Dialekte sind etwas Schönes, aber es lebe auch das Neuhochdeutsche!!

[von einem der's satt hat, ständig dasselbe zu hören!]

Meine Muttersprache war schon immer Hochdeutsch, ist hartnäckig Hochdeutsch und wird immer Hochdeutsch bleiben, und ich bin sehr glücklich damit, entgegen all dem Gerede von sprachlicher Armut und wie bedauernswert man doch sei, wenn man Hochdeutsch als Muttersprache habe, usw., kurz, entgegen all dem Kram, mit dem einen viele muttersprachliche Dialektsprecher ständig löchern und auf die Dauer auch nerven. - Ich habe das satt bis zum Eichstrich und muss hier ein für alle Mal ein paar Punkte klarstellen.
Erstens: Es fehlt einem überhaupt nichts, wirklich ganz und gar nichts, wenn man Hochdeutsch als Muttersprache hat. Das immer wieder vorgebrachte Argument, man habe dann ja keine Sprachvarietät für entspanntes, zwangloses Reden - eben die Situationen, in denen Dialektsprecher auf den Dialekt zurückgreifen -, ist der Gipfel der Absurdität, denn mit Hochdeutsch als Muttersprache muss man sich ja nicht anstrengen, es zu sprechen!
Zweitens: Hochdeutsch zu sprechen, heißt nicht, dass man nicht auch über sprachliche Variation verfügt. Diese liegt dann überwiegend in anderen Dimensionen, nämlich in der soziokulturellen und der situationsbedingten Dimension sowie im Bereich der Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Die gebetsmühlenartig wiederholten Gleichungen "Hochdeutsch = formale Sprachvarietät" oder "Hochdeutsch = Schriftdeutsch" - ich kann sie wirklich nicht mehr hören!! - sind so falsch, falscher geht's nicht! Ich demonstriere hier lieber nicht, wie wenig formal ich mich ausdrücken kann, und zwar auf Hochdeutsch! Glaubt mir, liebe Dialektmythifizierer, da kann ich Sachen sagen, die würde ich im Leben nicht schreiben.
Drittens: Hochdeutsch zu sprechen ist darüber hinaus noch nicht einmal regional neutral, denn dort, wo heute Hochdeutsch als Muttersprache vorherrscht, unterscheiden sich die Regionen dennoch sprachlich voneinander, weniger prägnant und weniger kleinräumig, aber dennoch. So ist die Ansicht eines Münchner Kollegen "niedersächsisch ist ein Synonym für 'Abwesenheit von regionalen Merkmalen'" an bayerischer Arroganz nicht mehr zu überbieten. Aber was kann der Ärmste dafür, dass sein Gehör zu bajuwarisch-grob geraten ist, und  leider nicht fein genug, die Unterschiede herauszuhören! Die einfachste Lösung ist dann eben ein Vorurteil, das man vor sich herträgt.
Viertens: Was einem muttersprachlichen Sprecher des Neuhochdeutschen in Dialektzonen immer wieder auffällt: Die Dialektsprecher halten einen entweder für affektiert und glauben, man wolle vornehm tun, oder sie hören sofort auf, Dialekt zu sprechen, weil sie davon überzeugt sind, dass ein "Hochdeutscher" sie nicht versteht. Ersteres ist ungeheuer hartnäckig, und scheint auch nach ca. 60-70 Jahren, während derer es mittlerweile muttersprachliche Sprecher des Neuhochdeutschen gibt (spätestens seit 1950 nicht nur in Niedersachsen und Westfalen, sondern überall in Deutschland), nicht auszurotten zu sein. Letzteres ist ein zwar manchmal freundlich gemeintes, aber meistens überflüssiges Entgegenkommen.
Und dass man sich je-des-mal, wenn man auf Hochdeutsch erzählt, man komme aus Freiburg (hier kann man jede andere stark dialektgeprägte Stadt einsetzen), als erstes anhören muss "aber doch wohl nicht gebürtig" oder ähnlichen Unsinn - ja, meine Güte, in was für einer Zeit leben wir denn? Kann es sein, dass es auch Menschen gibt, die an einem anderen Ort leben, als dem, an dem sie geboren sind? - Oh, ich bin es so leid!!
Fünftens: Hochdeutsch als Muttersprache zu haben, heißt schließlich bei den meisten ja auch nicht, dass man gar keine Dialekte sprechen kann, nur eben nicht muttersprachlich. Dafür lasse ich mir jedenfalls weder Komplexe einreden noch sonst irgendwas.

Andreas Wesch
 

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