von Johanna Johnen
Das Sammeln und Jagen wird zu einer der frühesten Kulturstufen der menschlichen Zivilisation gezählt.
Ehrenfried Kluckert sieht von dort eine direkte Verbindungslinie über die Kunst- und Wunderkammern der frühen Neuzeit zu den heutigen Museen.1
Diesem Zusammenhang widmeten sich bereits einige kunsthistorische Werke. So zum Beispiel der Artikel von Andrea Hauser in: „Sammeln, Ausstellen,
Wegwerfen“, 2001 sowie auch Pomian Krzysztof in seinem Buch „Der Ursprung des Museums“, 2013.2 Apotheken können als eine Art Vorform solcher
Kunst- und Wunderkammern gesehen werden, wie die Ausstellung „Kunst- und Wunderkammer Apotheke“ des Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck 2001
zeigte.3
Eine gut ausgestattete Apotheke mit entsprechend gut geführter Sammlung galt seit dem 13. Jahrhundert als Prestigeobjekt einer jeden
Stadt.4
Die Präsentation dieser Sammlung innerhalb der Apothekenräume war für das Ansehen des Apothekers besonders wichtig, da er so deutlich
machen konnte, dass auch er – zu einer Zeit in der Kunst und Wissenschaft nur für wenige Eingeweihte zugänglich war – zu eben diesem Gelehrtenkreis
zählte. 5
Auch einzelne Sammlungen wurden in der Forschung bereits vielfach behandelt. So zum Beispiel die Wunderkammer der Franckschen Stiftung zu
Halle.6
Eine weitere sehr bekannte und vielfach bearbeitete Sammlung ist die des Schloss Ambras, welcher sich 2006 die Ausstellung „Die Entdeckung
der Natur“ widmete.7
Das Thema der Wunderkammer und ihr enzyklopädischer Anspruch sind in der Fachliteratur bereits weitgehend erforscht.8
Über enzyklopädische Schrift- und Bildformen der Frühen Neuzeit hat Martin Schierbaum 2009 ein umfassendes Werk herausgegeben.9
Die Titelblätter verschiedener Sammlungskataloge
bearbeitete Robert Felfe 2003 in seinem Aufsatz „Umgebender Raum – Schauraum“.10
Einem solchen enzyklopädischen Werk der Frühen Neuzeit und vor allem
dessen Frontispiz werden sich meine Überlegungen im Folgenden widmen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit möchte ich das bisher nur sehr wenig
bespro-chene Frontispiz des „Museum Museorum“ von Bernhard Valentini (Abb.1) in den Blick nehmen, erläutern und einige mögliche Vorbilder vorstellen.
Auch möchte ich aufzeigen, wie dem Leser der Inhalt des Buches im Titelblatt bereits visuell präsentiert wird. Die gemachten Beobachtungen beziehen
sich insbesondere auf das von mir betrachtete Original der Universitäts- und Stadtbibliothek zu Köln. Dabei handelt es sich um die zweite Auflage des
Buches von 1714, in der alle drei Bände gesammelt in einem Werk erschienen sind. Zur Provenienz des Buches ist nur sehr wenig bekannt. Es hat sich
womöglich aufgrund des enzyklopädischen Charakters des Werkes ehemals im Besitz der Jesuitenbibliothek, welche ab 1815 Schul- und Gymnasialbibliothek
genannt wurde, befunden.11 Diese wurde ab 1920 von der Universitäts- und Stadtbibliothek verwaltet. Des Weiteren werde ich die Entwicklungsgeschichte
von Wunderkammer-Darstellungen kurz zusammenfassen. Zunächst jedoch einige Anmerkungen zu Kunst- und Wunderkammern im Allgemeinen.
Die Hochzeit der Wunderkammern waren das 16., 17. und auch das 18. Jahrhundert.12
In Europa und dort vor allem in den deutschsprachigen Gebieten war
das Anlegen solcher Sammlungen besonders ausgeprägt, in der Zeit der Aufklärung kamen sie schließlich aus der Mode.13
Das Erscheinungsbild dieser Kammern
war so unterschiedlich, wie die Namen, die ihre – teilweise adeligen, teilweise bürgerlichen – Besitzer ihnen gaben.14
Im Gegensatz zu mittelalterlichen
Schatzkammern, welche vor allem Reichtum und Macht des Besitzers repräsentieren sollten, waren Wunderkammern vor allem als Studienort gedacht.15
Eine
Kunst- und Wunderkammer umfasste meist viele natürliche, wie auch künstliche Objekte aus möglichst vielen unterschiedlichen Bereichen.16 Das Ziel eines
solchen Kabinetts war es, das Universum und die Natur in allen ihren Zusammenhängen „im Kleinen“ zu präsentieren und zu ordnen,17
sodass schließlich
eine vollständige Enzyklopädie in der eigenen Stube entstand.18
Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzten sich verschiedene Gelehrte, darunter
später auch Bernhard Valentini, mit der Frage auseinander, wie Kunst- und Naturalienkammern auszusehen hatten und welche Gegenstände darin vorkommen
sollten.19
Es sollte in der eigenen Studierstube eine Art „Nachbau“ des gesamten Kosmos im Kleinen nachgebildet und geordnet werden, um zu
Erklärungsmustern zu gelangen, die für das große Ganze der Welt gelten konnten.20 In dieser Beziehung zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos
spielte auch das Verhältnis zwischen der Natur und den menschlichen Künsten eine wichtige Rolle, da die Kunst nicht nur als Nachahmung der
Natur, sondern parallel zu deren Schaffenskraft als ebenfalls schöpferisch tätig verstanden wurde.21
1704 veröffentlichte Doktor Michael Bernard Valentini den ersten der drei Bände des Museum Museorum.
Der Kurztitel des ersten Bandes lautet: „D. Valentini Schau Bühne Oder Natur- und Materialien-Kammer, Auch Ost-Indianische Send-Schreiben
Und Rapporten.“22
Band zwei und drei folgten wahrscheinlich gemeinsam in einem Buch erst 1714, wie eine Aufnahme der Levicka Collection vermuten lässt dazu
später mehr. Der erste Band widmet sich vor allem der Pflanzen- und Tierwelt sowie Kuriositäten aus Wunderkammern und deren allgemeines
Erscheinungsbild. Der Titel des zweiten Band lautet:
„Museum Museorum/ Oder vollständige Schau-Bühne/ Worinnen die rareste Natur-Schätze aus allen biß daher gedruckten Kunst-Kammern, Reiß-Beschreibungen und andern Curiosen Büchern enthalten, und benebenst einer Neuauffgerichteten Zeug- und Rüst-Kammer der Natur, auch vielen Curiosen Kupffer-Stücken vorgestellet sind.“
Verlegt wurden alle Bände in Frankfurt am Main bei David Zunner, wo es 1714 zu einer zweiten Auflage
mit allen drei Bänden kam. Das von Joseph Montalegre (1696-1726) geschaffene, szenische Titelkupfer des ersten Bandes gibt den Blick
in eine Natur- und Materialienkammer frei. Die Darstellung lässt sich in drei Register teilen, wobei das mittlere etwa zwei Viertel
und das obere und untere Register jeweils ein Viertel der Bildfläche einnehmen. Im oberen Register ist in starker Untersicht die
Zimmerdecke einer Wunderkammer zu sehen, an welcher eine Vielzahl von Tieren hängen, darunter unter anderem ein Gürteltier, verschiedene
Arten von Fischen und Vögeln, ein Schildkrötenpanzer einige Hirschköpfe und Geweihe, sowie ganz oben rechts ein kleiner Eisbär, welcher
teilweise von etwas verdeckt wird, das aussieht wie ein übergroßes Seeigel-Gehäuse. Oben in der Mitte ist außerdem ein Teil eines Kanus
zu sehen.
Das mittlere Register lässt sich nochmals in drei Spalten teilen. Die mittlere davon bildet der Titel, der teilweise in Majuskeln auf
einen schlichten, tafelartigen Hintergrund gedruckt ist, an dessen Ecken sich jeweils kleinere Insekten und Schmetterlinge befinden.
Spalte blickt man in eine Art Lagerraum, in welchem der griechische Gott Merkur inmitten von Fässern, Kisten und Säcken in seiner
Die linke Spalte wird von einem großen, am Schnabel aufgehängten Vogel eingenommen. Die Gestaltung des Kopfes und Halses erinnert an
einen Pfau, das buschige, lange Federkleid des Tieres weist jedoch nicht die typischen Pfauenaugen auf. In der rechten Spalte hängt
ein weiteres Tier, am Maul befestigt, herab. Hierbei handelt es sich um eine Art Hybridwesen, welches in seiner gedrungenen Körperform
entfernt an ein Krokodil erinnert, jedoch trägt es kleine stumpfe Hörner und der lange Krokodilschwanz fehlt ihm. Es hat ebenfalls keine
Hinterbeine, dafür spaltet sich das hintere Ende des Tieres und läuft in einer Art Fischschwanz aus. Hinter diesen beiden hängenden
Tierwesen erkennt man die Struktur einer hölzernen Wandvertäfelung. Das dritte, untere Register lässt sich ebenfalls in drei Spalten
einteilen. Jeweils links und rechts sind eine Vielzahl von kleineren Meerestieren, Mineralien und Edelsteinen zu sehen in der mittleren
Linken ein Schriftstück hält.
Die seitlichen Spalten sind ihrerseits wiederum in verschiedene Abschnitte geteilt, welche hier verschiedene Ebenen von Regalen nachahmen.
In dem linken „Regal“ befindet sich zuoberst ein großer ovalgewölbter Gegenstand mit einer Art Rillenstruktur. Aufgrund der örtlichen
Nähe zu den kleineren Meerestieren, welche sich direkt darunter im „Regal“ befinden, könnte man vermuten, dass es sich hier um
Korallengestein handelt. Dieses kommt auch in einem der Reiseberichte im ersten Band vor. Bei den kleineren Meerestieren darunter handelt
es sich um verschiedene Krebse, Langusten und kleinere Schildkröten sowie einen Fisch – er erinnert an einen Karpfen – der in einer Art
Halfter an der Regalwand befestigt wurde. Hinter diesem hängt eine kleinere Kette von Perlen, welche wie die Muscheln, die sie produzieren,
im zweiten der Reiseberichte beschrieben werden.23
Auf den untersten beiden, kleineren Regalbrettern sieht man beschriftete Kästchen
in verschiedenen Größen, welche mit „Metal“ (Metall), „Lica“ (Fischgräten), „Conchilea“ (Muscheln) und „Turbinata“ (Wirbel) beschriftet
sind. Auf einigen dieser Kästchen liegen dazu weitere Gegenstände, welche dem Meeresraum entspringen, so z.B. kleinere Muscheln und ein
Haifischgebiss. Die Regalstruktur, welche in der rechten unteren Spalte nachgeahmt wird, verläuft nicht, wie die Linke, bildparallel,
sondern führt diagonal in den Bildraum. Dort sieht man auf dem obersten Brett einen gewaltigen Edelstein, der in seiner Struktur an Quarz
erinnert. Daneben befindet sich ein kleines Kästchen mit der Aufschrift „Terra“ (Erde). Darunter stehen auf einem weiteren Regalbrett
erneut mehrere kleinere Kisten, diesmal beschriftet mit „Resine“ (Harz), „Herbe“ (Kräuter) und „Radices“ (Wurzeln). An dem Brett selbst
ist ein weiterer kleinerer Fisch an einer Schnur aufgehängt. Am Boden dieses Bildteils befindet sich eine riesige Muschel aus deren
gewölbter Mitte ein astartiges Gebilde erwächst.
Der einzige Bildteil, der eine Illusion von Raumtiefe schafft, ist der, in welchem sich Hermes aufhält. Wir blicken, wie bereits erwähnt,
in einen Lagerraum. Oben an der hinteren, bildparallel verlaufenden Wand ist erneut ein kleineres Regal angebracht, in dessen Mitte sich
zwei kleinere Türen mit Rautenmuster zu sehen sind. Auf diesem Regal befinden sich in ähnlicher Gestaltung wie der bereits zuvor
beschriebenen Regale eine Vielzahl von kleineren Kisten und Kästchen mit Beschriftungen, hier „Marina“, „Conchiliae“, und „Aluminium partes“.
Merkur steht zwischen vielen Kisten, und Fässern. Zu seiner Rechten liegen einige Säcke, die ebenfalls beschriftet sind. Der Gott des
Handels und der Beredsamkeit ist dem Betrachter zugewandt und scheint gerade, ähnlich einem Verkäufer, auf ihn zuzutreten. Er ist
bekleidet mit den für ihn typischen geflügelten Schuhen und dem Flügelhelm. Er ist mit einem Tuch bekleidet, welches über seinem linken
Arm liegt und um seinen Körper herum weht. Darunter trägt er ein langes geknöpftes Hemd, dessen lange Ärmel er hochgeschoben zu haben
scheint. Dieses Kleidungsstück könnte ein Bezug zur damaligen Gegenwart sein, da Merkur als Gott der griechischen Mythologie meist
eher in antikisierender Kleidung oder in heroischer Nacktheit dargestellt wurde. In der rechten Hand hält er den Caduceus – ein weiteres
seiner Attribute – in der rechten Hand hält er einen Brief mit der Aufschrift „Ost-Indien“.
All die gezeigten Dinge auf diesem Titelblatt haben einen Bezug zu dem Text selbst und bilden so eine Art Vorschau auf das, was der Leser
in diesem Schriftwerk erfahren wird. Es sind verschiedene Arten von Pflanzen, Muscheln und Meerestieren beschrieben sowie Metalle, Wurzeln
und Gesteine, Vögel und Säugetiere, welche sich fast alle im Text wiederfinden lassen. Durch den Brief mit der Aufschrift „Ostindien“,
welchen Merkur in der Hand hält, sind auch die Reiseberichte bzw. Rapporten mit ins Bild gesetzt, welche ebenfalls im Buch zu finden sind.
Rapporte sind Berichte oder Meldungen, welche beim Empfänger eben in der Form eines Briefes eintreffen, ähnlich wie der, welchen Merkur
dem Betrachter hier präsentiert. Das Kanu im oberen Bildteil könnte ein Verweis auf indigene Völkergruppen sein. Auch diese finden im Buch
Erwähnung. Die große Muschel unten rechts, aus der eine Art Ast erwächst, könnte ein Hinweis auf die verschiedenen, im Buch beschriebenen
pflanzlichen, tierischen und auch menschlichen Missbildungen sein. Diese wurden wahrscheinlich aufgrund eines Vollständigkeitsanspruches
ins Bild gesetzt. Valentini erwähnt in seinem Text jedoch auch, dass die Anwesenheit des Hässlichen das Schöne noch weiter verstärkt.24
Während der Recherche zu dieser Arbeit begegnete ich einem weiteren Titelblatt in Valentinis Werk.
Es handelt sich hierbei um das Titelblatt zum zweiten und dritten Band des Buches. Eine Aufnahme der Levicka Collection zeigt das
Buch aufgeschlagen an der Stelle des Titelblatts (Abb. 2). Auf der Verso-Seite ist zu lesen: „D. Valentini/ Schaubühne/ fremder
Naturalien:/ So dann/ Rüst- und Zeughaus der Natur/ MUSEI MUSEORUM/ Zweyter und Dritter Teil.“ Das Frontispiz verweist auf die
Jahreszahl 1714 und trägt den Kurztitel: „Musei Museorum oder Der Allgemeinen Kunst- und Naturalienkammer Tomus II Nebst dem Rüst-
und Zeughaus der Natur“ (Abb. 3). Dieses Titelblatt ist auch in der Ausgabe von 1714 mit allen drei Bänden der Universitäts- und
Stadtbibliothek Köln vorhanden und dem zweiten und dritten Band vorangestellt. Das wirft die Frage auf, warum hier neben dem
eigentlichen Frontispiz ein weiteres Titelblatt eingefügt wurde. Meine Vermutung dazu ist, dass der erste Band wahrscheinlich 1704
einzeln erschien, 1714 dann Band zwei und drei in einem Buch und schließlich bei der zweiten Auflage 1714 alle drei Bände in einem
Sammelband mit beiden Titelblättern erneut aufgelegt worden sind. Auch das Buch der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln ist ein
solcher „Sammelband“ von 1714.
Das Frontispiz lässt sich erneut in drei Register aufteilen. Das mittlere Register wird dominiert von einer Kartusche, in die der
Name des Autors, Kurztitel, sowie Erscheinungsort, Verleger und Erscheinungsjahr eingeschrieben sind. Zu beiden Seiten dieser
Kartusche ranken sich hülsenartige Gewächse an den Bildkanten empor, deren „Stiele“ in ihrer Struktur Seilen ähneln. Die Knospen
scheinen aus harten, runden Schalen zu bestehen, welche kreisförmige Öffnungen haben, die zu den Seiten in Schlitzen auslaufen.
Oberhalb des mittleren Registers ist eine kleiner Landschafsausblick gezeigt, in welchem auf einer Insel eine Schlange vor einem
Obstbaum sitzt. Die Insel ist umgeben von Wasser, links und rechts von der Insel springen gerade zwei fliegende Fische aus dem
Gewässer empor. Die Schlange hat ein menschliches Gesicht rekurriert so auf Darstellungen der Schlange im Paradies, welche auch
teilweise mit menschlichen Gesichtszügen abgebildet wurde. 25
Der kleine Baum hinter der Schlange trägt zwei Früchte, eine davon
gleicht in ihrer ovalen Form eher einer Birne, die andere ist eher rund gestaltet und gleicht einem Apfel. Da in der Forschung
diskutiert wird, welche Früchte der Baum der Erkenntnis trug, in Betracht gezogen werden Feigen, Äpfel oder verschiedene Früchte,
26
ist die Sündenfall-Symbolik hier im oberen Bildteil weiterhin wahrscheinlich.
Im unteren Bilddrittel sehen wir erneut eine Landschaft, in dieser grasen fünf Nashörner in unterschiedlicher Gestaltung. Die
Körperoberfläche der Tiere ist teilweise in sehr fantastischen Ornamenten ausgeformt, welche an Rüstungen und auch an Dürers
bekanntes Rhinozeros (Abb. 4) erinnern. Insgesamt, so steht zu vermuten, werden hier Bezüge zwischen „Rüstungen“ oder „Panzerungen“,
welche in der Natur vorkommen und zum Titel der „Rüstkammer der Natur“ hergestellt. Valentini schildert in seinem Buch ebenfalls
Maschinen, welche Funktionsweisen aus der Natur adaptieren, sodass diese Verbindung zwischen Natur und vom Menschen erfundene
Dinge, welche die Natur nachahmen, hier deutlich ins Bild gesetzt wird. In den knospenartigen Gewächsen seitlich der Kartusche
mit Vermerk zu Autor und Titel, könnte man die aufgesprungenen Früchte eines Muskatnuss-Baumes erkennen. Die Muskatnuss und der
damit verbundene Handel wird eben im dritten Band im Kapitel „Von allerhand Indianischen Gewächsen“ (ab S. 103) genau beschrieben.
Insgesamt behandelt der zweite und dritte Teil nebst der bereits genannten Maschinen auch exotische Tiere und Pflanzen, auch die
fliegenden Fische finden Erwähnung. Der Sündenfall, welcher hier durch die Schlange dargestellt ist, spielt in Valentinis
sammlungstheoretischen Überlegungen zu Wunderkammern im ersten Band eine wichtige Rolle, da er dies als den Beginn des menschlichen
Erkenntnisdrangs benennt und ihn als Ausgangspunkt für das Entstehen von Kunst- und Wunderkammern sieht.27
Der erste Band endet mit
eben diesen theoretischen Überlegungen zu eben solchen Sammlungen, sodass diese abgebildete Sündenfall-Symbolik zu Beginn des
zweiten Bandes und der menschliche Wissensdurst, den sie verdeutlicht, eine Art „Scharnier“ zwischen den zwei Bänden darstellt.
Meine weiteren Überlegungen zu Bernhard Valentinis Museum Museorum möchte ich jedoch weiterhin anhand des eigentlichen Titelblattes
des ersten Bandes entwickeln, da dieses im mir vorliegenden Sammelbandes chronologisch allen drei Bänden vorangestellt ist. So spielt
das erste Titelkupfer beim Aufschlagen des Kompendiums eine wichtigere Rolle für den Leser, da dieses den ersten performativen Impuls
zum Umblättern und Weiterlesen gibt.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Valentinis Museum Museorum gab es, wie bereits erwähnt, eine lange
Traditionslinie der enzyklopädischen Kunst- und Wunderkammern, in die sich auch das vorliegende Werk einreiht. Diese bezogen sich jedoch,
anders als Valentinis Werk, meist auf tatsächlich existierende Kuriositätensammlungen. So beispielsweise der Katalog der Sammlung des
Apothekers Ferrante Imperato mit dem Titel „Ritratto del meuso die Ferrante Imperato“ (Abb. 5), erschienen 1599.28
Dessen Frontispiz
zeigt ebenfalls das Innere eines Sammlungsraumes, hier sehen wir zudem einige Menschen, welche die Dinge darin zu betrachten und zu
diskutieren scheinen und dem Leser so den „Gebrauch“ einer Kunst- und Wunderkammer direkt vor Augen führen. Solch eine Szene des
Zeigens und Betrachtens findet sich auch im Frontispiz zu Basilius Beslers Fasciculus Rariorum von 1616 (Abb. 6). Dort sieht man zur
linken Seite zwei Männer zur Tür hereinkommen, während ein weiterer jüngerer Mann in der linken unteren Ecke gerade einen Delphinschädel
aufgehoben zu haben scheint und ihn den beiden Männern präsentiert.29
Diesen dargestellten Moment bezeichnet Robert Felfe als den
Moment, „in dem der museale Raum durch den Eintritt von Besuchern zu einem dynamischen Ensemble von Exponaten und Betrachtern erweckt
und gleichsam verlebendigt wird.“30 In anderen Frontispizen zu Sammlungskatalogen, sowie auch im Titelblatt zu Valentinis Werk, fehlt
solches Personal. Meiner Meinung nach würde die Darstellung von Betrachtern auf dem Titelkupfer des Museum Museorum hier keinen Sinn
ergeben, da es sich um keinen tatsächlich beschriebenen Sammlungsraum handelt, wie es etwa bei Beslers Titelblatt der Fall ist. Außerdem
ist hier das „Eintreten“ in den virtuellen Raum, welchen das Buch bildet, seitens des Lesers noch nicht geschehen, wenn er das Titelblatt
betrachtet. Außerdem suggeriert das Bild keinen einheitlichen Raum, sondern lediglich einzelne Kompartimente. Felfe führt zudem an, dass
die Abwesenheit von Personen in solchen Sammlungsansichten dazu führt, dass die unmittelbare Beziehung zum Raum deutlicher wird, da der
Betrachter einerseits stärker dazu aufgefordert wird die Dinge darin zu betrachten und andererseits gleichzeitig in den Raum aufgenommen
wird.31
Ein Beispiel für menschenleere Darstellungen von Kunst- und Wunderkammern ist das Museum Wormianum, die Sammlung des dänischen Arztes
und Reichs-Archivars Ole Worm. Das Titelblatt, zum Katalog seiner Sammlung erschien 1655 (Abb. 7) und weist vor allem im oberen Bildteil
signifikante Parallelen zum Titelkupfer des Museum Museorum auf. Auch hier blicken wir in einen Innenraum der eine Wunderkammer zeigt.
Hier ist der Raum jedoch sehr viel tiefer und nimmt die gesamte Bildfläche ein, nicht wie bei dem Titelkupfer zu Valentinis Werk, wo
nur ein Teil des Bildes einen tatsächlichen Raum darstellt. Die Zimmerdecke ist hier nahezu gleich gestaltet wie bei dem Frontispiz
des Museum Museorum, sodass es zulässig scheint, von dem Titelblatt des Museum Wormianum als ein Vorbild für das 1704 erschienene
Titelkupfer zu sprechen. Valentini selbst gibt an, bei den Recherchen für sein enzyklopädisches Kompendium eben diese drei genannten
Werke gelesen zu haben.32
Daher ist davon auszugehen, dass er dem Stecher die Anweisung gab, diese inhaltliche Verbindung auch im
Frontispiz für den Leser erkennbar darzustellen. Auch das Kanu ist in gleicher Position und Ansicht gezeigt, wie im Museum Wormianum.
Die Beschriftungen der einzelnen Kästchen sind ebenfalls dem Titelkupfer zu Ole Worms Sammlung nachempfunden. Die Geweihe und Hirschköpfe
hängen im Kupferstich des Museum Wormianum nicht, wie beim Frontispiz zu Valentinis Werk, an der Decke, sondern an der linken Zimmerwand,
doch auch hier ist die Gestaltungsweise frappierend ähnlich. Diese Art des Bildzitates zeugt zum einen vom Bewusstsein des hohen
Bekanntheits- und Bedeutungsgrad der dänischen Sammlung und dem Versuch sich so in die Erfolgslinie dieser einzureihen,33
zum anderen
wird hier Bezug genommen auf tatsächliche Vorgehensweisen bei der Hängung der Objekte in einer Wunderkammer. In den Räumlichkeiten
einer solchen Kunst- und Naturalienkammer wurden meist die „Prachtstücke“ zur besseren Betrachtung an die Decke gehängt, wie es
bereits in den frühen Apothekensammlungen Usus war.34
Bei dem zuvor beschriebenen, größeren „pfauenartigen“ Vogel auf Valentinis Titelblatt handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um
einen Paradiesvogel. Dieser wird im Sammlungskatalog Ole Worms ebenfalls abgebildet (Abb. 8), jedoch nicht auf dem Frontispiz selbst.
Solche Vögel waren erstmals 1522 nach Europa gelangt, als dort Ferdinand Magellan mit dem Schiff „Victoria“ von seiner erfolgreichen
Weltumschiffung nach Sevilla zurückkehrte und einige Bälge dieser Tiere an Bord hatte.35
Ein Jahr später konnte eines dieser seltenen
Exemplare bereits in der Kunstkammer der Magarete von Österreich nachgewiesen werden.36
Aufgrund ihrer Seltenheit wurden sie von
Sammlern sehr geschätzt.37
Die Tiere wurden Symbol politischer Vormachtstellung und weitreichender Handelsbeziehungen, waren aber
auch naturkundliche Anschauungsgegenstände.38
Paradiesvögel werden oft als große, schillernd bunte Vögel mit langen Flügeln und Schwänzen
beschrieben.39
Füße fehlten ihnen angeblich, da sie niemals landeten und ständig in der Luft blieben.40
Daher wurden sie zum Emblem
„geistiger Höhenflüge“,41
aber auch zur Allegorie unsteten Lebens.42
Das Titelkupfer des Museum Museorum zeigt einen eben solchen Vogel
ohne Füße. Im Museum Wormianum hingegen ist ein Vogel mit Füßen abgebildet, jedoch gleichen die Tiere sich ansonsten sehr. Jakob
van Heemskerk berichtet in seinem Aufzeichnungen über die Insel Ambon 1599, dass er dort solche Vögel mit Füßen gesehen hätte.43
Die Einheimischen rissen den Tieren nach der Tötung die Beine aus und verkauften die Vögel getrocknet weiter.44
1605 kommt Carolus
Clusius zu der Erkenntnis, dass Paradiesvögel sehr wohl Füße besitzen, veröffentlicht dies in seiner Studie exotischer Tiere noch
im gleichen Jahr, jedoch zeigen die Abbildungen darin weiterhin Vögel ohne Füße.45
Diese Art Paradiesvögel ohne Beine abzubilden,
war lange etabliert und wurde offensichtlich auch von dem Stecher von Valentinis Titelblatt weitergeführt.46
Die Darstellungsweise
von Paradiesvögeln mit Füßen löste die „fußlose“ Version nicht ab, sie koexistierten – wie auch Jan Brueghels Gemälde „Paradieslandschaft
mit der Erschaffung der Tiere“ zeigt – manchmal sogar in ein und demselben Bild. So setzt Joseph Montalegre mit dem Paradiesvogel ein
Objekt ins Bild, welches auch in tatsächlich existierenden Kunstkammern wahrscheinlich Gegenstand naturkundlicher Diskussionen war.
Die Tatsache, dass in beiden Titelkupfern einige Tiere paarweise auftreten, wie z.B. die Hirschköpfe oder die Gänse, nimmt Bezug auf
die sammlungstheoretische Vorstellung, dass sich auf der Arche Noah die vollständigste aller Natursammlungen befunden hatte.47
Eben
solche theoretischen Überlegungen werden auch von Valentini selbst im Museum Museorum behandelt, wo er das Drängen des Menschen nach
Erkenntnis bis zum Sündenfall zurückführt.48
Die Anwesenheit Merkurs auf dem Frontispiz der „Allgemeinen Schaubühne“ wurde bereits kurz damit erklärt, dass Merkur bereits unter
den olympischen Göttern als der Gott des Handels und der Kaufleute (Mercatores) galt.49
Ulrich Johannes Schneider führt in seinem Artikel
„Merkur und andere enzyklopädische Götter“, 2007 außerdem an, dass Merkur sich zunehmend häufig auf Frontispizen von lexikalischen
Schriftwerken fand. Vorwiegend fand er sich auf Titelblättern von Handelslexika, jedoch auch auf denen allgemeiner Lexika.50
Er führt
als Beispiele das Handlungslexikon 1712, verlegt von Friedrich Gleditsch, das „Dicitionaire de la Commerce“ von Savary 1723 (Abb. 9)
und Hederichs Schullexikon von 1731 (Abb. 10) an.51
Er geht sogar so weit, Merkur, neben Minerva, als „Lexikongott im deutschen 18.
Jahrhundert“ zu bezeichnen.52
Minerva steht dort für die Künste und auch die Wissenschaft, während Merkur vor allem für die Distribution
dieses Wissens steht.53
All diese genannten Beispiele für Frontispize lexikalischer Schriftwerke, welche der Gott Merkur ziert, sind zwar
nach der Erstveröffentlichung des Museum Museorum 1704 entstanden, jedoch kann man den Beginn dieser, von Schneider beobachteten Entwicklung
im Titelkupfer zu Valentinis enzyklopädischen Werk bereits sehen. Er selbst stellt in seinem Artikel auch fest, dass die starke Verbindung
der Figur des Merkurs zu den Handelslexika bereits im späten 17. Jahrhundert spürbar wurde.54
Außerdem sei noch anzumerken, dass Merkur
ebenfalls nachgesagt wird, er habe die Lyra aus einem Schildkrötenpanzer erbaut.55
Solche Panzer waren in vielen Kunst- und Naturalienkammern
zu finden, so auch auf dem Frontispiz des Museum Museorum selbst. Das wortwörtliche „Auftreten“ Merkurs lässt hier noch einen weiteren
wichtigen Aspekt anklingen, den der Metapher des „Welttheaters“ als frühneuzeitliche Art der Wissenskompilation in Lexika und Enzyklopädien,56
auf welchen auch der Titel „Vollständige Schaubühne“ von Valentinis Werk verweist. Auch die Rolle Merkurs als Götterbote passt in das
„Programm“ des Titelkupfers. Merkur überbringt dem Betrachter den Brief mit der Aufschrift „Ost-Indien“, welcher stellvertretend für
alle im Buch aufgeführten Reiseberichte steht.
Laut Gabriele Beßler gab es bis um 1600 keine Darstellungen von Kunst- und Wunderkammern,57
sodass man heute zwar auf Inventarlisten,
jedoch nicht auf Bildzeugnisse der damaligen Sammlungen zurückgreifen könne.58
Christel Meier hingegen sieht den Beginn der Entwicklung
der Wunderkammer-Darstellungen bereits in den einfachen Darstellungsformen der Cluster- und Streubilder, welche sie in der Wissensliteratur
der Antike bis zum Erscheinen Diderots Encyclopédie und darüber hinaus als omnipräsent betrachtet.59
Vor allem das Clusterbild sieht sie
vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit als stark verbreitet an. Als Beispiel führt sie hier eine Darstellung aus den Pariser
Bartholomäus-Anglicus-Handschriften von 1480 (Fr 218) und ein Vogelstillleben von 1619 aus dem Musée des Beaux-Arts in Straßburg an. 60
Sobald sich diese Cluster in geordnete Reihen ausbilden, wird die Vorbereitung auf naturwissenschaftliche Darstellungsweisen besonders
deutlich, wie z.B. in der Skorpiontafel aus der Dioskurides-Abschrift des 15. Jahrhunderts.61
Im Hoch- und Spätmittelalter wurden bereits
ordnende Arten der Darstellung in enzyklopädischen Werken genutzt, welche Regalen und Kästen ähnelten,62
in der Art wie man ihnen auch
in Valentinis Titelkupfer begegnet. Einen weiteren wichtigen Entwicklungsstrang sieht Christel Meier in den Bordüren von Stundenbüchern
mit illusionistisch gemalten Naturalien wie Pfauenfedern (Abb. 11), welche sie in direkte Beziehung zu der ab dem 16. Jahrhundert
verbreiteten Bildgattung des Stilllebens setzt.63
Auch Regal- und Sammlungsansichten etablierten sich zu einem eigenen Stillleben-Sujet, 64
wie unter anderem Georg Hainz‘ Gemälde „Kunstkammerschrank“ von 1666 (Abb. 12) zeigt. Von der Darstellung solcher Sammlungsschränke
zum Abbilden ganzer Kammern ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, zumal sich neue Handlungsräume durch die Repräsentation von
Naturalienkammern öffnen. Gezeigt werden Menschen, welche in diesen Räumen mit den Gegenständen operieren.65
Wie in vorher genannten
Wunderkammer-Darstellungen sieht man zum Beispiel Menschen, welche in den Räumlichkeiten über die dort gezeigten Dinge diskutieren
und sie gemeinsam betrachten.
Das menschliche Bedürfnis Wissen in Schriftwerken und vor allem die dort besprochenen Dinge visuell zu ordnen ist somit bereits weit
vor der Entstehung der Wunderkammern und ihrer Darstellungen erkennbar. Eine besonders interessante Überlegung, die Christel Meier
anführt, ist die, dass die Entwicklung der Kunstkammer-Darstellungen im Buch (Stundenbuch, Lexika) mit Abbildungen von Tieren und
Naturalien beginnt, sich das Sammeln und Ordnen dieser „Objekte“ in Darstellungen und im tatsächlichen Sammlungsraum entwickelt und
später wieder im Medium Buch mündet,66
wie beispielsweise im vorliegenden enzyklopädischen Werk von Valentinis Museum Museorum.
Das größere Motiv aller Sammler, die Natur als Kosmos zu ordnen, wird auch im Titelblatt des Museum Museorum aufgegriffen. Die mehrfache Aufteilung des Bildraumes in verschiedene kleinere Abschnitte, in welchen jedem Objekt ein bestimmter Platz zugewiesen zu sein scheint, spiegelt diesen Ordnungsdrang wider. Auch die Tatsache, dass die untersten beiden Bildfelder, neben der Lagerraumszene mit Merkur, sich thematisch grob in Meeresraum links und „Land-Raum“ rechts unterteilen lassen, sowie auch die vielfachen Beschriftungen unterstreichen diesen Eindruck. Die gezeigten Dinge in „Regalfelder“ einzuordnen hat zu dieser Zeit bereits eine längere Tradition und hat über die Bildgattung des Stilllebens die Gattung der Wunderkammer-Darstellungen vorbereitet, sodass man annehmen kann, dass der Künstler Joseph Montalegre oder Valentini selbst mit dieser Tradition vertraut war. Er bedient sich auch inhaltlich vor allem eines berühmten Vorbildes, dem Titelblatt des Sammlungskatalogs des Museum Wormianum und auch dem Inhalt dieser Sammlung, wie in der Darstellung des Paradiesvogels zu sehen ist. Dass Valentini sich in seinen Ausführungen im Buch auch auf dieses berühmte Vorbild bezieht, war also bereits auf dem Titelblatt für den gebildeten Leser erkennbar. Das Darstellen Merkurs auf Titelblättern lexikalischer Schriften sollte sich nach dem Erscheinen des Museum Museorum noch weiterverbreiten. Hierbei nimmt Valentinis Werk und dessen Titelblatt eine Position am Anfang dieser Traditionslinie ein. Des Weiteren steht Merkur sinnbildlich für das Verbreiten von Wissen als Götterbote und überreicht dem Leser hier symbolisch die Reiseberichte, welche er später im Buch lesen kann. Auch der beschriebene Handel mit Objekten und Naturalien ist durch Merkur ins Bild gesetzt. Das vorliegende Werk des Doktor Michael Bernhard Valentini folgt – wie Naturalienkammern allgemein – einem enzyklopädischen Anspruch. Dies wird den Betrachtern, zu welchen laut Valentinis Vorwort die „Studirende[n] Jugend, Materialisten, Apothecker, und deren visitatoren, wie auch andere[r] Künstler, als Jubelirer, Mahler, Färber […]“67 gehören sollten, bereits beim Anblick des Titelblattes klar. Das Frontispiz nimmt einige Gegenstände auf, welche in tatsächlichen Wunderkammern häufig vorkamen. Diese Objekte waren teilweise das Thema in Diskussionen, wie beispielsweise die Frage ob Paradiesvögel Füße haben oder nicht. Solch einen Ideenaustausch, wie er bei einigen der gezeigten Titelblätter direkt ins Bild gesetzt wird, muss der Leser beim Anblick des Titelkupfers zu Valentinis Schaubühne selbst evozieren, sodass ein innerer Dialog entsteht. Dieser kann dann durch das Lesen des Museum Museorum weitergeführt werden, da dort die meisten Dinge, welche auf dem Frontispiz abgebildet sind, eingehend erläutert werden. Das Titelbild verknüpft hier als Bedeutungsträger verschiedene Deutungsebenen. Es zeigt das Ordnen des gesamten universalen Wissens, durch die dargestellte Regal-Struktur, die Distribution des Wissens – an welchem das Schriftwerk selbst beteiligt ist – durch den redegewandten Händlerpatron Merkur. Zudem werden Diskussionen über Raritäten und die Benennung gezeigter (Hybrid-)Wesen durch die Darstellung dieser Dinge direkt ins Bild gesetzt. Auch sammlungstheoretische Überlegungen, wie die Idee der Arche Noah als vollständigste Naturaliensammlung, wird durch die Dopplung einiger Tierarten auf dem Titelblatt visuell umgesetzt. Der Leser wird durch die gezeigte Vielfalt beeindruckt und eingeladen, diese – auf dem Bild, wie auch im gesamten Buch selbst – genauer zu betrachten und kennen zu lernen. Er wird aufgefordert, durch Umblättern performatorisch in die gezeigte, virtuelle Kunstkammer einzutreten, welche er mit dem Erwerb dieses Buches in sein eigenes Heim bringen konnte. Dadurch gehörte er zum Kreis der Gelehrten und Eingeweihten seiner Zeit, da auch er, ähnlich zu tatsächlichen Kunst- und Wunderkammern, den gesamten Kosmos gebunden in einem Lexikon besaß.
1: ↑ Kluckert, Ehrenfried: Architektur des Barock in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa, in: Toman, Rolf (Hg.): Die Kunst des Barock, Köln, 1997, S. 184-273.
2: ↑ Ecker, Gisela; Stange, Martina; Vedder, Ulrike (Hg.): Sammeln, Ausstellen, Wegwerfen, Königstein, 2001; Krzysztof, Pomian: Der Ursprung des Museums: Vom Sammeln, Berlin, 2013.
3: ↑ Ausst.-Kat.: Kunst- und Wunderkammer Apotheke, Tiroler Volkskunstmuseum, Innsbruck, 2001, S. 12.
4: ↑ Wie Anm. 3, S. 7.
5: ↑ Wie Anm. 3, S. 13.
6: ↑ Müller-Bahlke, Thomas: Die Wunderkammer: Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftung zu Halle (Saale), Halle, 1998.
7: ↑ Ausst.-Kat.: Die Entdeckung der Natur: Naturalien in den Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, Kunsthistorisches Museum Wien, Schloss Ambras, Innsbruck, 2006; siehe auch: Primisser, Alois; Kramer, Manfred: Die Kaiserlich-Königliche Ambraser Sammlung, Graz, 1972; Scheicher, Elisabeth: Die Kunstkam-mer, Innsbruck, 1977; Ausst.-Kat.: Alle Wunder dieser Welt: die kostbarsten Kunstwerke aus der Sammlung Erzherzog Ferdinands II. (1529-1595), Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlungen Schloß Ambras, 2001; u.a.
8: ↑ Grote, Andreas (Hg.): Macrocosmos im Microcosmos. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450-1800, Opladen, 1994; Schramm, Helmar; Schwarte, Ludger; Lazardig, Jan (Hg.): Kunstkammer, La-boratorium, Bühne: Schauplätze des 17. Jahrhunderts, Berlin, 2003; Ausst.-Kat.: Assoziationsraum Wun-derkammer: zeitgenössische Künste zur Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Hal-le, Franckesche Stiftungen zu Halle, 2015; u.a.
9: ↑ Schierbaum, Martin (Hg.): Enzyklopädistik 1550-1650, Berlin, 2009.
10: ↑ Felfe, Robert: Umgebender Raum-Schauraum: Theatralisierung als Medialisierung musealer Räume in: Schramm, Helmar; Schwarte, Ludger; Lazardig, Jan (Hg.): Kunstkammer, Laboratorium, Bühne: Schau-plätze des 17. Jahrhunderts, Berlin, 2003, 226-264.
11: ↑ Siehe Artikel 2.30 im Handbuch der Historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa: http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Universitaets-_Und_Stadtbibliothek_(Koeln) [18.08.19]
12: ↑ Müller-Bahlke 1998, S. 10.
13: ↑ Beßler, Gabriele: Wunderkammern: Weltmodelle von der Renaissance bis zur Kunst der Gegenwart, Berlin, 2009, S. 14.
14: ↑ Müller-Bahlke 1998, S. 10.
15: ↑ Ausst.-Kat.: Die Entdeckung der Natur: Naturalien in den Kunstkammern des 16. und 17. Jahrhunderts, Kunsthistorisches Museum Wien, Schloss Ambras, Innsbruck, 2006, S. 11.
16: ↑ Wie Anm. 15, S. 12.
17: ↑ Wie Anm. 3, S. 14; Müller-Bahlke 1998, S. 10.
18: ↑ Beßler, 2009, S. 15.
19: ↑ Wie Anm. 3, S. 15.
20: ↑ Müller-Bahlke 1998, S. 10.
21: ↑ Felfe 2003, S. 227.
22: ↑ Als alternativer Titel wird angegeben: Museum museorum, oder, Vollständige Schau-Bühne aller Materialien und Specereyen : nebst deren natürlichen Beschreibung, Election, Nutzen und Gebrauch, aus andern Materi-al-, Kunst- und Naturalien-Kammern, Oost-und-West-Indischen Reisz-Beschreibungen, Curiosen Zeit- und Tag-Registern, Natur- und Artzney-Kündigern, wie auch selbst-eigenen Erfahrung, zum Vorschub der Studi-renden Jugend, Materialisten, Apothecker, und deren visitatoren, wie auch anderer Künstler, als Jubelirer, Mahler, Färber, u.s.w. also verfasset, und mit etlich hundert sauberen Kupfferstücken unter Augen geleget, siehe: www.ub.uni-koeln.de [26.08.18]
23: ↑ Valentini, Michael Bernhard: Museum Museorum. Natur- und Materialienkammer Auch Ost-Indianische Send-Schreiben und Rapporten, Frankfurt am Mayn, 1714², Buch I, Kapitel XLII.
24: ↑ Valentini 1714², Buch I, Kapitel XXXV, S. 5.
25: ↑ Imig, Andrea: Luzifer als Frau?: zur Ikonographie der frauengestaltigen Schlange in Sündenfalldarstellungen des 13. bis 16. Jahrhunderts, Hamburg, 2009, S. 104.
26: ↑ Im Bibeltext wird nur von „Früchten“ erzählt, siehe: Gen. 3,7;die häufige Deutung des Baums der Erkenntnis als Apfelbaum resultiert wahrscheinlich aus der Nähe der vulgärlateinischen Wörter mālum (= Apfel) und malum (= das Böse).
27: ↑ Valentini 1714², Buch III, Kapitel I, S. 2.
28: ↑ Waidacher, Friedrich: Handbuch der allgemeinen Museologie, Köln, Weimar, Böhlau, 1999³, S. 83.
29: ↑ Felfe 2003, S. 231.
30: ↑ Ebenda.
31: ↑ Felfe 2003, S. 233.
32: ↑ Siehe: Vorwort zum zweiten und dritten Teil, Valentini 1714².
33: ↑ Zum Erfolg und Vorbildcharakter der Sammlung Ole Worms siehe: Collet, Dominik: Die Welt in der Stube. Begegnungen mit Außereuropa in Kunstkammern der Frühen Neuzeit, Göttingen, 2007, S. 325.
34: ↑ Wie Anm. 3, S. 13.
35: ↑ Heisterberg, Marion: Vogel-Perspektiven. Mythos und Wissen vom Paradiesvogel in flämischen (Tier-) Land-schaften des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Dresdener Kunstblätter 4/2016, S. 24-33.
36: ↑ Ebenda.
37: ↑ Brandes, Jan; de Brujin, Max (Hg.): The World of Jan Brandes, 1743-1808: Drawings of a Dutch Tra-veller in Batavia, Ceylon and Southern Africa, Amsterdam, 2004, S. 425.
38: ↑ Heisterberg 2016, S. 26.
39: ↑ Ebenda.
40: ↑ Ebenda.
41: ↑ Heisterberg S. 27.
42: ↑ Ebenda.
43: ↑ Brandes; de Brujin 2004, S. 428.
44: ↑ Brandes; de Brujin 2004, S. 427; Heisterberg 2016, S. 26.
45: ↑ Heisterberg 2016, S. 30.
46: ↑ Heisterberg 2016, S. 25.
47: ↑ Müller-Bahlke 1998, S. 10.
48: ↑ Valentini 1714², Buch III, Kapitel I.
49: ↑ Schneider, Ulrich Johannes: Merkur und andere enzyklopädische Götter, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, München, 1.2007, 2, S. 89-100.
50: ↑ Ebenda.
51: ↑ Ebenda.
52: ↑ Schneider 2007, S. 91.
53: ↑ Ebenda.
54: ↑ „Als man im späten 17. Jahrhundert begann, Handelslexika herauszugeben, fing für Merkur eine neue Karri-ere an.“, siehe: Schneider 2007, S. 89.
55: ↑ Horaz, carm. 10.6.
56: ↑ Meier, Christel: Enzyklopädie und Welttheater. Zur Intertheatralität von Universalwissen und weltpräsentie-render Performanz, in: Schierbaum, Martin (Hg.): Enzyklopädistik 1550-1650 Typen und Transformationen von Wissensspeichern und Medialisierungen des Wissens, Berlin, 2009, S. 3-40.
57: ↑ Beßler 2009, S. 16.
58: ↑ Ebenda.
59: ↑ Meier, Christel: Virtuelle Wunderkammern: Zur Genese eines frühneuzeitlichen Sammelkonzepts, in: Felfe, Robert; Lozar, Angelika (Hg.): Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur, Berlin, 2006, S. 29-74.
60: ↑ Meier 2006, S. 32.
61: ↑ Meier 2006, S. 45.
62: ↑ Meier 2006, S. 47.
63: ↑ Meier 2006, S. 56.
64: ↑ Ebenda.
65: ↑ Meier 2006, S. 59.
66: ↑ Meier 2006, S. 68.
67: ↑ Valentini 1714², 2. Fol. r.