jemand verhält, dies erklärt
noch nicht die Funktion, die dieses Verhalten im System (vor allen
in den Beziehungen) hat. Verhaltenssymptome sind nur die Oberfläche
eines Verhaltens. Hinter der Oberfläche steckt immer ein
Sinn, mag er auch dem Beteiligten unbewusst sein, der für
Beobachter erst entdeckt werden muss. Allerdings heißt dies
nicht, dass dem Betroffenen Sinn unterschoben werden soll. Auch
hier muss es zu viablen Lösungen kommen, d.h. alle Deutungen
müssen auf den Betroffenen passen.
Diese
Grundsätze fußen auf der Basisannahme, dass Sinn und
Funktion unseres Verhaltens nur durch die Berücksichtigung
des jeweiligen Kontexts, in dem sie stehen, erklärbar sind.
Dieser Kontext bestimmt sich jedoch aus dem inneren Rahmen, der
durch unsere (individuell unterschiedliche) Wahrnehmung (der Situation,
des Ereignisses, der Beziehung …) gesetzt wird. Diese innere
Sichtweise formt unsere Wirklichkeit und muss für ein umfassendes
Verständnis unseres Verhaltens, für seinen Sinn und
seine Funktion in Bezug auf das Ereignis, die Situation usw. in
das Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Wenn der Rahmen/Kontext
verändert wird, verändert sich auch gleichzeitig die
Bedeutung des Ereignisses und des Verhaltens. Watzlawick u.a.
betonen deshalb z.B., dass Wirklichkeit stets aus Meinungen über
etwas oder jemanden besteht. Richard Bandler sagt dazu: „Reframing
heißt: Sie können es so oder so betrachten. Die Bedeutung,
die Sie jetzt zumessen, ist nicht die »wahre« Bedeutung.
Alle diese Bedeutungen sind wohlgeformt innerhalb Ihres Verständnisses
der Welt.“ (Aus Bandler/Grinder, 2000)
Im Blick auf die Anwendung der Methode bedeutet die Grundsätze,
dass sich die Wirklichkeit des Einzelnen bezogen auf ein bestimmtes
Phänomen oder eine Situation verändern kann, indem sich
seine Meinung über diese ändert. Einige zentrale Prämissen
des systemischen Modells lassen die gleichen Grundgedanken erkennen
(vgl. zu weiteren systemischen Grundannahmen vor allem Schlippe/Schweitzer
2000) :
|
Jedes Verhalten macht Sinn, wenn man den Kontext kennt. |
|
Jedes
Verhalten hat eine sinnvolle Bedeutung für die Kohärenz
des Gesamtsystems. |
|
Es
gibt nur Fähigkeiten, Probleme ergeben sich manchmal
daraus, dass Kontext und
Fähigkeit nicht optimal zueinander passen. |
|
Jeder
scheinbare Nachteil in einem Teil des Systems zeigt sich
an anderer Stelle als
möglicher Vorteil. |
3.2. Praktische Begründung
Der
Therapeut versucht mit Hilfe von Reframing, den Klienten dazu
zu bringen, die Ereignisse unter anderem Blickwinkel zu sehen
oder seinen Blickwinkel zu erweitern und so die Bedeutung des
Verhaltens und damit das problematische Verhalten selbst zu verändern.
Das inhaltliche Reframing (Kontext- und Bedeutungsreframing) wird
dazu benutzt, um das als unangenehm empfundene Verhalten als etwas
Nützliches in einem bestimmten Kontext darzustellen. (Vgl.
Bandler/Grinder, 2000, 45)
Das uns störende Verhalten wurzelt zumeist im Unbewussten.
Da wir es nicht bewusst steuern bzw. unterlassen können,
wird es von uns stets wiederholt, ohne dass wir einen Einfluss
darauf zu haben scheinen. Dem Grundsatz folgend, dass jedes Verhalten
eine Funktion in einem bestimmten Kontext besitzt, versucht der
Therapeut herauszufinden, worin die unbewusste Funktion des gezeigten
Verhaltens besteht. Hinter jedem Verhalten (mag es auf den ersten
Blick auch noch so unnütz erscheinen) verbirgt sich, so also
die Annahme, eine Intention, die einem berechtigten Zweck dient.
So ist es möglich, dass das gezeigte Verhalten sehr problematisch
für jemanden ist, die dahinter stehende Absicht aber durchaus
einen bestimmten Sinn für die betreffende Person erfüllt.
Diese Trennung zwischen der Funktion und dem Verhalten nutzt z.B.
besonders das Six–Step–Reframing (siehe unter 4.2)
aus. Hiermit wird versucht, das problematische Verhalten durch
ein alternatives Verhalten so zu ersetzen, dass die Intention
des früheren Verhaltens beibehalten wird. Damit nicht auch
das neu erlernte Verhalten als ein problematisches Verhalten erlebt
wird, ist bei dieser Art von Veränderung die Berücksichtigung
aller „Teile“ der Person wichtig: Der Therapeut muss
darauf achten, dass das Verhalten nicht mit Zielen der anderen
Teile des Klienten in Konflikt gerät und es von der „ganzen“
Person akzeptiert wird.
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