11.2 Antwortschreiben des Landesumweltamtes NRW vom 20.05.1996 (ohne Anlagen)

[...]

Betr.: Vollzug des Gentechnikgesetzes
hier: Versuche zum Thema Gentechnik im Biologieunterricht an Schulen
Bezug: Ihr Schreiben vom 02.05.1996

Sehr geehrter Herr Menz,

in dem Bezugsschreiben fragen Sie an, ob man die Plasmide pUC18, pUC19, pBR322 und pAMP in Versuchen zur Gentechnik innerhalb des Biologieunterrichtes an Schulen verwenden kann, insbesondere

- ob der Begriff der Selbstklonierung i.S. des § 3 GenTG anzuwenden ist, wenn die genannten Plasmide in dem Escherichia coli K12-Derivat DH5avermehrt bzw. verwendet werden,
-ob auch die Klonierung definierter DNA-Fragmente von E. coli oder seiner Bakteriophagen (z.B. Phage Lambda) in diesen Plasmiden eine Selbstklonierung darstellt,
- ob diese Versuche in einem naturwissenschaftlichen Fachraum einer Schule durchgeführt werden können, ohne daß eine Anmeldung als Genlabor erforderlich ist,
-ob die von den Plasmiden kodierten Antibiotikaresistenzen ein Gefährdungspotential besitzen und welche Maßnahmen ggf. zu seiner Neutralisierung zu ergreifen sind und
- ob von den Lehrpersonen, welche die Versuche in der Schule erproben möchten, spezielle Qualifikationen über die allgemeinen Fachqualifikationen hinaus zu fordern sind.

Dazu nehme ich wie folgt Stellung:

1. Grundlage für die Bewertung ist die Definition in § 3 Nr. 3 GenTG:
"Sofern es sich nicht um ein Vorhaben der Freisetzung oder des Inverkehrbringens handelt, gelten [...] nicht als Verfahren der Veränderung genetischen Materials
[...]
-Selbstklonierung nichtpathogener, natürlich vorkommender Organismen, wenn sie keine Adventiv-Agenzien enthalten und entweder nachgewiesenerweise lange und sicher verwendet wurden oder eingebaute biologische Schranken enthalten, die die Lebens- und Replikationsfähigkeit ohne nachteilige Folgen in der Umwelt begrenzen, es sei denn, es werden gentechnisch veränderte Organismen als Spender oder Empfänger verwendet."
Die genannten Kriterien der Apathogenität, des "natürlichen" Vorkommens, der langen und sicheren Verwendung und der eingebauten biologischen Schranken werden von den E. coli K12-Derivaten, wie z.B. DH5a, als anerkannte biologische Sicherheitsmaßnahmen gemäß § 6 i.V.m. Anhang II GenTSV sicher erfüllt.
Die o.g. Plasmide, mit Ausnahme von pAMP, welches aber nur ein Derivat von pUC19 darstellt, sind in einem Wirt-Vektor-System mit E. coli K12-Derivaten als biologische Sicherheitsmaßnahme anerkannt; alle werden als E coli-eigen anerkannt, auch wenn sie z.T. erhebliche Anteile DNA-Sequenzen aus anderen Bakterienspezies enthalten.
Auch die Einführung von Deletionen oder der Austausch von Nukleinsäreabschnitten zwischen verschiedenen dieser Plasmide ändert nichts daran, daß das Experiment als Selbstklonierung zu bewerten ist.
Die einzige zu beachtende Einschränkung, auf die hinzuweisen ist, ist, daß die Regelungen des GenTG nur solange nicht für die Selbstklonierung i.o.g.S. gelten, wie die erzeugten manipulierten Organismen in einem Raum (z.B. Labor, Praktikumsraum) gehandhabt werden - also nicht freigesetzt oder inverkehrgebracht, d.h. an einen unbestimmten Abnehmerkreis zu anderen Zwecken als zur Forschung abgegeben.
2. Entsprechend der Stellungnahme der ZKBS "Erläuterungen zum Begriff Selbstklonierung" vom Oktober 1992 (Anlage 1) werden in die Selbstklonierung auch "ihre[.] nichtpathogenen, in der Natur vorkommenden endogenen Viren (Bakteriophagen) als Spender- [...] organismen" einbezogen.
Darum erfüllt auch die Übertragung von DNA-Sequenzen aus dem Phagen Lambda (l) in ein E. coli K12-Derivat die Voraussetzungen für die Selbstklonierung.
3. Wie bereits im ersten Abschnitt meiner Stellungnahme, letzter Absatz, dargestellt, kann eine Selbstklonierung ohne gentechnikrechtliches Verwaltungsverfahren in einem Raum durchgeführt werden, der aber aus allgemeinen Schutzprinzipien den Grundregeln guter mikrobiologischer Technik entsprechen muß. Es sollte also schon ein Labor der zumindest ein naturwissenschaftlicher Praktikumsraum sein.
4. Die von den genannten Plasmiden kodierten Antibiotikaresistenzen (Ampicillin- und Tetrazyclinresistenz) bedingen kein über das alltägliche Leben hinausgehendes Risiko, weil sie keine Resistenz gegen therapeutisch bedeutende Antibiotika verbreiten und ohnehin in natürlichen Bakterienpopulationen ubiquitär vorkommen.
Resistenzen gegen Aminoglycosid-Antibiotika wie Kanamycin und (extrem) Neomycin sind wegen der z. T. sehr weitgehenden Kreuzresistenz auch gegen therapeutisch bedeutende Antibiotika (Anlage 2) nicht so unproblematisch zu sehen.
Durch Inaktivieren im Autoklaven bzw. Dampftopf werden Organismen und DNA i.d.R. hinreichend behandelt, bei DNA mit Gefährdungspotential empfiehlt das LUA NRW vorheriges Ansäuern auf einen pH £ 3 (Zusatz von ca. 1/100 Volumen 1 M Schwefelsäure ist ungefährlich und mehr als ausreichend). Für die beabsichtigten Schulversuche wäre dies aber höchstens zur Demonstration der DNA-Zerstörung erwägenswert.
5. Da die Selbstklonierung nicht dem GenTG unterliegt, bestehen natürlich auch keine speziellen Anforderungen an die Qualifikation der Lehrpersonen, welche die Versuche an der Schule durchführen möchten. Unabhängig davon ist es natürlich wünschenswert, daß diese Personen über die erforderlichen Kenntnisse in der Mikrobiologie verfügen und eine Einweisung in die Versuche erhalten, zumindest um zu verhindern, daß der Bereich der regelungsfreien Selbstklonierung durch Kontamination, z. B. mit E. coli Wildtyp (Risikogruppe 2), verlassen wird.

Das von Ihnen beschriebene System läßt sich durch Einfügen zusätzlicher Gene, z.B. lacZ zur Verbesserung der Anschaulichkeit, ohne Beeinträchtigung der Selbstklonierung weiter ausbauen, solange es sich um Gene aus E. coli handelt und ausgeschlossen werden kann, daß es sich um Pathogenitäts-/Virulenzfaktoren wie z. B. Enterotoxine oder Hämagglutinine handelt. Eine weitere Anfrage an das LUA NRW ist dann entbehrlich. Ich würde mich aber freuen, wenn Sie mich über den Fortgang des Projektes auf dem Laufenden halten könnten.

Abschließend noch ein Hinweis: Vielleicht lohnt sich für Sie die Kontaktaufnahme mit Frau Prof. Dr. Christiane Gatz, Inst. f. Genetik (W6) der Universität Bielefeld in 33501 Bielefeld (Tel. 0521 106 5602), die z. Z. eine Arbeitsgruppe der GBCh (GBM) mit ähnlicher Zielsetzung leitet.

Ich hoffe Ihnen mit meinen Auskünften gedient zu haben und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag

( Dr. Wolfgang Eichler )

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