LEHRE Systematik der Bedingungen
des menschlichen Lernens
Das allgemeine Lehr-Lern Modell

Auszüge aus der Habilitationsschrift von Prof. Dr. H. RÜPPELL

Das Adaptive Lehr-Lern-System (ALLS)


 

1. Einleitung

2. Das Konzept von Lernumwelten

2.1 Definition lernfördernder Umweltbedingungen

2.2 Allgemeine Merkmale von Lernumwelten

3. Die Entwicklung einer Lernumwelt zur vorschulischen Intelligenzförderung - Die erste Phase zur Systementwicklung -

3.1 Umweltbedingungen ausgewählter vorschulischer Lernumwelten

3.2 Auswahl lernfördernder Umweltbedingungen für eine vor-schulische Intelligenzförderung

3.2.1 Kurzbeschreibung des Konzepts der systematischen Intelligenz-förderung
3.2.2 Begründung der Auswahl der lernfördernden Umweltbedingungen

3.3 Strukturierung der Lernumwelt

3.4 Zuordnung von Spielen zu Lernzielfähigkeiten

3.5 Planung einer Lernsequenz

3.6 Erprobung und Bewertung der vorschulischen Spieleumwelt

3.6.1 Vorerprobung der Spiele
3.6.2 Evaluationsplan, Durchführung, Ergebnisse

4. Veränderungen der Forschungsstrategie

4.1 Die externe Validität lehr-lern-psychologischer Aussagen

4.1.1 Demonstration des Problems der externen Validität
4.1.2 Externe Validität im Kontext der ATI-Forschung

4.2 Methodologie langfristiger Optimierungen

4.3 Lernprozeßorientierte Lernerfolgsmessung

4.4 Schritte der Forschungsstrategie

5. Erweiterung und Systematisierung der lernfördernden Umweltbedingungen

5.1 Erste Erweiterung der Umweltbedingungen anhand von ausgewählten Unterrichtskonzeptionen

5.1.1 Ausgewählte Konzeptionen zur Individualisierung schulischer Lernprozesse
1. Merkmale der individualisierten Instruktion
2. Mathematische Optimierung von Lernprozessen
3. Merkmale der Lehr-Lern-Instrumente von GLASER et al.

5.1.2 Ausgewählte Modelle kooperativer Kleingruppenarbeit

5.1.2.1 Puzzle-Gruppen
5.1.2.2 Programmiertes Peer-Tutoring
5.1.2.3 Regelspielsysteme

 


1. Einleitung

Von der pädagogischen Psychologie wird vielfach erwartet, daß sie ausgereifte Förderungsprogramme für unterschiedliche Lerninhalte bereitstellt. Diese Erwartungen kann aber die pädagogische Psychologie auch heute, nachdem z.B. SELZ (1935) vor nahezu fünf Jahrzehnten mit der Entwicklung entsprechender Programme begonnen hatte, nur in geringem Maße erfüllen. Zum einen existieren wenige ausgereifte Programme und zum anderen ist auch ihre Effektivität trotz vieler Effektivitätsuntersuchungen weitgehend ungeklärt. Beispielhaft hierfür ist etwa das Kreativitätsförderungsprogramm von CONVINGTON et al. (1972). Woran liegt es, daß kaum eines der Programme einmündete in den Weg der kontinuierlichen empirischen Verbesserungen, der kennzeichnend für die Entstehung von Technologien in anderen Wissenschaftsbereichen ist? Eine Antwort versucht CRONBACH, der wohl bedeutendste Methodiker im Bereich der pädagogisch-psychologischen Evaluationsforschung, 1978 zu geben, indem er nach mehr als 40 Forschungsjahren im Bereich der Evaluation pädagogisch-psychologischer Programme eine Forschungsstrategie vorschlägt, die komplexe Förderungsprogramme entstehen lassen soll. Diese wird hier ausführlicher behandelt, weil sie das Forschungsparadigma beschreibt, das auch der Entstehung des von mir entwickelten Lehr-Lern-Systems zugrunde liegt. CRONBACH geht von drei typischen Fragen aus, die jedem Programmentwickler immer wieder gestellt werden:
Erreicht das Programm seine Ziele?
Hat das Programm einen Effekt?
Um wieviel ist der durchschnittliche Effekt größer als bei einem anderen Programm?

CRONBACH geht auf diese Fragen folgendermaßen ein:

Die Formulierung der Fragen setzt voraus, daß die Form eines Programms vollständig festgelegt ist und das Evaluationsziel darin besteht, die Vorzüge des erstarrten Programms nachzuweisen. Eine derartige Bewertung wird im allgemeinen summativ genannt, um sie von der formativen abzuheben, bei der das Programm als lebendig betrachtet wird und Wege zu seiner Verbesserung gesucht werden. Während also die summative Evaluation auf den Nachweis von eng umgrenzten Effekten abzielt, versucht die formative, den Prozeß der Treatment-Entwicklung zu steuern. Bei einer summativen Evaluation wird typischerweise ein Programm in einem Jahr entwickelt und für die Überprüfung werden weitere vier Jahre veranschlagt. Im fünften Jahr muß dann der Programmentwickler die Entscheidung über das Programm fällen, das er bereits im ersten Jahr festgelegt hatte. Im allgemeinen bekommt der Programmentwickler aber gerade erst in diesen Forschungsjahren einen immer besseren Einblick in die Wirkungsweise des Programms in der speziellen Situation und Population, so daß er zum Zeitpunkt der Entscheidung meistens von der Notwendigkeit grundsätzlicher Veränderungen überzeugt ist und viele Verbesserungsmöglichkeiten vor Augen hat. Für die konkrete Umsetzung dieser Möglichkeiten geben aber die vergleichenden Effektivitätsdaten, die im letzten Forschungsjahr anfallen, wenig her.

Im experimentellen Labor ist das anders. Hier können zahlreiche Pilotstudien mit kleinen Stichproben durchgeführt werden und schließlich kann die jeweilige Hypothese mit einem Kontrollgruppendesign, bei dem Überraschungen nahezu ausgeschlossen sind, getestet werden. Bei der Bewertung eines komplexen Förderungsprogramms im pädagogischen Feld sind solche vorklärenden Pilotuntersuchungen nur sehr begrenzt möglich, so daß im Laufe der Programmdurchführung im allgemeinen unvorhergesehene Ereignisse auftreten und wesentliche Änderungen erforderlich werden. Ein statistischer Kontrollgruppenvergleich kann dann nur noch die Daten einer schlecht spezifizierten Sequenz von Treatmenteinsätzen zusammenfassen, die kein anderer Forscher replizieren kann und will. Darüberhinaus sind die summativen Ergebnisse in Form von globalen Effektivitätsaussagen auch für den potentiellen Programmanwender wenig informativ, denn dieser fragt nicht wie das Programm in einer "mysteriöstypischen" Situation (in die das persönliche Engagement des Programmentwicklers normalerweise noch hineinspielt) gewirkt hat, sondern wie es in seiner speziellen Situation wirken wird. Summative Daten sind für derartige Explorationen weitgehend nutzlos. Formative Daten, die z.B. beschreiben, was sich beim Programmeinsatz in der Situation abgespielt hat, lassen dagegen Rückschlüsse darauf zu, wie das Programm unter veränderten Bedingungen arbeiten wird. Selbst wenn summative Effektivitätsdaten informativ wären, bestünde das Problem, daß eine einzige, noch so gut geplante Effektivitätsuntersuchung im pädagogischen Feld nicht das Signal dafür setzen kann, das Programm zu empfehlen oder es zu verwerfen. Als Endpunkte eines Kontinuums lassen sich zwei methodologische Kontrapositionen beschreiben: "hard-headed tests of program benefits" und "naturalistic case studies". Der ersten Position liegt die Überzeugung zugrunde, eine Evaluation sei um so besser, je näher sie an ein echtes Experiment bzw. einen intern validen Kontrollgruppenvergleich herankommt. Die zweite Position geht aus einer humanistischen Sichtweise hervor, die das Programm bewußt aus der subjektiven Sichtweise des Entwicklers und des "Klienten" betrachtet und in einem "sensitive, appreciative observer" das nützlichste Evaluationsinstrument sieht. Vor einer Annäherung an eine dieser beiden Positionen ist es wichtig, den "trade-off" zu erkennen, denn die Vorteile, die beim Hinbewegen zu einer dieser Positionen entstehen, müssen erkauft werden durch Nachteile aus der Sicht der anderen Position. Zu dieser Erkenntnis will CRONBACH dem Programmentwickler durch sein umfangreiches und in Kürze erscheinendes Werk "Designing Educational Evaluations" verhelfen (1978), allerdings nicht, ohne seine subjektive Meinung deutlich zum Ausdruck zu bringen:

"My analysis grows out of 40 years of evaluative work and methodological studies. I have worked primarily with measurements and statistical analysis, and have been a technical consultant for large surveys and approximations to experiments. I have never, however, chosen to conduct an experiment with cotrolled assignment in my own research or evaluation. My emphasis on the formative, which has already emerged in this chapter, is of long standing." (CRONBACH 1978, S. 24). Einige der allgemeinen Überlegungen von CRONBACH haben RÜPPELL & RUDINGER (1979) auf der spezielleren Ebene der Anwendung der konkreten quantitativen Verfahren weiter ausgearbeitet, mit der Konsequenz, daß die meisten Verfahren im pädagogischen Feld keine eindeutigen und generalisierbaren Aussagen in Aussicht stellen, denn die damit zu erzielenden Ergebnisse sind nur in Ausnahmefällen eindeutig und meistens müssen den Interpretationen subjektivheuristische oder theoretische Annahmen zugrundegelegt werden. Zu fragen ist daher, ob der empirische Aufwand zur Erzielung generalisierbarer Aussagen im pädagogischen Feld lohnend erscheint, oder ob es ökonomischer wäre, die Forschungsaktivitäten weitgehend auf die permanente Verbesserung des Treatments und des Verstehens seiner Wirkungsweise zu verlegen (RÜPPELL & RUDINGER 1979, S. 251). Auf diesem Hintergrund ist es zu verstehen, daß ich, nachdem ich zunächst selbst einen umfangreichen, auf interne Validität abzielenden Kontrollgruppenvergleich durchgeführt hatte (s. 3.), die summativen Evaluationsversuche aufgegeben und mich statt dessen an der flexiblen Suchmethode von CRONBACH orientierte. Neben diesen methodisch-methodologischen Überlegungen waren zwei weitere Gründe für meinen forschungsstrategischen Richtungswechsel ausschlaggebend:

  1. das Deutlichwerden der mangelnden Beweiskraft noch so ausgedehnter Serien von experimentell orientierten Kontrollgruppenvergleichen und
  2. die Ausbreitung einer eher pessimistischen Grundstimmung bezüglich einer direkten Anwendung pädagogischpsychologischen Wissens auf die Unterrichtspraxis:

Die mangelnde Beweiskraft ausgedehnter Serien von Kontrollgruppenvergleichen zeigte sich in der pädagogischen Forschung durch die Tatsache, daß diese Serien zu ganz verschiedenen Effektivitätseinschätzungen führten und typischerweise in sogenannte Meta-Analysen einmündeten. In diesem wird im allgemeinen eine Vielzahl von Effektivitätsuntersuchungen zu ein und demselben Gegenstand nach statistischen Kriterien vergleichbar gemacht, um sie dann integrativ bewerten zu können. Eine derartige Ausuferung von vergleichenden Effektivitätsuntersuchungen ist beispielsweise in so unterschiedlichen Bereichen zu dokumentieren wie der Effektivität des "advance  organizers" (BARNES & CLAWSON 1975), dem Einfluß der Klassengröße auf die Schulleistung (SMITH & GLASS 1980) oder den Auswirkungen des Lehrerverhaltens (SHAVELSON & RUSSO 1977). Die Tatsache, daß der Effektivitätsstreit auch nach solchen Metaanalysen, in die z.B. im Falle des "advance  organizers" weit über 100 Einzelstudien einbezogen wurden, nicht beendet ist (vgl. AUSUBEL 1978), zeigt, daß der angestrebte Konsens bezüglich der Effekte auch auf diese Weise nicht immer entsteht. Die dafür verantwortlichen methodisch-methodololgischen Schwierigkeiten potenzieren sich bei komplexen Förderungsversuchen. Die Ausbreitung einer eher pessimistischen Grundstimmung bezüglich der direkten Anwendung pädagogisch-psychologischen Wissens spiegelt WEINERTs These wider, daß "vielmehr davon auszugehen ist, daß das bruchstückhafte theoretische Wissen in diesem Bereich nur sehr begrenzt zur wissenschaftlichen Fundierung praktischpädagogischen Handelns geeignet ist" (WEINERT 1979, S. 196). Die von CRONBACH favorisierte und in der vorliegenden Arbeit schließlich auch praktizierte Suchmethode der sukzessiven Revision wird meines Erachtens nicht nur dem Problem der Programmentwicklung besser gerecht als die experimentell orientierten Kontrollgruppenvergleiche, sondern auch dem Problem der Theorieentwicklung, die die Programmentwicklung begleiten kann. Faßt man diese Entwicklung mit WEINERT (1979) als Aufgabe auf, über ein sich veränderndes und zunehmend präziser werdendes System theoretischer Aussagen über das Verhältnis von Lernen und Umweltbedingungen schließlich zu einer in sich geschlossenen Lehr-Lerntheorie zu gelangen, so wird das Konzept einer Serie von sogenannten Veränderungsexperimenten nahegelegt. Diese "Experimente" sind darauf angelegt, die Funktionsweise komplexer Systeme durch die verändernde Einflußnahme auf einzelne Subsysteme zu erforschen. BRONFENBRENNER verdeutlicht dieses von der sowjetischen Psychologie bevorzugte Vorgehen durch die Kurzformel: "If you want to understand something, try to change it" (BRONFENBRENNER 1977, S. 517).

In diesem Sinne sind im Falle der Planung von Lernumwelten psychologische Theorien und Ergebnisse in Merkmale der Lernumwelt umzusetzen und aus der Effektivität dieser Umsetzungen Rückschlüsse auf die Angemessenheit der verwendeten Theorien und Ergebnisse zu ziehen. Die theoretischen Grundlagen einer Lernumwelt können auf diese Weise im Rahmen aufeinanderfolgender Erprobungen mit dem Ziel modifiziert werden, das Ausmaß des lehr-lern-theoretischen Eklektizismus sukzessive zu verringern, um letztlich zu einer übergreifenden Lehr-Lern-Theorie zu gelangen. Die Idee des Veränderungsexperiments unterstützt auch GLASER (1976), wenn er aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit der Erprobung einer komplexen Lernumwelt von der Notwendigkeit einer "design-science" spricht, deren Ziel er darin sieht, das Wissen und die Theorien über das menschliche Lernen in effektive Lehr-Lern-Methoden zur Maximierung von Lernprozessen umzusetzen und das Wissen und die Theorien dabei gleichzeitig zu überprüfen. Dieses Wissen und diese Theorien beziehen sich dabei nicht nur auf die Parameter der Lernumwelt, sondern genauso auf die Lernziele, die sie vermitteln will. Die allgemeinen Konsequenzen der angeführten Forschungsstrategie münden in Forschungsleitlinien, wie sie von MONTADA (1980) aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive und von KAMINSKI (1979) aus einer ökologischen Perspektive aufgezeigt werden und die die Entwicklung komplexer Sozialtechnologien als einen heuristischen Suchprozeß mit vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Theorie und Praxis kennzeichnen. Nach dieser methodologischen Einleitung bzw. Einstimmung soll nun die inhaltliche folgen. Die mich bewegende Frage war, wie nahezu jedes Kind innerhalb der vorfindbaren Rahmenbedingungen einen repräsentativen Satz von Denkstrategien und ein produktives soziales Lernverhalten erwerben kann. Später habe ich die Frage ausgeweitet auf die Stärkung des Selbstkonzepts. Antworten auf ähnliche Fragen sollten vor allem durch die amerikanischen Vorschulprogramme gegeben werden, die im Geiste einer kompensatorischen Erziehung in den sechziger Jahren entwickelt und erprobt wurden. Als Hauptkritikpunkte an diesen Programmen wurden, nachdem die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren, die unzureichende theoretische Fundierung und die zu hastige Programmentwicklung hervorgehoben. "In sum, the field was illequipped to meet the new challenge" (SIGEL 1973, S. 101). Mit Ausnahme des MONTESSORI-Programms waren die kompensatorischen Vorschulprogramme nicht ausgereift genug, um die aufwendige summative Evaluation zu rechtfertigen: "The urgency to establish programs in spite of the lack of knowledge dealing with socalled deficits of the impovershed meant that the task of programming the educational effort was put together with little time for thoughtful planning , coordinating the relevant knowledge from the various disciplines (education, psychology, sociology, anthropology, biology), and pilot testing. It was a crash program where the social demands and services were primary. In effect, programs were really pilot efforts, and hence these evaluation studies should be generally considered as pilot studies." (SIGEL 1973, S. 102). Die Antwort auf die mich bewegende Frage versuchte ich zu Beginn meiner Arbeit in den siebziger Jahren, also in der Phase einer noch optimistischeren Einschätzung der direkten Anwendbarkeit pädagogisch-psychologischen Wissens, folgendermaßen zu geben: Definiere zunächst die Menge repräsentativer Denkstrategien auf dem Boden faktorenanalytischer Intelligenzforschung und suche dann Alltagssituationen, in denen Kinder relativ mühelos komplexe Denkstrategien erwerben und ein produktives Sozialverhalten zeigen. Bette diese Situationen dann in eine Lehr-Lern-Theorie ein und reichere sie mit aktuellen Lehr-Lernprinzipien an!

Den repräsentativen Satz von Denkstrategien bestimmte ich auf der Basis des Intelligenzstruktur-Modells von GUILFORD (1967). Die entsprechenden Alltagssituationen sah ich in dem Konzept von Regelspielen. Durch die soziokulturelle Spieltheorie von MOORE & war dieses Konzept bereits durch eine geeignete Lehr-Lerntheorie umschlossen worden. Anreichernde lehr-lerntheoretische Prinzipien sah ich zum Beispiel in dem Modellernen nach BANDURA oder in dem Verstärkungsprinzip nach SKINNER. Auf diesem Hintergrund analysierte ich das kulturelle Spieleangebot, um für jede zu vermittelnde Denkstrategie ein geeignetes Spiel zu finden. Für diejenigen Strategien, für die keine bereits existierenden Spiele gefunden werden konnten, mußte ich neue Spiele erfinden. Diese Spiele wurden dann nach lehr-lerntheoretischen Gesichtspunkten in eine sogenannte Transferhierarchie gebracht. Die Effektivität des vorschulischen Teils dieser Hierarchie wurde dann in einem großangelegten Kontrollgruppenvergleich untersucht. Das Ergebnis war eindeutig negativ, denn die Strategien konnten in der halbjährigen Förderungszeit nicht allen Kindern vermittelt werden, und die erwarteten Transfereffekte auf die zugrundeliegenden kognitiven Fähigkeiten blieben aus. Die teilnehmende Beobachtung während der Durchführung des Versuchs lehrte genau das, was CRONBACH in "Design Educational Evaluation" prognostiziert, denn diese Beobachtung legte grundsätzliche Veränderungen und viele Verbesserungsmöglichkeiten der Spiele nahe. Der Abschluß der Untersuchung markiert denn auch die methodologische Wende. Aufgrund der teilnehmenden Beobachtung wurde das negative Ergebnis nicht so interpretiert, wie JENSEN (1969) das relative Scheitern der kompensatorischen Versuche in seiner förderungspessimistischen Schwellentheorie ausgelegt hatte. Vielmehr wurde im Sinne von CRONBACH ein Weg gesucht, das Förderungsprogramm zu verbessern. Diese Suche begann mit einer Neukonzeptualisierung der zugrundeliegenden Forschungsstrategie. Vor der Anwendung dieser mehrstufigen Optimierungsstrategie wurden zwei Erweiterungen vorgenommen:

  1. die soziokulturelle Spieltheorie von MOORE & ANDERSON wurde wegen ihrer zu geringen Spezifität für die Lehre von Denkstrategien als übergeordnete Lehr-Lerntheorie fallengelassen und statt dessen in Anlehnung an aktuelle Theorien der menschlichen Informationsverarbeitung eine auf dieses Problem zugeschnittene Theorie entworfen.
  2. Die lehr-lerntheoretischen Prinzipien, die bisher zur Anreicherung der Regelspiele gedient hatten, wurden durch ein umfassendes Literaturstudium erheblich erweitert und in den Entwurf des neuen Lehr-Lern-Systems eingebettet.
Danach folgte die Anwendung der Forschungsstrategie, die sich folgendermaßen gestaltet: Zunächst wurde das Lehr-Lern-System auf dem Hintergrund der neu entwickelten Lehr-Lerntheorie und der erweiterten lehr-lerntheoretischen Ressourcen im Groben entworfen und im Rahmen eines sechswöchigen Schulversuchs erprobt. Die teilnehmende Beobachtung macht hierbei wiederum grundlegende Schwierigkeiten deutlich, etwa die unzureichende Regulation der Aufmerksamkeit, so daß der erste Entwurf des Systems noch einmal gründlich verändert werden mußte. Diese Veränderung wurde auch durch eine prozeßorientierte Diagnose des Denkverhaltens nahegelegt, die gleichzeitig die ersten Effektivitätsbelege für das System lieferte.Im Rahmen eines zweiwöchigen Laborversuchs erfolgte dann der Entwurf der Feinstruktur des Systems, wozu das Lernverhalten der Schüler videographiert und anschließend einer vielfach wiederholten reflektierenden Betrachtung unterzogen wurde. Diese führte zu einer Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen, um das mikrostrukturelle Lerngeschehen produktiver gestalten zu können. Zusätzlich wurde wieder das Denkverhalten diagnostiziert, und hierbei zeigte sich erstmalig eine zufriedenstellende Effektivität.Danach folgte wiederum ein sechswöchiger Schulversuch, in dem das Lernverhalten wiederum videographiert, diesmal aber mit systematischen Beobachtungsmethoden ausgewertet wurde. Die daraus resultierenden Ergebnisse führten zusammen mit einer nochmals durchgeführten prozeßorientierten Diagnose des Denkverhaltens zur vorläufig endgültigen Gestalt des Lehr-Lern-Systems und zu weiteren Effektivitätsbelegen, die allerdings weniger positiv ausfielen als die vorigen. Schließlich wurde in einem abschließenden, wiederum sechswöchigen Schulversuch gezeigt, daß das System in der Lage ist, das erwünschte Denkverhalten bei fast allen Schülern innerhalb der durch die Schule gegebenen Rahmenbedingungen aufzubauen und daß die didaktische Denktheorie, die begleitende entwickelt wurde, angemessen ist. Die Abfolge der Forschungsschritte läßt sich abbilden auf ein Referenzsystem zur Einordnung der methodologischen Hauptprobleme pädagogisch-psychologischer Forschung. Die in diesem System hervorgehobenen Teile zeigen, daß der Forschungsprozeß zunächst in voreiliger Weise hinunterging bis zur summativen Evaluation, um über eine Veränderung der Grundvoraussetzungen, zu denen auch die Änderung der planungsleitenden Theorie gehörte, wieder zurückzugehen zur formativen Evaluation, um dann den Zyklus von Neuplanung und formativer Evaluation mehrfach zu durchlaufen.
Referenzsystem zur Einordnung der methodologischen Hauptprobleme pädagogisch-psychologischer Forschung. Entsprechend der Numerierung verlaufen die wichtigsten Handlungsschritte des pädagogisch-psychologischen Forschungsprozesses. Aus: RÜPPELL & RUDINGER, in: BRANDSTÄDTER, REINERT, SCHNEEWIND (Eds.): Pädagogische Psychologie: Probleme und Perspektiven (1979).

 

2. Das Konzept von Lernumwelten

Die Forderung nach adaptiven Lehr-Lern-Methoden resultiert aus der Beobachtung, daß einige Schüler in einer bestimmten Situation erfolgreich und zufrieden lernen, während andere gleichzeitig erfolglos und unzufrieden sind, sich dieses Verhältnis aber umkehren kann, wenn die Lernsituation verändert wird (vgl. SCHWARZER & STEINHAGEN 1975). Adaptivität bedeutet hierbei die Anpassung des Unterrichts an die unterschiedlichen Fähigkeiten und Präferenzen der einzelnen Schüler, um jedem die Möglichkeit zu geben, in individuell optimaler Weise zu lernen und zu denken. WEINERT (1979) spricht in diesem Zusammenhang von einer Harmonisierung zwischen Lernmöglichkeiten und Lernangebot und unterscheidet auf einer organisatorisch-didaktischen Ebene mit GLASER (1977) fünf Harmonisierungsvarianten:
  1. Harmonisierung durch Selektion oder Plazierung;
  2. Harmonisierung durch gezielte, zeitlich begrenzte Förderung einzelner Schüler;
  3. Harmonisierung durch unterschiedliche Lehrmethoden für unterschiedliche Schülergruppen;
  4. Harmonisierung durch Anpassung der Lehrmethode an die individuellen Lernfortschritte der Schüler;
  5. Harmonisierung durch Variabilität von Lernzielen und Lehrmethoden und einem zusätzlichen Angebot an Förderkursen.
Versucht man, das Harmonisierungsproblem innerhalb des normalen Klassenverbandes ohne einschneidende organisatorische Maßnahmen zu lösen, so wird die Implementation einer großen Anzahl diagnostischer, lehrender, organisierender und therapeutischer Fertigkeiten und deren modifizierende Anpassung an die Erfordernisse der aktuellen Klassenraumsituation erforderlich. Dieses wird einen Lehrer im allgemeinen überfordern. Die vorliegende Arbeit will zeigen, daß die Verwirklichung eines komplexen, adaptiven Unterrichts aber durch bestimmte Formen von Lernumwelten möglich ist.

Das grundlegende Merkmal von Lernumwelten ist die systemhafte Verwirklichung einer Vielzahl lernfördernder Umweltbedingungen, wobei die durch den Lehrer gegebenen Bedingungen nicht die zentrale Rolle spielen. Lernfördernde Umweltbedingungen sind beispielsweise: die Beobachtbarkeit des erwünschten Verhaltens, die Vermittlung informativen Feedbacks bei Unangemessenheiten von Lösungsprozessen oder die Widerspiegelung der individuellen Lernfortschritte im sozialen Kontext.
Lernumwelten wurden für die unterschiedlichsten Lernzielbereiche und Altersgruppen entwickelt. Hierbei trat in den 60er Jahren und frühen 70er Jahren im Rahmen der kompensatorischen Erziehung die Entwicklung vorschulischer Lernumwelten in den Vordergrund. Danach verschob sich der Schwerpunkt auf die Entwicklung schulischer Lernumwelten. Als Orientierungsrahmen für die Entwicklungen in diesem Bereich diente nicht selten das operante Konditionierungsparadigma, wie es in einem späteren Kapitel aufgezeigt wird. Für das Lernen Erwachsener lassen sich erst in jüngster Zeit Lernumwelt-Konzepte erkennen (z.B. SCHRODER 1975). Ein Fehler erprobter Lernumwelten kennzeichnet die Bildungsarbeit mit alten Menschen.

Zwei Hauptfunktionen von Lernumwelten sind:

  1. Jedem Schüler die für ihn optimalen lernfördernden Umweltbedingungen anzubieten und
  2. Schüler und Lehrer die Funktionsweise der Bedingungen so weit erfahren zu lassen, daß Schüler und Lehrer später außerhalb der Lernumwelt zu einer selbständigen Anwendung der Bedingungen befähigt sind.

Den zweiten Punkt betont z.B. GAGNÉ (1976) durch die Forderung, die durch die Umweltbedingungen definierte Steuerung der Informationsverarbeitung allmählich dem Lernenden selbst zu übertragen und ihn dadurch zum sogenannten self-learner werden zu lassen. Daß dieses möglich ist, zeigt z.B. BRUNER (1966) durch einen Tutor-Unterricht, in dem der Tutorierte den Lernprozeß immer dann stoppen mußte, wenn er eine Erklärung des Tutors nicht verstehen konnte. Diese Kontrollverhalten wurde vom Tutorierten soweit automatisiert, daß er den Fluß seiner Informationsaufnahme auch in Abwesenheit des Tutors durch Kontrollfragen regulierte. Der Prozeß des Automatisierens weist hierbei auf die Notwendigkeit hin, den lernfördernden Umweltbedingungen langfristig ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang wird unten von der Internalisation von Umweltbedingungen gesprochen, die die Entwicklung zum autonomen Lernen und damit zum Lernen einleitet. Die frühen Impulse für die Entwicklung von Lernumwelten resultierten vor allem aus der kompensatorischen Erziehung (vgl. GORDON 1972) und der in den 60er Jahren lautgewordenen Frage nach der mangelnden Relevanz der pädagogisch-psychologischen Forschung. Daß eine Antwort bisher noch nicht zufriedenstellend ausgefallen ist, muß zum Teil auf die Schwierigkeiten zurückgeführt werden, die Ergebnisse und Theorien aus den unterschiedlichen psychologischen Teildisziplinen koordiniert auf den Unterricht anzuwenden - eine Aufgabe, die selbst innerhalb der einzelnen Teildisziplinen in der Vergangenheit nicht zufriedenstellend gelöst wurde. Für den Bereich der Pädagogischen Psychologie veranschaulicht WEINERT (1974) dieses Problem im Rahmen einer historischen Betrachtung, die ihn fünf relativ unabhängige Traditionen unterscheiden läßt:

  • die entwicklungspsychologische Tradition
  • die lernpsychologische Tradition
  • die sozialpsychologische Tradition
  • die klinisch-psychologische Tradition
  • die unterrichtspsychologische Tradition.
Jeder dieser Traditionen ordnet WEINERT schwerpunktmäßig bestimmte Forschungsaufgaben zu, z.B.:
  • der entwicklungspsychologischen Tradition die Bestimmung alterstypischer Lernprozesse, die Erklärung individuell unterschiedlicher Lernprozesse durch unterschiedliche Lernbedingungen und die Aufklärung der Faktoren, die die objektive und subjektive Schwierigkeit von Lernaufgaben ausmachen;
  • der lernpsychologischen Tradition die Erforschung schulischer Lernprozesse und die Entwicklung pädagogisch relevanter Theorien in Bezug auf einsichtige, entdeckende und didaktische artikulierte Lernprozesse;
  • der unterrichtspsychologischen Tradition die lernpsychologisch fundierte Organisierung von Lehr-Lern-Prozessen unter Berücksichtigung der Lernart, Lerninhalten, Merkmalen des Lernenden und einer möglichst großen Anzahl von Rahmenbedingungen.

Die unterrichts- und lernpsychologische Tradition weist die direktesten Beziehungen zum Problem der Entwicklung von Lernumwelten auf, weil diese Tradition einerseits die Analyse potentiell lernfördernder Umweltbedingungen zum Forschungs gegenstand hat, andererseits Strategien zur Optimierung von Lernprozessen zur Verfügung stellen will. Die Entwicklung von Lernumwelten berührt aber auch zentrale Probleme der anderen Traditionen, etwa die Aufklärung der Faktoren, die die subjektive und objektive Schwierigkeit von Lernaufgaben ausmachen, die Untersuchung des Lernens in Gruppen, die Verbesserung präventiver pädagogisch-psychologischer Maßnahmen und diagnostischer Verfahren. So gesehen kommt der Planung und Bewertung von Lernumwelten eine integrierende Funktion für die pädagogisch- psychologische Forschung zu. Nach GAGNÉ (1965) bestehen Lernumwelten aus verschiedenen Medien der Kommunikation, die in bestimmter Weise so angeordnet sind, daß ihre verschiedenen Lehrfunktionen in der Interaktion mit dem Schüler zum Tragen kommen. Den Interaktionsaspekt betonen auch DAVIS, ALEXANDER & YELON (1974):
"A learning system is an organized combination of people, materials, facilities, equipement and procedures which interact to achieve a goal" (DAVIS, ALEXANDER & YELON 1974, S. 303).

 

2.1 Definition lernfördernder Umweltbedingungen

Unter einer lernfördernden Umweltbedingung wird hier die Eigenschaft einer Lehr-Situation verstanden, für die angegeben werden kann, wie sie zu erzeugen ist und für die theoretisch und/oder empirisch begründet werden kann, daß sie im Lernenden kognitive Aktivitäten auslöst, die erwünschte Lernprozesse unterstützen. Die konkrete Vorschrift, wie die jeweilige Eigenschaft zu erzeugen ist, ist die dazugehörende sozial-technologische Regel. Da es im allgemeinen verschiedene Erzeugungsmöglichkeiten gibt, können zu einer Umweltbedingung mehrere sozial-technologische Regeln gefunden werden.
Lernfördernde Umweltbedingungen ergeben sich häufig durch Umformulierung von normativen lehr-lern-theoretischen Aussagen. Geht man zum Beispiel mit BANDURA (1977) von der normativen lehr lern-theoretischen Aussage aus, daß das Modell-Lernen eine wesentliche Komponente beim Erwerb neuer Denkstrategien ist, so läßt sich dieses in die lernfördernde Umweltbedingung "Beobachtbarkeit des erwünschten Denkverhaltens" umformulieren. Eine sozial-technologische Regel, die dann angibt, wie diese Eigenschaft zu erzeugen ist, könnte heißen: "Trainiere einen kompetenten Schüler einer Lerngruppe im lauten Denken und biete ihm in der Gruppenarbeit Aufgaben, die er laut denkend lösen soll." Eine andere Regel wäre: "Zeige Filme, in denen ein Experte das erwünschte Denkverhalten demonstriert." Geht man in einem anderen Beispiel mit LONG (1971) davon aus, daß die Organisation eines Lehrprozesses sich hilfreich auf die Organisation der eigenen Lernprozesse auswirkt, so läßt sich dieses in die lernfördernde Umweltbedingung " Peer-Tutoring" umformulieren. Eine sozial-technologische Regel könnte dann heißen: "Statte einen Schüler einer Lerngruppe mit einem Informationsvorsprung aus und fordere ihn auf, die entsprechende Information den Mitschülern zu vermitteln."
Die Eigenschaft einer Lehr-Lern-Situation läßt sich manchmal nur sehr umständlich durch ein zusammenfassendes Merkmal beschreiben. In diesen Fällen werden lernfördernde Umweltbedingungen hier auch durch die Zustände und Aktivitäten benannt, die sie im Lernenden auslösen sollen.
Bezüglich einer grundlegenden Diskussion des Konzepts technologischer Regeln sei hier auf LUKESCH (1979) verwiesen. An dieser Stelle soll lediglich darauf hingewiesen werden, daß die Bezeichnung "technologisch" gewählt wurde, um zu betonen, daß die Verwirklichung einer Umweltbedingung konkrete Handlungsanweisungen erfordert, die in der jeweiligen Lehr-Lern- Situation unzweideutig umsetzbar sind.
Durch den Begriff der technologischen Regel sollen aber keine Assoziationen zu dem kontroversen Konzept einer Sozial- Technologie geknüpft werden, die manchmal unabhängig von möglichen konnotativen Verflechtungen als Sammelbezeichnung für verschiedene Arten komplexer psychologischer Treatments Verwendung findet, in anderen Kontexten häufig aber auch technokratische Steuerungsmethoden für menschliches Verhalten kennzeichnen soll.

 

2.2 Allgemeine Merkmale von Lernumwelten

Lernumwelten sind durch die koordinierte Verwirklichung einer Vielzahl lernfördernder Umweltbedingungen gekennzeichnet. Hierbei kommt den Beziehungen zwischen den einzelnen Bedingungen eine entscheidende Bedeutung zu. Lernumwelten können daher abstrakt als komplexe Systeme bezeichnet werden.
Entstammen die lernfördernden Umweltbedingungen vorwiegend einer relativ geschlossenen Lern- und/oder Entwicklungstheorie, kann von theoretisch homogenen Umwelten gesprochen werden. Der Entwurf einer Unterrichtstheorie von BRUNER (1966) oder die Denkumwelt von FURTH & WACHS, die eine Anwendung der Theorie von PIAGET darstellt, können diesem Fall zugerechnet werden. Das Problem der theoretisch homogenen Lernumwelt besteht darin, auf viele lernfördernde Umweltbedingungen a priori verzichten zu müssen, obwohl deren Effektivität durch andere Theorien und empirische Ergebnisse häufig mehrfach gestützt ist. Der Vorteil theoretischer Konsistenz wird hierbei zumindest aus der Sicht des Schülers in Frage gestellt, dem diese Lernbedingungen vorenthalten werden.
Zu beobachten ist, daß die Entwicklung von Lernumwelten manchmal theoretisch homogen begonnen, durch die Hinzunahme weiterer Umweltbedingungen aber während der Weiterentwicklung dieser Umwelt nach und nach zu einer theoretisch heterogenen Lernumwelt umgewandelt wird. Die Erweiterungen des programmierten Unterrichts sind Beispiele hierfür. Die Ursachen für solche Veränderungen während der Erprobung einer Lernumwelt sind häufig in der Komplexität der Lernprozesse zu sehen, in deren verschiedenen Phasen die unterschiedlichen Theorien unterschiedlich angemessen erscheinen. Ein Extremfall einer solchen differentiellen Zuordnung von Theorien zu Lernprozeßphasen könnte z.B. so aussehen, daß für die Planung der Anfangsphase die Lehr- Lern-Theorie von AUSUBEL (1963), für die mittlere Phase die soziale Lerntheorie von BANDURA (1977) und für die Endphase die Verstärkungstheorie von SKINNER (1968) herangezogen wird. Ein zweites allgemeines Merkmal von Lernumwelten kann in dem Grad der Strukturierung der Lernsequenz gesehen werden. Hochstrukturierte Lernumwelten zeichnen sich im allgemeinen durch eine genaue Kontrolle der Durcharbeitung und Bewältigung von detailliert vorgegebenen Lernschrittfolgen aus. Beispiele hierfür sind das Instruktionsdesign von GAGNÉ & BRIGGS (1974) und die Lehr- Lern-Instrumente von GLASER.

Ein drittes allgemeines Merkmal von Lernumwelten ist das Verhältnis von quantitativen und qualitativen Individualisierungsmöglichkeiten. Quantitativ individualisieren bedeutet, im wesentlichen Bedingungen zu schaffen, die dem Lernenden die Selbstregulierung der Lerngeschwindigkeit ermöglichen. Qualitative Individualisierung liegt vor, wenn einige Schüler unter ganz anderen Umweltbedingungen lernen können als andere, z.B. unter Bedingungen des entdeckenden Lernens oder des verstehend-rezeptiven Lernens. Die hier angeführten Merkmale von Lernumwelten sollten lediglich eine grobe Vororientierung im Sinne eines advance-organizer ermöglichen. Die Erarbeitung eines Klassifikationssystems für Lernumwelten geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Im folgenden Kapitel wird die Entwicklung einer lerntheoretisch heterogenen Lernumwelt mit geringem Strukturierungsgrad und qualitativen Individualisierungsmöglichkeiten beschrieben. Schon an dieser Stelle sei angemerkt, daß diese Entwicklung zwar den Ausgangspunkt der Entstehung des Adaptiven Lehr-Lern-Systems markiert, aber mit der letztlich entwickelten Version des Systems kaum noch Gemeinsamkeiten hat. Der Grund hierfür ist in der gewählten Forschungsstrategie zu sehen, die durch die Methode der sukzessiven Revision gekennzeichnet ist.

 

3. Die Entwicklung einer Lernumwelt zur vorschulischen Intelligenzförderung - Die erste Phase der Systementwicklung -

In diesem Kapitel wird beschrieben, wie eine vorschulische Lernumwelt zur systematischen Intelligenzförderung entwickelt und erprobt wurde und welche Konsequenzen für die Weiterentwicklung der Lernumwelt daraus resultierten. Zunächst wird hierzu ein Überblick über bekannte vorschulische Lernumwelten gegeben, um dann in Anlehnung an diese Lernumwelten die Menge potentiell lernfördernder Umweltbedingungen zusammenzustellen, die durch die vorschulische Lernumwelt verwirklicht werden sollen. Das allgemeine Ziel der Entwicklung dieser Lernumwelt ist es, ein System lernfördernder Umweltbedingungen so im Kindergarten zu verwirklichen, daß den Kindern ein Überlernen ausgewählter kognitiver Fähigkeiten ermöglicht und gleichzeitig die Entwicklung erwünschter sozialer und emotionaler Verhaltensweisen unterstützt wird. Das Überlernen der kognitiven Fähigkeiten soll zu einer Verringerung interindividueller Differenzen im kognitiven Bereich führen, weshalb die Umweltbedingungen besonders auf die Lernprozesse von kognitiv wenig geförderten Kindern ausgerichtet werden. Die Lernprozesse sollen darüberhinaus aber auch die Entwicklung derjenigen kognitiven Fähigkeiten anregen, die auch bei den kognitiv ausreichend stimulierten Kindern in unserer Gesellschaft im allgemeinen wenig Anregung erfahren. Die entwickelte Lernumwelt verfolgt somit in zweierlei Hinsicht eine kompensatorische Absicht: Sie will einerseits interindividuelle Differenzen ausgleichen, und sie will andererseits solche kognitiven Lernprozesse in Gang setzen, die in unserem Kulturkreis im allgemeinen vernachlässigt werden. Das so beschriebene Lernziel ist, verglichen mit den weitgefaßten Lernzielkatalogen der im folgenden beschriebenen vorschulischen Lernumwelten, als relativ begrenzt anzusehen. Angesichts dieses begrenzten Lernziels soll hier nicht versucht werden, ein ganzheitliches Vorschulkonzept vorzulegen, sondern nur ein Lernumweltkonzept für einen kognitiv orientierten Ausschnitt des Kindergartens. (Spielehierarchie)

 

3.1 Umweltbedingungen ausgewählter vorschulischer Lernumwelten

Die Darstellung ausgewählter vorschulischer Lernumwelten mit besonderer Betonung der durch sie verwirklichten lernfördernden Umweltbedingungen soll eine Grundlage für die Suche nach denjenigen Umweltbedingungen bieten, die durch die vorschulische Lernumwelt zur Intelligenzförderung verwirklicht werden sollen. In die Auswahl einbezogen wurden solche Lernumwelten, die sich durch explizit beschriebene Umweltbedingungen auszeichnen und die darüberhinaus als geeignet für eine kognitive Förderung in einem sozial emotional angemessenen Kontext erscheinen.

Umweltbedingungen der MONTESSORI-Methode
Ein Beginn der Entwicklung vorschulischer Lernumwelten kann in der Montessori-Umwelt gesehen werden. In dieser Umwelt finden sich nach EVANS (1971) die folgenden lernfördernden Umweltbedingungen:

  • Gleichzeitigkeit sensorischer Reize und feinmotorischer Aktivitäten,
  • Selbstbestimmung der Lernaktivitäten und der Aufeinanderfolge der übergeordneten Lernschritte, wobei aber alle Kinder in einem bestimmten Zeitraum mit den gleichen Materialien arbeiten müssen,
  • Unabhängigkeit vom bewertenden Feedback des Lehrers durch den selbstkorrigierenden Charakter der Materialien, wobei Verstärker auf der sensorischen Ebene auftreten,
  • Fokussierung auf den jeweiligen Lerninhalt durch Unterdrückung von Kontextreizen (z.B. Isolation sensorischer Attribute),
  • Überlernen durch häufige Wiederholungen der Aktivitäten,
  • Lernen durch Lehren (altersheterogene Gruppen),
  • Aufrechterhalten positiver interpersonaler Beziehungen und eines Klimas der gegenseitigen Hilfe und Wertschätzung durch die Erzieherin.

Die lernfördernde Wirkung dieser Bedingungen kann aufgrund neuerer Theorien und empirischer Ergebnisse nachträglich bewertet werden. So wird "learning by doing" aus den Perspektiven der Entwicklungstheorie von PIAGET und der Unterrichtstheorie von BRUNER ebenso favorisiert wie die Selbstbestimmung der Aktivitäten und Lernschrittfolgen. Die Wichtigkeit des selbstkorrigierenden Charakters der Lernmaterialien und die dabei auftretenden Verstärker auf der sensorischen Ebene entspricht dem Feedback-Prinzip der modernen Theorie der Informationsverarbeitung (s.u.). Die Human Engineering Forschung hat gezeigt (vgl. GLASER & COOLEY 1975), daß multimediale Darbietungen von Inhalten nicht immer förderlich sind, was MONTESSORI z.B. durch die Isolation sensorischer Attribute berücksichtigt. Das Überlernen durch die Wiederholung der Aktivitäten steht im Einklang mit lerntheoretischen Konzepten und der Entwicklung von Schemata sensu PIAGET. Die Bedingung "Lernen durch Lehren" wird neuerdings als wichtige lernfördernde Bedingung hervorgehoben. Die Aufrechterhaltung positiver interpersonaler Beziehungen und eines Klimas der gegenseitigen Hilfe und Wertschätzung steht schließlich im Einklang mit den Grundprinzipien der modernen humanistischen Erziehung (vgl. ROGERS 1974). Aufgrund dieser nachträglichen Begründung der lernfördernden Wirksamkeit der einzelnen Umweltbedingungen des Montessori- Ansatzes mit Hilfe unterschiedlicher Theorien und empirischer Ergebnisse kann der Ansatz den lehr-lern-theoretisch heterogenen Lernumwelten zugerechnet werden. Bezüglich der anderen allgemeinen Merkmale von Lernumwelten ergibt sich, daß die Montessori-Umwelt makro-strukturiert und quantitativ individualisierend ist. Die Makro-Strukturiertheit folgt aus der Tatsache, daß alle Kinder die gleichen Materialien bearbeiten müssen, aber relativ frei bezüglich der Art und Reihenfolge der konkreten Lernhandlungen sind. Die quantitativ individualisierende Komponente ergibt sich aus der Möglichkeit, die Zeitausdehnung und Wiederholungsfrequenz der einzelnen Lernschritte der individuellen Lerngeschwindigkeit intuitiv anpassen zu können. Qualitative Adaptivität liegt bei der Montessori-Umwelt nicht vor, weil jedes Kind den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt ist.

Merkmale der Denkumwelt von FURTH & WACHS

Die Denkumwelt von FURTH & WACHS (1974) stellt den Versuch einer Umsetzung der Entwicklungstheorie von PIAGET dar. Denken wird darin gleichgesetzt mit dem aktiven Gebrauch der Intelligenz. Der Intelligenzbegriff basiert auf dem von PIAGET betonten Ganzheitsgedanken, demzufolge die Intelligenz alle menschlichen Verhaltensweisen durchdringt: die Intelligenz zur Koordinierung von Bewegungen ist die gleiche, die das Identifizieren und Wahrnehmen von Objekten ermöglicht, die Bilder und Symbole entstehen läßt oder die dem Gedächtnis oder dem Sprechen zugrundeliegt. Die ganzheitliche Intelligenzauffassung läßt es als unzulässig und für pädagogisches Handeln nachteilig erscheinen, Denken, Wissen, Einstellungen, Emotionen und Motorik getrennt zu beeinflussen. Die zentrale Umweltbedingung der Denkumwelt ist daher: gleichzeitige Beanspruchung der Motorik, der Wahrnehmung und der symbolischen Informationsverarbeitung. Weitere Umweltbedingungen sind:

  • Denkaktivitäten sollen um ihrer selbst willen nützlich sein,
  • die Aktivitäten sollen vorstrukturiert sein, aber Freiheiten für individuelle Lernprozesse lassen,
  • die Aktivitäten sollen entwicklungsmäßig adäquat sein, so daß sie das Kind herausfordern, ohne zu Mißerfolgen zu führen (mittlere Schwierigkeit),
  • das Kind soll seine Aufmerksamkeit auf die Aktivität und nicht auf den Lehrer konzentrieren,
  • die Aktivitäten sollen in Gruppen durchgeführt werden, in denen Kooperation möglich ist,
  • der Lehrer soll als Modell für Denkprozesse wirken.

Die Verwirklichung dieser Prinzipien, d.h. die konkrete Ausgestaltung der Lernumwelt, geschieht durch die genaue Beschreibung von Denkübungen und der dazugehörenden Materialien und Lehreranweisungen. Die Denkübungen wurden aufgrund der Entwicklungstheorie von PIAGET hierarchisch geordnet, wobei die Integration der verschiedenen Subsysteme, wie etwa das visuelle oder motorische System, im Vordergrund steht. Beispielsweise gehen Denkübungen zur Ausbildung "kognitiver Karten" vom Körper den Denkübungen zum Begreifen der Funktionsweisen einzelner Sinne voraus. Nachfolgend werden die Lernprozesse dieser Übungen durch visuell-motorische Denkübungen integriert.

Merkmale des Florida Parent-Education-Programms (vgl. GORDON 1972)

Das Rationale der Struktur des "Florida Parent-Education" Programms ist weitgehend durch die Entwicklungstheorien von BRUNER und PIAGET gegeben. Es hat explizit formulierte Lernziele und sieht eine Mixtur frei wählbarer Aktivitäten und Entdeckungs prozesse vor. Angenommen wird, daß es jeweils viele Wege zur Erreichung eines Lernziels gibt und daß Selbststeuerung beim Aufbau der Lernsequenz die Entwicklung von Kompetenzgefühlen fördert. Von Denkaktivitäten wird gefordert, daß sie für das Kind bedeutsam sind und es herausfordern, wobei keine speziellen Lernvoraussetzungen gemacht werden. Eine Besonderheit des Programms ist die Betonung des Zusammenhangs zwischen häuslichen und vorschulischen Lernaktivitäten. Die häuslichen Lernaktivitäten werden von den Eltern durchgeführt, wozu die Eltern speziell beraten und trainiert werden.

Merkmale der "Antwortenden Lernumwelt" von MOORE & ANDERSON Die "Antwortende Lernumwelt" basiert auf der soziokulturellen Theorie vom Spielen (MOORE & ANDERSON 1969). Diese Theorie versteht Spiele (games) als Volksmodelle (folk models), in denen eine Gesellschaft Merkmale ihrer Beziehung zur Umwelt symbolisiert hat. Diese Modelle sind in jeder Gesellschaft zu finden und lassen sich in vier Kategorien unterteilen:

  1. Rätsel (puzzles) spiegeln Beziehungen zwischen dem Menschen und den nicht zufälligen Merkmalen der Natur wider. Die Auseinandersetzung hiermit ist vergleichbar mit Problemlöseaktivitäten.
  2. Glücksspiele sind Ausdruck der Risikokomponenten der menschlichen Existenz.
  3. Strategiespiele im Sinne der mathematischen Spieltheorie sind Repräsentanten interaktionaler Beziehungen zwischen den Menschen.
  4. Ästhetische Gebilde, z.B. Kunstwerke, sind Modelle der normativen Aspekte des Gruppenlebens. Sie geben Gelegenheit zur normativen Beurteilung und zur Bewertung von Erfahrungen.

Die Bedeutung von Spielen für den Sozialisierungsprozeß ist hiermit offenbar. Die Gesellschaft hat ihr stattgegeben, indem sie Techniken zur Bewältigung von Spielen entwickelt hat, die von nahezu jedem erlernt werden können. Außerdem befriedigen Spiele als "Lehr"-Vorrichtungen die folgenden Bedingungen:

  • In einem angemessenen Sinne sind sie "abgeschnitten" von den ernsthafteren Seiten der Aktivitäten einer Gesellschaft; Fehler führen nicht zu schwerwiegenden Konsequenzen.
  • Die erforderliche Motivation wird bewirkt durch autotelische Aktivitäten, d.h. die Aktivitäten enthalten ihre eigenen Ziele; Belohnungen liegen in der Aktivität selbst.
  • Spiele sind Modelle ernsthafter Aktivitäten und damit für Probleme außerhalb der besonderen Lernumwelt relevant.

Jede der vier Spielformen entspricht eine charakteristische Perspektive, die ein Individuum der Welt gegenüber einnehmen kann, wobei die Perspektiven in besonderer Weise aufeinander aufbauen:

  • Rätsel betonen eine Handlungs-Perspektive (agent perspective), einen Sinn für Verursachung.
  • Glücksspiele betonen die Perspektive eines Rezipienten (patient perspective), d.h. der Empfänger von Konsequenzen zu sein, über die man keine Kontrolle besitzt.
  • Strategiespiele setzen die Perspektive des Agierens-Rezipierens voraus, betonen aber die reziproke Perspektive, gemäß der ein Jeder den Anderen in Rechnung stellen muß.
  • Ästhetische Gebilde betonen die Perspektive eines Schiedsrichters, einen Sinn für das Abschätzen, Bewerten, Beurteilen. Diese Perspektive setzt die anderen drei Perspektiven voraus. Sie ist vergleichbar mit dem "generalized other" bei MEAD (1934).

In ihrer Entstehung gehen die Perspektiven des Handelns und die des Rezipierenden der Perspektive des Strategen und der des Schiedsrichters voraus. Die Perspektiven werden als Teil des sozialen Selbst angesehen, die direkt verbunden sind mit dem System der Empfindungen und Emotionen. Die Perspektiven sind auch anzusehen als Standpunkte, von denen aus das Individuum Information verarbeitet, wobei das Informationssystem vom Emotionssystem "Leseanweisung" erhält über stattfindende Aktivität. Diese Verbindung der Perspektiven zu dem Emotionssystem kann vielleicht in Verbindung gebracht werden mit dem Begriff des Aktivierungszirkels, nach dem Spiele zu einem ständigen Wechsel zwischen emotionaler Spannung und Entspannung führen (HECKHAUSEN 1964).

In Anlehnung an die genannten bedeutsamen und bewährten Eigenschaften von Spielen formulieren MOORE & ANDERSON die folgenden Prinzipien für die Planung von Lernumwelten. Das vierte Prinzip ist hierbei eine Ergänzung zu den anderen, aus der Spiele-Theorie abgeleiteten Prinzipien. Dieses Prinzip soll den statischen Eigenschaften, die den Volksmodellen notwendigerweise anhaften, Rechnung tragen.

1. Das autotelische Prinzip

Eine Lernumwelt sollte zu autotelischen Aktivitäten führen, d.h. Aktivitäten, die ihre eigenen Ziele und Motivationsquellen in sich tragen. Eine autotelische Umwelt ist frei von ernsthaften Risiken und Konsequenzen. 2. Das Perspektivenprinzip
Dieses Prinzip beruht auf der Annahme, daß Lernen um so schneller und intensiver erfolgt, je mehr der oben aufgeführten Perspektiven bzw. Kombinationen davon die Umwelt zu übernehmen gestattet. Der Lernende sollte außerdem mit jeder beliebigen Perspektive beginnen können. Für die Dauer und Aufrechterhaltung der Lernaktivität ist, besonders bei Kindern, die Möglichkeit zu ständigem Perspektivenwechsel bedeutsam. 3. Das Produktivitätsprinzip
Ein Lerngegenstand ist um so produktiver, je mehr Eigenschaften er besitzt, die möglichst zahlreiche Deduktionen gestatten. Hiermit überein stimmt die Beobachtung, daß Spiele gelernt werden, nicht gelehrt. Was gelehrt wird, sind die Regeln; sobald diese beherrscht werden, ist der Lernende auf sich gestellt und kann aufgrund der Struktur der Regeln zahlreiche Deduktionen vornehmen. 4. Das Personalisationsprinzip
Dieses Prinzip umfaßt die Antwort-Bedingung und die reflexive Bedingung. Gemäß der Antwort-Bedingung sollte die Lernumwelt den Lernenden ermutigen, zuerst eine Frage zu finden, dann eine Antwort. Detailliert heißt dieses:
  • Der Lernende muß frei explorieren können und so Gelegenheit bekommen, ein Problem zu entdecken.
  • Die Lernumwelt muß dem Lernenden auf seine Aktionen sofort Feedback-Information vermitteln.
  • Die Bestimmung der Größe der Lernschritte muß dem Lernenden weitgehend selbst überlassen bleiben.
  • Der Lernende muß vollen Gebrauch von seiner Fähigkeit zum Entdecken komplexer Beziehungen machen können.
  • Die Lernumwelt muß so strukturiert sein, daß der Lernende eine Reihe miteinander verbundener Entdeckungen macht. Mindestens ein Teil der gefundenen Lösung sollte übertragbar sein auf eine Lösung höherer Komplexität.

Gemäß der reflexiven Bedingung muß die Lernumwelt es dem Lernenden erleichtern, sich selbst als soziales Objekt zu sehen. Die Umwelt muß dem Lernenden die Betrachtung seiner Entwicklung als Lernender ermöglichen. Eine praktische Umsetzung der "Antwortenden Umwelt" kann in dem "Far West Laboratory" Programm gesehen werden (vgl. GORDON 1972).

Merkmale des "University of Arizona"-Programms (vgl. GORDON 1972)
Das "University of Arizona"-Programm wurde im Rahmen der kompensatorischen Erziehung entwickelt. Es ist gekennzeichnet durch Phasen der freien Wahl von Lernaktivitäten, durch flexible Kleingruppen, die von Erwachsenen angeleitet werden, durch individuelle Unterrichtung und den Gebrauch sehr unterschiedlicher Lehrmaterialien. Der Strukturierungsgrad variiert somit in der Zeit. Die grundlegende Annahme ist, jedes Kind sei intrinsisch motiviert und lerne und entwickle sich in einer ihm eigenen Weise und Geschwindigkeit. Die individuelle Unterrichtung und die flexiblen Kleingruppen begründen sich aus der Überzeugung, daß Modell-Lernen im Vorschulbereich effektiv ist, indem Erwachsene das erwünschte Verhalten deutlich demonstrieren, und daß der Spracherwerb durch sofortiges Korrektur-Feedback von Seiten eines Erwachsenen optimal gefördert wird. Eine weitere Annahme ist, daß die Transferträchtigkeit der beabsichtigten Lernprozesse durch die Verwendung der unterschiedlichen Materialien erhöht wird. Betont wird darüber hinaus der Koordinierung einzelner Lernergebnisse durch integrierende Aktivitäten, etwa Aktivitäten wie Kochen, das gleichzeitig Sprachgebrauch, mathematische Konzepte und motorische Fertigkeiten erfordert. Obwohl davon ausgegangen wird, daß jedes Kind den natürlichen Wunsch zum Lernen hat, wird vom Lehrer erwartet, soziales Reinforcement in systematischer Weise zu verabreichen. Darüber hinaus wird von ihm erwartet, eine Reihe direktiver Rollen zu übernehmen, etwa die Rolle des detailliert Fragenden.

Merkmale des "Bank Street College of Education"-Programms (vgl. GORDON 1972)
Das "Bank Street College of Education"-Programm wurde ebenfalls im Rahmen der kompensatorischen Erziehung entwickelt. Es ist gekennzeichnet durch Kleingruppenarbeit und das intensive Eingehen auf die Gefühle der Schüler durch den Lehrer. Die Gruppenarbeit ist hierbei nicht nur ein Mittel zum Zwecke der Individualisierung der Lernprozesse, sondern eine eigenständige und grundlegende Form kindlichen Lernens. Die Gruppenarbeit impliziert eine Beteiligung der Kinder an der Planung der Lernschritte der einzelnen Lernsequenzen. Von Seiten des Lehrers werden die Lernschritte unter dem Gesichtspunkt geplant, von bekannten Inhalten auf neue überzuleiten und die Schritte logisch aufeinander folgen zu lassen. Die Hauptaufgabe des Lehrers ist es, die spontanen Vorschläge der Schüler mit dem Plan seiner Lernsequenz in Einklang zu bringen. Eine Organisationsform zur Bewältigung dieser Aufgabe ist das Spiel, einschließlich des Rollenspiels. Der Lernsequenzbegriff wird im "Bank Street College of Education"-Programm vorwiegend zur Beschreibung der Aufeinanderfolge der molaren Lernaktivitäten verwendet, etwa die Aufeinanderfolge von Rollenspiel, Kleingruppenarbeit und Einzelarbeit.

Merkmale des Becker-Engelmann-Programms (vgl. GORDON 1972)
Die Struktur dieses Programms ist durch detaillierte Anweisungen für Lehrer und Schüleraktivitäten gegeben, die alle Aktivitäten des Schülers im Hinblick auf eine optimale Zeitausnutzung festlegen. Die Grundannahme ist, daß Kinder, die einen Lernrückstand aufweisen, diesen am besten durch eine explizite Unterrichtung kleinster Lerneinheiten aufholen. Die Aufeinanderfolge dieser Einheiten ist logisch genau zu begründen und bei der Durchführung präzise einzuhalten. Alle Aktionen des Lehrers und der Kinder sind festzulegen, zum Zeitverluste durch überflüssige "Luxusaktionen" zu vermeiden. Dieses geschieht normalerweise im Rahmen von Kleingruppenunterricht, für den jede Klasse zwei zusätzliche Hilfslehrer erhält, um eine effektive Ausnutzung der gesamten Lernzeit sicherzustellen.

 

3.2 Auswahl lernfördernder Umweltbedingungen für eine vorschulische Intelligenzförderung

Die lernfördernden Umweltbedingungen der soeben beschriebenen Lernumwelten zeigen, daß im Vorschulbereich ein breites Spektrum an Umweltbedingungen realisiert wurde und daß theoretisch heterogene Konzepte überwiegen, die durch einen niedrigen Strukturierungsgrad der Lernsequenz und ein Gleichgewicht an qualitativen und quantitativen Individualisierungsmöglichkeiten gekennzeichnet sind. In diesem Kapitel ist speziell zu entscheiden, welche von den beschriebenen Umweltbedingungen in einer kognitiv orientierten Lernumwelt zur vorschulischen Intelligenzförderung Berücksichtigung finden sollten. Diese Entscheidung hängt von der kognitiven Orientierung, d.h. von dem inhaltlichen Konzept der beabsichtigten systematischen Intelligenzförderung ab. Eine Kurzbeschreibung dieses Konzepts soll der Auswahl der Umweltbedingungen daher vorangestellt werden.

3.2.1 Kurzbeschreibung des Konzepts der systematischen Intelligenzförderung

Die ausführliche Theorie der beabsichtigten systematischen Intelligenzförderung ist im Anhang dargestellt. Hier soll nur ein Abriß gegeben werden, der die lehrpsychologisch relevanten Aspekte der Lernprozesse hervorhebt, die für die Auswahl lernfördernder Umweltbedingungen bedeutsam sind. Unter einer Intelligenzförderung wird hier das Überlernen spezieller Strategien der Informationsverarbeitung verstanden, die die Entstehung ausgewählter kognitiver Fähigkeiten durch Transfer unterstützen. Das Überlernen einer speziellen Strategie der Informationsverarbeitung ist beispielsweise bei einem Billardspieler gegeben, der gelernt hat, den mehrfach reflektierten Lauf der Kugel zu kalkulieren und diese Kalkulation durch vielfache Anwendung zu einem stabilen und geläufigen Bestandteil seines kognitiven Repertoires gemacht hat. Von diesem Bestandteil wird wieder angenommen, daß er das Erlernen von schlußfolgernden Denkoperationen in anderen räumlichfiguralen Bereichen als dem Billard erleichtert und auf diese Weise zur Ausbildung einer entsprechenden Fähigkeit beiträgt. Mit Einschränkungen kann diese Ausbildung als quantitative Vermehrung betrachtet werden (vgl. RUDINGER & RÜPPELL 1980). Eine systematische Intelligenzförderung soll vorliegen, wenn es sich bei den ausgewählten Fähigkeiten um repräsentative Fähigkeiten handelt. Die repräsentativen kognitiven Fähigkeiten sind hierbei durch eine Menge von Fähigkeiten definiert, für die theoretisch begründet werden kann, daß sie im Falle ihres Überlernens Transfereffekte auf alle übrigen kognitiven Fähigkeiten des Universums der kognitiven Fähigkeiten ausstrahlt. Als Universum der kognitiven Fähigkeiten wird hier das Intelligenz-Strukturmodell von GUILFORD (1967) zugrundegelegt. Die Reduktion dieses Universums auf eine Menge von Lernzielfähigkeiten, die repräsentativ im Sinne der zu vermutenden Transfereffekte ist, geschah in erster Linie mit Hilfe der Ergebnisse der faktorenanalytischen Intelligenzforschung. Diese Reduktion wurde zusätzlich durch transfertheoretische Erwägungen unterstützt. Die so bestimmten Lernzielfähigkeiten einer systematischen Intelligenzforschung zeigt die nachfolgende Tabelle. Die Anzahl der darin aufgeführten Fähigkeiten und das oben betonte Überlernen der zugrundeliegenden Strategien der Informationsverarbeitung machen deutlich, daß sich eine so definierte Intelligenzförderung schon aus Gründen des Umfangs nicht auf den Vorschulbereich beschränken kann und der nachfolgende Förderungsversuch sich daher vorerst nur auf einen Teil dieser Fähigkeiten erstreckt.

Als Modell für die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten wurden die Transfertheorien von FERGUSON (1955, 1956) und das kumulative Lernmodell von GAGNÉ (1968) zugrundegelegt. Ausschlaggebend für die Orientierung an FERGUSON und GAGNÉ sind folgende Thesen:

  • der Erwerb von Fähigkeiten und deren Differenzierung wird durch zwei unterschiedliche Prozesse verursacht: positiver Transfer für die Fähigkeits-Entwicklung; aufgabenspezifische Lernprozesse für die Fähigkeitsdifferenzierung;
  • Fähigkeiten sind das Produkt kumulativer Lernprozesse (GAGNÉ 1968).

Die weitergehende Aussage der zweiten These, daß kognitive Fähigkeiten durch vorgeschriebene operationalisierte Lernschritte aufgebaut werden können, wurde hier jedoch nicht zugrunde gelegt. Vielmehr wurde davon ausgegangen, daß Fähigkeiten nicht immer explizit beschreibbar sind und bei einem Aufbau durch detaillierte Lernschrittfolgen vom Lernenden individuell modifiziert werden (vgl. GLASER 1976). Wesentliche lehr-lern-theoretisch bedeutsame Aspekte der beabsichtigten Lernprozesse sind darin zu sehen, daß (1) von einem quantitativen Anwachsen der Fähigkeiten ausgegangen wird, (2) das Überlernen und damit eine langfristige Motivierung betont wird und (3) ein wechselseitiger Transfer zwischen den verschiedenen Lernprozessen zu unterstützen ist.

3.2.2 Begründung der Auswahl der lernfördernden Umweltbedingungen

Eine empirisch begründete Antwort auf die Frage, welche Umweltbedingungen für das gleichzeitige Überlernen verschiedener Strategien der Informationsverarbeitung bei 5- 6 jährigen in der Kindergartensituation zu realisieren sind, konnte anhand der empirischen Ergebnisse zu den oben beschriebenen vorschulischen Lernumwelten nicht gefunden werden. Die globale Effektivität dieser Programme wurde zwar untersucht, doch fehlen Ergebnisse über die differentiellen Effekte der einzelnen Umweltbedingungen bezüglich spezieller kognitiver Lernprozesse (vgl. GORDON 1972). Angesichts des Fehlens einer empirischen Entscheidungsgrundlage wurde entschieden, das Konzept derjenigen Lernumwelt als Ausgangspunkt für die Suche nach lernfördernden Umweltbedingungen zugrunde zu legen, das

  1. eine ausgeprägte lehr-lern-theoretische Differenzierung aufweist;
  2. unter dem Aspekt des Überlernens geeignet erscheint und
  3. eine kognitiv-sozial integrierte Förderung zuläßt.

Dieses Konzept wurde in der Antwortenden Umwelt von MOORE & ANDERSON (s.o.) gesehen. Ihre lehr-lern-theoretische Differenziertheit kann darin gesehen werden, daß

  • das autotelische Prinzip Komponenten des Motivationsmodells von HECKHAUSEN (1968) und der Verstärkungstheorie von SKINNER (1968) enthält,
  • das Personalisationsprinzip vielen Forderungen des entdeckenden Lernens im Sinne von BRUNER (1966) und des handelnden Lernens im Sinne von PIAGET (1970) genügt,
  • das Produktivitätsprinzip indirekt dem Konzept von Lernhierarchien im Sinne von GAGNÉ (1965) Rechnung trägt und
  • das Perspektivenprinzip schließlich einem sozial-kognitiven Aspekt des Lernens Rechnung trägt, der in Lehr-Lern-Theorien häufig vernachlässigt wird.

Die Eignung der Antwortenden Umwelt für die Aufgabe des Überlernens kognitiver Fähigkeiten wurde darin gesehen, daß die Antwortende Lernumwelt dem Konzept von Spielen eine zentrale Stellung zuweist und Spiele der Alltagserfahrung zufolge durch die intensive Wiederbeanspruchung zurückliegender Lernergebnisse einen stabilen Aufbau von Fertigkeiten gewährleisten. Das dritte der oben angeführten Auswahlkriterien, die kognitiv-sozial integrierte Förderung, erfüllt die Antwortende Umwelt ebenfalls durch die Betonung von Spielen. Diese Funktion von Spielen erläutert z.B. KRAPPMANN (1973): "Spiele sind ein hervorragendes Mittel, um soziale Gruppen zu konstituieren. Sie bieten den Spielpartnern gemeinsame Erfahrungen und bringen die Beteiligten miteinander in Kontakt. Sie erhalten nämlich implizit gleichsam ein "gruppendynamisches Trainingsprogramm", denn sie vermitteln Aufschlüsse über die Reaktionsweise der Mitspieler, über ihre Toleranzgrenzen und den Stand ihrer Fähigkeiten. Sie bauen ein gemeinsames Repertoire von Erinnerungen an Erlebnisse und von Interpretationen auf. Folglich bieten sie eine vielfältige Auswahl an Identifikationsmöglichkeiten und bereiten Kooperation vor. Da sie helfen, grundsätzlich geklärte und tragfähige Sozialbeziehungen miteinander zu unterhalten, sorgen sie zugleich für die Basis kritischer Auseinandersetzungen mit Problemen in der Gruppe, aber auch mit Neuem, das von außen hereingetragen wird" (KRAPPMANN 1973, S. 197). Nachdem der Ausgangspunkt für die Suche nach lernfördernden Umweltbedingungen durch das Konzept von MOORE & ANDERSON festgelegt war, wurden die Umweltbedingungen dieses Konzepts mit den Bedingungen der anderen vorschulischen Lernumwelten verglichen. Aufgrund dieses Vergleichs wurde der schwerstwiegende Mangel der Antwortenden Umwelt in dem relativen Ignorieren des Modell-Lernens gesehen, dessen allgemeine lerntheoretische Bedeutung durch BANDURA (z.B. 1977), und dessen spezielle vorschulische Bedeutung durch die Denkumwelt von FURTH & WACHS und das "University of Arizona"-Programm unterstrichen wird. Das Modell-Lernen wurde daher als zusätzliche Umweltbedingung in das Bedingungsgefüge aufgenommen, weshalb es hier ausführlicher behandelt wird.

Modell-Lernen

Das Modell-Lernen ist der zentrale Begriff der Theorie des sozialen Lernens von BANDURA (1977): "(...) most human behavior is learned observationally through modeling: from observing others one form an idea of how new behaviors are performed, and on later occasions this coded information serves as a guide for action" (BANDURA 1977, S. 22). Dieses bezieht BANDURA nicht nur auf das soziale, sondern genauso auf das kognitive Lernen. Das Modell-Lernen wird durch vier Teilprozesse kontrolliert:

  • Lenkung der Aufmerksamkeit des Beobachters auf das Modellverhalten und seine wesentlichen Charakteristika (z.B. mit Hilfe spezifischer Modell-Merkmale);
  • Speicherung und Erinnerung des Modellverhaltens auf seiten des Beobachters (z.B. durch symbolisches Kodieren, kognitive Organisation, symbolische und motorische Wiederholung des Modellverhaltens);
  • Reproduktion des Modellverhaltens, bei der ein Vergleich zwischen der symbolischen Repräsentation und eigenen Reproduktionen stattfindet, der Eigenfeedback liefert;
  • Motivationale Prozesse beim Beobachter (z.B. in Form von Fremd- oder Selbstverstärkung, intrinsische Motivation).

Ein Hauptproblem des Modell-Lernens im Bereich des Denkens ist darin zu sehen, daß der Beobachter eines Modells zwar dessen Verhalten sieht, daraus aber nicht zweifelsfrei erkennen kann, welche selbstregulatorischen kognitiven Prozesse dem Verhalten vorausgehen. Dieses Problem kann jedoch nach BANDURA (1977) dadurch gelöst werden, daß das Modell seine eigenen Denkaktivitäten verbalisiert. Ein Beispiel aus dem Bereich der Förderung impulsiver Kinder verdeutlicht dieses: "Also, was ist es, was ich jetzt zu tun habe? Ich soll das Bild mit den verschiedenen Linien abzeichnen. Ich muß dabei langsam und sorgfältig vorgehen. Okay, zeichne die Linie nach unten, runter ... gut! Dann nach rechts, so; nun noch etwas nach unten und dann nach links. Schön, bis hierhin war ich ganz gut. Denk dran, schön langsam. Jetzt wieder nach oben ... Halt, nein, ich sollte ja nach unten gehen. Schon gut, einfach den Strich sauber ausradieren. ... Schön. Selbst wenn ich einen Fehler mache, kann ich langsam und sorgfältig weitermachen. Jetzt muß ich nach unten gehen. Fertig. Ich hab's geschafft!" (MEICHENBAUM & GOODMAN 1971, S. 117). Nach ROSENTHAL & ZIMMERMAN (1978) ist die Effektivität des ModellLernens im Bereich der Denkentwicklung von folgenden Faktoren abhängig:

  • das genaue Beobachten der entscheidenden Stellen des Verhaltens ist wichtiger als die Länge der Beobachtung,
  • charmante, warmherzige Personen, die in relevanten Aspekten mit dem Beobachter vergleichbar sind, verstärken die Wirkung des Modell-Lernens,
  • die Persistenz des Problemlösens bei der Vermittlung schwieriger Denkstrategien wird durch eine positive affektive Tönung des Modellverhaltens erhöht,
  • materielle Belohnungen des Modells können die Wirkung des Modellverhaltens vermindern.

Darüberhinaus muß das Modellverhalten nach RICHMAN & GHOLSON (1978) auf die kognitive Struktur des Beobachters abgestimmt werden. Beispielsweise werden Problemlösestrategien, die formalen Denkoperationen sensu PIAGET, vom Beobachter nicht übernommen, wenn dieser noch nicht auf der Stufe des formalen Denkens ist.

3.3 Strukturierung der Lernumwelt

Die Strukturierung der Lernumwelt erforderte einen Plan für das raumzeitliche Zusammenspiel der ausgewählten Umweltbedingungen im Kindergarten. Allgemein entspricht dieses der Entwicklung eines sozialtechnologischen Systems aus einer vorliegenden Sammlung technologischer Regeln (vgl. LUKESCH 1979). Da die soziokulturelle Spieltheorie von MOORE & ANDERSON als Orientierungsgrundlage diente, war durch die Struktur von Regelspielen bereits eine systemhafte Grundstruktur für die Verwirklichung der unterschiedlichen Bedingungen mitgeliefert worden, deren Funktionieren sich tagtäglich in unterschiedlichen Situationen und Populationen bewahrt. In dieser Eigenschaft kann nachträglich ein zusätzlicher Grund für die Auswahl der Antwortenden Umwelt gesehen werden. Das Problem der Strukturierung der Lernumwelt reduzierte sich also darauf, Regelspiele und deren Durchführungsform so zu konzipieren, daß die ausgewählten Umweltbedingungen in koordinierter Weise zum Tragen kamen. Hierbei wurde davon ausgegangen, die lernfördernden Umweltbedingungen in drei relativ getrennten Bereichen verwirklichen zu können:

  1. durch die Spielregeln und die Eigenschaften der Spielmaterialien,
  2. durch die raumzeitliche Abstimmung der Spiele aufeinander,
  3. durch die Rolle der Erzieher.

Zu 1: Die Struktur der einzelnen Spiele wurde variiert, da es unwahrscheinlich ist, durch jedes Spiel alle Umweltbedingungen der Antwortenden Lernumwelt verwirklichen zu können. Die Verwirklichung müßte daher auf die verschiedenen Spiele verteilt werden. Trotzdem lassen die Spiele Gemeinsamkeiten erkennen, z.B.:

  • Vorhandensein Neugierauslösender Stimuli
  • Möglichkeiten zum freien Explorieren
  • Unabhängigkeit von speziellen Lernvoraussetzungen
  • selbstkorrigierender Charakter der Materialien
  • Verstärker auf der sensorischen Ebene

Die genaue Verwirklichung der Umweltbedingungen durch die einzelnen Spiele geht aus den im Anhang beschriebenen Spielmaterialien und Spielregeln hervor.

Zu 2: Durch die raumzeitliche Abstimmung der Spiele sollten folgende Umweltbedingungen verwirklicht werden:

  1. das autotelische Prinzip, speziell durch das gleichzeitige Angebot an unterschiedlichen Spielmaterialien und Lernmöglichkeiten,
  2. das Perspektivenprinzip durch die Möglichkeit zum freien Wechsel zwischen Spieler und Zuschauer.

Diese Bedingungen wurden dadurch realisiert, daß den Kindern mehrere Spiele gleichzeitig in einem Raum angeboten wurden, an denen sie sich in formlosen Spielgruppen beteiligen konnten.

Zu 3: Die wichtigste Umweltbedingungen, die die Erzieher durch ihr Verhalten verwirklichen sollen, ist das Modell-Lernen. Zur Verwirklichung dieser Bedingung wurden die Erzieher angeleitet, an den Spielen teilzunehmen und dabei eigene Denkprozesse durch lautes Denken sichtbar zu machen.

3.4 Zuordnung von Spielen zu Lernzielfähigkeiten

Nachdem die Entscheidung für das Konzept von Spielen gefallen war, mußte für jede der ausgewählten Lernzielfähigkeiten ein geeignetes Spiel gefunden werden. Zuerst wurden hierzu die kognitiv orientierten Spiele des kulturellen Spieleangebots gesichtet und aufgrund einer groben Einschätzung diejenigen Spiele ausgewählt, für die inhaltliche Zusammenhänge mit einzelnen oder mehreren Lernzielfähigkeiten aufgedeckt werden konnten. Dann wurden die kognitiven Anforderungen der ausgewählten Spiele herausgearbeitet und über Analogieschlüsse mit den Anforderungen der Markiertests verglichen, die nach GUILFORD & HOEPFNER (1971) die Lernzielfähigkeiten operationalisieren. Die so analysierten Fähigkeiten wurden als 'logische Validitäten' der Spiele zugrunde gelegt. Ein Vergleich der logischen Validitäten der Spiele mit den ausgewählten Lernzielfähigkeiten zeigte, daß nicht für alle Lernzielfähigkeiten logisch valide Spiele gefunden werden konnten. Für diejenigen Lernzielfähigkeiten, die durch das kulturelle Spieleangebot nicht abgedeckt werden konnten, mußten neue Spiele entwickelt werden. Eine genaue Beschreibung der ausgewählten Spiele findet sich zusammen mit der analysierten kognitiven Beanspruchung im Anhang. ...

3.5 Planung einer Lernsequenz

Dem kumulativen Lernmodell zufolge waren die Spiele in eine Reihenfolge zu bringen, die einen hierarchischen Aufbau der zugrundeliegenden Fähigkeiten ergibt. Dieses sollte nicht durch eine detaillierte Lernhierarchie der einzelnen in den Spielen auftauchenden Aufgaben angestrebt werden. Vielmehr wurde versucht, die Spiele global im Hinblick auf eine möglichst weitgehende Ausnutzung der Transferbeziehungen zwischen den jeweils beanspruchten Fähigkeiten des Intelligenz-Struktur-Modells zu hierarchisieren. Konkret wurde bei der Hierarchisierung der Spiele davon ausgegangen, die Spiele so aufeinander folgen zu lassen, daß

  • die Problemlösesequenz "Erkennen - Konvergente bzw. Divergente Produktion - Evaluation" eingehalten werden kann;
  • figurale Inhalte vor den semantischen und symbolischen beansprucht werden;
  • auch ähnliche Fähigkeiten nacheinander beansprucht werden, wobei sich die Ähnlichkeit aus der Übereinstimmung in Operation, Produkten oder Inhalten im Sinne des Intelligenz-Struktur-Modells ergibt;
  • die Perspektiven des Rezipienten und des Problemlösers vor denen des Strategen und des Schiedsrichters eingenommen werden können.

Die Schwierigkeit der Hierarchisierung resultiert aus dem Bestreben einer weitgehend gleichzeitigen Berücksichtigung der angeführten Kriterien. Problematisch erscheint dabei die Festlegung von Abständen zwischen aufeinanderfolgenden HierarchieEbenen: kann bei dem Übergang von einer Stufe zu der folgenden gleichzeitig der Schritt vom Figuralen zum Semantischen, von einem einfacheren Produkt zu den Systemen, vom Erkennen zu den Produktionen oder von der Perspektive des Problemlösers zu der des Strategen vollzogen werden oder sollten jeweils nur einige dieser Änderungen vorgenommen werden können? Diese letztlich empirisch zu beantwortende Frage muß für jede Stufe der Transferhierarchie gesondert entschieden werden. Neben den oben angeführten inhaltlichen Hierarchisierungskriterien basiert die hier vorgenommene Hierarchisierung der Spiele auf folgenden Überlegungen:

  • die erste Stufe der Hierarchie sollte sich aus Einpersonen-Spielen zusammensetzen, spielbar nach einfachen Regeln und unter vorwiegender Beanspruchung des Erkennens figuraler Inhalte,
  • die zweite Stufe sollte, unter Einbeziehung von Mehrpersonen-Spielen, die auf der ersten Stufe beanspruchten Fähigkeiten auf einem höheren Schwierigkeitsniveau wiederaufnehmen,
  • die dritte Stufe sollte den Übergang zu den semantischen und symbolischen Inhalten sowie zu den Perspektiven des Strategen und des Schiedsrichters vorbereiten,
  • zur Integration der vorher beanspruchten Fähigkeiten im Rahmen der Behandlung komplexer symbolischer Systeme war eine vierte Ebene geplant,
  • für eine fünfte Stufe waren ausschließlich Simulationsspiele vorgesehen als eine Übertragung der in den vorangehenden Stufen erworbenen Fähigkeiten auf die Auseinandersetzung mit Problemen in realen semantischen Systemen.

Diese Überlegungen in Verbindung mit den oben angeführten inhaltlichen Kriterien führten zu der vorläufigen Zusammenstellung eine fünfstufigen Spiele-Hierarchie zur systematischen Intelligenzförderung. Die für die Vorschule konzipierten und den nachfolgenden empirischen Versuch relevanten Spiele finden sich im wesentlichen in den ersten beiden Stufen dieser Hierarchie. Die dritte Stufe ist als Übergangsstufe von der Vor zur Grundschule zu betrachten. Die Spiele dieser Stufe können in beiden Schulformen Verwendung finden. Die Spiele der vierten und fünften Stufe sind für den Grundschulbereich vorgesehen. Aufgrund dieser Gliederung sind zwei relativ getrennte Erprobungen und Bewertungen möglich. Hierbei ist die Entwicklung und Erprobung des grundschulischen Teils sachlogisch vorgeordnet, weil das Gelingen der beabsichtigten Lernprozesse dieses Teils dem hier zugrunde gelegten kumulativen Lernmodell zufolge von den Transfereffekten der beabsichtigten vorschulischen Lernprozesse abhängt.

In dieser Spiele-Hierarchie wird ein theoretisches Modell für die systematische Intelligenzförderung gesehen. Es erhebt den Anspruch, eine repräsentative Menge von Strategien der Informationsverarbeitung bereitzustellen und dadurch den Zugang zu vielen anderen Denkbereichen zu eröffnen. Voraussetzung hierfür ist, daß die Spiele bzw. die zugrunde liegenden Strategien der Informationsverarbeitung überlernt werden. Die Frage war also, ob die lehr-lern-theoretisch angereicherten Spiele ein solches Überlernen ermöglichen würden.

3.6 Erprobung und Bewertung der vorschulischen Spieleumwelt

Der vorschulische Teil der Spiele-Umwelt besteht aus den Spielen der beiden ersten Stufen der Spiele-Hierarchie und zusätzlich dem Induktionsspiel der dritten Hierarchiestufe. Es mußten also vorschulische Varianten von folgenden Spielen gefunden werden:

Bilder-Puzzles
Form-Puzzles
Billard
Klassifikations-/Relationsspiel
Visualisationsspiel
Zusammenlegespiel
Gestaltspiel
Instruktionsspiel
Induktionsspiel

3.6.1 Vorerprobung der Spiele

Durch die Vorerprobung sollten die Details der Ausgestaltung der Spielregeln und der Durchführungsform geklärt werden. Hierzu wurden die Spielmaterialien und Spielregeln zuerst mit den Erzieherinnen und interessierten Eltern diskutiert. Dann wurden mit in Frage kommenden Spielen in verschiedenen Kindergärten freie Spielbeobachtungen angestellt. Diese Beobachtungen wurden unstandardisiert durchgeführt und informell mit dem Ziel ausgewertet, die Verwirklichung einzelner lernfördernder Umweltbedingungen zu verbessern. Auf die Bildung von Spielgruppen wurde bei diesem Vorversuch verzichtet. Da die Spiele von den Kindern als Angebot verstanden werden sollten, wurde auf die Teilnahme einzelner Kinder möglichst wenig Einfluß genommen. Dementsprechend variierte die Teilnehmerzahl zwischen etwa 12 - 20 Kindern und das Altern zwischen 4 bis 8 Jahren. Die Beobachtungen wurden frei vorgenommen, indem bei jedem Spiel ein Beobachter mit den Kindern spielte. Speziell sollte Aufschluß über folgende Fragen gewonnen werden:

  1. Ist das Spiel anregend genug, um das Kind zum Spielen zu motivieren?
  2. Welche Spielmöglichkeiten bevorzugen die Kinder?
  3. Können sich die Kinder weitgehend unabhängig vom Erwachsenen mit dem Spiel auseinandersetzen?
  4. Ist das Spiel auf möglichst vielen Schwierigkeitsstufen "spielbar"?
  5. Ergeben sich während des Spielverlaufs ausreichende Bekräftigungswirkungen, so daß relativ ausdauernd gespielt wird?
  6. Wieviele Kinder sollten sich maximal mit dem Spiel beschäftigen?
  7. Praktische Fragen, wie äußere Gestaltung und Stabilität des Spielematerials.

Erfahrungsaustausch der Beobachter ergab jeweils, welches Spiel für die Untersuchung geeignet erschien bzw. noch zu verändern war. Die Ergebnisse dieser Entwicklungsphase sind die Spielmaterialien und Spielregeln für vorschulische Varianten zu den oben angeführten Spielen. Eine Ausnahme bilden 'Bilderpuzzles', die nicht in die Erprobung einbezogen wurden, weil diese Spiele in allen untersuchten Kindergärten zum normalen SpieleAngebot gehörten. Die entwickelten Spiele-Varianten sind:

"Vorhersage" als Billardspiel
"Gemeinsamkeit" als Klassifikations-/Relationsspiele
"Kippen" als Visualisationsspiel
"Strukturen" als Gestaltspiel
"Auslegen" über das Formpuzzle hinaus auch als Zusammenlegespiel
"Wegbeschreibung" als Instruktionsspiel
"Regelfinden" als Induktionsspiel

Die ausführliche Beschreibung der entwickelten Spielmaterialien und Spielregeln findet sich im Anhang. Die weiteren Ergebnisse der Vorerprobung beziehen sich auf die Festlegung der Durchführungsform des Spieleprogramms. Hierzu wurde entschieden, die Kinder zweimal in der Woche für ca. 2 Stunden und für einen Zeitraum von einem halben Jahr spielen zu lassen. Für diese 2 Stunden wurden jeweils alle Spiele in einem Raum des Kindergartens aufgestellt, und den Kindern wurde freigestellt, eines der Spiele zu beginnen, anderen Spielern zuzuschauen oder sich von der Erzieherin oder einem der ständig anwesenden Praktikanten beraten zu lassen. Die Hauptaufgabe der Erzieherin und des Praktikanten bestand jedoch darin, selbst mitzuspielen und dabei die eigenen Denkprozesse laut zu verbalisieren.

Anfänglich sollte nicht darauf geachtet werden, die Spielregeln einzuhalten. Vielmehr sollte angestrebt werden, die Einhaltung der Regeln langsam während des Spiels aufzubauen. Die Möglichkeit hierzu boten fast alle Spiele, weil sie eine Vielzahl spielerischer Aktivitäten zuließen, die nicht an die Einhaltung von Spielregeln gebunden waren. Die regelunabhängigen spielerischen Aktivitäten legitimieren den gleichzeitigen Einsatz aller sieben Spiele, der aufgrund der oben dargestellten hierarchischen Beziehungen zwischen den Spielen oder den beabsichtigten Lernprozessen nicht sinnvoll erscheint. Bei dem gleichzeitigen Einsatz der Spiele wurde davon ausgegangen, daß die in der Hierarchie höher liegenden Spiele zu Beginn der Förderung vorwiegend explorativ und regelunabhängig gespielt werden und die zugrundeliegenden Fähigkeiten erst später beansprucht werden, wenn die in der Hierarchie tiefer liegenden Spiele weitgehend beherrscht werden. Die Vorteile des Beginns der Spielphase mit allen Spielen sind darin zu sehen, daß

  • das Perspektivenprinzip teilweise verwirklicht wird, da die Kinder zwischen den Perspektiven des Glücksspielers, Problemlösers und Schiedsrichters frei wechseln können;
  • die Bedingung "Variation der Lehr-Lern-Methode" durch die unterschiedliche Organisationsform der Spiele zum tragen kommt.

Letzteres wurde vor allem von den Erzieherinnen als wichtige Voraussetzung für eine langfristige Beschäftigung der Kinder mit den Spielen angesehen.

3.6.2 Evaluationsplan, Durchführung, Ergebnisse

Durch die Spiele sollten Strategien der Informationsverarbeitung überlernt werden, und aufgrund von transfertheoretischen Erwägungen wurde davon ausgegangen, daß dadurch eine Förderung der zugrundeliegenden Fähigkeiten erreicht wird. Methodisch wurde auf der Grundlage des Modells der Varianzaufklärung (vgl. RÜPPELL & RUDINGER 1979) angenommen, daß ein Spiel eine Fähigkeit um so mehr fördert, je stärker die Lernfortschritte in diesem Spiel mit den Verbesserungen in der Fähigkeit korrelieren. Um die beabsichtigte Förderung nachzuweisen, mußten also zunächst die Spielleistungen und die Verbesserungen in Fähigkeiten erfaßt werden, um dann die interindividuelle Varianz der Verbesserungen durch die Spielleistungen aufklären zu können. Speziell hierfür geeignet ist das korrelationsstatistische Modell der multiplen Regression (vgl. KERLINGER 1969). Nach diesem Modell ist der Förderungseffekt eines Spiels um so höher anzusetzen, je mehr die entsprechende Spielleistung zur Aufklärung der Varianz der Verbesserungen in den Fähigkeiten beiträgt. Methodische Probleme treten hierbei auf, wenn die Spielleistungen einerseits und die Fähigkeitsmaße andererseits bedeutsam korrelieren und wenn die Verbesserungen der Fähigkeiten nicht hinreichend reliabel erfaßt werden können (vgl. RÜPPELL & RUDINGER 1979). Da von einer solchen Korrelation auszugehen war, sollte die korrelationsstatistische Effektdetermination nur durchgeführt werden, wenn

  • die Spielleistungen mindestens mit einer Reliabilität von durchschnittlich 0.80 gemessen werden könnten und
  • wenn die Verteilungen der Fähigkeitsmaße darüber hinaus als normalverteilt gelten könnten.

Die Durchführung dieses Evaluationsplanes machte folgendes Versuchsdesign erforderlich:

  • Durchführung von Vortests in Kontroll- und Experimentalgruppen zur Erfassung der Eingangsleistungen in den verschiedenen kognitiven Fähigkeiten,
  • Durchführung des Spieleprogramms in den Experimentalgruppen und normale Kindergartenaktivität in den Kontrollgruppen,
  • Erfassung der Lernfortschritte in den Spielen durch sogenannte Spielleistungstests,
  • Durchführung eines Nachtests in Kontroll- und Experimentalgruppen zur Erfassung der Ausgangsleistungen in den verschiedenen kognitiven Fähigkeiten.

Zusätzlich sollte im Falle quantitativer Förderungseffekte eine möglicherweise damit einhergehende qualitative Veränderung faktorenanalytisch überprüft werden. Dieses sollte allerdings nur dann geschehen, wenn sie die verwendeten Fähigkeitstests auf eine gut interpretierbare Faktorenstruktur abbilden ließen. Über diese Effektdetermination hinausgehend sollten auch die logischen Validitäten der Spiele überprüft werden. Dies sollte zunächst einmal nur durch eine Interpretation der Interkorrelationen von Test- und Spieleleistung geschehen. Ergänzend zu dieser quantitativen sollte eine qualitative Evaluation in Form einer teilnehmenden Beobachtung durchgeführt werden, um darüber Aufschluß zu erhalten, in welchen Prozessen das Spieleprogramm gegebenenfalls zu verändern sei. Im einzelnen waren hierzu folgende Schritte erforderlich:

  1. Auswahl der Versuchsgruppen
  2. Auswahl der Testinstrumente
  3. Erfassung der Spielleistungen
  4. Zusammenstellung der Nachtestbatterie
  5. Erfassung der Eingangsleistungen
  6. Analyse der Vortestdaten
  7. Reliabilitätsbestimmung der Vortests
  8. Faktorenanalyse der Vortests
  9. Erfassung der Ausgangsleistungen
  10. Effektnachweis bzw. -determination

a) Auswahl der Versuchsgruppen
Zur Teilnahme an der Untersuchung wurden fünf Hamburger Kindergärten der evangelischen Kirche - dieses entspricht einer Anzahl von etwa 200 Kindern - ausgewählt. Die Auswahl geschah nach fol-genden Gesichtspunkten:

  • die Möglichkeit der Bildung voneinander unabhängiger Experimental- und Kontrollgruppen innerhalb eines Kindergartens mußte vorhanden sein;
  • die Räumlichkeiten jedes Kindergartens mußten eine Trennung von Experimental- und Kontrollgruppen gestatten;
  • die Kindergärten sollten hinsichtlich der Herkunft der Kinder vergleichbar sein;

b) Auswahl und Entwicklung der Testinstrumente
Das Design machte 3 Arten von Diagnoseinstrumenten erforderlich:

  • Vortests zur Erfassung der Fähigkeiten,
  • Tests zur Erfassung der Spielleistungen,
  • Nachtests zur Erfassung der Fähigkeiten.

Auswahl der Vortests
Durch die Spiele sollten Strategien der Informationsverarbeitung überlernt werden, um eine Förderung der zugrundeliegenden Fähigkeiten zu erreichen. Gemäß diesem Konzept der Fähigkeitsförderung mußten differentielle Intelligenztests gefunden werden, die einen inhaltlichen Bezug zu den Spielen aufweisen. Dies wäre in einer älteren Stichprobe unproblematisch gewesen, weil GUILFORD & HÖPFNER (1971) für die Fähigkeiten erprobte Markiertests bereitstellen, die beim Entwurf der Spielehierarchie bereits auf die verschiedenen Spiele abgebildet worden waren. Beispielsweise wurden dem Billardspiel dort Markiertests zugeordnet, wie "Angle Estimation", "Circle Constitution" oder "Most Effective Path". Auf niedrigen Altersstufen sind diese Tests jedoch nicht hinreichend untersucht. Es wurden daher andere differentielle Intelligenztests ausgewählt, die auf möglichst niedrigen Altersstufen erprobt waren. Diese Tests wurden auf die Fähigkeiten des Intelligenzstruktur-Modells abgebildet und diejenigen ausgewählt, die gleiche oder ähnliche Fähigkeiten beanspruchten wie die Spiele. Da auch diese Tests häufig nur für den Grundschulbereich untersucht worden waren, mußten parallel zur Vorerprobung der Spiele im Kindergarten "Probetestungen" durchgeführt werden, die Aufschluß geben sollten über:

  • die Verständlichkeit der modifizierten oder übersetzten Instruktionen;
  • die Eindeutigkeit der richtigen Lösungen einzelnen Items (einzelne Item-Bildchen waren mißverständlich gezeichnet oder erschienen veraltet);
  • die Schwierigkeit der Items für die 4- bis 6jährigen;
  • den bestmöglichen Antwortmodus (Zeigen, Durchstreichen, Malen);
  • die bestmögliche Reihung der Tests;
  • den Zeitbedarf für die Durchführung der Tests, da die Vortest-Batterie nicht mehr als 70 Minuten (ohne eine längere einzulegende Pause) in Anspruch nehmen sollte.

...

c) Erfassung der Spielleistungen Zur Erfassung der Spielleistungen wurden für jedes Spiel Aufgabenreihen (Spiele-"Tests") zusammengestellt. Diese Spiele-"Tests" wurden heuristisch entwickelt nach allgemeinen Gesichtspunkten, wie Wahrung der Spielprinzipien, Schwierigkeitsgrad etc.; d.h. auf die Anwendung testpsychologischer Verfahren wie z.B. Item-Analyse wurde verzichtet. Aufgrund der mangelnden Erfahrung mit den Aufgaben geschah die Durchführung des "Testungen" unstandardisiert: Instruktionen, Aufeinanderfolge der "Tests" und Abbruchkriterien waren nicht streng festgelegt.

...

4. Veränderungen der Forschungsstrategie

Die Entwicklung und Erprobung der vorschulischen Spiele-Umwelt war gekennzeichnet durch:

  • eine kurze Entwicklungsphase,
  • das Fehlen systematischer Beobachtungen des Spieleverhaltens,
  • eine aufwendige, testmäßige Leistungserfassung,
  • einen massiven Einsatz quantitativer Verfahren zum Zwecke einer differentiellen Effektdetermination.

Dieser Forschungsstrategie lag die Hoffnung zugrunde, mit Hilfe präskriptiver Aussagen der Lehr-Lern-Forschung eine effektive Menge lernfördernder Umweltbedingungen a priori auszuwählen, in Verbindung mit den Erfahrungen aus bereits erprobten Lernumwelten zu einem Wirkungsgefüge zu vereinigen und die Effekte durch multivariate statistische Verfahren quantitativ analysieren zu können. Ähnliche Hoffnungen hatten sich bei der Entwicklung relativ einfacher schulischer Innovationen, etwa bei der Entwicklung programmierter Lehrmaterialien, weitgehend erfüllt (vgl. GAGE 1976). Der relativ unbefriedigende Verlauf des vorschulischen Förderungsversuchs hatte jedoch davon überzeugt, daß ein populations- und situationsangemessenes System nur durch eine längerfristige formative Evaluation im Sinne von CRONBACH (s. Einleitung) entstehen kann. Es wurde daher von grundsätzlich anderen Voraussetzungen ausgegangen:

  • an Stelle einer verbindlichen Menge lernfördernder Umweltbedingungen sollte aufgrund der mangelnden externen Validität vieler Ergebnisse von einer provisorischen und jederzeit ergänzbaren Menge ausgegangen werden, wobei die Effektivität jeder einzelnen Umweltbedingung im Kontext des gesamten Wirkungsgefüges wiederholt in Frage zu stellen ist;
  • durch einen auf mehrere Revisionen angelegten Suchprozeß sollte unter Einbeziehung aller verfügbaren Datenmodalitäten eine Lernumwelt herausgearbeitet werden, die bei den Schülern die erwünschte Lernaktivität auslöst. Erst danach sollte versucht werden, die Effekte des ausgelösten Schülerverhaltens zu erfassen und das System lehr-lern-psychologisch erklären zu wollen. Die Menge der a priori ausgewählten lernfördernden Umweltbedingungen ist daher eher als Ausgangspunkt denn als Endpunkt eines langfristigen Suchprozesses aufzufassen;
  • die globale transfertheoretische Beschreibung der Fähigkeitsentwicklung sollte durch eine speziellere, prozeßorientierte Theorie für die zu vermittelnden Strategien der Informationsverarbeitung ergänzt werden.

Diese Punkte sollen hier, über die einleitend wiedergegebenen Argumente hinausgehend, spezieller begründet werden.

4.1 Die externe Validität lehr-lern-psychologischer Aussagen

Die Verwendung einer provisorischen Menge lernfördernder Umweltbedingungen als Grundlage für die Planung einer Lernumwelt bedeutet, jede einzelne lernfördernde Umweltbedingung anfangs immer nur als potentiell lernfördernd anzusehen, d.h. ihre lernfördernde Wirkung trotz vorliegender punktförmiger empirischer Stützen und theoretischer Argumente immer wieder in Frage zu stellen, bis Hinweise für ihre Wirksamkeit im Kontext des gesamten Bedingungsgefüges und in der jeweils vorfindbaren Situation und Population vorliegen. Ein solches vorsichtiges Vorgehen legt das Problem der externen Validität pädagogisch-psychologischer Forschungsergebnisse nahe (vgl. BREDENKAMP 1979). Die externe Validität ist nach CAMPBELL & STANLEY (1963) gegeben, wenn das Ergebnis in dreifacher Hinsicht generalisierbar ist:

  • von der untersuchten Versuchspersonengruppe auf eine oder mehrere größere Populationen (Populationsvalidität).
  • von den in der jeweiligen Untersuchung vorgenommenen Operationalisierungen auf die theoretisch zugrundeliegenden abhängigen und unabhängigen Variablen (Variablenvalidität),
  • von der Versuchssituation auf eine andere, praktisch relevante Situation (Situations- bzw. ökologische Validität).

Die Variablenvalidität ist bei der Erforschung lernfördernder Umweltbedingungen nicht problematisch, solange sich die Forschungsaussagen nur auf die Lernbedingungen selbst und nicht auf verallgemeinerbare lehr-lern-theoretische Prinzipien erstrecken (vgl. BREDENKAMP 1979). Problematisch ist bei der Untersuchung lernfördernder Umweltbedingungen dagegen die Sicherung der Populationsvalidität und die der ökologischen Validität. Dieses Problem soll hier zunächst anhand einer einfachen und einer zusammengesetzten lernfördernden Umweltbedingung demonstriert und anschließend im Kontext der sogenannten Aptitude-Treatment-Interaction-Forschung allgemein diskutiert werden.

4.1.1 Demonstration des Problems der externen Validität

Die Untersuchung der einfachen lernfördernden Bedingungen bezieht sich auf mnemonische Hilfen. LEVIN, PRESSLEY, MCCORMICK, MILLER & SHRIBERG (1979) untersuchten die Effektivität dieser Bedingung in Form der sogenannten Schlüsselwortmethode beim Vokabellernen. Diese Methode ist ein zweistufiges mnemonisches Verfahren. Beim Vokabellernen muß der Lernende zunächst eine stabile Verbindung zwischen dem fremdsprachlichen und irgendeinem klangähnlichen muttersprachlichen Wort herstellen. Dieses klangähnliche Wort ist das Schlüsselwort. Dann muß er das Schlüsselwort und das zu übersetzende muttersprachliche Wort durch eine bildliche Vorstellung verbinden. Angenommen wird, daß das klangähnliche Wort über die bildliche Vorstellung jederzeit abrufbar ist und die Klangähnlichkeit die gesuchte Vokabel verfügbar macht. Die lernfördernde Wirkung der Schlüsselwortmethode konnte nach LEVIN et al. (1979) durch Laborversuche mehrfach gestützt werden. Trotzdem ist diese Methode nach einem Ergebnis von FUENTES (1976) nicht geeignet, das Vokabellernen im regulären Unterricht zu unterstützen. FUENTES machte hierfür die mangelnden ökologischen Aspekte der Laborsituation verantwortlich, vor allem die im Vergleich zur Klassenraumsituation geringere Komplexität. Erst bei jüngeren Schülern konnte JONES & HALL (1978) auch im regulären Klassenverband positive Ergebnisse mit der Schlüsselwortmethode erziehen. LEVIN et al. (1979) sahen nun die mangelnde Populationsvalidität der Untersuchung von FUENTES als Grund für die negativen Ergebnisse an. Sie argumentierten, daß es sich bei den Schülern aus der Untersuchung von FUENTES um erfahrende Lerner handelt, die im Gegensatz zu den Versuchspersonen von JONES & HALL bereits Strategien für das Vokabellernen besitzen. LEVIN et al. (1979) verglichen daraufhin zusätzlich 4- und 5-Klässler mit älteren Schülern. Während sich die Schlüsselwortmethode bei den älteren Schülern als ineffektiv erwies, zeigten sich in der 4. und 5. Klasse bedeutsame Effekte. LEVIN et al. (1979) schließen daraus, daß die Effektivität der Schlüsselwortmethode vom Nicht-vorhandensein elaborierter Lernstrategien abhängt, also von einem sehr allgemeinen Schülermerkmal, das sich sicherlich weiter differenzieren ließe. Das zweite Experiment zur Veranschaulichung der Schwierigkeiten einer externen Validitätsbestimmung bezieht sich auf die globale Umweltbedingung "Lernen in autonomen Kleingruppen". Unter autonomen Kleingruppen sich hierbei Schülergruppen zu verstehen, die nur eine geringe Supervision durch den Lehrer erfahren. Zwar erklärt der Lehrer die Arbeitsmaterialien und beantwortet auftauchende Fragen, aber die Durcharbeitung der Materialien geschieht unabhängig vom Lehrer. Bei dieser Durcharbeitung bekommt im allgemeinen jeder Schüler seine eigenen Aufgaben und es besteht die Aufforderung, sich wechselseitig zu helfen. ROSENSHINE (1976) belegt, daß Kleingruppenarbeit mit geringer Supervision durch den Lehrer für leistungsschwache Schüler nicht effektiv ist, weil sie das lernzielbezogene Verhalten nicht lange aufrechterhalten. WEBB (1977) relativiert diese Aussage durch einen Laborversuch, demzufolge bestimmte Schülermerkmale für die ineffektive Kleingruppenarbeit verantwortlich zu machen sind. Im besonderen ergab dieser Versuch, daß Kleingruppenunterricht mit geringer Lehrer-Supervision auch für die Schüler mit niedrigen kognitiven Fähigkeiten geeignet ist, weil sie häufig durch die Erklärungen der leistungsstärksten Mitschüler direkt angesprochen werden. Für Schüler mit mittelhohen kognitiven Fähigkeiten erwiesen sich heterogene Kleingruppen dagegen wiederum als weniger effektiv als homogene Gruppen. Ausgehend von diesen Laborergebnissen untersuchten PETERSON & JANICKI (1979) das Problem wiederum im schulischen Kontext. Sie gingen hierbei von der moderierenden Hypothese aus, daß Schüler mit einer ausgeprägten Selbstverantwortung für den Lernerfolg im Kleingruppenunterricht, in dem sie die Verantwortung für das Lernen selbst tragen, besser zurechtkommen als Schüler mit niedriger Selbstverantwortlichkeit (STONE 1974; WRIGHT & DUCETTE 1976). Diese Hypothese konnte von PETERSON & JANICKI empirisch bestätigt werden. Im Gegensatz zu WEBB argumentieren PETERSON & JANICKI (1979) darüberhinaus in Übereinstimmung mit ALLEN & FELDMANN (1973) und CLOWARD (1976), daß leistungsschwächere Schüler in heterogenen Kleingruppen nicht notwendig von den Erklärungen der Mitschüler profitieren und daher im Frontalunterricht ihre besten Leistungen erzielen. Die empirische Basis für die Beurteilung der Frage, wann Kleingruppenarbeit mit geringer Supervision effektiv ist, bleibt damit widersprüchlich.

4.1.2 Externe Validität im Kontext der ATI-Forschung

Die Ergebnisse zu den Bedingungen 'mnemonische Hilfen' und 'autonome Kleingruppenarbeit' demonstrierten, daß bezüglich der externen Validität von Aussagen über lernfördernde Wirkungen sehr differenzierte Untersuchungen notwendig sind. Die Forschungsrichtung, die speziell auf die Erzielung solcher Aussagen ausgerichtet ist, ist die sogenannte ATI-Forschung (Aptitude-Treatment-Interaction). Hierbei werden unter 'aptitudes' alle Schülermerkmale zusammengefaßt, die einen Beitrag zu Vorhersagen des Lernerfolgs leisten. Das Treatment ist typischerweise eine oder mehrere lernfördernde Umweltbedingungen. Durch die Ergebnisse der ATI-Forschung, die CRONBACH & SNOW (1977) zu-sammenfassen, soll geklärt werden, ob es stabile und von der Größe her bedeutsame Wechselwirkungen zwischen Schülermerkmalen und lernfördernden Umweltbedingungen gibt. Unterrichtlich besonders relevant sind die sogenannten disordinalen Wechselwirkungen, denen zufolge eine Umweltbedingung für einige Schüler lernfördernd und für andere lernhindernd sein kann (vgl. FLAMMER 1975). Einen unterrichtspraktisch umsetzungsfähigen Katalog von ATI-Ergebnissen hat diese Forschungsrichtung aber trotz ihrer bereits zehnjährigen Existenz noch nicht bereitstellen können, weil sich die häufig gefundenen Wechselwirkungen in Nachfolgeuntersuchungen häufig als nicht stabil erwiesen. Die vielen empirischen Ergebnisse rechtfertigen nach SNOW (1977) daher augenblicklich lediglich wenige generalisierbare Aussagen, z.B.:

  • Variablen der allgemeinen Intelligenz, wie 'verbal crystallized ability', 'fluid-analytic ability' oder 'spatial-visualization ability' korrelieren um so höher mit den Lernergebnissen, je höhere Ansprüche der Unterricht an die Informationsverarbeitung stellt.
  • Für die Variablen aus den Bereichen 'Angst', 'Motivation' und 'Selbständigkeit' ergeben sich Wechselwirkungen mit der Unterrichtsmethode, wenn das Ausmaß der externen Strukturierung der Lernprozesse variiert. Ängstliche und/oder unselbständige Schüler benötigen eine stärkere Strukturierung.

Einen Grund für dieses relativ enttäuschende Ergebnis sieht CRONBACH (1975) darin, daß die bedeutsamen Wechselwirkungen zwischen Umweltbedingungen und Schülermerkmalen nicht erster oder zweiter, sondern höherer Ordnung sind. RHETTS (1974) fand z.B., daß sich impulsive und reflexive Kinder in ihren Lernleistungen unter zwei verschiedenen Umweltbedingungen (freie Wahl der Bearbeitungszeit pro Lernschritt versus vorgegebene Bearbeitungszeit) entgegen der Erwartung nicht unterschieden. Erst nach der Berücksichtigung des Geschlechts ergab sich ein Interaktionseffekt dergestalt, daß impulsive Jungen bei selbstgewählter Bearbeitungszeit sehr viel besser als die übrigen Gruppen abschnitten, während impulsive Mädchen sehr viel schlechtere Ergebnisse erreichten. RHETTS erklärt dieses Ergebnis durch die geschlechtsspezifische Sozialisation, d.h. durch einen sehr komplexen Variablensatz, der sicherlich weitere Relativierungen zuläßt. In diesem Sinne ist die Aussage von CRONBACH (1975) zu verstehen, nach der allgemeine Feststellungen über den Effekt einer Umweltbedingung solange irreführend sind, solange diese Feststellungen nicht wieder durch die Berücksichtigung zusätzlicher Schülermerkmale moderiert werden können (vgl. auch RÜPPELL 1977). Einen zweiten Grund für die relativ enttäuschenden Ergebnisse der 'Aptitude-Treatment-Interaction'-Forschung sehen viele Autoren (z.B. GLASER 1976; HUNT 1975; SNOW 1976) darin, daß als 'Aptitudes' nicht die Merkmale von kognitiven Prozessen, sondern globale Fähigkeiten verwendet wurden. Im kognitiven Bereich sollten nach GLASER (1976) etwa anstelle einer allgemeinen verbalen Fähigkeit die Geschwindigkeit und Effizienz der Datenmanipulation im Kurzzeitgedächtnis verwendet werden, oder anstelle des induktiven Denkens diejenigen Prozesse, die Personen mit hohen Leistungen im induktiven Denken beim Lösen entsprechender Aufgaben verwenden. Geht man z.B. mit HUNT & LANSMAN (1975) im Falle der 'verbal crystallized ability' davon aus, daß die zentralen Prozesse dieser allgemeinen Fähigkeit in der Geschwindigkeit des Kodierens und der Qualität der sequentiellen Verarbeitungsprozesse im Kurzzeitgedächtnis zu sehen sind, so wären bei einer niedrigen Ausprägung dieser Fähigkeiten solche Umweltbedingungen lernfördernd, die sich direkt auf die Unterstützung dieser beiden Prozesse beziehen. Die Auswahl solcher Umweltbedingungen kann theoretisch besser begründet werden als bei allgemeinen Fähigkeiten, weil die Prozeßbegriffe direkt übersetzbar sind in spezielle Formen von Lernbedingungen. HUNT (1975) spricht in diesem Fall von einer kompatiblen Beschreibung von Personen und Umweltmerkmalen und meint damit die Verwendung gleicher Begriffe zur Beschreibung der beiden Merkmalskonzepte. Das Konzept 'Geschwindigkeit' kann z.B. gleichermaßen auf das Personenmerkmal 'Geschwindigkeit des Kodierens' und auf das Umweltmerkmal 'Geschwindigkeit der Stimulusdarbietung' bezogen werden. Das obige Argument von CRONBACH, Wechselwirkungen höherer Ordnung zwischen Personen- und Umweltmerkmalen die entscheidende lernfördernde Wirkung zuzumessen, bleibt aber auch bei der Verwendung von Prozeßvariablen bestehen. Beispielsweise konnten CHIANG & ATKINSON (1976) das oben zitierte Ergebnis von HUNT & LANSMAN nur für Jungen replizieren. SNOW (1976) warnt daher auch bei der Verwendung von Prozeßvariablen vor einfachen Zuordnungen von einzelnen Parametern dieser Prozesse zu speziellen lernfördernden Umweltbedingungen. Nach SNOW ist es notwendig, die Komplexität der Beziehungsgeflechte der unterschiedlichen Prozesse als Ganzes zu berücksichtigen, was er durch die Analyse unterschiedlicher Variablenklassen der allgemeinen Intelligenz, z.B. 'Allokation der Lösungszeit' oder 'Reihung der Lösungsschritte', angefangen zu haben glaubt. Insgesamt läßt der akutelle Stand der Aptitude-Treatment-Interaction-Forschung es nicht zu, einen normativen Satz extern valider Aussagen abzuleiten, der vorschreibt, wann welcher Schüler unter welchen Umweltbedingungen lernen sollte. Insbesondere zwingen diejenigen Untersuchungen, die die Effektivität einer theoretisch lernfördernd erscheinenden Umweltbedingung nicht nachweisen konnten, nicht dazu, diese Bedingung von vornherein zu ignorieren, wenn es darum geht, ihren Stellenwert im Rahmen eines komplexen Wirkungsgefüges von Bedingungen zu beurteilen. Die vielen Ergebnisse der Aptitude-Treatment-Interaction-Forschung sind daher augenblicklich nur eine heuristische, nicht aber verbindliche Planungsgrundlage. Zu einem ähnlich allgemeinen Schluß bezüglich der Umsetzbarkeit theoretischer und empirischer Ergebnisse gelangt auch MONTADA (1980) im Zusammenhang mit den Problemen einer Anwendung entwicklungspsychologischer Erkenntnisse. Für eine Forschungsstrategie zur Entwicklung von Lernumwelten wird aus dem Problem der nicht zufriedenstellenden externen Validität der Ergebnisse der Aptitude-Treatment-Interaction-Forschung hier die Konsequenz gezogen, bei der Planung einer Lernumwelt zunächst einmal von einer heuristisch nutzbaren Rangordnung aller produktiv erscheinenden lernfördernden Umweltbedingungen auszugehen, d.h. zu Beginn der Planung das Spektrum lernfördernder Umweltbedingungen möglichst vollständig im Auge zu haben.

4.2 Methodologie langfristiger Optimierungen

Die Erprobung der vorschulischen Spieleumwelt hat gezeigt, daß die Beobachtung des sozialen Lernverhaltens sehr viel direkter auf die Verbesserung der Lernumwelt zu beziehen ist als die testmäßig erfaßten Leistungsmaße. Schon durch die unsystematische Beobachtung durch Experten bildeten sich bei diesen stabile Überzeugungsstärken bezüglich notwendiger Revisionen der Lernumwelt, wodurch die Frage aufgeworfen wird, ob diese Überzeugungsstärken quantifizierbar und damit einer formalen Analyse zugänglich gemacht werden können. Diese Überlegungen führten auf die Möglichkeit, die Optimierung einer Lernumwelt mit Hilfe der sogenannten BAYESStatistik durchzuführen (vgl. RÜPPELL 1977). RÜPPELL (1977) hatte theoretisch begründet, daß BAYESVerfahren prinzipiell für die Optimierung komplexer Lernumwelten bzw. Lehr-Lern-Systeme geeignet sind. Die konkrete Anwendung auf das vorliegende Problem scheiterte jedoch einerseits an einer zu geringen Anzahl verfügbarer Experten, und andererseits an technischen Problemen, wie der Nutzenmessung mehrdimensionaler Lernziele oder der formalen Revision subjektiver multivariater Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Die Suche nach einer Strategie zur Abschätzung der Gesamtwirkung eines komplexen Bedingungsgefüges und seiner Optimierung orientierte sich daraufhin nur noch an der funktionalen Evaluation von CRONBACH (1978), bei der der Nutzen der Evaluation und nicht das formalmethodische Vorgehen im Vordergrund steht und für die CRONBACH auf der konkreten Planungsebene folgendes Vorgehen nahelegt:

  • ein langfristiges Vorgehen, bestehend aus einer ca. einjährigen Untersuchung des Phänomens mit Hilfe einer nicht allzu präzisen Erfassung, einer mittleren Forschungsperiode von einem oder mehreren Jahren zur Durchführung der Hauptuntersuchung und einer ca. einjährigen Nachuntersuchung zur Klärung konkurrierender Interpretationen,
  • die Einbeziehung unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen, wobei auch naturalistisch-impressionistische Methoden in Erwägung gezogen werden können,
  • die Anregung der Forschungsdiskussion durch die Publikation vorläufiger Ergebnisse,
  • die Gleichzeitigkeit von Planung, Datenerhebung und Interpretation, d.h. auch die kurzfristige Neuplanung beim Auftreten bestimmter Daten.

Der funktionale Evaluationsansatz von CRONBACH läßt sich allgemein auch durch Aspekte der ökologisch-psychologischen Vorgehensweise kennzeichnen, die KAMINSKY (1979) zusammenfaßt:

(a) Naturalistische Angehensweise, also theoretisch und methodisch bevorzugt an natürlichen Lebenssituationen und alltagsgemäßem Verhalten und Erleben ansetzend;
(b) enge Verbindung von Forschung und Praxis;
(c) interpretatives und praktisches Operieren in größeren systemhaften Zusammenhängen als bislang in der Psychologie üblich;
(d) integrierte Berücksichtigung verschiedener materiell-räumlicher, sozialer und symbolischer Umweltaspekte.

Von der Pädagogischen Psychologie verlangt der ökologische Ansatz darüber hinaus, über Beziehungen zwischen verschiedenen Partialtheorien nachzudenken und sich um rahmentheoretische Grobstrukturierungen des gesamten beanspruchten Realitätsbereichs zu bemühen. Hierbei können phänomenanalytisch gewonnene taxonomische Ansätze Anstöße geben. Eine dem funktionalen Evaluationsansatz und dem ökologisch-psychologischen Ansatz verbundene Methodologie ist in ethnographischen Methoden zu sehen. Kernstück der ethnographischen Forschungsmethode ist nach WILSON (1979) die typisch anthropologische Methode der teilnehmenden Beobachtung, der vor allem in komplexen Situationen zugesprochen wird, Informationen zu liefern, die den psychometrischen Methoden prinzipiell unzugänglich sind. Das Rationale der teilnehmenden Beobachtung drücken zwei Hypothesen aus: die naturalistisch-ökologische und die qualitativ-phänomenale. Der naturalistisch-ökologischen Hypothese zufolge ist das menschliche Verhalten entscheidend von der jeweiligen Situation abhängig (z.B. BRUNSWICK 1956 und BARKER 1968) und daher direkt in den jeweils relevanten Situationen zu beobachten. Hierbei ist es dem Untersucher freigestellt, explizite a priori Hypothesen zu formulieren, Beobachtungskategorien zu definieren oder statistische Verfahren der Datenanalyse zu verwenden. Dieser methodische Freiraum wird erst durch die qualitativ-phänomenale Hypothese eingeschränkt. Ihr zufolge sind a priori Hypothesen, Beobachtungskategorien und explizite Interpretationsvorschriften willkürliche Zugänge zum Verstehen des Verhaltens, weil viele alternative Hypothesen und Beobachtungskategorien denkbar sind. Angesichts dieser Vielfalt sollte dem subjektiven Beobachtungssystem eines Experten der Vorzug gegeben werden, vorausgesetzt, daß sich dieses System aufgrund von Erfahrungen mit ähnlichen Situationen gebildet hat. Da dieses System nicht immer explizit beschreibbar ist, resultiert eine sinnvolle Beobachtung und Interpretation nur aus einem dynamischen Wechselspiel der subjektiven Rolle des teilnehmenden Beobachters und der Rolle des 'objektiven' Beobachters. GLASER & STRAUSS (1967) verdeutlichen diese Vorgehensweise, indem sie durch das Wechselspiel subjektiver und objektiver Daten eine Theorie kontinuierlich modifizieren. Psychometrische Verfahren werden in diesen Prozeß erst eingebracht, wenn sich im Verlaufe dieses Prozesses beim Forscher die Überzeugung bildet, daß diese nützlich sein könnten. Die gemeinsame formal-theoretische Basis des ökologischen Ansatzes und der ethnographischen Vorgehensweise bildet der Systemgedanke, der zwar nach DEGREENE (1970) in vielen Bereichen der Psychologie diskutiert wurde, aber selten konkrete Anwendungen gefunden hat._ Die zentrale Aussage des Systemgedankens ist, daß eine im allgemeinen große Anzahl von Elementen zusammenwirkt und die Funktionsweise des Systems mehr von den spezifischen Interaktionen zwischen den Elementen als von den Effekten der einzelnen Elemente abhängt. Mit MESSICK (1971) läßt sich diese folgendermaßen formulieren: Die pädagogische Arena ist ein System im technischen Sinne, d.h. ein komplexer Satz von Elementen, die als Ganzes zusammenwirken, gesteuert durch die Interdependenzen der Teile. Dieser Tatbestand wird häufig im Zusammenhang mit Interventionsstrategien beklagt, wenn die erfolgreiche Veränderung eines bestimmten Teils nicht selten von unbeabsichtigten und unerwünschten Veränderungen anderer Systemteile begleitet wird. DÖRNER (1976) hat dieses Problem empirisch untersucht und durch das Konzept "Denken in Netzen" beschrieben. Danach sind Systemverbesserungen angesichts der Vielzahl miteinander verwobener Interaktionen schwierig zu überschauen, weil die Veränderung einer Einzelkomponente die Funktion des Gesamtsystems entscheidend verändern kann und somit durch additive Wirkungszusammenhänge, die viele quantitative Methoden der aktuellen psychologischen Forschung voraussetzen, kaum vorhersagbar ist. ALEXANDER et al. (1974) drücken dieses folgendermaßen aus: "Put a computer in a classroom and we do not have the old classroom plus a computer, we have an entirely new system." (ALEXANDER et al. 1974, S. 6). Das Problem, daß ein System weniger durch die Veränderung einzelner Komponenten als vielmehr durch eine Verbesserung des Zusammenspiels der verschiedenen Komponenten positiv verändert werden kann, ist zentral für eine quantitative Bewertung einzelner Systemkomponenten im Sinne einer Effektdetermination. Zusätzlich schreckt aber auch der praktische Aufwand einer solchen Effektdetermination ab. SNOW (1974) zeigt beispielsweise, daß schon für sechs bis sieben Systemkomponenten so viele Interaktionseffekte auftreten, daß eine empirische Systemanalyse mit Hilfe eines systematischen Versuchsplans praktisch kaum noch realisierbar erscheint. Dieser Aufwand wächst noch progressiv, wenn als Effektivitätskriterien nicht nur die kognitiven Lernergebnisse, sondern auch Effekte im sozialen und affektiven Bereich gelten sollen. Angesichts der Schwierigkeiten, komplexe Systeme durch systematische Versuchspläne zu analysieren, spricht sich MESSICK (1971) für die Formulierung provisorischer Aktionspläne aus. Retrospektiv besteht dann die Möglichkeit, aus den Erfahrungen mit solchen Aktionsplänen eine systemspezifische Forschungsstrategie zu abstrahieren. Ein notwendiger Bestandteil einer solchen systemanalysierenden Forschungsstrategie wird hier in der sogenannten reflektierenden Beobachtung gesehen. Unter dieser Form der Beobachtung ist eine induktive Begriffs- und eine argumentative Konsensbildung von Experten zu verstehen. Die Experten müssen hierzu das videographierte Lernverhalten einzelner Schüler solange betrachten, bis sie analog zu den klassischen Begriffsbildungsexperimenten zu einem impliziten Verständnis gelangen und dieses in begleitenden Diskussionen analysieren, um Expliziertheit und Konsensbildung zu erreichen. Charakteristisch für die begleitende Diskussion ist die Möglichkeit, das Lernverhalten auch unabhängig von den Videoaufzeichnungen diskutieren zu können, aber im Verlaufe solcher Diskussionen punktuell auf die Aufzeichnungen zurückzugreifen, um bestimmte Argumente datenmäßig zu unterstreichen. Dieser punktuelle Rückgriff ist möglich, wenn sich bei den Experten durch die wiederholten VideoBetrachtungen ausgedehnte gedächtnismäßige Repräsentationen des Lernverhaltens einzelner Schüler gebildet haben. Diese Notwendigkeit führt auf der Designebene dazu, der Intensivanalyse ausgewählter Schüler gegenüber einer weniger intensiven Analyse vieler Schüler den Vorzug zu geben. Die weitergehende Spekulation dieser Entscheidung ist, daß die ausgedehnte gedächtnismäßige Repräsentation des Lernverhaltens dem Experten die Entdeckung allgemeinerer Mechanismen ermöglicht, die z.B. zeigen, ob eine Umweltbedingung im individuellen Fall angemessen ist oder nicht. Das erkenntnistheoretische Phänomen, daß PIAGET unter minimal generalisierbaren "Designbedingungen" Aussagen erzielen konnte, die maximal generalisiert wurden, hängt mit dieser Spekulation zusammen. Die reflektierende Beobachtung soll über die Befähigung zur Beurteilung der verwirklichten Umweltbedingungen hinausgehend bei den Experten ein situations- und populationsspezifisches Wissen aufbauen, das sie in die Lage versetzt, bisher nicht erprobte Umweltbedingungen ad hoc angemessener verwirklichen zu können. Bezüglich des Problems, aus dem weiten Spektrum potentiell lernfördernder Umweltbedingungen die für eine spezielle Lernumwelt geeigneten auszuwählen und ihr Zusammenspiel zu harmonisieren, wird aus den vorangehenden Überlegungen die allgemeine Konsequenz gezogen, ein mehrstufiges Optimierungsverfahren zu wählen, das die teilnehmende, reflektierende und systematische Beobachtung auf zunehmend präziser werdenden Untersuchungsebenen beansprucht und das einer Intensivanalyse ausgewählter Schüler gegenüber einer weniger intensiven Analyse vieler Schüler den Vorzug gibt.

4.3 Lernprozeßorientierte Lernerfolgsmessung

In dem vorangehenden Vorschulversuch waren die Spielleistungen durch testähnliche Aufgabenreihen quantitativ erfaßt worden, um damit gegebenenfalls die Verbesserungen in den Intelligenztestwerten auf einzelne Spiele zurückführen zu können. Dieses Vorgehen hätte sich als angemessen erwiesen, wenn die Spiele das beabsichtige Überlernen der Strategien der Informationsverarbeitung weitgehend sichergestellt hätten. Da dieses aber nicht der Fall war, trat die Veränderung der Spiele in den Vordergrund, und für dieses Problem erwiesen sich die erhobenen Leistungsmaße als wenig nützlich. Die Frage nach einer pädagogischen Diagnostik (vgl. GARTEN 1977), die relevante Informationen für die Auswahl und die Koordination lernfördernder Umweltbedingungen liefert, wurde damit aktuell. Das Charakteristische dieser Diagnostik hebt GLASER (1977) hervor: "Asses performance atteinments and capabilities that can be matched to available educational options..." (GLASER 1977, S. 304) Im Zusammenhang mit diesem Problem hatten sich RÜPPELL & RUDINGER (1979) bereits nach einer kritischen Auseinandersetzung mit norm und kriteriumsorientierten Testverfahren für Diagnoseinstrumente ausgesprochen, die auf interviewartige Verfahren zurückgehen, wie sie etwa durch die "méthode clinique" von PIAGET oder die kontrollierte Konversation von PASK (1975) vorgezeichnet sind. Speziell für die Auswahl und Koordination lernfördernder Umweltbedingungen wurden hier Diagnoseinstrumente als geeignet erachtet, die die konkreten Lern- und Denkschwierigkeiten von Schülern sichtbar machen. Hierzu bietet sich die Methode der abgestuften Hilfeleistung an, die darin besteht, dem Schüler eine Aufgabe vorzugeben, die sein Kompetenzniveau knapp überschreitet, um dann zu sehen, welche Hilfestellungen er für die Lösung benötigt (vgl. VYGOTZKY 1969; MEICHENBAUM 1980; KLAHR 1980; SCHRANKEL 1982). Für das vorliegende Problem erscheint diese Methode besonders dann geeignet, wenn die Hilfestellungen so beschrieben werden, daß sich direkte inhaltliche Beziehungen zu den Konzepten ergeben, durch die lernfördernde Umweltbedingungen gekennzeichnet sind. Auf einer allgemeinen Ebene versucht HUNT (1975) dem Problem der direkten Übersetzbarkeit von Personenmerkmalen in Umweltmerkmale durch die Methode der kompatiblen Beschreibung gerecht zu werden. Geeignete Beschreibungsbegriffe sieht HUNT in den sogenannten Zugänglichkeitskriterien. Beispiele für solche Charakteristiken sind "sensorische Orientierung" oder "conceptual level", die eine Verbindung aus kognitiver Komplexität und Selbstverantwortlichkeit darstellt. Die "sensorische Orientierung" kann direkt in eine Umweltbedingung umgesetzt werden, beispielsweise durch einen schwerpunktmäßigen Einsatz akustisch oder visuell ausgerichteter Lehrmedien. Das "conceptual level" steht dagegen in einem deutlichen Zusammenhang zum Strukturierungsgrund der Lernumwelt, denn aufgrund der von HUNT angeführten Ergebnisse und Argumente ist der Strukturierungsgrund einer Lernumwelt um so niedriger anzusetzen, je höher das "conceptual level", je höher also die kognitive Komplexität und die Selbstverantwortlichkeit des Lerners sind (vgl. auch RÜPPELL & RUDINGER 1979). Bei der Revision des Adaptiven Lehr-Lern-Systems konnte beispielsweise diagnostiziert werden, daß ein Schüler Schwierigkeiten hat, Lehrinhalte in bildliche Vorstellungen zu übersetzen. Hieraus würde folgen, die bildliche Codierung stärker zu unterstützen, z.B. durch die Verwirklichung der Umweltbedingung "bildliche Simulation". Eine so ausgerichtete Diagnostik liefert also direkte Hinweise auf solche Umweltbedingungen, um die das System der Umweltbedingungen einer Lernumwelt zu ergänzen ist, um kritischen Phasen des Lern- oder Denkprozesses Rechnung zu tragen. Die konkreten Diagnoseverfahren, die bei der Entwicklung des Adaptiven Lehr-Lern-Systems entwickelt wurden, verdeutlichen diesen kompensatorischen Aspekt. Im Gegensatz hierzu sind die zuvor diskutierten Beobachtungsverfahren stärker darauf ausgerichtet, zu entscheiden, ob die Art und Weise der Verwirklichung einer bereits berücksichtigten Umweltbedingung unangemessen oder prinzipiell unmöglich ist.

...

4.4 Schritte der Forschungsstrategie

Aus den vorangehenden methodisch-methodologischen Überlegungen und auf dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen aus dem Vorschulversuch wurde folgende Forschungsstrategie zur Planung und Bewertung kognitiv orientierter Lernumwelten formuliert, die auch den Anspruch erhebt, dem von GLASER geforderten Konzept einer "design-science" zu entsprechen (vgl. GLASER 1976). Das grundlegende Merkmal dieser Strategie ist ein mehrstufiges Vorgehen, demzufolge zunächst die Grob- bzw. Makrostruktur einer Lernumwelt zu entwerfen und daraufhin festzulegen ist, um dann mit zunehmend präziser werdenden Evaluationsinstrumenten die Fein- bzw. Mikrostruktur zu entwerfen und schrittweise zu optimieren. Eine summativkomparative Effektivitätsbewertung kann erst am Ende einer solchen langfristigen Optimierungsprozesses stehen (vgl. RÜPPELL & RUDINGER 1979). Das Motto 'Evolution statt Evaluation' kennzeichnet die Forschungsstrategie auf einer globalen Ebene.

Schritt 1: Zusammenstellung und Systematisierung aller Umweltbedingungen, deren lernfördernde Wirkung auf das Erlernen komplexer Denkstrategien theoretisch und/oder empirisch begründet werden kann. Die Zusammenstellung sollte auf einem umfangreichen Literaturstudium beruhen, das die aktuelle Lehr-Lern-Forschung ebenso berücksichtigt wie die Erfahrungen mit bereits erprobten Lernumwelten. Eine möglichst vollständige Zusammenstellung ist schon deswegen nötig, weil aufgrund der problematischen externen Validitäten vieler pädagogisch-psychologischer Ergebnisse eine grundsätzliche Vernachlässigung potentiell lernfördernder Bedingungen kaum gerechtfertigt erscheint. Für die Systematisierung der zusammengestellten Umweltbedingungen wird ein grobes Modell für den beabsichtigten Lehr-Lern-Prozeß benötigt, auf das die lernfördernden Effekte der unterschiedlichen Umweltbedingungen gemeinsam projiziert werden können.
Schritt 2: Entwurf der Makrostruktur der Lernumwelt. Dieser Entwurf beinhaltet eine Grobabstimmung der Umweltbedingungen, die die grundlegenden Merkmale der Lehr-Lern-Situation kennzeichnen, etwa die Aufgabendarbietung, die Feedbackvermittlung, die Rolle des Lehrers oder die Rahmenstrukturierung des sozialen Lernverhaltens.
Die Makrostruktur beschreibt also die grundlegenden Merkmale der Lehr-Lern-Umwelt, d.h. im wesentlichen die Eigenschaften der zu verwendenden Lehrmedien und -materialien, die Rolle des Lehrers, die Zusammensetzung und allgemeinen Handlungsmöglichkeiten der Lerngruppen.
Schritt 3: Festlegung der Makrostruktur der Lernumwelt durch teilnehmende Beobachtung und unterstützt durch eine prozeß-orientierte Diagnose des Denkverhaltens. Dieses sollte durch eine längere Erprobung der Lernumwelt in einer ökologisch validen Situation geschehen, an der Experten als Beobachter teilnehmen, um in begleitenden Diskussionen kurzfristig Veränderungen der Lernumwelt vorzunehmen. Die prozeß-orientierte Diagnose sollte anschließend geschehen, um Aufschluß über die Schwierigkeiten zu erhalten, die die Schüler bei der beabsichtigten Informationsverarbeitung haben. Die teilnehmende Beobachtung steht aber im Vordergrund, weil die erste Anpassung eines komplexen Systems an die spezielle Population und Situation die allgemeinere Entscheidung verlangt.
Schritt 4: Entwurf der Mikrostruktur der Lernumwelt durch die reflektierende Beobachtung des Lernverhaltens. Dieser Entwurf beinhaltet die Auswahl der lernfördernden Umweltbedingungen, die das mikrostrukturelle Lerngeschehen auslösen sollen, etwa das Diskussionsverhalten, das Frageverhalten oder das Instruktionsaufnahmeverhalten, und die genaue Beschreibung der technologischen Regeln, mit deren Hilfe die Umweltbedingungen zu verwirklichen sind. Hierzu ist die Lernumwelt ein zweites Mal empirisch zu erproben, um das Lernverhalten videographieren zu können. Experten führen dann anhand dieser VideoAufzeichnungen die reflektierende Beobachtung (s.u.) durch und treffen aufgrund von argumentativen Konsensbildungen die Entscheidungen, ob:
  • die Verwirklichungsformen der lernfördernden Umweltbedingungen, also die genauen technologischen Regeln beibehalten oder verändert werden sollen;
  • eine Umweltbedingung prinzipiell aufgegeben werden soll, weil sie im jeweiligen Kontext und der bereits festgelegten Makrostruktur nicht realisierbar erscheint;
  • die zeitliche Aufeinanderfolge der Umweltbedingungen zu verändern ist.
Schritt 5: Optimierung der Mikrostruktur im Rahmen einer dritten empirischen Erprobung durch eine breit angelegte systematische Beobachtung des videographierten Lernverhaltens und eine prozeßorientierte Diagnose der auftretenden Denkschwierigkeiten. Hierbei soll die systematische Beobachtung zeigen, ob die Umweltbedingungen die Lernaktivität auslösen, die sie auslösen sollen, während die prozeß-orientierte Diagnose der Denkschwierigkeiten zeigen soll, welche Umweltbedingungen zusätzlich in das Lehr-Lern-System aufzunehmen sind und wie weit die zugrundeliegende Lehr-Lern-Theorie angemessen ist. Die breite Anlage der systematischen Beobachtung ist hierbei weniger auf die Größe und Repräsentativität der Schülerstichprobe zu beziehen, als vielmehr auf die Vielfalt der Variablen des Lernverhaltens und die Intensität ihrer Erfassung bei ausgewählten Schülergruppen. Bezüglich der Revision des Lehr-Lern-Systems wird also davon ausgegangen, daß eine Intensivanalyse ausgewählter Schüler mehr Revisionsinformation liefert, als eine nicht so intensive Analyse aller in den Versuch einbezogenen Schüler. Methodologisch ähnelt dieses Vorgehen eher den Forschungsparadigmen von BRUNER und PIAGET als dem klassischen quasi-experimentellen Paradigma.
Schritt 6: Entwicklung einer relativ geschlossenen Lehr-Lern-Theorie und ihre hypothesentestende Überprüfung. Diese Entwicklung besteht im wesentlichen darin, die unterschiedlichen lehr-lern-theoretischen Effekte der verschiedenen Umweltbedingungen auf ein einheitliches Modell der menschlichen Informationsverarbeitung abzubilden. Eine solche Einbettung erscheint aus der Perspektive der den Umweltbedingungen zugrundeliegenden Lehr-Lern-Theorien als widersprüchliches System mit schroffen theoretischen Frontstellungen (vgl. WEINERT 1979). Auf der Ebene der konkreten Umweltbedingungen aber schwächen sich die schroffen Frontstellungen erheblich ab, was sich am markantesten darin zeigt, daß theoretisch sehr unterschiedliche Ansätze manchmal zu sehr ähnlichen lernfördernden Umweltbedingungen gelangen. Hierdurch erscheint einerseits die praktische Vereinbarkeit weniger problematisch als die theoretische und andererseits wird ein gemeinsamer Ausgangspunkt dafür gewonnen, um die lehr-lern-theoretischen Effekte der einzelnen Bedingungen auf ein einheitliches Lehr-Lern-Modell projizieren zu können. Entsprechend will das in Kapitel 5.3 dargestellte Lehr-Lern-Modell nicht die unterschiedlichen Lern- und Entwicklungstheorien integrieren, sondern lediglich die lehr-lern-theoretischen Effekte ihrer unterrichtlichen Konsequenzen in Form der abgeleiteten Umweltbedingungen.
Schritt 7: Summativ-komparative Effektivitätsbewertung durch die Akkumulation von Ergebnissen. Diese Akkumulation kann aufgrund der Anforderungen an repräsentative Aussagen im Bereich der pädagogisch-psychologischen Forschung (vgl. 4.1.2) nur durch die Begleitforschung zu einem breit angelegten praktischen Einsatz geschehen, d.h. das letztlich entwickelte System muß theoretisch und empirisch soweit begründet sein, daß bildungspolitische Instanzen von seinem Nutzen überzeugt werden können.

...

Erweiterung und Systematisierung der lernfördernden Umweltbedingungen
Erste Erweiterung der Umweltbedingungen anhand von ausgewählten Unterrichtskonzeptionen
Ausgewählte Konzeptionen zur Individualisierung schulischer Lernprozesse
4. Merkmale der individualisierten Instruktion
5. Mathematische Optimierung von Lernprozessen
6. Merkmale der Lehr-Lern-Instrumente von GLASER et al.
Ausgewählte Modelle kooperativer Kleingruppenarbeit
Puzzle-Gruppen
Programmiertes Peer-Tutoring
Regelspielsysteme)

5. Erweiterung und Systematisierung der lernfördernden Umweltbedingungen

Die lernfördernden Umweltbedingungen dieser Systematik sind nicht nur als Planungsgrundlage des Adaptiven Lehr-Lern-Systems anzusehen, sondern als allgemeine Grundlage für die Planung kognitiv orientierter Lernumwelten.

Beim Zusammenstellen der Umweltbedingungen wurde von den lernfördernden Umweltbedingungen ausgegangen, die in Kapitel 3 im Zusammenhang mit der vorschulischen Lernumwelt diskutiert wurden. Diese Bedingungen wurden zunächst durch Umweltbedingungen ergänzt, die sich in teilweise erprobten und lehr- lern-theoretisch begründeten Unterrichtskonzeptionen finden. Diese Ergänzung sollte der Verlegung der Forschungsarbeiten vom Vorschul- in den Schulbereich Rechnung tragen. Aus der Vielzahl lehr- lern-theoretisch begründeter Unterrichtskonzeptionen (vgl. z.B. GAGE & BERLINER 1975) mußte hierbei eine Auswahl getroffen werden, bei der als grobe Auswahlkriterien die Explizitheit der Umweltbedingungen, deren Relevanz für die Vermittlung komplexer Denkstrategien und das Ausmaß der praktischen Erprobung dienten. Eine nochmalige Ergänzung der Menge potentiell lernfördernder Umweltbedingungen wurde dann anhand von Ergebnissen der aktuellen Lehr-Lern-Forschung vorgenommen. Dieser Ergänzungsschritt basiert auf einem umfangreichen Literaturstudium. Eine grobe Gliederung des Lernprozesses in die Phasen der Motivation und Aufmerksamkeit, der verbalen und bildlichen Codierung und der Speicherung und Abrufbarkeit liegt diesem Schritt als Ordnungsgesichtspunkt zugrunde.

Nach dieser letzten Ergänzung der Menge der lernfördernden Umweltbedingungen wurde abschließend ein Lehr-Lern-Modell für komplexe Denkstrategien entworfen, um die Umweltbedingungen den Phasen des beabsichtigten Lernprozesses detaillierter zuordnen zu können. Dieser Entwurf beruht auf aktuellen Modellen der menschlichen Informationsverarbeitung. Seine Ausarbeitung und Überprüfung kennzeichnet die Forschungsperspektive dieses Autors, die abschließend skizziert wird, und die deutlich machen soll, wie die lehr-lerntheoretischen Effekte der Umweltbedingungen aus den unterschiedlichen Theorien letztlich auf ein relativ geschlossenes Lehr-Lern-Modell projiziert werden können.

 

5.1 Erste Erweiterung der Umweltbedingungen anhand von ausgewählten Unterrichtskonzeptionen

Die Auswahl der hier vorgestellten Unterrichtskonzeptionen orientierte sich daran, ob diese Konzeptionen explizit beschriebene lernfördernde Umweltbedingungen enthalten, die relevant für die Vermittlung komplexer Strategien zur Informationsverarbeitung erscheinen. Die Auswahl gliedert sich in:

5.1.1 Ausgewählte Konzeptionen zur Individualisierung schulischer Lernprozesse

Die hier beschriebenen Konzeptionen zur Individualisierung schulischer Lernprozesse konkretisieren einige der Harmonisierungsmöglichkeiten zwischen Lernmöglichkeiten und Lehrangebot, die in der Einleitung genannt wurden. Beschrieben werden die Merkmale

  • der individualisierten Instruktion
  • der mathematischen Steuerung von Lernprozessen
  • der Lehr-Lern-Instrumente von GLASER und Mitarbeitern.

Alle dargestellten Ansätze sind teilweise als Erweiterungen des programmierten Unterrichts anzusehen. In dieser Erweiterung finden sich zwar immer noch die von SKINNER hervorgehobenen Prinzipien des programmierten Lernens, aber es gibt auch zusätzliche Elemente der Unterrichtsform, die nicht auf diese Prinzipien zurückgeführt werden können. In diesem Sinne definieren ANDERSON & FAUST (1976) die verschiedenen aktuellen Varianten der Programmierten Instruktion als reproduzierbare Sequenz von Unterrichtsereignissen, deren Effektivität empirisch ermittelt wird, und denen unterschiedliche Lehr-Lern-Theorien und pragmatische Erkenntnisse unterliegen. Die ursprünglichen Prinzipien des Programmierten Unterrichts fassen GLASER & COOLEY (1975) noch einmal zusammen:

  1. Erwünschtes Verhalten wird sofort verstärkt.
  2. Der Lernende handelt mit dem Lernmaterial.
  3. Der Lehrinhalt kann von verschiedenen Schülern unterschiedlich schnell bearbeitet werden.
  4. Lernschritte können in Abhängigkeit von vorangehenden Antworten ausgewählt werden.
  5. Das Lehrmaterial wird aufgrund beobachtbarer Fehlerhäufigkeiten gezielt revidiert.
  6. Die durch den Lehrer und die Schulorganisation gegebenen Verstärkungsmöglichkeiten werden eingesetzt, um das Durcharbeiten der programmierten Materialien zu motivieren.
1. Merkmale der individualisierten Instruktion

Die bekannteste Form der individualisierten Instruktion ist das "Personalized System of Instruction" (PSI), das auf KELLER (1968) zurückgeht und das GAGE & BERLINER (1975) folgendermaßen kennzeichnen:

  • Selbstbestimmung der Geschwindigkeit des Durcharbeitens von Lehrmaterialien,
  • kriteriumsorientierte Leistungsmessung nach jedem Lehrinhalt,
  • Zwang zur Erreichung des Kriteriums vor dem Beginn einer nachfolgenden Lehreinheit,
  • Begleithefte zur Unterstützung des Durcharbeitens der Lehrmaterialien
  • Einsatz von fortgeschrittenen Schülern als Tutoren, besonders zur Unterstützung von Anfängern,
  • Ergänzung durch traditionelle Lehrmethoden, etwa Vorträge und Filme, zur Stimulation und besonderen Betonung einzelner Lehrinhalte.

Das "Personalized System of Instruction" hat sich nach GAGE & BERLINER (1975) häufiger als effektiver erwiesen als traditionelle Unterrichtsmethoden. Eine Gefahr des Systems ist aber in einer erhöhten "drop-out" Quote zu sehen. Diese Gefahr muß besonders dann als gravierend eingeschätzt werden, wenn ein Lehr-Lern- System, z.B. das Adaptive Lehr-Lern-System, den Anspruch hat, besonders den leistungsschwächeren Schülern zu helfen.

 

2. Mathematische Optimierung von Lernprozessen

Die mathematische Optimierung von Lernprozessen stellt eine unterrichtliche Anwendung entscheidungstheoretischer Verfahren (z.B. RAIFFA 1968) dar. Für eine solche Optimierung müssen daher folgende Voraussetzungen gegeben sein:

  • ein quantitatives Modell zur präzisen Beschreibung der individuellen Lernverläufe,
  • eine Nutzenfunktion für die Bewertung der möglichen Lernzuwachsraten,
  • eine Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Berechnung der Wahrscheinlichkeiten der Lernzuwachsraten,
  • eine Entscheidungsfunktion, die jeweils den Lernschritt mit dem maximalen Erwartungsnutzen auswählt.

Inhaltlich wurde dieser Ansatz bei der Optimierung des Lernens von Paarassoziationen erprobt, etwa beim Vokabel-Lernen. Hierbei besteht das Optimierungsproblem darin, dem Lernenden die Vokabeln so vorzugeben, daß die Wahrscheinlichkeit für die Bildung einer Assoziation bei jeder einzelnen Darbietung maximiert wird. Als Modell für die notwendige quantitative Beschreibung der Lernprozesse wurden Markovmodelle herangezogen. SMALLWOOD (1971) und CHANT & ATKINSON (1973) verwenden ein sogenanntes 'Alles-oder- Nichts-Modell', d.h. es wird angenommen, daß eine Assoziation entweder ganz oder gar nicht gebildet wurde, ohne daß Zwischenzustände möglich sind. Das Modell erlaubt die Berechnung der Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Assoziationen und die Veränderung dieser Wahrscheinlichkeiten nach jedem einzelnen Lerndurchgang. Der Computer kalkuliert dann mit diesen Wahrscheinlichkeiten und den Nutzenwerten der einzelnen Assoziationen den zu erwartenden Nutzen der Darbietung der einzelnen Vokabeln und bietet die mit dem maximalen Wert dar. Die hierdurch verwirklichte Umweltbedingung kann verallgemeinernd als "Entscheidungstheoretische Lernschrittplanung" bezeichnet werden. Diese Bedingung wird aufgrund der aufwendigen Berechnungen nur im Computerunterstützten Unterricht und in sehr einfachen Lehrbereichen zu verwirklichen sein. Da aber gerade diese Bereiche im Schulunterricht die geringsten Schwierigkeiten bereiten, ist klar, daß es sich hier vorerst nur um Demonstrationen einer Möglichkeit handelt, die Umweltbedingung " Antwortsensitive Aufgabensequenz" in extremer Form zu verwirklichen. Solche Sequenzen wurden oben dadurch gekennzeichnet, daß die Vorgabe einer neuen Aufgabe von der Art der Lösung der vorangehenden abhängig gemacht wird.

 

3. Merkmale der Lehr-Lern-Instrumente von GLASER et al.

Die Merkmale der Lehr-Lern-Instrumente werden von GLASER & COOLEY (1975) zusammenfassend dargestellt. Lehr-Lern-Instrumente sollen neue Interaktionsformen zwischen Schüler und dem Lehrmaterial so ermöglichen, daß einerseits eine direkte Verwirklichung verschiedener lernpsychologischer Prinzipien erreicht wird, und andererseits dem Lehrenden diese Prinzipien soweit verdeutlicht werden, daß er sie später unabhängig vom Lehr- Lern-Instrument verwirklichen kann. Das Schwergewicht wird hierbei eindeutig auf die Interaktion zwischen dem Schüler und den Lehrmaterialien gelegt, wodurch sich der Ansatz von den nachfolgend dargestellten Kleingruppenorientierten Ansätzen abhebt, bei denen die Schüler-Schüler-Interaktion im Vordergrund steht.
Bei der Entwicklung von Lehr-Lern-Instrumenten wird davon ausgegangen, daß Schüler lernen sollen:

  • ihre Aufmerksamkeit auf die Lerninhalte zu lenken,
  • konkrete Handlungen in Verbindung mit diesen Inhalten auszuführen und
  • sich präzise über die Konsequenzen der Handlungen zu informieren.
Entsprechend werden (1) die Darbietungsart der Lerninhalte (display), (2) die Antwortmöglichkeiten des Lernenden (manipulanda) und (3) die Feedbackvermittlung, sowie die Beziehung zwischen diesen drei Komponenten als zentrale Elemente der Entwicklung von Lehr-Lern- Instrumenten angesehen.
Bezüglich des display werden drei Aspekte hervorgehoben:
  • audiovisuelle Darbietung
  • Modell-Lernen
  • Textverarbeitung.

Die angemessene audiovisuelle Darbietung erfordert die Auswahl der jeweils geeigneten Sinnesmodalität und die Berücksichtigung der Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie. Beispielsweise legen diese Erkenntnisse nahe, daß die multimediale Darbietung von Lehrinhalten, entgegen der allgemein verbreiteten Lehrermeinung, nicht immer förderlich ist. Experimente zeigen nach GLASER & COOLEY (1975), daß im Falle redundanter Information (gleiche Information für verschiedene sensorische Kanäle) die multimediale Darbietung nicht wirksamer ist als die auditive oder die visuelle allein. Bei niedrigen Darbietungsgeschwindigkeiten wechselt der Lernende die Informationskanäle (time sharing), bei hoher Darbietungsgeschwindigkeit wird einer der Kanäle blockiert. Nur bei nicht-redundanter Information können positive Effekte erwartet werden, vor allem dann, wenn die Information der einzelnen Kanäle komplementär ist. Dieses ist etwa beim Sprachenlernen der Fall, wenn Texte und Tonbänder gleichzeitig zum Einsatz kommen. Die angemessene audiovisuelle Darbietung beinhaltet indirekt zugleich einen Wechsel der Darbietungsmethoden.
Die Vorteile des Modell-Lernens sehen GLASER & COOLEY (1975)

  • im Erwerb neuer Verhaltensweisen, die dem Verhaltensrepertoire des Lernenden gänzlich fehlen,
  • in der ersatzweisen Verstärkung durch die Sichtbarmachung der Konsequenzen des Modells,
  • in der Verbesserung der Lernstrategien des Lernenden, speziell der selektiven Aufmerksamkeitsstrategien und dem selektiven Einsatz bereits gelernter Verhaltensweisen.

Die entscheidende Funktion der Darbietung der Lehrinhalte in Texten wird in der Auslösung mathemagener Prozesse im Sinne von ROTHKOPF gesehen. Als Möglichkeit zur Verstärkung mathemagener Prozesse bei der Textverarbeitung werden z.B. Vorher- und Nachher- Fragen vorgeschlagen.
Bezüglich des zweiten zentralen Elements der Lehr-Lern-Instrumente, der Antwortmöglichkeit, werden ebenfalls drei Aspekte hervorgehoben:

  • Beobachtbarkeit des mikrostrukturellen Lernverhaltens (detectability),
  • Realitätsbezug,
  • Fähigkeiten des Lernenden.

Unter der Beobachtbarkeit des Lernverhaltens ist die Forderung zu verstehen, das Lernverhalten so genau aufzuzeichnen, daß eine detaillierte Grundlage für die weitere Planung von Lernprozessen entsteht. Entscheidend ist die Genauigkeit der Aufzeichnungen, da beispielsweise schon kleine interindividuelle Differenzen in der Antwortschnelligkeit oder der Antwortlatenz für den Lernerfolg ausschlaggebend sein können (JUDD & GLASER 1969). Mit dem Realitätsbezug ist die Ähnlichkeit der erfaßten Leistungen mit der im täglichen Leben tatsächlich geforderten Leistung gemeint. Betont wird, den Realitätsbezug in der Anfangsphase von Lehr-Lern- Prozessen weniger stark zu beachten als in deren Endphase. Die Fähigkeiten des Lernenden sollen zur individuellen Abstimmung der Antwortmöglichkeiten herangezogen werden. Die Wichtigkeit dieser Abstimmung wird vor allem für den vorschulischen Bereich betont, in dem etwa der Einsatz von berührungsintensiven Computerterminals eine hochinformative und (...) ist (vgl. auch BLOOM 1976) und andererseits davon ausgegangen wird, daß optimales Feedback das Gefühl entstehen läßt, den Verlauf des eigenen Lernprozesses kontrollieren zu können. Die Bedeutung des letzteren unterstreicht das Attribuierungskonzept (vgl. HECKHAUSEN 1980; DeCHARMS 1976).
Die konkrete Ausgestaltung eines Lehr-Lern-Instruments ist das Modell "Individually Prescribed Instruction" (IPI). Kennzeichen dieses Modells ist die Unterteilung des jeweiligen Stoffgebiets in Einheiten, von denen jede ca. eine Stunde Arbeit erfordert. Die Lernziele jeder Einheit sind verhaltensmäßig beschrieben. Ein Vortest entscheidet, mit welcher Einheit ein Schüler beginnt. Nach der selbständigen Bearbeitung dieser Einheit unterzieht sich der Schüler meistens mit Hilfe eines Computers einem Nachtest, dessen Ergebnis die nachfolgende Lerneinheit determiniert. IPI wird in den Fächern Lesen, Rechnen, Wissenschaften und Geographie eingesetzt. Diese Fächer beanspruchen ca. den halben Schultag. Die übrige Zeit ist für konventionelle Aktivitäten in Gruppendiskussionen, Kunst, Musik, Sport vorgesehen. IPI ermöglicht jedem Schüler die Selbstbestimmung seiner Lerngeschwindigkeit, was dazu führen kann, daß ein Schüler gegen Ende des Schuljahres bereits Inhalte höherer Altersstufen bearbeitet. Der dafür notwendige kontinuierliche Aufbau der Einheiten wird von Fachexperten und Pädagogischen Psychologen gemeinsam erarbeitet. Die Praxis zeigt, daß die Schüler die Einheiten mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten durcharbeiten. Aufgabe des Lehrers ist es, individuelle Lernprobleme festzustellen, entsprechende Hilfen auszuwählen und die Sequenz der Einheiten eines Schülers mitzubestimmen.
Die konkrete Funktionsweise der "Individually Prescribed Instruction" verdeutlicht ein typischer Unterrichtsausschnitt.
Bei der morgendlichen Durchsicht seiner Arbeitsergebnisse bemerkt der Schüler, daß er sein anvisiertes Ziel im Fach "Mathematik" wahrscheinlich nicht erreichen wird. Die Daten auf seinem Arbeitsplan zeigen, daß er Schwierigkeiten mit Dezimalbrüchen hat. Da er diese aufgrund seines Interesses an einem simulierten Baseballspiel ohnehin gerne beherrschen möchte und ihm sein Arbeitsbuch nicht weitergeholfen hat, entscheidet er, mit Hilfe des Computers einen diagnostischen Test zu machen. Er sucht ein freies Terminal, ruft die seinem Niveau entsprechende Testeinheit ab und entscheidet aufgrund einer Reihe unterschiedlicher Aufgaben, an welcher Stelle der Aufgabenserie er beginnen möchte. Nachdem er etwa 10 Minuten lang Aufgaben bearbeitet hat, rät ihm der Computer aufgrund der Art der gemachten Fehler, bestimmte Arbeitsbögen und Tonbänder "durchzuarbeiten". Er besorgt sich beides im "Ressourcen-Zentrum" und beginnt zu arbeiten. Später begutachtet er seine Mathematikleistungen in anderen Einheiten und beschließt daraufhin, am nächsten Tag einen umfassenden Nachtest zu machen ...
Bekannte andere Computer-Unterstützte Systeme sind PLAN (Program for Learning in According with Needs) und IGE (Individually Guided Education). PLAN ist ähnlich wie IPI aufgebaut, bietet aber stärker alternative Lehr-Lern-Methoden (Bücher, Filme, Programme, Instruktionen, Vorlesungen) an. Der Schüler entscheidet sich mit Hilfe des Lehrers jeweils für eine dieser Methoden. IGE ist dagegen stärker durch Team Teaching, Cross-aged-Tutoring charakterisiert. Zusätzlich werden individuelle Lehrstile und eine Spezialisierung des Lehrpersonals auf unterschiedliche Lehraufgaben hervorgehoben (vgl. GAGE & BERLINER 1975).

5.1.2 Ausgewählte Modelle kooperativer Kleingruppenarbeit

Das Lernen in Kleingruppen ist häufig untersucht worden (vgl. GAGE & BERLINER 1975). Insbesondere gilt dies für die sogenannte Diskussionsmethode, die die allgemeinste Form der Kleingruppenarbeit darstellt. Nach GALL & GALL (1976) ist die Diskussionsmethode durch eine Gruppe von Personen gekennzeichnet, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort verbal und nonverbal interagieren mit dem Ziel, ein Lernziel zu erreichen und dabei Rollen wie "Moderator", "Führer" oder "Teilnehmer" einnehmen. Betont wird u.a., daß

  • die individuellen Lernprozesse sich wechselseitig beeinflussen und somit jeder Schüler für den anderen einen Teil der Lernumwelt bildet,
  • die Gruppe ein sofortiges Feedback auf einzelne Lösungsvorschläge vermittelt,
  • das Bedürfnis nach Peer-Interaktion befriedigt wird.

Ein produktives Diskussionsverhalten setzt nach GAGE & BERLINER (1975) verschiedene sozial-kommunikative Fertigkeiten voraus, z.B. "zuhören können" oder "auf alle Gruppenmitglieder angemessen eingehen können".
Diese Voraussetzungen machen deutlich, daß die Diskussions- methode eine zusammengesetzte Umweltbedingung darstellt, die nicht einfach verwirklicht werden kann, sondern langsam aufgebaut werden muß. Auf eine Darstellung der allgemeinen Diskussionsmethode wird hier daher verzichtet, weil das soziale Lernverhalten, das diese Methode voraussetzt, ein Ziel des Bonner Lehr-Lern-Systems ist, das durch die spezifischen Effekte seine sozial- kommunikativ ausgerichteten Umweltbedingungen langsam aufgebaut werden sollen.
Von den zahlreichen Ergebnissen, die GALL & GALL (1976) zum Problem der Diskussionsmethode anführen, soll lediglich hervorgehoben werden, daß diese Autoren die optimale Kleingruppengröße auf 5 Personen festlegen und ein mittleres Ausmaß der Gruppenkohäsion befürworten. Die Ableitung weiterer lernfördernder Umweltbedingungen geschieht hier anhand von ausgewählten Modellen der kooperativen Kleingruppenarbeit, die sich durch explizit beschriebene Umweltbedingungen auszeichnen. Ausgewählt wurden:

5.1.2.1 Puzzle-Gruppen

Puzzle-Gruppen entstehen dadurch, daß die Schulklasse in gleich große, aber bezüglich der Schülermerkmale heterogene Kleingruppen aufgeteilt und das Lehrmaterial in so viele Teile gegliedert wird, wie Gruppenmitglieder vorhanden sind. Jedes Mitglied einer Kleingruppe bearbeitet nur einen dieser Teile. Für die Bearbeitung schließen sich diejenigen Mitglieder der verschiedenen Kleingruppen, die gleiche Teile bearbeiten müssen, zu vorübergehenden Lerngruppen zusammen. In diesen Lerngruppen hat jeder Gelegenheit, einen Vortrag vorzubereiten, den er anschließend seiner ursprünglichen Kleingruppe vorträgt. Die Kleingruppe soll die Inhalte der einzelnen Vorträge wie ein Puzzle zusammensetzen und zusammenhängend verstehen. Der Lehrer hat die Aufgabe, die Gruppen zu unterstützen und auf Zeiten zu achten. In einem abschließenden Quiz wird jeder Schüler einzeln bewertet. Gruppenleistungen werden nicht ermittelt. SHARAN (1980) führt empirische Ergebnisse an, denen zufolge:

  • kulturell benachteiligte Kinder in Puzzle-Gruppen mehr lernen und die anderen gleich viel;
  • die Entwicklung von Freundschaftsgruppen und Selbstwertschätzung gefördert werden;
  • Rollenspielfähigkeiten verbessert werden;
  • die wechselseitige Wahrnehmung ethnischer Gruppen positiver wird.

5.1.2.2 Programmiertes Peer-Tutoring

Kennzeichnend für Programmierte Tutorings ist die Programmierung der Tutorfähigkeit. Nach ELLSON (1976) existieren zahlreiche Formen des programmierten Tutorings, die sich als sehr effektiv erwiesen haben. Stellvertretend werden hier zwei Modelle des programmierten Peer-Tutorings vorgestellt.

a) Das programmierte Interview

Das programmierte Interview wurde von SHEPPARD & McDERMOT (1970) erprobt. Es besteht aus der strukturierten Interaktion zweier Lernender, die abwechselnd die Rolle eines Vortragenden und eines bewertenden Zuhörers einnehmen. Aufgabe des Vortragenden ist es, die Inhalte von 10 Textseiten sorgfältig zu studieren und Notizen zu machen, um die Inhalte dann innerhalb von 10 Minuten mit Hilfe der Notizen zu referieren. Der Zuhörer, der die referierten Inhalte schon vorher durchgearbeitet und während des Vortrags vor sich liegen hat, notiert Fehler, Ungenauigkeiten und Auslassungen. Aufgrund dieser Aufzeichnungen interviewt er den Vortragenden, indem er gezielte Fragen stellt und bewertende Bemerkungen macht, um den Vortragenden in eine Diskussion zu verwickeln. Anhand der Antworten und der Qualität der Diskussion wird dann gemeinsam entschieden, ob die Leistung des Vortragenden zufriedenstellend ist. Ist dieses der Fall, registriert der Vortragende die erfolgreiche Bearbeitung auf einer Kontrollkarte und läßt sie vom Zuhörer unterschreiben. Das Interview ist dann beendet. Wird die Leistung des Vortragenden als unbefriedigend eingeschätzt, werden die Fehler gemeinsam besprochen und der Vortragende bearbeitet den gleichen Text nochmals innerhalb eines Zeitraums von 10 Minuten. Daraufhin wiederholt sich der beschriebene Interviewzyklus.
Jeder Schüler ist abwechselnd Vortragender und Zuhörer, wobei die Auflage besteht, ungefähr jedes fünfte Interview mit einem Lehrer- Assistenten (ein Schüler einer höheren Klasse) durchzuführen. Nach jeweils 3 bis 5 Interviews unterzieht sich jeder Schüler einem 20minütigen Zwischentest, in dem er schriftlich zu den wichtigsten Fragen der durchgearbeiteten Inhalte Stellung nimmt. Diese Fragen werden zufällig aus einer vorher bekannten Fragenliste ausgewählt. Anhand der Ergebnisse des Zwischentests bewerten Lehrer- Assistenten und Schüler gemeinsam, ob die Lehrinhalte beherrscht werden und ob eine neue Lehreinheit begonnen werden kann. Bei Nichtbeherrschung der durchgearbeiteten Inhalte werden die Fehler mit dem Lehrer-Assistenten diskutiert und diese Inhalte nochmals für mindestens 10 Minuten bearbeitet.
SHEPPARD & amp; McDERMOT (1970), sowie McMICHAEL & COREY (1969) konnten zeigen, daß die Methode des Programmierten Interviews zu signifikant höheren Lernleistungen führt als traditioneller Unterricht. Zusätzlich wurde gezeigt, daß die Lernenden positivere Einstellungen zu dieser Lehr-Lern-Methode als zu traditionellem Unterricht haben.

b) Lernzellen

Das Lernzellen-Konzept wurde von SCHERMERHORN, GOLDSCHMID & amp; SHORE (1975) erprobt. Lernzellen sind ähnlich wie das Programmierte Interview aufgebaut. Sie sind gekennzeichnet durch die Interaktion zweier Schüler, das Peer-Tutoring und Schüler-Fragen. Zur Vorbereitung auf die Lernzellenarbeit lesen alle Schüler einer Klasse einen Text und denken sich, unterstützt durch vorgegebene Beispielfragen, Fragen zum Text aus. Je zwei Schüler arbeiten dann als Partner zusammen, indem sie sich abwechselnd die aufgeschriebenen Fragen stellen.
Nach GOLDSCHMID (1971) sind Lernzellen bei Universitätsstudenten effektiver als z.B. Diskussionsgruppen oder Seminararbeit. SCHERMERHORN et al. (1975) zeigten, daß bereits 10jährige mit Hilfe von Lernzellen kompliziertere Wahrscheinlichkeitskonzepte erwerben können und in der Lage sind, die Verantwortung für ihr eigenes Lernen und das der Mitschüler zu übernehmen. Zusätzlich ergab sich, daß die Lernzellenarbeit Spaß macht und mit zunehmender Dauer eine Erhöhung des Frageniveaus bewirkt. MOHAN (1971) hebt darüberhinaus die motivierende Wirkung für schwach motivierte Schüler und bezüglich der Inangriffnahme schwieriger Aufgaben hervor.
Lehr-lern-psychologische Begründungen für die Effektivität des Lernprozesses sind:

  • der Lehrende bekommt eine Vorstellung von der Struktur des Lernprozesses, die ihm als Leitlinie für die Strukturierung des eigenen Lernens dienen kann,
  • das Formulieren der Fragen regt bei der Verarbeitung der Inhalte mathemagene Prozesse im Sinne von ROTHKOPF an,
  • der Wechsel zwischen Schüler- und Lehrerrolle motiviert im Sinne des Perspektivenprinzips von MOORE & ANDERSON.

5.1.2.3 Regelspielsysteme

Die lernfördernde Wirkung von Mehr-Personen-Spielen ist häufig postuliert worden (ABT 1971; COLEMAN 1959; MOORE & ANDERSON 1969; DeVRIES & EDWARDS 1973; DAUBLEBSKY 1973 u.a.). Die empirische Überprüfung der Effektivität von Mehr-Personen-Regel- Spielen hat diese Ansichten aber nur teilweise bestätigen können. Ein Hauptgrund für die mittelmäßigen Erfolge von Lehr-Lern-Spielen kann nach DeVRIES (1976) in dem geringen Integrationsgrad der Spiele mit dem übrigen Unterrichtsgeschehen gesehen werden. Hierbei wird vor allem die relative Abgehobenheit der Spiele von der Leistungsbewertung hervorgehoben. Ein Versuch zur Verringerung der unterrichtlichen Isolation von Spielen stellen die sogenannten 'Team-Spiel-Systeme' dar, die von der JOHN HOPKINS- Gruppe entwickelt wurden, und die nach SHARAN (1980) auf die programmatische Forderung von COLEMAN (1959) zunahmen:

... sungsverhaltens kann jeder Schüler weitgehend unabhängig arbeiten, ohne die Aktivität der Gruppe zu behindern. SLAVIN (1980) hebt hervor, daß aber selbst eine niedrige Interdependenz des Lösungsverhaltens im Vergleich zu traditionellen Arbeitsmethoden immer noch als relativ hoch anzusehen ist.
Hohe Transparenz individueller Leistungen liegt vor, wenn sichtbar ist, durch welche Einzelleistungen die Gruppenleistung zustande gekommen ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei TGT und STAD, in denen die Gruppenmitglieder Punkte aus den Spiel- bzw. Quiz- Sitzungen in ihre Gruppen zurückbringen. Hohe externe Strukturierung liegt vor, wenn der Lehrer oder die Lernumwelt das Verhalten der Lerngruppe explizit planen und regulieren.
Wettbewerb ist gegeben, wenn ein Preis oder eine Anerkennung an die beste Gruppe vergeben wird. Die Beschreibung dieser Dimensionen ist ein Versuch zur Beschreibung der Dimensionalität pädagogisch-psychologischer Treatments, deren Notwendigkeit von SNOW (1974) betont wird und gegen Ende dieser Arbeit in einem großen Zusammenhang nochmals zur Sprache kommt.