Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

3. Theoretische und praktische Begründung

>> 3.1. theoretische Begründung
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3.1. Theoretische Begründung

Lernen ist aus der Sicht der konstruktivistischen Didaktik ein interaktiver Prozess, bei dem Lehrer und Lerner am selben Vorgang teilhaben, aber aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten, teilnehmen und agieren. Über Konstruktionen, Rekonstruktionen und Dekonstruktionen kommt es zu Lernfortschritten. Für eine theoretische Begründung des Stationenlernens aus konstruktivistischem Blickwinkel gilt es, diese Thesen im Hinterkopf zu behalten. Konstruktion bedeutet Erfindung, Neuerschaffung von Wissen; Rekonstruktion ist die (Wieder-) Entdeckung, Erprobung von Wissen; Dekonstruktion ist die notwendige Enttarnung, Hinterfragung und Verwerfung von Wissen.
Aus konstruktivistischer Sicht ergibt sich, dass der Lernende seinen eigenen Lernprozess mit planen sollte Er bringt alle Voraussetzungen mit, sein Wissen durch Lernen beständig neu zu gestalten. Gute Methoden unterstützen ihn darin. Zur Abgrenzung: Die Vorstellung vom Lernenden z.B. als einem leeren Blatt Papier oder einer leeren Flasche, in welche das „richtige“ Wissen nur eingefüllt zu werden braucht, lässt keinen Raum für die Selbstbestimmung des Lernenden, dafür bürdet sie alle Verantwortung dem Lehrer auf. Oder aber, wenn es diesem dann nicht gelingt, die Flasche zu füllen, dann macht sie nur den Schüler verantwortlich („Dumm! Unwillig!“), nicht aber sich selbst als Lehrenden, nicht die falsche Vorstellung oder die Methode.
Der Lehrer gilt als Teilhaber der zu erschließenden Wirklichkeit. Im besten Fall ist der Lehrende einer, dessen Sicht die des Lernenden umschließt und noch vieles mehr eröffnen kann – er ist ein „Moderator und Visionär, der sich als Lernender versteht“ und ein „Mehrwisser, aber kein Besserwisser“ (Reich: Konstruktivistische Didaktik).
Wesentliche Forderungen an eine konstruktivistisch begründete Methode sind unter anderen (vgl. ebd.):

  • dass sie selbstorganisiertes Lernen mit hoher Eigenständigkeit ermöglicht,
  • dass „erfolgreiches Lernen“ wiederholt und nachvollzogen werden kann,
  • dass Lernende und Lehrer Unterricht gemeinsam planen und hinterfragen,
  • dass qualitatives Feedback und systemische Benotung stattfinden,
  • dass es eine Methodenvielfalt bzw. Vielfalt der Lernwege gibt.

Das Stationenlernen kann diesen Forderungen besonders gut gerecht werden. Die für so wichtig erachtete Selbstständigkeit der Lernenden in der Gestaltung des Lernprozesses steht bei dieser Methode im Vordergrund. Aber auch für die Methodenvielfalt der konstruk­tivistischen Didaktik gibt das Stationenlernen ein gutes Beispiel. Weniger offensichtlich scheint die Forderung nach gemeinsamer Planung des Unterrichts zuzutreffen. Bauer betont jedoch, dass es bei dieser Methode sowohl möglich und ratsam sei, die Schüler in die Planung mit einzubeziehen, als auch die Ergebnisse einer Phase des Stationenlernens als Ausgangs­punkte einer späteren Phase heranzuziehen. Die Benotung ist bei diesem Verfahren eher schwierig, da es sehr stark auf den Gruppenprozess ankommt. Hier gelten ähnliche Vor­behalte wie bei der Gruppen-Experten-Rallye, aber Wettkampf- und Teamergebnisse sind dennoch möglich.
Roland Bauer betont, ohne auf eine konstruktivistische Theorie ausdrücklich Bezug zu nehmen, dass Lernende (zumindest im Kindes- und Jugendalter) alle Voraussetzungen mitbringen, aktiv und mit Freude zu lernen. Aus seiner Sicht muss eine Lehr-Lern-Methode an diese Voraussetzungen anknüpfen, damit das Lernen aus Sicht von Schülern und Lehrern erfolgreich sein kann. So stellt sich nach seiner Ansicht Motivation bei den Lernenden dann ein, wenn Neigung, Interesse und Vermögen (als mitgebrachte Voraussetzungen) mit der Einsicht zusammenfallen, eine gestellte Aufgabe auch lösen zu können. Eines der theore­tischen Hauptargumente Bauers zugunsten einer individualisierenden und selbstbestimmten Lernform ist, dass sich ein Unterricht, der sich an den Voraussetzungen des Gruppen­durchschnittes orientiert, stets einen Großteil der Lernenden entweder chronisch unter- oder überfordert. Eine Lernform, die dem Schüler erlaubt, seinen Lernweg entsprechend seiner Neigungen und Fähigkeiten stärker selbst zu gestalten, kann da Abhilfe schaffen. Das Stationenlernen entspricht aber auch Erkenntnissen der Lernforschung, die zugesteht, dass Menschen recht unterschiedlich lernen. Durch die Beteiligung möglichst vieler Sinnes­organe und den Wechsel der Eingangskanäle soll im Stationenlernen das Lernen insgesamt positiv beeinflusst werden.



3.2. Praktische Begründung

Das Stationenlernen kann eine methodische Antwort auf Motivationsprobleme bei Schülern und Lehrern sein. Aber es hilft auch auf individuelle Leistungsunterschiede innerhalb einer Gruppe einzugehen, Probleme durch einseitige oder stark zentralisierte Wissensvermittlung zu vermeiden, Störungen des Lernens durch einzelne Schüler entgegenzuwirken, bei Passi­vität oder Bewegungsdrang von Schülern und bei Lernschwierigkeiten durch Leistungsdruck.
Es bietet Möglichkeiten zu einer Intensivierung des interessengeleiteten, selbstbestimmten und selbstverantwort­lichen Lernens, zur Individualisierung von Lernprozessen, zur Er­weiterung oder Vertiefung eines Wissensgebietes und zur Dezentralisierung und Entstörung von Unterricht.  
Ein Mangel an Freiwilligkeit, an Selbstbestimmung und an Einsicht in den Sinn des Lernens hindert viele Lerner, sich dem Lernen motiviert zuzuwenden. Auf Seiten der Lehrenden entwickelt sich eine mangelnde Motivation häufig durch ein Gefühl von Einzelkämpfertum und die Aussichtslosigkeit, auf jeden angemessen einzugehen.
Beim Stationenlernen suchen sich die Lernenden in der Regel ihren eigenen Weg durch den Stoff. Sie müssen nicht auf individuelle Stimuli warten, sondern können sich aus einer Vielzahl von Lernsituationen zumindest teilweise die für sie Interessantesten selbst aus­suchen. Der Lehrer gibt seine zentrale Rolle als Lehrperson zugunsten eines teilnehmenden Beobachters, Ratgebers und Experten im Hintergrund auf.
Der Lehrinhalt wird interessanter, wenn er vielseitig dargeboten wird. Selbst abstrakte Inhalte wie die Gesetze der Mathematik können Gegenstand einer spannenden Lernerfahrung werden, wenn man sie nicht nur logisch, sondern mithilfe von Licht, Schall oder Masse zu erfassen versucht. Wenn Lernschwierigkeiten auf einem „Lernkanal“ auftreten, dann kann ein Wechsel des Zugangsweges und der Zugangsart häufig weiterhelfen. Da ein solcher Wechsel von Lernkanälen beim Stationenlernen gefördert wird, eignet es sich sehr gut für Lern­aufgaben, in denen ein (latent) bekannter Sachverhalt anhand von praktischen Aufgaben wiederholend oder noch besser transferierend (Übertragung auf eine Anwendung) bearbeitet werden muss.
Die Lernenden müssen bei der Stationenarbeit aktiv werden, sie können nicht mehr nur passiv zuhören. Sie können ihren eigenen Lernweg und den Lehrstoff – je nach der Begrenzung durch die Aufgabenstellung in den Stationen – selbst wählen, dadurch werden ihre be­sonderen Neigungen und Fähigkeiten aufgewertet. Sie können Bekanntes wiederentdecken und Erlerntes anwenden. Die Schüler können verschiedene Blickwinkel unter anderem durch die Nutzung verschiedener Sinneskanäle erfahren.
In der Stationenarbeit gibt es eine ungewohnte Entscheidungsfreiheit. Sonst werden ihnen die Entscheidungen durch konkrete Vorgaben oft zu stark abgenommen. Damit erfahren sie sich als Handelnde, die über Erfolg und Misserfolg des Lernens mitbestimmen. Erfolgserlebnisse erhalten mehr Bedeutung, wenn man sie als Folge selbstbestimmten Lernens erfährt. Hem­men­de Selbstvergleiche mit anderen Lernenden („Wie weit die schon ist! Ich dagegen...“) können, bei entsprechender Konzeption, stark vermindert werden. Stark leistungsbezogene und vergleichende Formen des Stationenlernens sind allerdings ebenfalls möglich.
Wenn die individuellen Unterschiede der Lernenden zu groß sind, seien es Unterschiede im Arbeitstempo, in den Zugangsweisen, in den Interessen oder den Vorkenntnissen, kann dies einen Lernprozess in Schwierigkeiten bringen. Das Stationenlernen kann für diese Unter­schiede einen gemeinsamen Rahmen geben, ohne dass sich die individuellen Lern­prozesse zwangsläufig gegenseitig behindern. Es bietet auch Raum für verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Schüler können eine Station alleine oder in der Gruppe bearbeiten. In der Gruppenarbeit können sie zusätzlich Bedingungen und Formen der kooperativen Aufgaben­bewältigung lernen. Unter Umständen kann sogar von der Planung bis zur Auswertung die gesamte Unterrichtsphase des Lernens an Stationen als Gemeinschafts­leistung bewältigt werden.
Viele Schüler leiden unter zu statischen, bewegungsarmen Lernangeboten. Sie reagieren mit Unruhe und Abschweifen. Dem kann beim Stationenlernen entgegengewirkt werden, denn die Wissensvermittlung ist immer mit einer Bewegung durch den Raum verknüpft. Besonders sinnlich-konkrete oder bewegungsintensive Aufgaben an den einzelnen Stationen können gerade bei Kindern im Grundschulalter für die nötige Abwechslung sorgen und dadurch zu einer besseren Konzentration führen. Aber auch im höheren Alter stellt die Abwechslung einen hohen Reiz dar.
Im lehrerzentrierten Unterricht stellen „Störungen“ eine insgesamt viel größere Be­einträchtigung des Lernens dar als beim Stationenlernen. Störungen treten hier nur punktuell auf, ihnen kann sich die Lehrperson dann auch direkt zuwenden, weil der Gesamtablauf nicht in jedem Augenblick von ihr abhängt. Das entlastet sowohl die Lehrerin als auch die Lernenden.
Ebenso entlastend kann es wirken, wenn Leistungsdruck abgebaut wird. Im Stationenlernen bekommen die Lernenden mehr Verantwortung für die Überprüfung und Bewertung ihrer Ergebnisse übertragen. Hier findet die Leistungsüberprüfung z.B. im Rahmen einer ab­schließenden Ergebnispräsentation statt, die die Lernenden zuvor für sich protokolliert haben. Es kann aber auch sinnvoll sein, auf verobjektivierende Leistungsvergleiche ganz zu ver­zichten. Den Schülern wird geholfen, das selbstgesteuerte Lernen als selbstzweckhaft und erfreulich zu erleben. Der Lehrer erhält Gelegenheit, sich seinen Schülern als Ratgeber, Moderator und Lernvorbild zu zeigen.