Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

4. Darstellung der Methode

Freinet selbst spricht bei seiner Pädagogik nicht von Methoden, sondern von Erziehungs- und Arbeitstechniken (vgl. ebd., S. 28). Dies wird von der konstruktivistischen Didaktik kritisch gesehen, weil im Technischen, wie Kersten Reich in seiner „Systemisch-konstruktivistischen Pädagogik“ im Kapitel über Freinet argumentierte, nicht grundständig eine Idee des Fortschritts (im Sinne einer stets positiv gedeuteten Produktivkraft) gesehen werden kann. Gegenüber Freinet haben wir heute eine Technikeuphorie verloren bzw. sehen Techniken immer auch als Ausdruck möglicher Risiken in einer „Risikogesellschaft“.
Freinets stark auf die Praxis bezogene Pädagogik formuliert sich in einer Sammlung von Techniken, die sinnvoll ineinander greifen und in ihrem Zusammenspiel die Umsetzung seiner Ideen verwirklichen sollen. Die Atelierarbeit ist hierbei als ein Teil der klassischen Freinet-Pädagogik zu verstehen und steht in engem Zusammenhang mit den anderen von ihm beschriebenen Techniken.

Ein Problem beim Umsetzen der Atelierarbeit nach Freinet in der heutigen Zeit ist der mittlerweile groß gewordene kulturelle und historische Abstand zu seinen Ursprungsideen. Einige Inhalte der Freinet-Pädagogik sind zwar von anderen Pädagogen aufgegriffen und bis in die heutige Zeit weiterentwickelt worden, wie z.B. die Klassenkorrespondenz oder die Schreibwerkstatt, aber gerade die Atelierarbeit existiert eher in der idealtypischen Form, wie sie Freinet beschreibt. Die umfassende Form der Atelierarbeit, die ihm vorschwebte, hat auch er in der Praxis nicht herstellen können. Andere Methoden wie Werkstattarbeit oder Lernwerkstatt lehnen sich zwar in vielen Bereichen an Freinet an, können aber nicht als eine direkt Weiterentwicklung der Technik von Freinet gesehen werden. Sie stellen vielmehr eigenständige Methoden dar. Daher müssen wir selbst die Beschreibungen Freinets auf die aktuellen Bedingungen in der Schule übertragen und entsprechend verändern, wenn wir die Atelierarbeit nach der Idee von Freinet umsetzen möchten. Es wird in der Praxis darauf hinauslaufen, dass wir uns anregen lassen können, Teile aus der Atelierarbeit zu übernehmen und für die heutige Zeit und spezifische Lernsituationen neu zu konstruieren.

Freinet wendet sich mit der Atelierarbeit gegen eine Schule, die vorgefertigtes Wissen vermitteln will und gegen die Arbeit mit Schulbüchern, welche die Wirklichkeit zu sehr vereinfachen und damit verfälschen. Die Ateliers sollen dagegen mit einer durchdachten schüler- und lebensweltorientierten Sammlung von Arbeitsmaterialien ausgestattet sein. Die Atelierarbeit steht für spontanes, phantasievolles, offenes, erfahrungs- und handlungsorientiertes Arbeiten und Lernen.

Bei der Einrichtung von Arbeitsateliers ging es Freinet nicht um die überstürzte Umsetzung eines pädagogischen Ideals, sondern um die schrittweise Erweiterung technischer und räumlicher Möglichkeiten. Im Idealfall sind die Ateliers in verschiedenen Räumen untergebracht, wesentlich ist aber die Abtrennung von bestimmten Bereichen ggf. auch in einem Raum (z.B. dem Klassenzimmer). In einem Klassenraum kann dies schon durch spezielle Tische, Regale oder abgetrennte Ecken verwirklicht werden. Die Neuentstehung von Arbeitsateliers kann nach und nach erfolgen. Es kann mit einem Atelier zu einem bestimmten Thema begonnen werden, z.B. durch die Materialbestückung eines Regals oder eines Tisches. Dieses Atelier kann schrittweise erweitert werden und weitere Ateliers können hinzukommen, abhängig von den vorhandenen Möglichkeiten und Bedingungen, aber auch den gewünschten Zielen und Methoden. Freinet hat folgenden Plan für die Raumaufteilung entworfen, der im Idealfall umgesetzt werden sollte:

m Zentrum liegt ein Klassenraum, in dem alle Schüler/-innen gemeinsam arbeiten können. Er sollte so groß sein, dass alle Schüler/-innen mit ihren Lehrer/-innen gemeinsam ausreichend Platz zum Sitzen an einem eigenen Tisch haben. Größer sollte dieser Raum nicht sein, weil er sonst dem Gruppengefühl und der gegenseitigen Erreichbarkeit entgegenwirkt. An diesen Raum sollten sich 7 Räume anschließen, in denen die Ateliers 2 - 8 (siehe unten) eingerichtet werden. Das Arbeitsatelier für Feldarbeit und Tierzucht befindet sich außerhalb der Schule. (Vgl. Boehncke/Henning, 1980, 54 ff.)
Die Beschreibungen der Arbeitsateliers von Freinet sind nicht immer einheitlich. Er schlägt aber grundsätzlich die Einrichtung von acht Arbeitsateliers zu folgenden Oberthemen vor:

Vier Ateliers für elementare Arbeiten:
1. Feldarbeit, Tierzucht;
2. Schmiede und Schreinerei;
3. Spinnerei, Weberei, Nähwerkstatt, Küche, Hauswirtschaft;
4. Bau, Mechanik, Handel;

Weitere vier Ateliers für differenzierte, soziale und intellektuelle Aktivitäten
5. Forschung, Wissen, Dokumentation;
6. Experimentieren;
7. Kreativität, graphischer Ausdruck und Kommunikation;
8. Kreativität, künstlerischer Ausdruck und Kommunikation;
(vgl. ebd., 40-46)

Die Ateliers für das elementare Arbeiten (1 - 4) sollen mit "echten" und qualitativ hochwertigen Werkzeugen ausgestattet werden. Die Materialien und Werkzeuge werden so ausgewählt, dass die Schüler/-innen sinnvoll und eigenständig in den genannten Arbeitsfeldern arbeiten können.

Für das Atelier Forschung, Wissen und Dokumentation (5) schlägt Freinet folgende Ausstattung vor: eine Sammlung von Dokumenten, Lexika und Nachschlagewerken, eine Arbeitsbibliothek, Landkarten und einen Globus, Platten und Filme. „Um den ganzen Reichtum zu ordnen und einen praktischen und methodischen Gebrauch zu gewährleisten, müssten wir ein allgemeines Verzeichnis besitzen, das sorgfältig auf dem laufenden gehalten wird. Es soll den Kindern erlauben, unter der Anleitung der für das Atelier zuständigen und besonders angewiesenen Schüler in diesen angehäuften Schätzen selbst sofort das zu finden, was sie brauchen, um ihrer Arbeit neue, soziale und kulturelle Züge zu verleihen.“ (Ebd., 43)

Im Atelier Experimentieren (6) finden sich nach Freinets Vorstellungen Material und Richtlinien für naturwissenschaftliche Experimente. Die Experimente sollten so angelegt sein, dass die Schüler/-innen diese selbständig durchführen können. Weiterhin soll den Schülerinnen und Schülern hier Material zur Dokumentation der Erfahrungen und Ergebnisse an die Hand gegeben werden.

Das Atelier Kreativität, graphischer Ausdruck und Kommunikation (7) „erlaubt den Kindern, ihre eigenen Gefühle und Gedanken auszudrücken, sich nach außen zu wenden, in Verbindung zu treten mit entfernten Personen“ (ebd., 44), z.B. durch Briefkontakte mit Schülern/-innen aus anderen Schulen oder anderen Ländern. Für die Ausstattung schlägt Freinet vor: Verschiedenes Schreib- und Lesematerial, ein Abzugsgerät, eine Schuldruckerei und Material zum Heften und Binden sowie eine Lesebibliothek.

Das Atelier Kreativität, künstlerischer Ausdruck und Kommunikation (8) sollte für folgende Aktivitätsbereiche ausgestattet sein: Musik, Tanz und Rhythmik, Zeichnen, Malerei, Gravieren, Modellieren, Theater, Puppenspiel und Marionetten. (Vgl. ebd., 40 -46)

Die Darstellung dieser Arbeitsateliers kann allerdings je nach der Bedürfnislage für das Lernen verändert werden. Speziell für eine seiner Klassen beschreibt Freinet folgende Kombination von Arbeitsateliers. Er richtete sechs Ateliers in einem an das Klassenzimmer angrenzenden Raum ein:

Schaubild 2: Freinet, C. / Robic, H. (1964) »L organisation de la classe« S. 1-3, 4-15 .
In: Koitka, Christine, 1977, 72

Schaubild 2

1 Druckerei, Abzugsgeräte
2 Audiovisuelles Atelier (Radio, Fernsehen)
3 Elektrisches Atelier (Arbeitskästchen für Versuche)
4 Kunstwerkstatt: Zeichnung, Keramiken, Dekorationsmittel, Bilderbücher
5 Wissenschaftliches Atelier: Versuchsmaterial, Aquarium, Terrarium, verschiedene Sammlungen
6 Tischlerei und Schlosserei und Schneiderei und Küche

Die Beschreibungen Freinets zeigen, dass es ihm nicht um verbindliche Vorgaben für die Einrichtung von Arbeitsateliers geht, sondern um eine situative Orientierung an der Lebens- und Erfahrungswelt der jeweiligen Schüler/-innen. In der heutigen Zeit sollten unter anderem z.B. neue Medien und moderne Kommunikationstechniken in einem Atelier vertreten sein. Weiterhin hängt die Einrichtung und materielle Ausstattung der Arbeitsateliers von äußeren Bedingungen ab, wie den räumlichen Möglichkeiten oder der Organisation der Schule.

Nach Freinet ist die Atelierarbeit so organisiert, dass der stereotype Stundenrhythmus des Unterrichts weitgehend aufgelöst wird. Die Schüler/-innen arbeiten alleine oder in Gruppen nach individuellen Arbeitsplänen oder auch mal in freier Arbeit entsprechend ihrer Eigenzeiten. Die Arbeitspläne werden einmal wöchentlich für die jeweils kommende Woche im Klassenrat erstellt. Solche Pläne können individuell für einzelne Schüler/-innen, für Schülergruppen oder eine gesamte Klasse entwickelt werden. Ziel für die Schüler/-innen ist dabei, sich selber realisierbare Aufgaben zu stellen, diese in der Woche zu erfüllen und die eigenen Kräfte dabei richtig einzuteilen.

Die Atelierarbeit kann aber auch in einen Unterricht mit 45-Minutenrhythmus integriert werden, wenn die Organisation der Schule kein anderes Vorgehen zulässt. Gerade am Anfang können besondere Stundenpläne notwendig sein, wenn die Schüler/-innen durch mangelnde Vorerfahrungen mit offenen Unterrichtsformen auf ihnen bereits bekannte Strukturen angewiesen sind.

Es sollte immer das grundlegende Ziel verfolgt werden, Schule mehr in das Leben der Schüler/-innen zu integrieren und die Schaffung einer künstlichen Welt so weit wie möglich zu vermeiden. Im Mittelpunkt sollen das Lösen echter Probleme und Aufgaben und der Umgang mit gutem und echtem Material stehen. Es geht in der Atelierarbeit nicht um frontales Unterrichten, sondern um ‚Lebenlassen’ und ein schülerorientiertes Organisieren von Arbeit. Ein wichtiges Grundprinzip ist hierbei vorrangig der freie Ausdruck auf allen Ebenen. Der freie Ausdruck schließt ein, dass die Lerner in bildlicher, verbaler, gestalterischer, kreativer Weise körperlich und geistig ihre Lebenswirklichkeit und ihren Alltag in die künstliche Lebenswelt Schule bzw. Unterricht einbringen und diesen damit verlebendigen. Eine Erziehung zur Selbstständigkeit und zu einer kritischen Haltung steht dabei im Vordergrund.