Vorbemerkungen


    Hinter der allgemein zu beobachtenden Tendenz zur Digitalisierung von Quellenbeständen und ihrer elektronischen Erschließung stehen teilweise Überlegungen zum Bestandsschutz. Häufiger aber resultiert sie aus dem Wunsch zur Verbesserung der Nutzbarkeit forschungsrelevanter Materialien durch eine digitale Erfassung und Aufbereitung. Die vielfältigen Vorteile des Arbeitens mit digitalisierten Dokumenten, insbesondere auch mit elektronisch in einer gewissen Tiefe erschlossenen umfangreichen Beständen, sollen hier nicht auf's neue aufgezählt werden. Statt dessen wird - von einigen Grundbeobachtungen ausgehend - ein Versuch unternommen, einen Überblick über das Forschungsgebiet "digitaler Bestandserschließung" zu gewinnen und die dort vorhandenen hauptsächlichen Problemstellungen und Entwicklungstendenzen herauszuarbeiten.

    Es fällt auf, daß es bereits eine große Zahl von Projekten in diesem Bereich gibt, welche die jeweiligen speziellen Anforderungen der unterschiedlichsten Materialien und Quellengruppen untersuchen. Leider laufen sie aber zumeist nur unkoordiniert (und oft ohne überhaupt von einander zu wissen) neben einander her, obwohl sie vielfach vor den gleichen technischen und konzeptionellen Problemen stehen. Es scheint die Tendenz zu bestehen, in jedem Projekt das Rad neu erfinden zu wollen, indem jeweils Lösungen für eine Vielzahl auftauchender Fragen gesucht werden. Dabei ist das Forschungsfeld inzwischen so groß geworden, daß es sinnvoller wäre, sich jeweils auf klarer eingegrenzte Aufgaben zu konzentrieren und daneben den Austausch mit anderen Projekten zu suchen. Die Diskussion zwischen den einzelnen Ansätzen wäre darüber hinaus auch wichtig zur Ausbildung von allgemeinen Richtlinien bzw. der Verständigung auf gemeinsame Standards, die gerade im Bereich computergestützter Arbeiten im Sinne der Kompatibilität und Zukunftssicherheit von großer Bedeutung sind. Ferner sollten in der Diskussion zwischen den beteiligten Fachwissenschaftlern ebenso die großen Fernziele definiert, wie im Detailbereich mögliche Lösungsansätze geprüft und diskutiert werden.

    Die zu beobachtenden Mängel in der Kommunikation ergeben sich aus dem Fehlen eines allgemeinen Überblicks über verwandte Arbeiten, zu einem großen Teil aber auch daraus, daß sich der Bereich der digitalen Bestandserschließung zwischen allen (Lehr-)Stühlen befindet. Für einen produktiven Austausch müßten geistes- und sozialwissenschaftliche Forscher verschiedenster Richtungen ebenso an der Diskussion teilnehmen, wie Bibliothekare und Archivare, wie aber auch Techniker und Informatiker. Daß die genannten Gruppen nur schwer zu einer gemeinsamen Sprache finden ist einer der Hauptgründe für das diffuse Erscheinungsbild der Projektarbeit im Bereich der elektronischen Erschließung von Beständen der unterschiedlichsten Art.
Umso notwendiger ist der Versuch, das Forschungsgebiet durch den Vergleich der laufenden Projekte genauer zu strukturieren, die einzelnen Arbeitsfelder zu benennen, die zentralen Fragestellungen zu klären und auf exemplarische Lösungsmodelle aufmerksam zu machen. Dadurch soll zugleich ein Beitrag geleistet werden, für eine Klärung der zu verwendenden Begriffe, für eine bessere Orientierung in einem noch sehr offenen Feld, für eine lebhaftere Diskussion und damit letztlich für eine effizientere Forschung.

    Im November und Dezember 1998 wird dazu am Kölner Zentrum für Historische Sozialforschung als Abteilung des Zentralarchivs für empirische Sozialforschung eine kurze und notgedrungen grobe Überblicksstudie durchgeführt, deren Ergebnisse schließlich ebenfalls auf diesen Seiten veröffentlicht werden. Mittels eines Erhebungsrasters werden laufende Projekte, die sich mit der Digitalisierung und Erschließung von - für die geistes- und sozialwissenschaftliche relevanten - Beständen beschäftigen, erfaßt und beschrieben. Es werden dazu zunächst öffentlich verfügbare Informationen herangezogen, in einem zweiten Schritt aber auch die Projektbearbeiter genauer befragt werden.
Die Qualität und der Nutzen der Studie hängt wesentlich davon ab, daß die betreffenden Institutionen und Fachwissenschaftler, die Bibliothekare und Archivare, kurz: alle an solchen Projekten Beteiligten für Fragen zur Verfügung stehen und mit Hinweisen, Korrekturen und Kommentaren zum Gelingen beitragen. Ein hohes Maß an Offenheit, um das deshalb gebeten wird, erhöht letztlich den Nutzen für alle.

 


Patrick Sahle M.A. (Sahle@uni-koeln.de) - 17. November 1998