Anhang

Vollständiges Kategoriensystem
1. Oberkategorie: Strafe und Gehorsam
"Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn keine Strafe zu erwarten ist."
- Regeln werden nur eingehalten, weil ihre Übertretung mit Strafe bedroht ist. Dabei ist es aber wesentlich, wie wahrscheinlich es ist, dass die Strafe wirklich eintreten wird bzw. ob man erwischt wird. Nach moralischer Rechtfertigung für diese Handlungen wird nicht gefragt bzw. gerechtfertigt ist alles, wenn keine Strafe zu erwarten ist.
Unterkategorien:
1.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob sie von einer strafrechtlichen Verfolgung bedroht ist.
Gemeint ist damit, dass nicht die Handlung selbst bewertet wird, sondern die Konsequenzen der Handlung. Solange die Handlung keine Straftat im juristischen Sinne darstellt und nicht per Gesetz verurteilt werden kann, wird ihre Richtigkeit nicht weiter hinterfragt.
Beispiel: "Verstöße gegen das Parteiengesetz unterstehen
nicht dem Strafrecht!"
Nicht gemeint ist, wenn in der Argumentation deutlich wird, dass man sich der Bedenklichkeit aus ethischen Erwägungen heraus bewusst ist, die Orientierung an öffentlichen Gesetzen aber als oberste Beurteilungsgrundlage herausstellt.
1.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob vermeintlich die Gefahr bestand, erwischt zu werden.
Gemeint ist, dass in der Argumentation eine Stellungnahme hinsichtlich der Vermutung deutlich wird, der Handelnde habe sich über mögliche Konsequenzen von Gesetzesverstößen hinweggesetzt, weil er nicht damit gerechnet habe, dass sein Handeln publik werden könnte.
Beispiel: "Er hat wohl geglaubt, dass das nie herauskommen wird."
Nicht gemeint ist, wenn in der Argumentation deutlich wird, dass diese Einstellung auf Grund übergeordneter ethischer Werte verurteilt wird.
1.3. Die Handlung wird danach beurteilt, ob Wähler oder Partei diese mit Sanktionen belegen.
Gemeint ist, dass in der Argumentation eine Stellungnahme hinsichtlich der Vermutung geäußert wird, dass als alleinige Begründung für die Handlung ausreicht, dass der Handelnde nicht erwartete, dass die Handlung von der Partei oder einer breiteren Öffentlichkeit kritisiert werden und negative Konsequenzen nach sich ziehen würde (Stimmenverluste, Rücktrittsforderung).
Beispiel: "Normalerweise rechnet man nicht damit, dass ein Politiker für so etwas aus dem Amt geworfen wird."
Nicht gemeint ist, wenn vermutet wird, er habe nur deshalb so gehandelt, um sich im Konsens mit den übrigen Parteimitgliedern zu befinden.
2. Oberkategorie: Geben und Nehmen
"Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn beide Handlungspartner einen Nutzen
davon haben."
- Die Auffassung von Gerechtigkeit definiert sich darüber, ob die Bilanz des Gebens und Nehmens stimmt. Beziehungen werden instrumentalisiert und Gefallen in Erwartung von Gegengefallen getan. Moralisch gerechtfertigt sind alle Handlungen, die dieser Maxime entsprechen.
Unterkategorien:
2.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob auch der Handlungspartner (z.B. Wirtschaft) einen Vorteil aus der Interaktion hat.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass die Handlung nicht von alleinigem Nutzen für den Handelnden war, sondern auch die Interessen des konkreten Handlungspartners in angemessener Weise erfüllt wurden.
Beispiel: "Es war für die beteiligten Firmen eine Werbemaßnahme."
Nicht gemeint ist, dass darauf abgezielt wird, dass die Wahrung der Interessen der Wirtschaft für die Gesellschaft von allgemeiner Bedeutung ist.
2.2. Die Handlung wird danach beurteilt, inwiefern der Handelnde Vorleistungen (für das Land, die Gesellschaft) erbracht hat, für die er nun eine materielle Gegenleistung erwarten kann.
Gemeint ist damit, dass der Handelnde auf Grund der Tatsache, dass er so viel Zeit und Energie für die Interessen des Landes aufbringt, als Gegenleistung dafür gewisse Vergünstigungen auch materieller Art in Anspruch nehmen kann.
Beispiel: "Der Politiker hat schon soviel für das Land getan,
da kann man es ihm doch auch mal gönnen, wenn er mit seiner Frau eine schöne
Reise zur Erholung machen will."
Nicht gemeint ist, wenn das Handeln durch das Verhältnis zu sonstigen Verdiensten relativiert wird.
2.3. Die Handlung wird damit erklärt, dass der Handelnde sich mit so ungewöhnlich viel Zeit und Energie für das Wohlergehen des Landes eingesetzt hat, dass er sich auch ein paar Freiheiten und Rechte herausnehmen darf, die andere Bürger nicht haben.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass auf Grund der bestehenden Verdienste des Handelnden für die Gesamtgesellschaft sein aktuelles Handeln bzw. die damit verbundenen Verfehlungen relativiert werden.
Beispiel: "Wer soviel für unser Land getan hat wie er, dem
wird man doch auch zugestehen, dass er sich mal einen kleinen Fehltritt leistet."
Nicht gemeint ist, dass in der Argumentation die Verfehlungen in einem Sinne relativiert werden, die den höheren Nutzen für die Allgemeinheit herausstellen.
3. Oberkategorie: Gruppenorientierung
"Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn sie von der (Bezugs-) Gruppe gutgeheißen
wird."
- Die Orientierung an persönlichen Beziehungen bzw. Normen der Bezugsgruppen bildet den Maßstab für das moralische Handeln und Urteilen. Moralisch gerechtfertigt sind alle Handlungen, durch die man im Einklang mit der Gruppe steht, auch wenn sie gegen Gesetze der übergeordneten Autorität/des Staates verstoßen.
Unterkategorien:
3.1. Die Handlung wird danach beurteilt, ob die Intention der Handlung in Übereinstimmung mit den Interessen der übrigen Parteimitglieder steht und dadurch Anerkennung durch die Gruppe erwartet wird.
Gemeint ist, dass in der Argumentation eine Stellungnahme bezüglich der Vermutung geäußert wird, der Handelnde habe im Auge gehabt, der Partei Vorteile zu verschaffen oder sie durch sein erfolgreiches Handeln in gutem Licht dastehen zu lassen, weil er selbst damit zu großer Anerkennung innerhalb der Partei gelangt.
Beispiel: "Er hat doch nur so gehandelt, weil er die Partei stärken
wollte. Das wollen wir doch alle."
Nicht gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, der erzielte Vorteil für die Partei sei von allgemeinem Interesse für die Gesellschaft, weil eine starke Partei wichtig für eine handlungsfähige demokratische Gesellschaftsordnung ist.
3.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob Anerkennung bzw. Verständnis von den persönlichen Bezugsgruppen (z.B. Freunde, Familie etc.) erwartet wird.
Gemeint ist damit, dass als entscheidender Maßstab für die Bewertung von Handlungen die Meinung persönlicher Bezugsgruppen herangezogen wird. Widerspricht die Handlung nicht diesen Gruppennormen, welche sich nicht mit öffentlichen Gesetzen decken müssen, so kann sie vertreten werden.
Beispiel: "Seine Freunde stehen alle hinter ihm."
Nicht gemeint ist eine Orientierung an einer so großen Bezugsgruppe wie der Gesellschaft.
3.3. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die Gruppennormen andere sind als die, an denen sich der individuelle Handlungsträger orientiert hat.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass das Handeln des Betreffenden einen ,Alleingang` darstellt und nicht die allgemeine Handlungsweise der Partei.
Beispiel: "Es war keine Parteientscheidung. Wir hätten dem
niemals zugestimmt."
Nicht gemeint ist, wenn sich ,Gruppennorm` auf die Einhaltung von Gesetzen allgemein bezieht.
4. Oberkategorie: Gesetzestreue
"Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn sie im Einklang mit dem Gesetz steht."
- Staatlich festgelegte Gesetze müssen unbedingt eingehalten werden. Moralisch gerechtfertigt ist allein das Handeln, das sich in Übereinstimmung mit diesen Gesetzen befindet.
Unterkategorien:
4.1. Die Handlung ist wird danach beurteilt, ob sie gegen staatliche Gesetze (Grundgesetz, Parteiengesetz) verstößt.
Gemeint ist, dass sich die Beurteilung der Handlung allein daran orientiert, ob gegen staatliche Gesetze verstoßen worden ist. In der Argumentation wird deutlich, dass alle anderen Aspekte demgegenüber nicht relevant sind.
Beispiel: "Kohl hat ganz klar gegen das Parteiengesetz verstoßen."
Nicht gemeint ist, wenn die Konsequenzen oder der Nutzen der Handlung im Vordergrund stehen.
4.2. Die Handlung wird danach beurteilt, ob sie sich noch im Rahmen der staatlichen Gesetze bewegt.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass man sich zwar der Fragwürdigkeit der Handlung bewusst ist, sie aber dennoch nicht verurteilt, weil offizielle Gesetze nicht definitiv verletzt worden sind.
Beispiel: "Es steht nirgendwo geschrieben, dass es nicht erlaubt
ist, Geschenke anzunehmen."
Nicht gemeint ist, wenn die Handlung in Beziehung zu allgemeinen ethischen Prinzipien gesetzt wird.
5. Oberkategorie: Sozialvertrag
"Eine Handlung ist gerechtfertigt, wenn ein größtmöglicher
Nutzen für die größtmögliche Zahl von Menschen erreicht
wird; ethische Prinzipien sind relativ."
- Es gibt unterschiedliche Maßstäbe, an denen sich Handeln orientiert: Regeln/Gesetze der Gesellschaft, Verpflichtungen in Hinblick auf eine Gruppenzugehörigkeit, übergeordnete absolute Werte und Rechte (Leben, Freiheit). Moralisch gerechtfertigt ist ein Handeln, wenn durch Abwägung aller Faktoren der größtmögliche Nutzen für die Allgemeinheit erreicht wird.
Unterkategorien:
5.1. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass eine Stärkung der Partei oder der Wirtschaft dem Land/der Gesellschaft nutzt.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass Partei und Wirtschaft zwei Faktoren sind, die für die Gesellschaft wichtige Funktionen haben (nämlich ihr Überleben zu sichern), und ihre Stärkung darüber für die Allgemeinheit wichtig ist.
Beispiel: "Wir brauchen eine starke CDU, weil nur so in diesem
Land Ordnung herrschen kann."
Nicht gemeint ist, wenn der Nutzen auf Wirtschaft oder Partei allein beschränkt ist.
5.2. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die Zahl der Nutznießer zu gering ist bzw. sich auf Einzelpersonen oder eine bestimmte Gruppe beschränkt.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass die Handlung nur für eine Einzelperson oder eine bestimmte Interessengruppe von Vorteil war und nicht dem Wohl einer größeren Gruppe gedient hat.
Beispiel: "Er hat doch nur in seine eigene Tasche gewirtschaftet."
Nicht gemeint ist, wenn darauf abgezielt wird, dass die Handlung damit gegen höhere ethische Prinzipien verstößt.
5.3. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass der Nutzen für die Gesellschaft so groß ist, dass ein Verstoß gegen übergeordnete Prinzipien gerechtfertigt erscheint.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass die Handlung zwar kritisiert wird, weil übergeordnete Werte wie Demokratie und Chancengleichheit verletzt wurden, aber sie dennoch nicht verurteilt wird, weil der Nutzen für die Allgemeinheit als hoch eingeschätzt wird.
Beispiel: "Er wollte damit viele Arbeitsplätze schaffen."
Nicht gemeint ist eine Beurteilung der Handlung in ihrem Verhältnis zu Gesetzesverstößen.
6. Oberkategorie: universelle ethische Prinzipien
"Eine Handlung ist nur gerechtfertigt, wenn sie allgemeingültigen ethischen
Prinzipien nicht widerspricht."
- Bewusstsein von allgemeingültigen ethischen Prinzipien, die gleiche Rechte für alle Menschen und Achtung der Würde des Einzelwesens gewährleisten. Gesetze werden eingehalten, wenn sie aus diesen Prinzipien hervorgegangen sind. Moralisch gerechtfertigt ist nur das Handeln, das den universellen ethischen Prinzipien nicht widerspricht.
Unterkategorien:
6.1. Die Handlung wird daraufhin beurteilt, ob sie in Widerspruch zu übergeordneten absoluten Werten und Rechten wie Demokratie, Wahrheit und Gleichberechtigung/Chancengleichheit steht.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass die Handlung in einem größeren Sinnzusammenhang (nämlich bezogen auf vorliegende Verletzungen demokratischer Prinzipien und der Chancengleichheit sowie auf das explizite Verbreiten von Unwahrheiten) beurteilt wird und dass dies die relevante Beurteilungsdimension darstellt.
Beispiel: "Er hat gelogen."
Nicht gemeint ist, wenn auf Gesetzesverstöße allgemein abgezielt wird.
6.2. Die Handlung wird im Hinblick darauf beurteilt, dass die verletzten Gesetze aus übergeordneten Werten wie der Demokratie hervorgegangen sind.
Gemeint ist, dass in der Argumentation deutlich wird, dass der mit der Handlung begangene Gesetztesverstoß deshalb verurteilt wird, weil die Gesetze eine Explikation höherer Werte (z.B. Demokratie) darstellen.
Beispiel: "Er hat damit gegen grundlegende demokratische Prinzipien
unserer Verfassung verstoßen."
Nicht gemeint ist, dass in der Argumentation darauf abgezielt wird, dass Gesetze allgemein eine solche Verbindlichkeit haben, dass ihre Einhaltung unbedingt gefordert wird.
7. Restkategorie
- Hierunter fallen Aussagen, die entweder nicht eindeutig zugeordnet werden können oder sich einer Einordnung bezüglich der Bewertung der Handlung entziehen oder nur darauf abzielen, welche Veränderungen auf Grund der Affäre angestrebt werden.
Beispiel: "Das System Rau ist eines, das auf einem großen
Maß an Zuwendung beruht, an persönlichen Gesprächen mit Menschen."
und: ,,Jedenfalls kann Johannes Rau für sich in Anspruch nehmen, mit der
nötigen Sorgfalt die Informationen so schnell wie möglich gegeben
zu haben, die er verfügbar machen konnte." und: ,,Wir müssen
einfach dafür sorgen, unser Finanzsystem transparent zu machen."

R.Mohseni
Letzte Änderung: 08/13/2001 19:07:09