ENTWICKLUNG und EVOLUTION der Tiere


Embryopharmakologie / Toxikologie


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Hydractinia echinata


QSAR Untersuchungen an Hydractinia echinata

Die Metamorphose von Hydractinia echinata wird dazu benutzt, systematisch die Toxizität einfacher organische Substanzen zu bestimmen. 

Ziele
· QSAR (Quantitative Structure-Activity Relationship)-Aussagen über Wirkungen toxischer Substanzen in marinen Ökosystemen
· Unterscheidung von Wirkungen, die organismusspezifisch sind und Wirkungen, die mit gleicher „order of effectiveness" in anderen Organismen gefunden wurden. Thema: Spezifität und Übertragbarkeit.
· Ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man die Toxizität von unbekannten Substanzen abschätzen kann.

Methode
Im Labor sind Kolonien von H. echinata das ganze Jahr fertil. Aus den Eiern entwickeln sich innerhalb von 3 Tagen metamorphosekompetente Larven. Die Larven haben etwa 10 000 Zellen, sehen langgestreckt tropfenförmig aus, sind mit Cilien besetzt, haben keine Organe, können sich nicht ernähren, haben aber Nervenzellen, die ihnen helfen einen geeigneten Ort für die Metamorphose zu finden. Die Metamorphose kann künstlich ausgelöst werden, z.B. durch Zugabe von CsCl oder durch Überführen in Seewasser ohne Mg2+ Ionen. Ein dreistündige Behandlung reicht aus, um die Metamorphose auszulösen.  Wenn (Test-) Substanzen während der induzierenden Behandlung anwesend sind, bleiben die Tiere im Larvenstadium. Da dies bei beiden induzierenden Behandlungen passiert, fällt die einfachste Erklärung aus, daß nämlich die Substanzen die Aufnahme von Cs+ blockieren oder die Abgabe von Mg2+ hemmen. Es muß schon beides gleichzeitig bewirkt werden. Wir haben die Konzentration von Substanzen bestimmt, die die Metamorphoserate halbiert. Der Test ist einfach, schnell (24 h), zuverlässig, reproduzierbar und mit wenig Testsubstanz durchzuführen. 

Resultate
Die Reihenfolge der Wirksamkeit ist - soweit experimentelle Daten von den Substanzen vorliegen - so wie sie bei Tetrahymena pyriformis (Protozoa), Daphnia magna (Crustacea) und dem Fisch Pimephales promelas gefunden wurde. 

Unser Vorgehen unterschied sich von denen anderer Autoren zunächst darin, daß wir systematisch die Wirkung einfacher Verbindungen untersucht haben. Dabei fanden wir eine Abhängigkeit der Zugehörigkeit einer Substanz zu einen Substanzfamilie und ihrer Toxizität. 
Darauf aufbauend haben wir ein Verfahren entwickelt, um die Toxizität verwandter aber unbekannter Substanzen zu berechnen. Dabei wurden folgende Annahmen gemacht: (1) Die Toxizität einer Substanz kann in Komponenten zerlegt werden (Element Specific Influence Parameter, ESIP) und zwar so, daß die Summe der Komponenten die Toxizität der Substanz ergibt. (2) Die ESIPs sind in den verschiedenen Substanzen identisch. Sie können daher zur Berechnung der Toxizität einer (unbekannten) Substanz kombiniert werden. (3) Die ESIPs habe einen festen Wert in einem Organismus und einem Testsystem. Sie sind in anderen Organismen anders, aber mit den gleichen Methoden bestimmbar. Wir haben aus 140 getesteten Substanzen 11 ESIPs (mit Hilfe automatisierter Iterationsrechnungen)  bestimmt und für jede Substanz die gemessene mit der berechneten Toxizität verglichen. Die Übereinstimmung ist gut.

Übertragbarkeit des Verfahrens auf andere Organismen: Das Verfahren zur Bestimmung von ESIPs wurde auf publizierte Daten, die mit Tetrahymena pyriformis (Protozoa) , Daphnia magna (Crustacea) und dem Fisch Pimephales promelas bestimmt wurden, angewandt. Gefunden wurde, daß die ESIPs recht ähnlich sind, und daß sich die Daten der verschiedenen Autoren gut damit wiedergeben lassen. Daraufhin haben wir für diese Testsysteme die Toxizität von Verbindungen, die bisher nicht getestet wurden, berechnet, z.B. die Toxizität von Alkanen für Tetrahymena pyriformis und Pimephales promelas

In H. echninata wurden getestet (naturgemäß einen unvollständige Liste): 
Alkane, gradkettige und verzweigte
Cycloalkane 
Alkylbezole 
Polyaromatische Kohlenwasserstoffs 
Alkanole 
Polyalkanole 
Phenylcarbinole 
Aminoalkane 
Diaminoalkane 
alkyl substituierte Aminoethanole 
Thiophene

Die Ergebnisse haben eine Bedeutung für marine Ökosysteme im Bereich möglicher Kontamination mit Erdöl, da viele der im Test verwendeten Substanzen im Erdöl und in seinen Abbauprodukten enthalten sind. Uns sind vergleichbare systematische Untersuchungen an marinen Organismen nicht bekannt. Da die Ergebnisse (begrenzt) übertragbar sind, darüber hinaus die Methode zur Toxizitätsberechnung möglicherweise allgemein anwendbar ist, sind diese Untersuchungen auch für Abschätzunge der Toxizität von Substanzen beim Menschen von Bedeutung.

Eigene Beiträge

Berking, S. (1991). Effects of the anticonvulsant drug valproic acid and related substances on developmental processes in hydroids. Toxic. in Vitro 5, 109-118.
Chicu, S. A. and S. Berking, 1997. Interference with metamorpho-sis induction in the marine cnidaria Hydractinia echinata (Hydrozoa): A structure-activity relationship analysis of lower alcohols, aliphatic and aromatic hydrocarbons, thiophenes, tributyl tin and crude oil. Chemosphere 34, 1851-1866 
Chicu, S. A., K. Herrmann, S. Berking (2000). A new approach to calculate the toxicity of simple organic molecules on the basis of QSAR analysis in Hydractinia echinata (Hydrozoa, Cnidaria). QSAR,19, 227-236

 


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Embryopharmakologie / Entwicklung von Testsystemen

Brachydanio rerio, Hydractinia echinata, Hydra vulgaris 

Entwicklungsvorgänge bei Nicht-Säugetieren wurden daraufhin untersucht, ob sie als Test-System für eine mögliche toxische bzw. teratogene Wirkung von Substanzen bei Säugern dienen können. Dies ist sicherlich sinnvoll für Substanzen, die den Säuger-Embryo unverändert erreichen und für Metaboliten, die die Placentaschranke überwinden können. 

Untersucht wurden die Embryogenese und Metamorphose von Hydractinia echinata, die Kopfregeneration von Hydra vulgaris (Coelenteraten) und die Embryogenese des Zebrafisches, Brachydanio rerio (Chordaten). Die Spezies zeichnen sich u.a. durch folgende Vorteile aus: große Mengen an Eiern bzw. Embryonen sind das ganze Jahr über verfügbar, Serientests sind somit leicht möglich; die gesamte Entwicklung ist experimentell zugänglich und beobachtbar, sie findet außerhalb des mütterlichen Organismus statt und ist sehr schnell (1-3 Tage); eine Substanzbehandlung besteht einfach darin, die Substanz dem Kulturmedium zuzufügen; nur geringe Substanzmengen sind notwendig. 

Es wurden Kriterien entwickelt, mit denen die Effekte von Substanzen quantifiziert werden konnten, die sog. Endpunkte der Entwicklung, z.B. Metamorphoserate oder morphologische Merkmale 'normaler' Embryonen. In allen Systemen waren diese Kriterien und die Versuchsprozeduren leicht zu erlernen und sicher anzuwenden. Die Effekte waren reproduzierbar, die Entwicklungen waren äußerst synchron. Zur Validierung als Testsystem wurden Substanzen getestet, deren Effekte bei Säugern bereits beschrieben sind: das Antiepileptikum Valproinsäure und 12 chemisch verwandte Substanzen und zusätzlich bei Fischen Vitamin-A-säure und 8 chemisch verwandte Substanzen. Es wurden Entwicklungsverzögerungen und Mißbildungen beobachtet, die Effekte waren konzentrations- und stadienabhängig. 

In einem ersten Ansatz erfolgte die Quantifizierung anhand der MATC-Werte, maximal acceptable toxicant concentration. Die Reihenfolge der Effektivität der Substanzen bei Nicht-Säugern zeigte große Übereinstimmung zu der bei Säugern, insbesondere Säuger-whole-embryo Kulturen (Ratte und Maus). 

Mithilfe eines neuen Bewertungssystems wurden beim Zebrafisch die Effekte auf spezielle Organe im Detail analysiert, Chorda, Schwanz, Herz, Kreislauf, Gehirn, Augen und Ohren. Nun ist es möglich, zusätzlich zur Reihenfolge der Wirksamkeit, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wirkung genauer zu untersuchen.
Es zeigte sich, dass Retinoide und Valproide jeweils eigene ‘Wirkungsklassen’ mit besonderen Effekten begründen. Jede Substanz, die jetzt neu getestet wird, kann in eine dieser Klassen eingeordnet werden - die Wirkung ist eher retinoid- oder valproid ähnlich - oder es müssen neue Klassen eingeführt werden. 
Die Kriterien für die Einordnung sind:
a)  Konzentrationsbereich der Wirksamkeit
b)  Steigung der Dosis/Wirkungskurve
c)  Art der Missbildungen durch eine Substanzklasse
d)  zusäztliche Missbildungen durch einzelne Substanzen.

Durch diesen Vergleich der Wirkungsspektren erhält man möglicherweise so auch Hinweise über einen bisher unbekannten molekularen Wirkmechanismus. Dabei helfen diejenigen Missbildungen, die nur von einzelnen Substanzen hervorgerufen werden: z.B. verhindert Octanssäure die Bildung der Otholithen, die Ohrplacode ist aber normal entwickelt.
Natürlich wird man durch den Vergleich auch eine Vorhersage über die Effekte beim Menschen machen können. Je mehr Substanzklassen untersucht sind, desto besser wird diese Vorhersage sein. Daher ist die Frühentwicklung des Zebrafisches mehr als bloss ein neues zusätzliches Testsystem.

Eigene Beiträge

Herrmann (1993) The effects of the anticonvulsant drug valproic acid and related substances on the early development of the zebrafish (Brachydanio rerio). Toxicology in vitro 7, 41-54.

K. Herrmann, S. Berking (1994) Die Frühentwicklung des Zebrafisches als Screening Testsystem für die Teratogenität von Substanzen. In: H. Schöffl 
et. al. (Hrsg.): Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung. Springer-Verlag, Wien 

K. Herrmann (1995) Teratogenic effects of retinoic acid and related substances on the early development of the zebrafish (Brachydanio rerio) as assesed by a novel test system. Toxicology in vitro 9, 267-283.