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(angelehnt an einen Vortrag
auf der GDCP-Tagung 1996 in Bremen)
Mit VRML existiert eine neue Möglichkeit zur
Darstellung von Atomen, Molekülen, Molekülstrukturen und mehr durch den
Computer. Das neuartige hieran ist, dass ein für das Internet konzipierter
einfacher 3-D-Graphikstandard auch die Möglichkeit bietet,
Molekülvisualisierungen zu realisieren. Im Vergleich zu herkömmlicher
Molecular-Modeling-Software sind die Möglichkeiten zur individuellen
Gestaltung "virtueller Molekülwelten" stark erweitert. Das daraus
resultierende erhöhte didaktische Potential ist Gegenstand der Untersuchung.
Weiterhin stellen sich mit der Einbindung von virtuellen Realitäten in den
Unterricht grundsätzliche modell- und erkenntnistheoretische Fragen.
Virtuelle Realität
Was vor ein paar Jahren noch als Fiktion
abgetan wurde, ist heute bereits aufgrund der hohen Geschwindigkeit des
technologischen Fortschritts teilweise Realität. Und es wird sicher nicht
mehr lange dauern, bis virtuelle Methoden des Molecular-Modeling alltäglich
sind. 3-D-Visualisierung und plastisches Modellieren als Handwerkszeug des
Wissenschaftlers von morgen werden aufgrund eben jener anschaulichen und (be-)greifbaren
Eigenschaften damit auch sicherlich nicht ohne Einfluss auf den Schüler von
übermorgen bleiben. Doch so phantastisch auch die Möglichkeiten dieser
Vision erscheinen, so wesentlich scheinen auch die damit verbundenen
Schwierigkeiten.
Bei der Betrachtung von Welten einer virtuellen Realität, also einer der
Kraft oder Möglichkeit nach vorhandenen Wirklichkeit, muss man prinzipiell
unterscheiden zwischen der Visualisierung von wirklichkeitsnahen
Abbildern (wie etwa in der virtuellen Medizin) und Visualisierungen
von Modellvorstellungen, wie sie in der Chemie und im Chemieunterricht
eingesetzt werden. Letztere werfen die Frage auf: Wie wirken sich die neuen
computerbasierten Visualisierungsmöglichkeiten auf die Modellvorstellungen
des (Chemie-)Lernenden aus?
Modellvisualisierung mittels VRML
Auf der ersten World Wide Web-Konferenz in
Genf im April 1994 wurde der Anstoß zur Entwicklung einer
Beschreibungssprache für dreidimensionale Szenarien gegeben. Bereits ein
Jahr später erschien die erste Version der Virtual Reality
Modeling Language, abgekürzt VRML.
Die wesentlichen Anforderungen, die an VRML als Austauschmedium im
Internet gestellt wurden, waren die Visualisierung von virtuellen
dreidimensionalen Welten, die Etablierung eines Graphikstandards, eine
interaktive Benutzerführung und Internet-Tauglichkeit.
Die Dreidimensionalität wurde
realisiert über die Möglichkeit zum dreidimensionalen Bewegen innerhalb
einer Welt mit realistischen Effekten wie standortabhängigen
unterschiedlichen Licht- und Schattenverhältnissen und
Oberflächenbeschaffenheiten.
Die Internet-Benutzbarkeit wurde im
wesentlichen gewährleistet durch Beschränkung auf einfache Textzeichen
innerhalb der Objektdateien. Dadurch besteht die Möglichkeit zur starken
Komprimierung und unkomplizierten Datenübertragung.
Die Bedienung der meisten Browser
erfolgt in erster Linie mit der Maus.
Welche Möglichkeiten bietet nun VRML
zur Darstellung von Modellen? Sieht man sich im Internet um, so kann man
einige VRML-Bibliotheken finden, die mittlerweile vom einfachen
Methanmolekül oder Kugelpackungen bis zum biochemischen Makromolekül eine
weite Palette verfügbarer Modelle anbieten. Dies macht die eigene Erstellung
von VRML-Molekülen nahezu überflüssig. Zudem ist die Erstellung leider noch
recht aufwendig, da einfache Applikationen speziell zur Erstellung von
Molekülen noch nicht existieren. Daher müssen spezielle 3-D-Programme oder
VRML-Autorenwerkzeuge herangezogen werden, die allerdings wegen ihrer
umfassenden Fähigkeiten entsprechend einarbeitungsintensiv sind. Ein
einfacherer Weg ist die Konvertierung von mit Molecular-Modeling-Programmen
erstellten Dateien (z.B. pdb-Dateien), falls ein solches Programm zur
Verfügung steht.
VRML eignet sich zur Darstellung
verschiedenster Modellarten. Die Abbildungen 2) bis 6) sind
Bildschirmausdrucke verschiedener Darstellungsformen.
Virtuell können die Körper mittels eines
VRML-Browsers bzw. VRML-Plugins wie COSMOPLAYER (http://cosmoplayer.com)
betrachtet werden.
Download:
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Abb. 1) VRML-Logo |
Abb. 2) Kristallgitter [1] |
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Abb. 3) Atomorbital [2] |
Abb. 4) Kugel-Stab [3] |
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Abb. 5) Kalotte [4] |
Abb. 6) Komplexes Molekül [5] |
Dies sind nur einige Beispiele, weitere
Internet-Bibliotheken bieten ebenfalls eine Reihe von Visualisierungen an.
Für die Unterrichtspraxis lassen sich
folgende Vorteile aufzeigen:
Bedienbarkeit:
Bedienbarkeit: Das einfach zu erlernende Navigieren im dreidimensionalen
Raum mittels intuitiver Mausbedienung erleichtert den Umgang mit dem
Dreidimensionalen ungemein. In kurzer Zeit wird zudem dieses Navigieren zum
Handwerkzeug von WWW-Benutzern gehören und somit keine neuen Anforderungen
bei der Darstellung chemischer Objekte stellen.
Verfügbarkeit:
Verfügbarkeit: Mit der zunehmenden Verbreitung von Molekül-Bibliotheken
lassen sich über das Internet einfach die benötigten Objekte beschaffen.
Modifizierbarkeit:
Modifizierbarkeit: Die vorhandenen Daten lassen sich dank objektorientierter
Editoren mit ein wenig Einarbeitung den persönlichen Bedürfnissen anpassen.
Auswirkungen auf das Modelldenken
Neben dem zukünftigen Standard VRML und dem
alltäglichen Umgang mit ihm im Internet hat die computeranimierte
Darstellung von Unanschaubarem bereits die Home-PC’s erobert und graphische
Animationen im Fernsehen sind alltäglich geworden. Der noch zu gehende
Schritt in die "Virtual Reality" für jedermann ist ein technischer und
keiner, dessen Auswirkungen auf Modellvorstellungen nicht schon heute
reflektiert werden könnte und müsste und zu den folgenden Fragen führt: Wo
liegt der Unterschied zu "normalen" Modellen? Ist ein Computermodell
"modellhafter"? Ist ein Computermodell realer oder abstrakter? Wie lässt
sich die Interaktivität des Computers nutzen?
Man könnte einwenden, der Computer sei nur ein anderes Medium zur
Darstellung bereits tausendfach erprobter Veranschaulichung mittels
klassischer Modelle. Dieses Argument scheint vordergründig,
Computervisualisierungen sind nicht ein alternatives, sondern ein
prinzipiell anderes Medium: Wie das Sachmodell ist das computergenerierte
Modell eine konkretisierte Modellvorstellung und tritt somit zwischen
Subjekt und Modellvorstellung.
Im Bereich der Vorstellungen vom Aufbau der Materie liegen in erster Linie
mathematisch-abstrakte Modellvorstellungen vor. Daher kommt im Unterricht
der anschaulichen Darstellung mit Modellen besondere Bedeutung zu, ja es ist
oft der einzig gangbare Weg, da die mathematischen Grundlagen nicht
erarbeitet werden können. Hier besteht aber die Gefahr, das diese Modelle
von prinzipiell nicht anschaulich vorstellbaren Objekten mit Idealisierungen
von direkt Anschaulichem oder mit simplen Vergrößerungen verwechselt werden.
Diese Gefahr besteht unserer Ansicht nach bei herkömmlichen 3-D-Modellen
mehr als bei Computermodellen, denn der modellhaft abgebildete
Wirklichkeitsbereich liegt bei herkömmlichen Modellen im direkten
Wahrnehmungsraum, dem "Mesokosmos" [6], die Modelle sind greifbar, sie
sind physisch existent, bei Computervisualisierungen hingegen in einem mehr
indirekten oder virtuellen Wahrnehmungsraum, da Inhalte
zwangsläufig (als unvermeidliche Eigenschaft des Mediums) simuliert werden.
Durch diese Kluft zwischen Subjekt und Modell wird der Umgang mit Modellen
mehr vom Wahrnehmbaren ins Vorstellbare und somit in Richtung Denkmöglichkeit
gerückt. Dieses geöffnete Fenster ins Unanschaubare bildet mehr eine
Möglichkeit denn eine Wirklichkeit ab, liegt mehr in der Vorstellung.
Dennoch erscheint das Hantieren mit Computermodellen paradoxerweise weniger
abstrakt, da durch Imitation des Mesokosmos kein Bruch mit der alltäglichen
Wirklichkeit vollzogen wird. Der Umgang mit Modellen findet weiterhin auf
einer konkreten Ebene statt; formales Agieren mit Symbolen und Abstraktionen
ist nicht nötig. Daraus ergibt sich die zu überprüfende These:
Bei
Computervisualisierungen tritt der einmalige, ansonsten sich ausschließende
Effekt auf, dass der Modellcharakter verstärkt wird und der Abstraktionsgrad
abnimmt.
(Die Ergebnisse des Forschungsprojektes
werden in Kürze unter dem Titel: "Computervisualisierung und Modelldenken.
Konzeptionelle Grundlagen und fachdidaktische Konsequenzen" im Buchhandel
erscheinen.)
[1] Kubischer Perowskit (z.B. CaTiO3),
Institut Laue Langevin, Grenoble.
http://www.ill.fr/dif/3D-gallery.html
[2] 3dz2-Orbital, Institut
für Physikalische Chemie, TH Darmstadt.
http://www.pc.chemie.tu-darmstadt.de/research/vrml/
[3] Kugel-Stab-Modell von
o-Nitrophenol, ebenda
[4] Kalottenmodell von o-Nitrophenol,
ebenda
[5] Enzym Cytochrome P450, ebenda
[6] Vollmer, G.: Evolutionäre
Erkenntnistheorie: Angeborene Erkenntnisstrukturen im Kontext von Biologie,
Psychologie, Linguistik, Philosophie und Wissenschaftstheorie. 4.,
durchges. Aufl. Stuttgart: Hirzel, 1987.
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