zur Frage:
"Vergleichen Sie die klientenzentrierte
Persönlichkeitstheorien mit den Selbstkonzepttheorien von
Epstein und Filipp und
diskutieren Sie die pädagogischen und therapeutischen Implikationen
der in Rede
stehenden Theorien."
Die Selbstkonzepttheorien
von Epstein und Filipp sind zunächst durch ihre Zuordnung zu einem
bestimmten
theoretischen Ansatz von
den klientenzentrierten Persönlichkeitstheorien abzugrenzen. Vergleicht
man alle drei
Theorien, so fällt von
vornherein eine Ähnlichkeit zwischen Epsteins und Filipps Ansatz auf.
Beide sind in der
kognitiven Psychologie anzusiedeln,
das bedeutet, daß beide Theorien davon ausgehen, daß Menschen
ihr Wissen
in organisierter, strukturierter
Form abspeichern.
Sowohl Epstein als auch Filipp
beziehen diese Annahme auch auf die kognitiven Repräsentationen, die
das
Individuum von seiner eigenen
Person hat. Wenngleich beide Ansätze also davon ausgehen, daß
dieses Wissen
über sich selbst in
konzeptualen Systemen abgespeichert ist, so weisen die Theorien doch auch
deutliche
Unterschiede auf, die im
folgenden noch zu erläutern sind.
Auch in Carl Rogers klientenzentrierter
Persönlichkeitstheorie spielen Kognitionen oder – genauer gesagt –
Wahrnehmungen eine wichtige
Rolle, ja sind entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung.
Nicht umsonst wird
Rogers Ansatz auch als phänomenologisch
( d.h. orientiert an den Wahrnehmungen/ Erfahrungen des Menschen)
bezeichnet.
Um zunächst aber vor
allem den Unterschied zu Epstein und Filipp hervorzuheben, muß betont
werden, daß Rogers
Ansatz einer anderen "Schule"
entstammt.
Wie die Bezeichnung "klientenzentriert"
bereits andeutet, geht es Rogers um den einzelnen Menschen, den
individuellen Klienten der
empirischen, psychotherapeutischen Praxis. Seine Persönlichkeitstheorie
basiert sogar
auf seinen Erfahrungen in
der Psychotherapie. Dementsprechend geht es auch in seiner Therapie, im
Gegensatz
zu Epstein und Filipp, nicht
so sehr um eine präzise Darlegung des Aufbaus und vor allem der Organisation
der
Selbstkognitionen, sondern
vielmehr um den Aspekt der Veränderbarkeit, des Wachstums, der Selbstverwirklichung.
Rogers Theorie ist ein deutlich
humanistischer Ansatz, der die positive Sicht des Menschen, seiner Veränderbarkeit
in den Vordergrund rückt.
Um diese Unterschiede, aber
auch die Gemeinsamkeiten der drei Theorien sowie ihrer pädagogischen
und
therapeutischen Konsequenzen
detaillierter zu skizzieren, sollen nun die Ansätze im einzelnen erläutert
werden:
Die Gemeinsamkeiten der Theorien
von Epstein und Filipp wurden bereits eingangs angesprochen. Dennoch hebt
sich
Epsteins Ansatz klar von dem
Filipps ab, denn während Filipp einen eindeutig kognitiven Ansatz
verfolgt, ist Epsteins
Theorie als integrativ
zu bezeichnen. Neben Theorien aus der kognitiven Psychologie kommen hier
auch Verhaltens-
psychologie, Psychoanalyse
und andere Selbstkonzepttheorien zum Tragen.
Der kognitionspsychologische
Aspekt ist von Bedeutung für seine Auffassung des Selbstkonzeptes.
Im Gegensatz zu
Filipp, die von einem Selbstsystem
spricht, benutzt Epstein ausdrücklich den Begriff einer Selbsttheorie.
Ähnlich wie
Filipp geht er davon aus,
daß Menschen in ihrem alltäglichen Leben ständig Theorien
aufstellen, also wie
Wissenschaftler tätig
sind. Epstein unterscheidet hier Selbsttheorien und Umwelttheorien,
die zusammen die
Realitätstheorie
des Individuums ergeben. Diese Theorien verfolgen den Zweck einer Orientierung
in der Welt einer
opitmalen Anpassung. Die Selbsttheorien
haben im wesentlichen drei spezielle Funktionen. Sie dienen der Assimilation
von Erfahrungsdaten, der Aufrechterhaltung
der Lust-Unlust-Balance (weitestgehende Vermeidung von Schmerz/
negativen Gefühlen und
Streben nach lustvollen, positiven Gefühlen) sowie der Aufrechterhaltung
oder idealerweise
Maximierung des Selbstwertgefühls.
Um das Funktionieren von Selbsttheorien
in Epsteins Sicht zu verstehen, muß man sich verdeutlichen, wie dieser
sich
deren Struktur vorstellt.
Epstein geht von einer hierarchischen Organisation des Selbstkonzeptes
aus, bestehend aus
Postulaten unterschiedlicher
Rangordnung. Ausgehend von einigen wenigen stark generalisierenden und
damit relativ
starren Postulaten höchster
Ordnung (z. B. "Ich bin ein Versager") verzweigen sich diese Selbstaussagen
immer
weiter bis hin zu einer großen
Zahl an wenig generalisierenden und daher vergleichsweise leicht veränderlichen
Postulaten niedrigerer Ordnung
(z. B. "Ich bin ein schlechter Tischtennisspieler").
Diese deutliche Unterscheidung
verschiedener Flexibilität von Postulaten unterschiedlicher Ordnung
beinhaltet bereits
eine erste therapeutische
Implikation. Während ein einfaches Postulat unterster Ordnung durch
eine konkrete, der
Selbstaussage wiedersprechende
Erfahrung relativ leicht verändert werden kann, ergeben sich bie einem
Postulat
höchster Ordnung deutlich
größere Probleme. Postulate höherer Ordnung, zu denen auch
das Selbstwertgefühl (im
Unterschied zu Filipp/ bei
Epstein eigene Kategorie!) gehört, werden zum größten Teil
sehr früh und meist unbewertet
ausgebildet. Das Selbstwertgefühl
zum Beispiel entwickelt sich bereits in der frühen Kindheit durch
Verinnerlichung
eines liebenden Elternteils.
Da diese Entwicklung unbewußt stattfindet, sieht Epstein hier die
einzige Möglichkeit einer
therapeutischen Intervention
bei Störungen in der Psychoanalyse.
Dagegen schlägt er zur
Veränderung bei Störungen im Bereich niedriger Postulate verhaltenstherapeutische
Maßnahmen vor, die eine
Veränderung, ein Umlernen durch konkrete Erfahrung möglich machen.
Im Gegensatz dazu
ist eine Veränderung
höherer Postulate ungleich schwerer – neben den bereits genannten
Gründen auch deshalb, weil
sie sich aufgrund der hierarchischen
Ordnung zwangsläufig auf Postulate niedrigerer Ordnung auswirkt.
Ein weiterer Punkt in Epsteins
Theorie ist im Vergleich mit den Ansätzen Rogers und Filipps noch
besonders
erwähnenswert:
Im Unterschied zu Filipp, die
ihre Aufmerksamkeit voll auf die Kognitionen lenkt, (eine Tatsache, die
durchaus auch ihre
Mängel mit sich bringt),
erläutert Epstein, welche zentrale Rolle die Emotionen für das
Selbstkonzept spielen.
Zunächst geht Epstein
davon aus, daß Emotionen, die via regia zu den Postulaten darstellen,
daß also bestimmte
emotionale Reaktionen auf
einen "wunden Punkt" hindeuten können.
Er nimmt an, daß eine
enge Verbindung zwischen Emotionen und Kognitionen besteht. Während
frühe Postulate/
Kognitionen noch stärker
emotionsvermittelt sind, sind später eher Kognitionen für eine
bestimmte emotionale Reaktion
verantwortlich – nach Epstein
steckt also hinter jeder Emotion auch eine Kognition.
Darüber hinaus sind Emotionen
laut Epstein in dem auch von Rogers besprochenen Wachstumskonflikt von
Bedeutung.
Wie Rogers geht Epstein davon
aus, daß bei Inkongruenz (ein Begriff aus Rogers Theorie)
zwischen Selbstkonzept
und Erfahrung Angstgefühle
entstehen, die entweder durch Abwehrmechanismen (Verleugnung, Rationalisierung,
Projektion) abgewiesen werden
(= Nullwachstum) oder aber zugunsten einer Weiterentwicklung, Veränderung,
Ausdifferenzierung des Selbstsystems
ausgehalten werden. Epstein wie Rogers befürworten klar letzteres,
das
Wachstum des Selbstkonzepts
mit der Voraussetzung einer Öffnung für neue Erfahrung. Diese
Punkte werden von
Rogers als Therapieziele formuliert!
Wie bereits erwähnt, stehen
bei Filipp die kognitiven Strukturen im Vordergrund. Sie betrachtet den
Menschen als
informationsverarbeitendes
Wesen und beschreibt dementsprechend den Aufbau und Wandel des Selbstsystems
(so ihre Terminologie im Ggs.
zu Epsteins
Selbsttheorie) als Prozesse menschlicher Informationsverarbeitung
sowie
den Menschen selbst als naiven
Handlungstheoretiker.
Im Unterschied zu Epstein sieht Filipp die Kognitionen des Selbst als Schemata organisiert, als komplexe, lose verknüpfte Gefüge von Selbstkognitionen.
Sie nennt zunächst verschiedene Quellen selbstbezogener Informationen: direkte und indirekte Prädikatenzuweisung durch andere sowie komperative, reflexive und identionale Prädikatenselbstzuweisung.
Darauf aufbauend beschreibt Filipp den Verarbeitungsprozeß selbstbezogener Information als in vier Phasen verlaufend: der Phase der Diskrimmilation/ des Erkennens, der Aneignungs- o. Enkodierungsphase, der Speicherungs- und zuletzt der Abruf-/Erinnerungsphase.
Entscheidend für ihre
Auffassung vom Menschen als naiven Handlungstheoretiker ist die letzte
Phase des Abrufs. Denn
hier zeigt sich letztlich,
welche selbstbezogenen Aussagen als handlungsleitendeKognitionen
dem Einzelnen zur Verfügung stehen. Als solche werden sie vom Individuum
getestet, um in der Antizipationsphase einer Handlung "wenn-dann"-Aussagen
zu gewähren, in der Durchführungsphase als Korrektive zur Verfügung
zu stehen und schließlich in der Interprätationsphase bestätigt
oder erweitert zu werden.
Mit letzterer Überlegung
werden auch bei Filipp Aspekte der Wandelbarkeit angeschnitten, die aber
insgesamt bei ihr,
im Vergleich mit Rogers oder
Epstein, eher etwas zu kurz kommen. Filipp beschreibt die Veränderbarkeit
des
Selbstsystems mit Piagets
Terminologie der Assimilation ( kumulative "Veränderung") und der
Akkomodation
(evolutionäre Veränderung)
und weist des weiteren darauf hin, daß revolutionäre Veränderungen
nur selten vorkommen.
Das mag aber auch daran liegen,
daß sie selbst mit ihrer Arbeit andere Absichten verfolgt, als etwa
Epstein oder gar
Rogers. Speziell im Unterschied
zu Rogers fällt auf, daß konkrete Therapiemöglichkeiten
oder Konsequenzen für die
pädagogische Praxis nicht
explizit erläutert werden.
Geht man aber davon aus, daß
Filipps Ansatz ein deutlich kognitionspsychologischer Ansatz ist, der sich
wenig mit
Emotionen beschäftigt
und auch auf unbewußte Prozesse, vor allem im Unterschied zu Epstein,
nur wenig eingeht,
(erwähnt wird wohl, daß
bestimmte unbewußte Inhalte als Hintergrundschemata fungieren können)
so wäre die
therapeutische bzw. pädagogische
Konsequenz daraus wohl eine solche, die auf eine kognitive Umstrukturierung
in
adaptiven Selbstaussagen abzielt.
Einige wesentliche Aspekte von Rogers Theorie sind bereits im Vergleich mit Epstein und Filipp genannt worden.
Rogers Theorie ist klientenzentriert und orientiert sich am Menschen sowie an der psychotherapeutischen Praxis. Sie ist, anders als Epsteins und Filipps Ansatz, keine kognitionspsychologische Theorie, die sich hauptsächlich für die Organisation der Selbstkognition und für deren Entstehung durch informationsverarbeitende Prozesse interessiert.
Im Mittelpunkt von Rogers Theorie
steht der Mensch und seine persönliche Erfahrungswelt – ein humanistisch-
phänomenologischer Ansatz.
Zentrale Größe ist
auch hier das Selbstkonzept, welches sich aufgrund individueller Erfahrungen
konstituiert. Rogers
unterscheidet Real- und Ideal-Selbst
und unterstellt dem Menschen die grundsätzliche Tendenz zur Selbstverwirklichung.
Veränderung, Aktualisierung und Wachstum machen seine positive Sichtweise
des Menschen aus und stellen gleichzeitig wichtige Therapieziele dar, dort,
wo diese grundlegende Tendenz sich noch nicht durchgesetzt hat, bzw. es
Störungen gibt.
Diese durchweg bejahende, positive
Auffassung ist unter pädagogischen wie therapeutischen Gesichtspunkten
als
sehr positiv hervorzuheben.
Ähnlich gibt es auch bei Epstein eine Sichtweise, die für eine
grundsätzliche Veränderbarkeit spricht. Filipp verfolgt – wie
bereits gesagt wurde – etwas andere Absichten mit ihrem Modell, so daß
man hier keinen zu direkten Vergleich ziehen kann.
Ein Phänomen, was bei
Rogers (wie Epstein) im Zentrum therpeutischer Bemühungen steht, ist
das Erleben von
Inkongruenz. Prinzipiell strebt
das Individuum sowohl nach Konsistenz seines Selbstkonzeptes als auch nach
Kongruenz zwischen Selbstkonzept und Erfahrungen. Ist letzteres nicht gegeben,
kommt es zu Inkongruenz und damit zu Angst.
Wie bereits beschrieben, kann
dieser Konflikt durch Abwehr oder aber Aushalten der Angst und damit Erweiterung,
Wachstum des Selbstkonzeptes
gelöst werden.
Im Idealfall wird auch in Rogers Sicht letzteres angestrebt.
Kongruenz (Echtheit) ist auch
für den Therapeuten neben Akzeptanz und Empathie (einfühlendem
Verstehen) nach
Rogers Auffassung eine wichtige
Voraussetzung. Das Gelingen einer Therapie macht er darüber hinaus
von einem
Wohlfühl-Klima abhängig.
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