DFG-Forschungsprojekt
Die Funktion von Literatur und Autor als Repräsentanten der ‘Nation’ wird im Untersuchungszeitraum im Zuge der sozialen und medialen Ausdifferenzierung nach und nach in Frage gestellt. Dieser Ausdifferenzierung, die als Verfall einer bürgerlichen Einheitskultur verstanden wird, laufen zugleich Eindämmungsbemühungen entgegen (z. B. die Aktivitäten der Schwedischen Akademie oder die Institution des Nobelpreises). Eine wichtige Praktik, um die Position des Autors zu markieren, ist die Dichterfeier aus Anlass von Preisverleihungen, Geburtstagen oder auch als Trauerfeier. Für diese Praktik hat sich mit der Etablierung des bürgerlichen literarischen Feldes im 19. Jahrhundert eine konventionelle Form herausgebildet, die sich etwa an den Feiern zur Erinnerung an Esaias Tegnér nach seinem Tod 1847 paradigmatisch beschreiben lässt (Akademische Feier, Huldigungsgedichte, Reden, Denkmalserrichtung usw.). Im sozial- und medienhistorischen Zusammenhang stellt sich die Frage, wie sich die Praktiken der Dichterehrung mit der Entwicklung der illustrierten Massenpresse (in Schweden seit Ende der 1850er Jahre) und mit der gesellschaftlichen und kulturellen Ausdifferenzierung (z. B. Erstarkung der Arbeiterbewegung) verändern.
Einer der interessantesten Autoren in diesem Zusammenhang ist August Strindberg. Zu einen spiegeln sich in seinem Werk die literarischen, sozialen und medialen Entwicklungen der Epoche im Detail. Zum anderen wurde er häufig öffentlich gefeiert und geehrt: bereits als umstrittener Avantgardeautor im Zusammenhang des Blasphemieprozesses gegen seine Novellensammlung Giftas I (1884) und noch zum 63. Geburtstag 1912 mit einem Fackelzug der Arbeiterbewegung und einer ‘Nationalgabe’ als Ersatz für den entgangenen Nobelpreis. Die Feierlichkeiten zu seiner Beerdigung im gleichen Jahr vereinten wiederum alle wichtigen sozialen Gruppierungen und fanden, wie auch die Geburtstagsfeierlichkeiten, breiten Widerhall in der Presse (Brandell 1989). Neben und im Vergleich mit Strindberg werden Autoren und ihre Werke untersucht werden, die im bürgerlichen Establishment als Gegenfiguren gelten, etwa Verner von Heidenstam, der aufgrund seiner historischen Romane als Nationaldichter institutionalisiert wird (Nyblom 2008), und Selma Lagerlöf, deren Autorposition als besonders ‘volksnah’ inszeniert wird (Holm 2008, Nordlund 2006). Vergleichend wird auch betrachtet, wie sich Ehrungen kanonisierter Dichter des 19. Jahrhunderts (Tegnér) im Untersuchungszeitraum entwickeln.
Die literarische Praktik ‘Dichterehrung’ in Skandinavien ist bisher kein Gegenstand literaturwissenschaftlicher Forschung gewesen (dagegen für Deutschland Noltenius 1984, Schmidt 2000, Schumann 1993; Arbeiten zu einzelnen skandinavischen Autoren: Nyblom 2008, Hirn 1935). Es fehlt an einer Studie ihrer historischen Entwicklung im sozial- und medienhistorischen Kontext. Da die Untersuchung von Dichterehrungen sehr komplexe literarische und soziale Praktiken in den Blick nimmt, ist angesichts des begrenzten Zeitrahmens Konzentration auf ein begrenztes kulturelles Umfeld notwendig. Das Projekt wird sich daher auf Schweden und dort auf eine kleinere Anzahl von Anlässen beschränken. Ziel ist nicht, einen historischen Überblick zu geben, sondern zu einer ‘dichten Beschreibung’ der spezifischen Funktionsweisen dieser literarischen Praktik zu kommen.
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Skandinavisches Seminar |
Universiteit Gent Vakgroep Scandinavistiek en Noord-Europakunde |
Universität zu Köln Institut für Skandinavistik/Fennistik |