8. Didaktische Analyse

8.1 Der Begriff der didaktischen Analyse

Bei der didaktischen Analyse geht es vereinfacht gesagt um die Beantwortung der Frage, ob sich das, was man den Schülern anzubieten hat, überhaupt lohnt. Die didaktische Analyse ist Mittelpunkt des bildungstheoretischen Didaktikansatzes, der im wesentlichen durch den Erziehungswissenschaflter WOLFGANG KLAFKI geprägt wurde und heute noch wird. Die bildungstheoretische Didaktik möchte dem Lehrenden die Möglichkeit einer detaillierten Unterrichtsvorbereitung ermöglichen. Das Ziel von Unterricht soll es sein, den Schüler zu bilden. Dabei wird in Abgrenzung zur beruflichen oder speziellen Ausbildung für den Schulbereich der Primar- sowie der Sekundarstufe I und II der Begriff der Allgemeinbildung gewählt. Der von KLAFKI gebrauchte Begriff der Allgemeinbildung leitet sich vom klassischen Bildungsbegriff des 19. Jahrhunderts ab, der durch Personen wie HUMBOLDT, PESTALOZZI, SCHLEIERMACHER und HERBART geprägt wurde. Gekennzeichnet war der klassische Bildungsbegriff durch die Aufgabe, mit Hilfe von Bildung und Erziehung den Menschen zur Mündigkeit zu verhelfen. JANK/ MEYER (1991, S. 139) fassen die Ausführungen KLAFKIS zum Wesen der Allgemeinbildung wie folgt zusammen: "Allgemeinbildung bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, kritisch, sachkompetent, selbstbewußt und solidarisch zu denken und zu handeln". Für den Lehrer stellt sich nun das Problem aus der Fülle von Unterrichtsthemen bzw. Lerninhalten solche auszuwählen, die geeignet sind, um die Fähigkeiten im Sinne KLAFKIS Allgemeinbildungsbegriffes bei Schülern zu entfalten. Um diese Aufgabe dem Lehrer zu erleichtern, hat KLAFKI fünf Grundfragen formuliert anhand deren Erörterung sich entscheiden läßt, ob das gewählte Unterrichtsthema den Anforderungen Allgemeinbildung zu vermitteln gerecht wird. Mit anderen Worten: Der Lehrer sollte bei der Unterrichtsvorbereitung reflektieren, welcher Bildungsgehalt im Bildungsinhalt enthalten ist, der es rechtfertigt ihn im Unterricht zu behandeln. Die fünf von KLAFKI (1958, S. 450-471) formulierten Grundfragen lauten wie folgt:
I.Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er - vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen - darin haben?
II.Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
III.Welches ist die Struktur des (durch die Fragen I und II in die spezifisch pädagogische Sicht gerückten) Inhaltes?
IV.Welchen allgemeinen Sachverhalt, welches allgemeine Problem erschließt der betreffende Inhalt?
V.Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen, Versuche, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes den Kindern dieser Bildungsstufe, dieser Klasse interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, "anschaulich" werden kann?

Diese Auseinandersetzung mit den Unterrichtsinhalten bzw. -themen wird als didaktische Analyse bezeichnet und findet in der Form heutzutage immer noch Anwendung bei der Planung von Unterrichtsstunden bzw. Unterrichtseinheiten, sowohl bei Lehrern als auch bei Referendaren im Zuge ihrer Vorbereitungszeit auf den Schuldienst. Lediglich solche Begriffe wie Kinder werden wohl, der heutigen Zeit angepasst, durch Schüler ersetzt.

Im weiteren möchte ich nun anhand der fünf Grundfragen aufzeigen, daß es aus pädagogischer Sicht durchaus sinnvoll erscheint, die von mir ausgearbeitete Versuchsreihe im schulischen Bereich einzusetzen.


8.2 Didaktische Analyse des Schülerexperimentes zur genetischen Transformation

In Ansätzen vorhandenes Wissen zum Thema Gentechnik kann bei Schülern vorausgesetzt werden. Dabei wird es sich in erster Linie um Kenntnisse von möglichen Anwendungsgebieten der Gentechnik handeln und weniger um Wissen über Verfahren und Methoden, die Gentechnik überhaupt erst ermöglichen. Allgemein ist davon auszugehen, daß diese Erkenntnisse wenig differenziert und strukturiert sind. Ihr Wissen werden die Schüler primär aus Zeitungsberichten, Zeitschriftenartikeln und Fernsehsendungen beziehen, wobei die Schüler, genau wie der übrige Teil der Öffentlichkeit, durch teilweise überzeichnete Horrorvisionen in ihrer eigenen Urteilsfindung beeinflußt werden und ihnen letztendlich die Möglichkeit der Überprüfung solcher Szenarien aufgrund mangelnden Grundlagenwissens versagt bleibt. Es ist zu erwarten, daß durch die politisch und wissenschaftlich kontrovers geführte Diskussion über Chancen und Risiken dieser Technik auch Schüler nicht wertfrei der Gentechnik gegenüber stehen. Viel mehr ist zu vermuten, daß jeder Schüler eine bestimmte Vor- und Einstellung von bzw. zur Gentechnik besitzt.

Die Biotechnologie und mit ihr die Gentechnik gilt als zukunftsweisende Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Schüler werden durch die Medien mit Hoffnungen und Befürchtungen konfrontiert. Dabei sind diese Meldungen z. T. sehr spektakulär aufgemacht. Deshalb ist es wichtig, daß Schülern ein solides Basiswissen zur Verfügung gestellt werden muß, um Informationen zum Thema zu verstehen und einordnen zu können. Anwendungsgebiete der Gentechnik wie z.B. die Gentherapie, die heute noch von einem breit angelegten Einsatz weit entfernt ist oder Nahrungsmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen, deren Produkte nach und nach Einzug in die Regale der Lebensmittelgeschäfte halten werden, werden im künftigen Leben der Schüler eine wesentlich größere Rolle spielen als es heute bereits der Fall ist. Eine sachliche Diskussion zu Chancen und Risiken der Gentechnik, sowohl in der Grundlagenforschung als auch gerade in den möglichen Anwendungsbereichen, kann nur anhand objektiver Fakten und deren rationaler Bewertung stattfinden. Die Basis ist ein allseitig vorhandenes biologischen Grundlagenwissens. Da das Thema Gentechnik von allgemeinem Interesse innerhalb der Gesellschaft ist, was allein schon seine kontroverse Diskussion auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen belegt, besitzt es auch einen allgemeinbildenden Charakter und sollte in der Schule behandelt werden, um Schüler mit den Grundprinzipien der Gentechnik vertraut zu machen. Die Schüler sind dann aufgefordert, auf der Grundlage sachlicher Argumente, eine eigene Position zu formulieren. Sie sollen ferner in die Lage sein, Argumente von Befürwortern und Kritikern kritisch zu hinterfragen und zu bewerten. Damit kann zu einer wünschenswerten Versachlichung der Diskussion über Chancen und Risiken der Gentechnik und ihrer Anwendungsmöglichkeiten beigetragen werden. Überdies werden die Schüler dadurch in die Lage versetzt, am demokratischen Willensprozeß teilzunehmen und ihre Rolle in der Gesellschaft wahrzunehmen. Dieses deckt sich auch mit den in den Richtlinien für den Biologieunterricht angegebenen allgemeinen Lernzielen der gymnasialen Oberstufe. Dort heißt es (KULTUSMINISTERIUM NRW 1981, S. 14), daß "auch für die gymnasiale Oberstufe grundsätzlich der Doppelauftrag von Schule gilt, sowohl Unterricht- als auch Erziehungsaufgaben zu erfüllen. Dabei verweist Unterricht primär auf die Vermittlung von Kenntnissen, Einsichten, Fertigkeiten, Fähigkeiten: in der Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen und Gegenständen der einzelnen Schulfächer sollen Schüler lernen, bestimmte Sachverhalte, Probleme, Lösungsmöglichkeiten, Erkenntnisse zu erfassen, darzustellen, zu deuten, zu bewerten und anzuwenden". In Abgrenzung zum Unterricht bezieht sich der Begriff der Erziehung auf die Ausbildung sozialer Verhaltensweisen und Handlungsdispositionen: "In der Auseinandersetzung mit der eigenen Person wie mit ihrer näheren und weiteren Umwelt - mit deren historischen Bedingungen, gegenwärtigen Problemen, zukünftigen Aufgaben - sollen Schüler lernen, ihre eigene Identität zu entwickeln und sozial verantwortlich zu handeln" (KULTUSMINISTERIUM NRW 1981, S. 14).

Die Versuchsreihe zum Transformationsexperiment spiegelt wesentliche Methoden der Gentechnik wieder und kann als experimenteller Einstieg in die Thematik verstanden werden. Durch sie können den Schülern grundlegende Methoden der Gentechnik nahe gebracht werden. Dem Schüler kann durch die selbständige Durchführung des Transformationsexperimentes vermittelt werden, daß ein Zielorganismus durch die Aufnahme "nackter" DNA definiert in seinen physiologischen Eigenschaften verändert werden kann. Dabei wird dem Schüler verständlich, daß es sich dabei nicht um einen zufälligen Prozeß handelt, sondern daß dieser vielmehr zielgerichtet und kontrolliert abläuft. Die Experimente zur Plasmidpräparation, Plasmidrestriktion und gelelektrophoretischen Auftrennung von Plasmid-DNA sollen den Schülern Analysemöglichkeiten von DNA nahebringen und ihnen gleichzeitig aufzeigen, auf welche Art und Weise die Neukombination von Genen verläuft. Allerdings findet der eigentliche Schritt der DNA-Neukombination inklusive Ligation bei den Experimenten keine Berücksichtigung. Durch den Einsatz zusätzlicher Medien wie z.B. Abbildungen oder Videovorführungen, die das Verfahren der Neukombonation von DNA verdeutlichen, kann dieser Schritt theoretisch im Unterricht behandelt werden, was eine sinnvolle Ergänzung der Experimente darstellen würde. Die Einzelversuche sind in sich abgeschlossen und können fast nach belieben miteinander kombiniert werden. Dieses kann in Abhängigkeit von Faktoren wie der zur Verfügung stehenden Zeit zum Experimentieren innerhalb des Unterrichtes und der Materialausstattung der Schule geschehen.
Eine mögliche Reihenfolge würde diese darstellen: Plasmidpräperation - Restriktionsspaltung - Gelelektrophoretische Auftrennung - Transformation. Allerdings ist es auch denkbar die Transformation an den Beginn der Versuchsreihe zu stellen oder als einziges Experiment durchzuführen.

Eine Betrachtung des Transformationsexperimentes mit den daran anknüpfenden Experimenten kann für die Schüler im Unterricht aus zwei Blickwinkeln heraus geschehen. Zum einen kann das Transformationsexperiment aus historischer Sichtweise betrachtet werden: Im Jahr 1973 gelang es den amerikanischen Forschern STANLEY H. COHEN und HERBERT W. BOYER erstmalig unterschiedliche Plasmid-DNA aus verschiedenen Bakterien durch Konjugation miteinander zu verknüpfen und in ein drittes Bakterium zu transformieren. Dieses Experiment kann man als Geburtsstunde der Gentechnik bezeichnen. Zum anderen kann das Transformationsexperiment aber auch aus der Perspektive der angewandten Gentechnik beleuchtet werden, indem man auf theoretischer Ebene damit die Schritte der Entwicklung bis zur Produktion eines gentechnisch erzeugten Produktes verknüpft. Durch die Experimente könnten dann einige Abschnitte innerhalb der Entwicklung aufgezeigt werden. Da in den Experimenten mit Bakterien gearbeitet wird, würde sich die Verknüpfung mit einem Produkt anbieten, welches mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien hergestellt wird. Mögliche Beispiele sind aus dem Bereich der Pharmaindustrie die Gewinnung von Humaninsulin, Faktor VIII und Hepatitis-Impfstoff in gentechnisch veränderten Bakterienzellen. Aus dem konkreten Beispieles könnte sogar der Vorteil entstehen, daß bei den Schülern an bekannte Sachverhalte angeknüpft werden kann, da den meisten Schülern die z.B. die Erkrankung Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) durch Fälle im Verwandten- bzw. Freundeskreis und durch die Abhandlungen in den Medien bekannt sein dürfte. Anhand der Herstellung eines gentechnisch gewonnenen Produktes könnte von den Schülern die gesamte Spannbreite der Gentechnik, von der Grundlagenforschung bis hin zur Gewinnung im industriellen Maßstab, beispielhaft erschlossen werden.

Ihren Ort hat das Unterrichtsthema Gentechnik innerhalb der für die 12. Jahrgangsstufe vorgesehenen Kurssequenz zur klassischen und molekularen Genetik. In den Richtlinien zur Biologie (KULTUSMINISTERIUM NRW 1981, S. 35) soll diese Kurssequenz in der 2. Jahrgangshälfte des 12. Schuljahres stattfinden. Es wäre sinnvoll, die Behandlung des Unterrichtsthemas Gentechnik am Ende der Kurssequenz zur Genetik durchzuführen. Dadurch kann man auf bereits im vorangegangenen Unterricht erworbene Kenntnisse der Schüler zu molekulargenetischen, biochemischen und allgemeinen Aspekten der Genetik aufbauen, was den Schülern den fachwissenschaftlichen Zugang zur Gentechnik erleichtern wird. Im einzelnen handelt es sich um Wissensinhalte, die im folgenden stichwortartig aufgeführt werden:

Es ist zu erwarten, daß die aufgeführten Inhalte im Unterricht behandelt werden, da die Richtlinien für das Fach Biologie (KULTUSMINISTERIUM NRW 1981) diese Themen als verbindliche Bestandteile innerhalb der Kurssequenz Genetik ausweisen.

Mangelnde Erfahrungen mit der selbständigen Durchführung von Experimenten stellen für die Schüler sicherlich Schwierigkeiten dar. Für die meisten Schüler wird die Handhabung von einzelnen Materialien und Techniken wie z.B. das Pipettieren kleiner Volumina, das Ausplattieren von Suspensionen auf Agarplatten und steriles Arbeiten generell neu sein. Die korrekte Handhabung und Verwendung von Materialien und Techniken stellt ein Lernziel dar, welches sich die Schüler im Laufe der Versuche aneignen sollen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, daß die Schüler einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit für das Erlernen dieser praktischen bzw. psychomotorischen Fähigkeiten verwenden, wodurch die kognitiven Lernziele in den Hintergrund gedrängt werden würden. Das wäre weder wünschenswert, noch würde es dem eigentlichen Sinn der Versuchsreihe entsprechen, denn diese soll sowohl methodische als auch theoretische Grundlagen der Gentechnik legen. Vermieden werden kann diese einseitige Gewichtung durch Vorversuche, wo die Schüler erste Erfahrungen z.B. beim Pipettieren kleiner Volumina von normalem Leitungswasser sammeln könnten. Ferner sollten die Schüler die Möglichkeit haben, sich zu jedem Zeitpunkt der Versuchsdurchführung einen Überblick über den Gesamtablauf des Experimentes verschaffen zu können. Dieses könnte durch ein während der Durchführung der Versuche immer präsentes Tafelbild geschehen, wo die Experimente mit den wichtigsten Versuchsschritten und ihrer Bedeutung aufgezeigt werden. Dadurch könnte der Schüler zu jedem Zeitpunkt erkennen an welchem Punkt des Experimentes er sich befindet und welche Schritte als nächstes folgen. Von Vorteil wäre so ein Tafelbild auch gerade dann, wenn in den Arbeitsgruppen arbeitsteilig gearbeitet wird. Das Gesamtbild des Experimentes würde es dann den Schülern ermöglichen ihre Einzelaktivitäten gut aufeinander abzustimmen.

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