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Warum ist Pop-Musik immer lauter geworden?

Es antwortet Professor Dr. Hauke Egermann, Musikwissenschaftliches Institut

Die Lautstärke steigt: Von Roy Orbisons »Oh, Pretty Woman« (CD-Aufnahme von 1981) über Madonnas »Frozen« (1998) bis hin zu »Rolling in the Deep« von Adele (2011).

Es antwortet Professor Dr. Hauke Egermann,  Musikwissenschaftliches Institut


Beim Musikhören mögen wir es gerne laut – vor allem, wenn wir eine Party in einem Club oder ein Pop-Konzert besuchen. Daher versuchen Tontechniker*innen, Rock-, Pop- und elektronische Musik möglichst laut aufzunehmen und abzumischen. Sie nutzen dafür elektronische Verstärker und andere Geräte zur Audiobearbeitung. Die Verstärkung wird begrenzt durch den maximal möglichen Signalpegel, gemessen in Dezibel (dB). Bei Aufnahmen mit der heute üblichen Digitaltechnik und Audiobearbeitung im Computer liegt dieser Pegel bei 0dB. Wird der Spitzenwert von 0db überschritten, gibt es heftige Verzerrungen im Klangbild. 

Aber die Musikstudios haben Wege gefunden, wie sie Musik lauter erscheinen lassen können und dabei den Maximalpegel dennoch einhalten. Denn wie laut Musik von den Hörer*innen subjektiv wahrgenommen wird – die sogenannte Lautheit (Loudness) – hängt nicht nur vom Aufnahmepegel ab, sondern von weiteren Faktoren wie der Frequenzverteilung im Musikstück und der Dynamik, also dem Unterschied zwischen der lautesten und der leisesten Stelle im Stück. Ein »Trick«, die Lautheit zu erhöhen, besteht darin, die leisen Stellen im Song im Pegel anzuheben. 

Möglich ist dies seit den 1950er Jahren durch Geräte zur Audiobearbeitung wie Kompressoren und Limitern, die seit einigen Jahren auch als Software für die digitale Musikproduktion zur Verfügung stehen. Kompressoren und Limiter senken die Pegelspitzen im Musikstück um einige Dezibel ab, sodass der Song in seiner Gesamtheit im Pegel wieder angehoben werden kann, was die leisen Stellen verstärkt. Der Song klingt insgesamt lauter und voller. In der Wellenformanzeige erkennt man eine starke Kompression der Audiodatei daran, dass die Wellenform überwiegend abgeflacht ist, weil an vielen Stellen der Maximalpegel erreicht wird.

Musiker*innen und Musikverlage im Bereich der Rock-, Pop- oder elektronischen Musik möchten in der Regel, dass ihre Songs möglichst laut produziert werden, damit sie auf CDs, im Radio oder auf Streaming-Plattformen auffallen und häufiger als die Songs der Konkurrenz gespielt werden. Die Tontechnik kommt diesem Wunsch nach, indem sie die Lautheit der Songs immer weiter erhöht und dabei mittlerweile sogar kurzzeitige Verzerrungen in Kauf nimmt. Es ist ein regelrechter Wettstreit um die lautesten Produktionen entstanden – der sogenannte »Loudness War«. Mit zunehmender Verbreitung von CDs im Laufe der 1990er Jahre hat die Lautheit der Pop-Produktionen deutlich zugenommen. Die Digitaltechnik hat diesen Trend verstärkt, da digitale Kompressoren und Limiter präzisere Eingriffe in die Dynamik von Songs erlauben.

Aber genau hier liegt die Problematik des »Loudness War«: Eine höhere Lautheit durch sehr starke Kompression ist immer mit einer geringeren Dynamik im Song und der Gefahr einer Hörermüdung verbunden, da die Unterschiede zwischen leisen und lauten Stellen im Stück kleiner werden. Musiker*innen wollen mit ihren Songs Emotionen vermitteln. Emotionen lassen sich ausdrücken, indem Songstellen unterschiedlich laut und damit dynamisch gestaltet werden. Das ist jedoch mit einer hohen Lautheit nicht vereinbar. 

Es bleibt abzuwarten, wie sich bei Musikproduktionen der Konflikt zwischen Lautheit und Dynamik in Zukunft entwickeln wird. Haben wir vielleicht schon bald das Ende des »Loudness War« erreicht?