Lexikon des Mitttelalters - Artikel Komputistik
Komputistik, zykl. Berechnung des Jahreskalenders,
in der Regel bezogen auf die beweglichen Kirchenfeste in Abhängigkeit
von Ostern (->Osterfestberechnung; ->Osterstreit). Eingebunden in
die Komputistik werden häufig Berechnungen des Weltalters nach den
chronol. Angaben der Bibel (->Chronologie; ->Ära) sowie des
historischen Termins der Kreuzigung und der Auferstehung Christi sowie
annalistische Nachrichten. Es lassen sich im wesentlichen drei Phasen feststellen:
1. In der Spätantike und im frühen Mittelalter ringt die Komputistik
um die Aufstellung geeigneter Methoden zur Vorausberechnung des Ostertermins,
unabhängig von der astronomischen Definition (1. Sonntag nach dem
Frühlingsvollmond). Erst mit ->Beda werden die methodischen Grundlagen
festgeschrieben und setzen sich im Laufe des 9. Jahrhunderts im Abendland
durch. 2. Danach wird die Komputistik zum Unterrichtsgegenstand, da jeder
Kleriker in der Lage sein sollte, den chronologischen ->Festkalender
für die Jahre im voraus zu erstellen (->computus). Eine Vielzahl
von Abhandlungen dokumentiert in dieser Zeit die Bedeutung der Komputistik.
3. Mit dem Eindringen der arabischen Astronomie in das Quadrivium (->Artes
liberales) beginnt man, die astronomische Bedingungen zu untersuchen (Feststellung
des sogenannten Äquinoktiums und des Mondumlaufs) und Komputistik
und Kalenderfragen miteinander zu verschmelzen. Den Streit, ob die astronomisch
bedingte Definition des Ostertermins oder der kalender ge%auml;ndert werden
sollten, beendete Gregor XIII. 1582 durch die kalenderreform (->Gregorianischer
kalender). Ihren Höhepunkt und ihren Abschluß findet die mittelalterliche
Komputistik mit J.C. Scaligers Entwicklung der Julianischen Periode, die
die computistischen Elemente des 28jährigen Sonnenzirkels und des
19jährigen Mondzirkels mit der ->Indiktion zu einem Zyklus von
7980 Jahren (=2914695 tagen) verbindet, der auch heute noch in der Kalendariographie
und Astronomie gebräuchlich ist.
Berechnungsgrundlagen waren: der Julianische ->Kalender, die ->Epakten
(zyklische Berechnung des Mondalters am 22. März) - äquivalent
dazu die Goldenen Zahlen - und die Concurenten (Wochentag des 24. März),
später auch der Sonntagsbuchstabe sowie die Definition des Zeitraums,
in den der Ostertermin fallen konnte (claves terminorum). Das Konzil v.
->Nikaia (325) beschloß eine allgemeine Definition des Ostertermins,
bestimmte aber keine verbindliche Berechnungsgrundlage. Deshalb kam es
auch weiterhin bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts zu unterschiedlichen Auslegungen
und Berechnungen. Die Alexandriner bestimmten den 21. März als Frühlingsäquinoktium
und die Ostergrenzen 22. März-25. April (->Athanasius, Osterbriefe;
Ostertafel des Anatolius); die römische Kirche hingegen den 25. März-21.
April (supputatio Romana). Während Rom die Osterfeier nach einem 84jährigen
Zyklus auf der Basis eines 12jährigen Mondzyklus berechnete und als
Ostertag auch den Tag des Ostervollmondes (luna XIV; Quartodecimaner) zuließ,
legten die Alexandriner den 19jährigen Mondzyklus des Meton zugrunde
und feierten Ostern zw. luna XV und XXI. Eine Vielzahl von Schriften zur
Komputistik boten unterschiedliche zyklische Berechnungen an (Dionysius
Alexandrinus, ->Theophilos, ->Kyrillos, ->Anianus, ->Hippolytus,
->Ambrosius, der ->Chronograph von 354 - der Laterculus des Augustalis,
Zeitzer Ostertafel). Erst mit der Komputistik des ->Victorius von Aquitanien
setzten sich der 19x28=532jährige Zyklus und die alexandrinische Ostergrenze
als Berechnungsgrundlage durch, wenn dieser auch noch für die extremen
Osterdaten jeweils zwei Termine angibt. Er zählt die Jahre nach dem
Jahr der Kreuzigung und Auferstehung des Herrn, das er auf das Jahr 28
n. Chr. legt. ->Dionysius Exiguus setzt endgültig den 532jährigen
Zyklus und die Ostergrenzen 22. März-25. April durch. Sein Computus
zählt erstmalig die Jahre nach Christi Geburt (Inkarnationsära)
und gibt eindeutige Regeln zur Berechnung (argumenta de titulis pascalis
Aegyptorum).
Beda gelingt es, sowohl in der angelsächsischen und irischen Kirche,
als auch im 9. Jahrhundert im fränkischen Reich den von Rom akzeptierten
532jährigen Zyklus des Dionysius Exiguus endgültig durchzusetzen
und für die gesamte römische Kirche verbindlich zu machen. Die
komputistischen Schriften des 9.-13. Jahrhunderts beruhen sämtlich
auf diesem Fundament und bieten - wenn überhaupt - lediglich in Einzelheiten
operative Verbesserungen (->Hrabanus Maurus, ->Notker Labeo, ->Dicuil,
->Helpericus, ->Abbo von Fleury, Wichram von St. Gallen). Die von
Beda bis zum Jahre 1063 gefertigte Ostertafel und ihre Fortschreibungen
bieten vielfach Raum für annalistische Einträge, die konsequente
Nutzung der Inkarnationsära führt zu ihrer allgemeinen Verbreitung
und ihrer Dominanz in der entstehenden Weltchronistik. Bedas Schriften
bilden die Grundlage für das einheitliche Berechnungsschema des Osterfestes;
darüber hinaus sind seine kalendariographischen Festlegungen (Jahresanfang
1. Januar, Namen von Monaten und Tagen, Korrelation von ären) für
das Mittelalter und die Neuzeit bestimmend geblieben. Schon seit dem 9.
Jahrhundert finden komputistische Schriften Eingang in Kalendarien, so
sind sie z.B. im Kalendarium Karls des Großen oder im "Hortus
deliciarum" (->Herrad v. Landsberg) im Zusammenhang mit Ostertafeln,
Heiligenkalendern, Beschreibungen des Zodiakus o.ä. enthalten.
Seit dem 13. Jahrhundert wendet sich die Komputistik mehr und mehr dem
Aufzeigen der Fehlerhaftigkeit des Julianischen Kalenders zu (Verschiebung
des Frühlingsäquinoktiums, zyklische Berechnung der Mondphasen).
Schon die Computi des ->Hermann von Reichenau (Regulae in Computum,
De defectu solis et lunae), des ->Robert Grossetestes (Canon in Kalendarium,
Computus, Computus correctorius, Computus minor) und des Johannes de Saxona
weisen Veränderungsvorschläge für die Regulierung des Julianischen
Jahres und/oder des Mondzyklusses auf. ->Roger Bacon fordert bereits
die Erneuerung der komputistischen Berechnungsgrundlagen, indem er, den
Vorschlägen Robert Grossetestes folgend, den Fehler des Julianischen
Kalenders von 1 tag in 125 jahren angibt und anstelle der unzureichenden
zyklischen Berechnung der Mondphasen eine astronomische Berechnung verlangt.
Diese Kritik führt im 14. jahrhundert zu einer ersten Diskussion über
eine Reformierung der Osterfestberechnung und des Kalenders (->Johannes
de Muris, Firminus de Bellavalle, Nikephoros ->Gregoras, ->Isaak
Argyros). Auf den Konzilien des 15. und 16. Jahrhunderts werden verschiedene
Reformvorschläge diskutiert (->Nikolaus von Kues), ohne daß
es zu einer Entscheidung kommt. Johannes ->Regiomontanus verzichtet
in seiner komputistischen Schrift (1474) gänzlich auf die zyklischen
Berechnungsgrundlagen, benutzt die tatsächlichen astronomischen Daten
der Neu- und Vollmonde und zeigt daran die Fehler der traditionellen Komputistik
auf. Auf der Grundlage des Vorschlags von A. Lilius kommt es zur Gregorianischen
Kalenderreform, die die zyklische Berechnung beibehält und den Kalender
diesen Erfordernissen angleicht. Die Berechnung des Ostertermins durch
die Kurie erfolgt bis heute auf komputistischer Grundlage.
W. Bergmann