7. Praxiserfahrungen
In
der Veröffentlichung der Laborschule von 1999 »Offene
Werkstattangebote« stellen die Lehrer/-innen ausführlich
ihre zehnjährige Praxiserfahrung mit der Atelierarbeit dar.
Da die Laborschule auch eine Integrationsschule von Kindern mit
besonderem Förderbedarf ist, werden anhand einiger Beispiele
die Erfahrungen mit dem Einsatz der Ateliermethode bei Kindern mit
Lernstörungen gut beschrieben. Dabei geht es um Kinder mit
mangelnden motorischen und sozialen Kompetenzen und Entwicklungsrückständen.
Hier möchten wir einige Stellen aus dem Erfahrungsbericht über
einen fünf Jahre alten Jungen mit Problemen im sozialen Miteinander,
der zudem Entwicklungsrückstände in der Grob- und Feinmotorik
aufwies, zitieren:
„Für sein Alter war er groß gewachsen und wirkte
körperlich stark... Er verschaffte sich Platz und Gehör,
indem er andere beiseite schob oder stimmlich übertönte.
Selbst nahm er sein Raum einnehmendes Wesen nicht als Rücksichtslosigkeit
wahr, war eher erstaunt darüber, wenn wir ihn darauf aufmerksam
machten ... Im Sportunterricht war er schnell erschöpft, weil
er sich unkoordiniert bewegte und rasch verausgabte... Bei feinmotorischen
Tätigkeiten fehlte ihm jede Fertigkeit. Er setzte Stifte nicht
kontrolliert ein, hatte keine Beziehung zum Malen, zum Einsatz von
Farben, konnte Legosteine nicht zusammensetzen. Er integrierte sich
weder beim Spielen noch beim Arbeiten, weil er nur eigene Regeln
gelten ließ und wenig Ausdauer hatte... In seiner ersten Werkstatt
wählte Josef das Töpfern aus. Vermutlich lag das daran,
weil ich, seine Lehrerin, dieses Angebot betreute. Während
die anderen Kinder bereits Ideen hatten, was sie aus ihrem Stück
Ton formen wollten, hatte Josef keine Vorstellung von einem Produkt.
Während er knetete und drückte, sprach er ganz spontan
das aus, was er bildhaft gerade in der Hand hielt: 'Ein Ball! Ein
Würfel! Ein Pokal!.' Es machte ihm Spaß... An einem fertigen,
vorzeigbaren Produkt war er nicht interessiert... Er meldete sich
nun mehrere Wochen hintereinander für das Töpfern. Immer
formte er lustbetont ohne Produktorientierung bis er schließlich
neue Angebote ausprobierte: Kochen, Theaterspielen, Nähen,
Erste Hilfe, Aquarellieren... Zwischendurch kehrte er immer wieder
zum Töpfern zurück. Seine Ergebnisse wurden zunehmend
konkreter. Er wollte sie nun bei der Vorstellungsrunde am Ende der
Werkstattzeit auch vorzeigen. Während seiner drei Jahre in
der Eingangsstufe wählte Josef am häufigsten das Arbeiten
mit Ton. Dabei entschied er sich intuitiv für ein Angebot,
das es ihm ermöglichte, seine Feinmotorik in einer Weise selbst
zu fördern, die ihm Freude machte, seiner Fantasie entgegenkam
und ihm ausreichend Erfolgserlebnisse vermittelte.... Die Offenen
Werkstattangebote ließen ihm den nötigen Raum für
seine individuelle Kreativität und Spielraum für die eigenen
Fantasien. Sie gaben ihm die Möglichkeit, spielerisch, ohne
Außendruck, mit Spaß regelmäßig feinmotorische
Erfahrungen im 'Hand-Werken' mit geeigneten Materialien zu machen.
Vierzig Minuten hintereinander am selben Thema zu arbeiten machte
ihm bald nichts mehr aus. An den Tagen, an denen wir nicht genügend
Werkstattbereiche anbieten können, weil uns die betreuenden
Erwachsenen fehlen, setzen wir das Bauen mit Lego auf die Angebotsliste.
Josef nutzte dies gern aus, denn er hatte auch zu Hause begonnen,
mit Lego zu spielen. Die Eltern unterstützten sein Interesse,
bauten mit ihm und kauften ihm Themenkästen... Das Legospielen
eröffnete ihm den Weg in die Fantasiewelt, in die Welt der
Rollenspiele, der spielerischen Auseinandersetzung mit der realen
Welt und ihren sozialen Problemen. Lego in der Schule angeregt und
zu Hause aufgegriffen, schlug für Josef den Bogen von der Entwicklung
motorischer zu mehr sozialer Kompetenz... Mit dem Theaterspiel wählte
Josef wiederum intuitiv ein Angebot, das für ihn ein ausgezeichnetes
Übungsfeld für soziales Lernen darstellte... In der ersten
Zeit bekam er häufig Konflikte mit den anderen Schauspielerinnen
und Schauspielern. Es gab dann Streit über den Spielablauf,
über plötzliche Rollenwechsel und endete mit dem Abbruch
des gesamten Spiels... Obwohl für Josef das Theaterangebot
durchaus mit großen Ärgernis und möglicher Frustration
verbunden war, wählte er es – nach dem Töpfern –
am zweithäufigsten aus... Es bestand für ihn immer wieder
die Chance: beim nächsten Mal wird es gut gehen! Josef wusste,
dass wir sein Problem besprechen würden, damit er die Ursache
verstehen lernt, damit aber auch die anderen Kinder daran lernen,
wie sie sich zu verhalten haben, damit für Josef das Spiel
verständlich bleibt. Abgesichert war Josef durch den Rahmen
der Handlung, die Begrenztheit der Zeit und die auffangenden Gespräche,
falls er 'aus dem Rahmen gefallen war'... Mit Josef wurde hier ein
Kind beschrieben, dass aufgrund seiner sozialen und motorischen
Entwicklung große Schwierigkeiten hatte, sich in die Gruppen
angemessen einzubinden. Josef erlebte seine Hilflosigkeit und litt
darunter. Er überspielte dies vor den Kindern mit Großspurigkeit
und Flucht aus der Realität. Die Offenen Werkstätten boten
ein von ihm bereitwillig aufgegriffenes Übungsfeld, lustbetont
und geschützt ihm fehlende Fähigkeiten und Fertigkeiten
nachzuholen. Sie begleiteten eine vierjährige, intensive Zusammenarbeit
mit Eltern, Schule und vor allem mit ihm, stärkten sein Selbstbewusstsein,
seine Selbsteinschätzung und Gruppenfähigkeit.“
(Blömeke/ Bosse/ Görlich, 1999, 82-84)
Projekte und Erfahrungsberichte im Internet
http://www.vak.ch/zusammen.htm
[Stand: 18. Jul. 2003]:
Stufenübergreifende
Ateliers
„Jeden Frühling führen wir mit den 6-jährigen
Kindern des Kindergartens und der gesamten Unterstufe ein Atelier
durch. In den stufengemischten Gruppen wird gebastelt, getanzt,
gesungen, gezeichnet und gelernt. Das Thema wird vorgängig
von den Lehrpersonen gemeinsam bestimmt. Danach bilden wir Tandems,
welche ihren Themenbereich vorbereiten. Dabei achten wir auf ein
Gleichgewicht der Angebote. Alle Sinne sollen angesprochen werden.
Die Ateliers finden während vier bis sechs Wochen jeweils am
Mittwoch Morgen statt. So müssen wir den Stundenplan nicht
ändern. Jede Kindergruppe bekommt ein Farbsymbol zugeteilt.
Nach einer Woche wechselt die Gruppe zu einer andern Lehrperson.
Treffpunkt ist immer der Pausenplatz; danach geht es in die verschiedenen
Räumlichkeiten, wobei auch der Singsaal und die Turnhalle einbezogen
werden. In den gemeinsamen Pausen erleben die Kindergartenkinder
auch die Pausenkultur. Die Kindergartenlehrkräfte beteiligen
sich regelmäßig an den Gesamtsitzungen des Kollegiums
und an den Sitzungen der Unterstufe. Die stufenübergreifenden
Aktivitäten werden in gemeinsamen Sitzungen geplant und nach
der Durchführung ausgewertet. In den Evaluationsgesprächen
werden auch negative Erlebnisse diskutiert. Offenheit und gegenseitige
Toleranz sind dazu unerlässlich. Die einzelnen Bedürfnisse
werden aufgenommen und in die Planung der zukünftigen Anlässe
einbezogen. Dadurch können Überlastung, ja sogar Überforderung
vermieden werden. In Zukunft sind wir weiter bestrebt, die Zusammenarbeit
zu pflegen und weiterzuentwickeln. Wichtig ist das Engagement aller
und die Information neuer Lehrkräfte.“ (Rosmarie Wilhelm,
Strengelbach
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